4 Das Gefängnis der Glaubenssätze

In diesem Kapitel erfahren Sie …

warum Sie nichts im Leben so sehr bremst wie Ihre eigenen Gedanken,

wie Sie Ihr heimliches Navigationssystem aufdecken,

wie Sie Ihren Kopf neu programmieren und alles erreichen können und

wie eine Schwimmerin immer nur im Training gewann – bis sie ihren alten Glaubenssatz losließ und zu WM- und Olympia-Siegen schwamm.

Lieber einen Burnout riskieren, als jemanden zu enttäuschen?

»Dieses Projekt ist mein Sargnagel, ich hätte es niemals annehmen dürfen«, beklagte sich der Software-Entwickler Jörn Wiggert (29).

»Warum haben Sie sich dann von Ihrem Chef dazu überreden lassen?«, fragte ich.

»Wie stellen Sie sich das vor? Ich kann ihn doch nicht vor den Kopf stoßen und abblitzen lassen!«

»Wirklich nicht?«

Jörn Wiggert kniff die Augen zusammen. »Ich meine, er ist mein Chef. Er hat das Recht, mir Projekte auf den Tisch zu laden. Ich werde dafür bezahlt, dass ich diese Arbeit erledige.«

»Das heißt: Sie dürfen ihn auch dann nicht abblitzen lassen, wenn er Sie hoffnungslos überfordert? Oder in einen Burnout treibt? Oder Illegales von Ihnen will?«

Er dachte nach und meinte dann: »Wenn er etwas Illegales von mir wollte, würde ich das natürlich zurückweisen.«

»Aber was ist, wenn er Sie überfordert? Würden Sie lieber in einen Burnout stürzen oder einen Herzinfarkt riskieren, als ihn abblitzen zu lassen?«

Sein Zeigefinger rubbelte über die Bartstoppeln am Kinn. »Das auch nicht. Wenn ich sicher wüsste, dass ich einen Burnout bekäme, dann würde ich ihn …« Er stockte, als brächte er den Rest nicht über die Lippen.

»… abblitzen lassen«, ergänzte ich. Er verzog kurz das Gesicht. Dann nickte er.

Ich fuhr fort: »Stoßen Sie Ihren Chef wirklich vor den Kopf, wenn Sie ein Projekt ablehnen, für das Sie keine Kapazitäten haben?«

»Er findet das bestimmt nicht lustig. Womöglich hält er mich für unzuverlässig oder faul. So könnte ich auf seine Abschussliste geraten.«

»Wie könnte er Ihre Ablehnung im günstigsten Fall deuten?«

Wieder überlegte er eine Weile. »Nun ja, als Rückmeldung: Er erfährt, dass ich ausgelastet bin – und dass die Arbeit bei mir deshalb nicht in guten Händen wäre.«

Das sah ich ähnlich, ich nickte.

Kennen Sie das? Erfüllen Sie manchmal Wünsche anderer, auch wenn es Ihnen schadet? Dann kann es sein, dass Glaubenssätze Sie steuern. Dabei handelt es sich um uralte Überzeugungen, die bis ins Grundwasser Ihres Denkens gesickert sind. Viele davon betreffen Ihren Selbstwert, zum Beispiel: »Ich bin nicht wichtig!« Solche Überzeugungen leiten Sie, ohne dass Sie es merken. Statt selbst zu steuern, lenkt Sie Ihr Autopilot.

Nehmen Sie den übergeordneten Glaubenssatz meines Klienten:

»Ich muss tun, was andere Menschen von mir erwarten – sonst stoße ich sie vor den Kopf.«

Wenn Sie nach diesem Motto handeln, gerät Ihr Leben zum faulen Kompromiss. Ehe Sie etwas sagen, fragen Sie sich: Gefällt es allen? Ehe Sie etwas tun, fragen Sie sich: Sind alle damit einverstanden? Und ehe Sie Ihre eigenen Interessen vertreten, fragen Sie sich: Was kann ich für die anderen tun? Ihre Individualität weicht einem vorauseilenden Gehorsam. Und Sie opfern Ihre Wünsche und Bedürfnisse auf dem Altar der Anpassung.

Hilft Ihnen dieses Motto, ein erfülltes Leben zu führen? Macht es Sie glücklich, so zu denken? Und ist Ihre Überzeugung wirklich wahr? 53 Oder kann es sein, dass Sie sich einschränken und auf einen Irrweg locken?

Erst wenn Sie einen Glaubenssatz erkennen, können Sie entscheiden: Richte ich mich nach ihm? Oder werfe ich ihn über Bord und schlage eine andere Richtung ein? Manchmal ist es in Ordnung, einem alten Glaubenssatz zu folgen:

Wenn Sie sich bewusst zurücknehmen, um Konflikte zu vermeiden, ist das völlig legitim.

Wenn Sie Ihren Feierabend bewusst opfern, um noch ein Projekt abzuschließen: kein Problem.

Wenn Sie sich bewusst dafür entscheiden, einem traurigen Menschen zuzuhören, obwohl Sie eigentlich keine Zeit haben – absolut okay.

Aber wenn Sie all dies tun, ohne es wirklich zu wollen, mit wachsendem Frust, dann leitet Sie Ihr Glaubenssatz in die Irre. Dann folgen Sie einem Navigationssystem, das Ihnen nicht Ihr aktuelles Reiseziel anzeigt, sondern eines aus ferner Vergangenheit.

Dieses Denken leitet Sie heimlich

Wer eine Reise antritt, sollte vorher prüfen, wohin ihn sein inneres Navigationssystem lotst. Wie finden Sie heraus, welche heimlichen Glaubenssätze Sie leiten? Im Folgenden beschreibe ich Ihnen drei Möglichkeiten:

1. Der Schimmer des Immer

Achten Sie auf Ihre Sprache. Wann verwenden Sie Generalisierungen? Wann denken oder sagen Sie Wörter wie: »jedes Mal«, »immer«, »stets«, »nie«, »ausnahmslos«, »jeder«, »niemand«, »keiner«? Ein Immer gibt es nicht im Leben, jede Situation ist anders, ein Immer gibt es nur im Kopf: Sie pressen eine Realität durch die Schablone eines Glaubenssatzes.

Zum Beispiel denken Sie: »Immer, wenn ich widerspreche, geht das nach hinten los.« Deshalb halten Sie den Mund und malen sich aus, welche üblen Konsequenzen Ihr Widerspruch hätte. Sie malen es sich aus! Sie wissen und prüfen gar nicht, was tatsächlich passiert wäre.

Weil Sie in der Vergangenheit eine schlechte Erfahrung gemacht haben, schließen Sie daraus: Künftig wird es genauso sein! Aber kämen Sie auf die Idee, aus drei verregneten Sonntagen den Schluss zu ziehen: »Sonntags regnet es immer – dieses Jahr, nächstes Jahr, bis ans Ende der Zeit!«? Ein solcher Schluss wäre töricht.

Wenn Sie die Erfahrung gemacht haben, dass Ihr Widerspruch »nach hinten losging«, ist das ein Rückblick. Brechen Sie das Immer auf: In welchen Situationen war das so? Gegenüber welchen Menschen? Wie alt und reif waren Sie damals? Und was ist eigentlich damit gemeint, dass der Widerspruch »nach hinten losging«? Wie sahen die Konsequenzen für Sie aus?

Damit Sie Glaubenssätze hinterfragen können, müssen Sie sie aufdecken. Die folgende Übung hilft Ihnen dabei. Bitte führen Sie folgende sieben Satzanfänge so spontan wie möglich zu Ende:

Jedes Mal, wenn ich Nein zu anderen sage, riskiere ich …

Immer, wenn ich viel von mir selber rede, hat das den Nachteil, dass …

Ich will generell niemanden enttäuschen, denn sonst …

Es ist nie gut, wenn ich anecke, denn so laufe ich Gefahr …

Niemand soll von mir denken, dass ich …

Als sozialer Mensch halte ich es für selbstverständlich, dass ich …

Ein Lächeln hilft mir immer, weil ich …

Ich bin sicher: Alle Sätze, die Sie jetzt formuliert haben, sind in Ihrem Leben oft hilfreich. Zum Beispiel: »Ein Lächeln hilft immer, weil ich Sympathie damit gewinne.« Gefährlich ist nicht der Satz – gefährlich ist das Wörtchen »immer«. Denn dasselbe Verhalten, das Ihnen in der einen Situation nützt, zum Beispiel beim Start eines Smalltalks, kann Ihnen in der anderen Situation schaden, etwa bei einer ernsten Diskussion.

2. Die Ich-sollte-Falle

Gehen Ihnen oft Sätze durch den Kopf, die so beginnen: »Ich sollte ...«, »Ich muss ...«? Gibt es eine Instanz in Ihnen, die Sie dazu auffordert, sich in einer bestimmen Weise zu verhalten? Peitschen Sie sich an, Dinge zu tun, die Sie gar nicht tun wollen?

Oft stehen hinter diesem inneren Zwang unbewusste Glaubenssätze, zum Beispiel das Motto: »Ich muss anderen Menschen den Vortritt lassen.« Dieser Satz mag hilfreich sein, wenn es um Höflichkeit im Alltag geht. Aber wenn Sie mit anderen in einen Wettbewerb treten, bremst dieses Motto Sie aus. Diese Erfahrung musste eine junge Profi-Schwimmerin machen. Sie galt als großes Talent, im Training schwamm sie fantastische Zeiten. Aber bei den großen Wettkämpfen konnte sie ihre Leistung nie abrufen. Immer schwamm die Konkurrenz vor ihr durchs Ziel. Was genau bremste sie?

Die Antwort kam ans Licht bei einer Mentalübung mit ihrer Motivationstrainerin. Als die Schwimmerin in Trance war und gefragt wurde, ob sie ihre Wettkämpfe wirklich gewinnen wolle, antwortete sie sinngemäß: »Nein, denn ich will die anderen nicht verlieren sehen.« Deshalb ließ sie ihnen beim Rennen »den Vortritt«. 54

Erst als die Schwimmerin sich dieser irrationalen Überzeugung bewusst geworden war, gelang es ihr, sich im wahrsten Sinne freizuschwimmen. Sie räumte sich das Recht ein, andere im sportlichen Wettkampf abzuhängen und mit Volldampf ihre Leistung zu zeigen. Nun platzte der mentale Knoten vor den Augen der Nation: Sie avancierte zum Weltstar, holte neun Europameister-Titel, wurde zweifache Weltmeisterin sowie zweifache Olympiasiegerin. Die Rede ist von Britta Steffen.

Welche ungenutzten Potenziale schlummern in Ihnen? Wann stehen Sie Ihrem Erfolg selbst im Weg? In welchen Fällen könnten Sie die äußeren Gegner bezwingen, aber werden von einem inneren Gegner bezwungen?

An Britta Steffen wird deutlich: Es lohnt sich, den heimlichen »Ich soll«- oder »Ich muss«-Sätzen im eigenen Kopf nachzuspüren. Die folgende Übung hilft Ihnen dabei – bitte beantworten Sie diese Fragen spontan:

Was müssen Sie tun, damit andere Menschen Sie mögen?

Wie sollten Sie reagieren, wenn Sie jemand um Hilfe bittet?

Was dürfen Sie anderen keinesfalls zumuten?

In welchen Situationen und zu welchen Menschen sollen Sie niemals Nein sagen?

Wann müssen Sie gute Miene zum bösen Spiel machen?

Was müssen Sie tun, damit Ihr Chef Sie anerkennt und fördert?

Was müssen Sie tun, um ein gutes Verhältnis zu Ihren Arbeitskollegen zu haben?

Was müssen Sie sich in einer Beziehung unbedingt verkneifen?

Was dürfen Sie in einer Freundschaft niemals tun?

Bitte lesen Sie Ihre spontanen Antworten durch und fragen Sie sich: Ist das stimmig? Trifft es wirklich in allen Situationen zu? Oder wird mein Denken durch einen Glaubenssatz eingeschränkt? Wenn ja, wie lautet er? Angenommen Sie haben geschrieben, dass Sie für die Anerkennung Ihres Chefs »fleißig sein und hart arbeiten« müssen – dann steht womöglich der Glaubenssatz dahinter: »Ohne Fleiß kein Preis!«

3. Die Zurufe der Erzieher

In der guten Absicht, aus Ihnen einen »ordentlichen Menschen« zu machen, haben Sie Ihre Eltern und andere Erwachsene eine Kindheit lang beeinflusst – mit ihren Überzeugungen, Meinungen und Weisheiten konfrontiert. Und diese Sozialisation hinterlässt tiefe Spuren im Denken. Es ist, als wären wir eingeschlossen im Raum eines vergangenen Verhaltens. 55

Zum Beispiel kann ich mich an den Busfahrer Jacob Hübel (48) erinnern, dessen Vater ein wandelndes Sprichwort-Lexikon war. Für jede Lebenslage des Sohnes wusste der Vater den passenden Spruch. Dabei griff er auf Volksweisheiten und eigene Gedanken zurück. Hier ein paar Kostproben, wie Sie Ihnen in ähnlicher Form auch begegnet sein können:

1. » Die Letzten werden die Ersten sein.«

2. » Ein Indianer kennt keinen Schmerz.«

3. » Hochmut kommt vor dem Fall.«

4. » Freundlichkeit öffnet alle Türen.«

5. » Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.«

6. » Ein Lächeln rettet den finstersten Tag.«

7. » Ohne Fleiß kein Preis.«

8. » Wer hoch hinaus will, kann tief fallen.«

9. » Übermut tut selten gut.«

10. » Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.«

11. » Der wahre Genießer schweigt.«

12. » Wer zu viel will, bekommt am Ende gar nichts.«

Nun sind Sie gefragt: Bitte bewerten Sie die Sätze in der zweiten Spalte mit Zahlen von 1 bis 12. Geben Sie jenem Satz die 12, der Sie am meisten im Leben leitet – und jenem Satz die 1, der mit Ihnen am wenigsten zu tun hat. Lesen Sie erst danach weiter.

Lassen Sie uns die drei Sätze unter die Lupe nehmen, mit denen Sie sich am meisten identifizieren, die Sätze mit den Zahlen 10, 11 und 12. Bitte überlegen Sie, wie Sie zu der jeweiligen Überzeugung kommen. Versetzen Sie sich in Ihre Kindheit: Wer aus Ihrem Umfeld hat eine ähnliche Überzeugung geäußert oder gelebt?

10: Eine ähnliche Haltung vertrat

11: Eine ähnliche Haltung vertrat

12: Eine ähnliche Haltung vertrat

Als ich Jacob Hübel bat, seine Sätze zu priorisieren, vergab er zwölf Punkte an den Satz: »Wer zu viel will, steht am Ende mit leeren Händen da.« Und an nächster Stelle stand: »Hochmut kommt vor dem Fall.« In die Beratung war Hübel gekommen, weil sein Chef ihn schon zweimal bei einer Beförderung in den Innendienst übergangen hatte. Dabei war er ein hervorragender Busfahrer, der den Betrieb wie kein Zweiter kannte und sich auszudrücken wusste.

Bislang hatte er sein Scheitern dem Vorgesetzten angekreidet: Warum erkannte der seine Eignung nicht? Doch nun fragte er sich: »Liegt es vielleicht an mir selbst?« Er gab zu, in seiner Firma vor allem hinter den Kulissen zu wirken. Bei allen öffentlichen Anlässen, zum Beispiel Dienstbesprechungen, hielt er sich zurück. Dieses Verhalten qualifizierte ihn nicht gerade für eine Führungsrolle.

Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde es ihm: Heimlich fürchtete er, dass sein Streben in eine Führungsposition seinen aktuellen Arbeitsplatz gefährdete (»Wer zu viel will, steht am Ende mit leeren Händen da«). Oder dass er den Job zwar wie ein hohes Ross besteigen, dann aber abgeworfen würde (»Hochmut kommt vor dem Fall«). Scheinbar wollte er befördert werden (wie Britta Steffen auch ihre frühen Wettkämpfe gewinnen wollte) – aber tief innen wollte er es nicht .

Was Sie heimlich glauben, entfaltet eine unheimliche Wirkung: Es sorgt dafür, was in Ihrem Leben geschieht oder nicht geschieht. Oft erfüllen sich Glaubenssätze, ohne dass Sie den Zusammenhang merken. Ein paar Beispiele aus Beratungen:

Marion wird von dem Glaubenssatz geleitet: »Wer sich auf andere verlässt, der ist verlassen.« Und »zufällig« lernt sie immer wieder Männer kennen, die zu Seitensprüngen neigen oder sie hängen lassen.

Uwe folgt dem Glaubenssatz: »Ich muss den anderen beweisen, dass ich nett bin, sonst halten sie mich für doof.« Und tatsächlich passiert es ihm immer wieder, dass er ausgenutzt und für doof gehalten wird (obwohl er es keineswegs ist).

Carin lässt sich leiten von dem Motto: »Ein guter Mensch kann alles verzeihen.« Und tatsächlich zieht sie Freunde und Bekannte an, die sie mit einer Zumutung nach der anderen konfrontieren.

Jeder Glaubenssatz zieht eine Wirklichkeit nach sich. Nehmen Sie Carin: Weil sie glaubt, alles verzeihen zu müssen, zieht sie Menschen an, die sie unverschämt behandeln – alle wissen: Bei ihr kommt man damit durch. Das ist eine systemische Wechselwirkung – als würde ein Juwelier, der keine Alarmanlage hat, immer wieder überfallen. Unklare Grenzen locken Grenzüberschreiter an. Und wer glaubt, dass andere ihn nur mögen, wenn er ihnen dient, zieht Menschen an, die sich von ihm bedienen lassen.

Bitte schreiben Sie auf, welche Sprichwörter, Glaubenssätze und Überzeugungen Sie in Ihrer Erziehung am häufigsten gehört haben. Ordnen Sie diese Sätze bitte einer Bezugsperson zu:

Vater:

Mutter:

Opa:

Oma:

Kindergärtnerin:

Lehrer:

Weitere Personen:

1.

2.

Und nun fragen Sie sich: Welche dieser Sätze haben Sie (heimlich) übernommen? In welchen Situationen macht sich das bemerkbar? Und was läuft deshalb gut oder weniger gut in Ihrem Leben?

Der wichtigste TÜV Ihres Lebens

Würden Sie mit einem Auto, dessen Bremsen streiken, zu einer langen Fahrt aufbrechen? Nie im Leben! Bremsen müssen funktionieren, sonst ist die Fahrt zu gefährlich.

Aber wir alle reisen durchs Leben mit »dysfunktionalen« Glaubenssätzen. So nennt die Psychologie ein Denken, das unsere Ziele untergräbt. Wir steigen in unser Lebensauto, ohne zu realisieren, dass etwas nicht stimmt. Erst wenn unser Leben ins Schleudern gerät, kommen wir ins Grübeln: Warum bekomme ausgerechnet ich die unangenehmen Arbeiten auf den Tisch? Warum übersehen mich die anderen? Warum setzt jeder voraus, dass ich rund um die Uhr für ihn Zeit habe? Oder: Warum bin ich Trainings-Weltmeister, aber gewinne meine Wettkämpfe nicht?

Autos werden regelmäßig vom TÜV geprüft, ob alles richtig funktioniert. Dasselbe sollten Sie mit Ihren Gedanken tun. Prüfen Sie, welche Glaubenssätze Sie voranbringen – aber auch, welche Sie ausbremsen. Was wirft Sie im Alltag aus der Bahn? Womit stehen Sie sich im Weg? Welche Glaubenssätze behindern Ihr Glück und Ihre Zufriedenheit?

Bitte nehmen Sie sich alle Glaubenssätze vor, die in den vorangegangenen Übungen ans Licht gekommen sind. Notieren Sie die Sätze unten. Und dann fühlen Sie ihnen auf den Zahn, indem Sie auf die folgenden sechs Fragen antworten (drei Beispiele folgen weiter unten):

Mein persönlicher Glaubenssatz:

1. Ist dieser Satz nachweislich richtig?

Meine Antwort:

2. Stimmt das absolut: in jeder Situation, zu jeder Zeit, in jeder Stimmung? Oder gibt es Ausnahmen?

Meine Antwort:

3. Gibt es Menschen, die komplett anders denken oder handeln und damit erfolgreich sind?

Meine Antwort:

4. Welche Argumente sprechen gegen meinen Glaubenssatz?

Meine Antwort:

5. Welcher Irrglaube kann meinem Handlungsmotto (heimlich) zugrunde liegen?

Meine Antwort:

6. Was wäre in meinem Leben leichter oder besser, wenn ich diesen Glaubenssatz losließe?

Meine Antwort:

Lassen Sie uns nach diesem Muster drei Glaubenssätze durchgehen, von denen viele nette Menschen geleitet werden:

Ich muss helfen, wo ich kann!

1. Ist dieser Satz nachweislich richtig?

Er stimmt, wenn jemand in akuter Gefahr ist, etwa nach einem Unfall. Dann bin ich laut § 323c StGB zur ersten Hilfe verpflichtet. In allen anderen Situationen ist der Satz falsch: Niemand zwingt mich, dass ich anderen helfe, schon gar nicht rund um die Uhr. Ich kann das selbst von Fall zu Fall entscheiden.

2. Stimmt das absolut: in jeder Situation, zu jeder Zeit, in jeder Stimmung? Oder gibt es Ausnahmen?

In vielen Situationen ist der Satz komplett falsch. Zum Beispiel bei der Arbeit. Ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich anderen helfe, sondern dass ich meinen eigenen Job gut mache. Lasse ich meine Arbeit schleifen, weil ich anderen zu viel helfe, kann das sogar ein Entlassungsgrund sein.

3. Gibt es Menschen, die komplett anders denken oder handeln und damit erfolgreich sind?

Die meisten Erfolgreichen kümmern sich zuerst um ihre eigenen Belange, ehe sie anderen helfen. Und auch erfahrene Pädagogen sehen davon ab, ihren Schützlingen vorschnell unter die Arme zu greifen. Vielmehr sagen sie, dass andere nur aus eigener Erfahrung lernen. Indem ich jemandem helfe, damit er nicht hinfällt, nehme ich ihm eine Wachstumschance.

4. Welche Argumente sprechen gegen meinen Glaubenssatz?

Meine Kräfte sind begrenzt. Wenn ich rund um die Uhr helfe, bin ich bald so erschöpft, dass ich niemandem mehr helfen kann, am wenigsten mir selbst. Außerdem lädt mein Verhalten zu Unselbständigkeit oder Faulheit ein – warum sich ein Bein ausreißen, wenn der rettende Engel gleich einfliegt? Zudem werde ich als »ewiger Helfer« unterschätzt – als hätte ich keine eigenen Bedürfnisse und erst recht keinen Führungsanspruch.

5. Welcher Irrglaube kann meinem Handlungsmotto (heimlich) zugrunde liegen?

Erstens: dass ich ein schlechter Mensch bin, sobald ich nicht helfe.

Zweitens: dass ich Ansehen gewinne, indem ich immer zur Verfügung stehe.

Drittens: dass ich in den Augen anderer nur wertvoll bin, wenn ich mich um sie kümmere, aber nicht mehr, sobald ich mich um mich selbst kümmere.

6. Was wäre in meinem Leben leichter oder besser, wenn ich diesen Glaubenssatz losließe?

Ich hätte weniger Gewissensbisse. Im Moment fühle ich mich für alle verantwortlich, aber werde diesem Anspruch nicht gerecht. Ohne diesen Glaubenssatz wäre ich freier und hätte mehr Energie für mich selbst. Ich würde besser im Leben vorankommen und hätte Kraftreserven, um gezielt zu helfen – statt meine Hilfe mit der Gießkanne zu verteilen.

Ein weiterer Glaubenssatz, der oft durch die Köpfe netter Menschen spukt:

Ich sollte mich nicht so wichtig nehmen.

1. Ist dieser Satz nachweislich richtig?

Nein, denn meine Bedürfnisse erhalten mich am Leben. Mein Hunger signalisiert, dass ich essen muss. Mein Durst signalisiert, dass ich trinken muss. Ebenso wichtig sind psychische Bedürfnisse, zum Beispiel, dass ich Zeit für mich selber brauche und eine Einladung deshalb ablehne. Ich muss mich wichtig nehmen, nur so bleibe ich körperlich und geistig gesund.

2. Stimmt das absolut: in jeder Situation, zu jeder Zeit, in jeder Stimmung? Oder gibt es Ausnahmen?

Wenn ich in einer Gehaltsverhandlung sitze, muss ich mich und meine Interessen wichtig nehmen – sonst werde ich über den Tisch gezogen. Wenn ich in einer Runde das Wort ergreife, muss ich mich wichtig nehmen – sonst hört mir keiner zu. Und wenn ich meine Kinder erziehe, muss ich mich wichtig nehmen – sonst tanzen sie mir auf der Nase herum.

3. Gibt es Menschen, die komplett anders denken oder handeln und damit erfolgreich sind?

Absolut! Zum Beispiel kenne ich einen jungen Mann, der jede seiner Arbeiten als einen Herkulesakt präsentiert. Er hält das, was er tut, für ungeheuer wichtig. Und sich selber für unersetzbar. Damit hängt es wohl zusammen, dass er vor ein paar Wochen zum Gruppenleiter ernannt wurde.

4. Welche Argumente sprechen gegen meinen Glaubenssatz?

Wenn ich mich selber nicht wichtig nehme, tun es die anderen auch nicht. Außerdem muss ich zugeben: Ich bin jedes Mal enttäuscht, wenn andere meinen Einsatz für sie nicht würdigen und meine Leistung für selbstverständlich erachten. Insgeheim nehme ich mich wichtiger, als ich es zugeben will. Das spricht gegen meinen Glaubenssatz.

5. Welcher Irrglaube kann meinem Handlungsmotto (heimlich) zugrunde liegen?

Erstens: dass ich zum Wichtigtuer werde, indem ich Raum für mich beanspruche.

Zweitens: dass der Raum, den ich für mich einnehme, den anderen fehlt.

Drittens: dass ich vor den Blicken nicht bestehen kann, die auf mich gerichtet sind, sobald ich auf die »Bühne« trete.

6. Was wäre in meinem Leben leichter oder besser, wenn ich diesen Glaubenssatz losließe?

Ich könnte ohne Vorbehalte zu meinen eigenen Bedürfnissen stehen. Es fiele mir leichter, meine Forderungen durchzusetzen und Ansinnen anderer abzulehnen. Außerdem müsste ich nicht mehr auf zufällige Anerkennung warten, sondern könnte andere auch mal fragen, wie ihnen meine Leistung gefallen hat.

Und noch ein Glaubenssatz, den ich häufig von netten Menschen höre:

Ich kann mich doch nicht wegen jeder Kleinigkeit beschweren.

1. Ist dieser Satz nachweislich richtig?

Niemand verbietet mir, dass ich mich beschwere. Wann und weshalb, kann ich selbst entscheiden. Es gibt kein verbindliches Richtmaß, ob es sich um eine »Kleinigkeit« oder eine »große Sache« handelt. Hier darf ich mich auf meinen subjektiven Eindruck verlassen.

2. Stimmt das absolut: in jeder Situation, zu jeder Zeit, in jeder Stimmung? Oder gibt es Ausnahmen?

In vielen Situationen ist meine Beschwerde erforderlich, um dem anderen Grenzen zu setzen. Wenn mir die Kassiererin im Supermarkt fünf Cent zu wenig rausgibt, ist das zwar eine »Kleinigkeit« – aber wenn ich nichts sage, bekomme ich beim nächsten Mal vielleicht zehn Cent weniger. Und in einer Woche fehlen zehn Euro. Gerade die Beschwerde bei »Kleinigkeiten« verhindert, dass mich andere weiter ausnutzen. Das gilt im Privatleben genauso wie im Job.

3. Gibt es Menschen, die komplett anders denken oder handeln und damit erfolgreich sind?

Viele Menschen handeln nach dem Sprichwort: »Nur das quietschende Rad wird geölt!« Neulich habe ich im Lokal verfolgt, wie eine Frau beim Ober »etwas zu viel Salz auf der Scholle« beklagte. Die Folge war, dass ihr mitsamt Begleitern ein Getränk auf Kosten des Hauses serviert wurde. Sie hatte sich durch ihre Beschwerde Respekt verschafft.

4. Welche Argumente sprechen gegen meinen Glaubenssatz?

Es ist unklug, dass ich meine eigenen Bedürfnisse zu einer »Kleinigkeit« erkläre. Ich habe ein Recht darauf, sie wichtig zu nehmen. Ich darf Konflikte riskieren, statt sie zu scheuen. Denn je weniger Konflikte ich eingehe, desto weniger Konfliktfähigkeit entwickle ich.

5. Welcher Irrglaube kann meinem Handlungsmotto (heimlich) zugrunde liegen?

Erstens: dass ich kein Recht auf meine Bedürfnisse habe.

Zweitens: dass ich nur dann »freundlich und nett« bin, wenn ich stillhalte.

Drittens: dass ich einem Konflikt, wie er sich aus einer Beschwerde ergeben könnte, nicht gewachsen bin.

6. Was wäre in meinem Leben leichter oder besser, wenn ich diesen Satz losließe?

Ich könnte mutig und beherzt vorbringen, was mir nicht passt. Ich müsste meine eigenen Bedürfnisse nicht mehr zensieren, nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ich könnte sagen, was Sache ist. Damit würde ich authentischer agieren und von anderen Menschen ernster genommen als bislang.

In welchen dieser Glaubenssätze haben Sie sich wiedererkannt? Und was verändert sich, wenn Sie die jeweiligen sechs Antworten lesen? Inwieweit schaffen es diese Einsichten, die Wirkung des Glaubenssatzes zu dämpfen?

Und was hat der Fragen-TÜV bei Ihren eigenen Glaubenssätzen ergeben? Gehen Sie jeden einzelnen durch, und fragen Sie sich: Ist der Preis, den ich dafür bezahle, akzeptabel? Oder würde ich ohne diesen Satz leichter und besser leben?

Zwar lassen sich Glaubenssätze nicht ablegen wie ein altes Kleidungsstück, sie sind hartnäckig. Aber loswerden können Sie sie dennoch – indem Sie den dysfunktionalen Glaubenssatz durch einen neuen ersetzen, der Ihnen im wahrsten Sinne dient.

Ich heirate mein Denken!

Jeden Morgen entscheiden Sie sich für eine bestimmte Kleidung. Sie treten vor den Spiegel, um zu prüfen, wie diese Kleidung sitzt. Sie rücken Pulli, Bluse oder Hemd zurecht. Aber wie sieht es aus mit Ihrer Innenwelt? Entscheiden Sie sich jeden Morgen für ein bestimmtes Denken? Oder tragen Sie Ihre Überzeugungen ungeprüft in die Welt hinaus?

Wir kennen unsere Kleidung, wenn wir das Haus verlassen, nicht aber unsere Glaubenssätze. Viele Situationen, die sich in Ihrem Leben wiederholen, verlocken Sie zur Wiederholung eines alten Verhaltens. In Ihnen springt ein Verhaltensprogramm an, das sich aus einem unsichtbaren Glaubenssatz speist.

Wie kann es Ihnen gelingen, diesen Automatismus zu unterbrechen? Stellen Sie sich vor, es gäbe einen Glaubenssatz-Prüfer, der Sie durch den Alltag mit einer Kamera begleitet. Ganz egal, was Sie tun, er ist mit dabei. Bei jedem Verhalten, bei jeder Entscheidung von Ihnen fragt er sich: Welcher Glaubenssatz steht wohl dahinter?

Das Gedankenspiel mit dem Glaubenssatz-Prüfer hilft Ihnen, eine Situation aus zwei Perspektiven zu sehen: von innen, als Beteiligter – und von außen, als (neutraler) Beobachter. Die Außenperspektive macht Sie zum Regisseur: Sie können Ihren Auftritt mit Abstand beurteilen und verändern, statt darin gefangen zu sein.

Fragen Sie sich während einer Situation: Wie wird der Glaubenssatz-Prüfer die aktuelle Lage von außen beurteilen? Wenn es Ihnen hilft, können Sie einen ungewöhnlichen Gegenstand in Ihrem Sichtfeld platzieren, der Sie an den Prüfer erinnert. Zum Beispiel tragen Sie eine Armbanduhr, obwohl Sie das eigentlich nicht tun. Und jedes Mal, wenn Sie die Uhr sehen, erinnern Sie sich: Ach ja, heute bin ich mit dem Glaubenssatz-Prüfer unterwegs.

Machen wir es an einem Beispiel konkret: Stellen Sie sich vor, es klingelt am späten Nachmittag Sturm an Ihrer Tür. Ihre etwas forsche Nachbarin baut sich vor Ihnen auf und bittet darum, dass Sie ihr für heute Abend den Grill leihen. Sie hatten den vagen Plan, heute Abend selbst mit ein paar Freuden zu grillen. Aber Sie haben noch niemanden eingeladen, es war nur eine Möglichkeit von vielen. Wie antworten Sie Ihrer Nachbarin?

Viele nette Menschen würden denken: Natürlich bekommt sie den Grill. Ich kann mein Grillen ja auch noch auf morgen verschieben, es ist nichts ausgemacht. Und was soll sie von mir denken, wenn ich ihr den Grill verweigere?

In diesem Moment sehen Sie vielleicht die Uhr an Ihrem Arm, denken an den Glaubenssatz-Prüfer und fragen sich: Welche heimliche Überzeugung leitet mich gerade? Hilft sie mir? Oder schadet sie mir? Und will ich diesem Glaubenssatz das Kommando überlassen? Oder tausche ich dieses Gedankenkleid mal eben aus?

Eine solche Prüfung kann sich in Millisekunden vollziehen. Dann antworten Sie nicht aus Reflex, sondern nach kurzer Reflexion. Vielleicht stoßen Sie bei der inneren Prüfung auf folgenden Glaubenssatz: Ich muss helfen, wo ich kann!

Wie gelingt es Ihnen, diese Überzeugung durch eine günstigere zu ersetzen? Am einfachsten, wenn Sie den Glaubenssatz schon im Vorfeld erkannt und sich eine stimmige Alternative ausgedacht haben. Gehen Sie all Ihre Glaubenssätze durch und fragen Sie sich bei jedem:

Was will ich stattdessen denken?

Wie behalte ich meine Interessen und Werte besser im Blick?

Welche Überzeugung hilft mir, so zu handeln, dass ich mich damit auf längere Sicht wohler fühle?

Aus diesen Erkenntnissen können Sie einen neuen Glaubenssatz formen, der sich nicht aus Willkür, sondern aus Ihrem Willen speist. Eine Klientin von mir fand zu Ich muss helfen, wo ich kann! drei Alternativen:

  1. Ich helfe nur, wenn ich es wirklich will und es meinen eigenen Interessen nicht schadet.
  2. Ich helfe niemals denen, die sich selber helfen können, denn das würde sie schwächen.
  3. Ich helfe denen, die mir auch helfen (oder helfen würden). Die anderen, die mich ausnutzen wollen, lasse ich abblitzen.

Angenommen Sie haben sich für den neuen Glaubenssatz entschieden, dass Sie nur helfen, wenn es Ihren »eigenen Interessen nicht schadet«. Dann könnten Sie zu Ihrer Nachbarin sagen, was Sie tatsächlich denken:

»Normalerweise kannst du unseren Grill gerne ausleihen. Heute allerdings wollen wir vielleicht selber mit Freunden grillen. Deshalb mag ich mich jetzt noch nicht festlegen. Ich sage dir bis 18 Uhr Bescheid, ob wir den Grill brauchen oder du ihn heute Abend haben kannst.«

Stimmige Glaubenssätze schützen Sie vor Manipulation. Wie schwer es fällt, eine kleine Hilfe abzulehnen, zeigt ein wissenschaftliches Experiment beim Spenden-Sammeln: Allein durch die Formulierung »Schon ein einziger Cent würde helfen« lässt sich die Zahl der Spender um das Zweieinhalbfache steigern. Menschen spenden, ohne wirklich spenden zu wollen, weil nur eine Winzigkeit von ihnen verlangt wird. 56 Der moralische Druck ist enorm. Derselbe Effekt tritt ein, wenn Ihr Chef zu Ihnen sagt: »Es hilft schon, wenn Sie ein paar Minuten länger arbeiten!« Oder Ihr Kollege: »Schon mit 50 Cent würdest du mir helfen!«

Mit dem neuen Glaubenssatz können Sie diese Manipulationsversuche abwehren. Integrität bedeutet, dass Sie Ihre Worte in Einklang mit der Realität bringen. 57 Sie werden staunen, welche Kraft Ihnen diese Stimmigkeit verleiht. Denn statt den anderen zu brüskieren, wird sein Respekt vor Ihnen wachsen.

Und hier mögliche Alternativen zu weiteren Überzeugungen:

Ich sollte mich nicht so wichtig nehmen.

Drei Alternativen:

  1. Ich habe das Recht, mich wichtig zu nehmen – nur dann werde ich von anderen wichtig genommen.
  2. Ich nehme mich wichtig, ohne mich wichtig zu machen. Ich zeige einfach, wer ich bin.
  3. Ich respektiere mich selbst und meine Bedürfnisse, nur so kann ich andere aufrichtig respektieren.

Ich kann mich doch nicht wegen jeder Kleinigkeit beschweren.

Drei Alternativen:

  1. Wenn mich etwas stört, habe ich das Recht, das zu sagen.
  2. Wenn ich reklamiere, erhöhe ich die Chance auf das, was ich wirklich brauche.
  3. Jeder Anlass zur Beschwerde ist ein kostenloses Training für mein Selbstbewusstsein.

Bitte gehen Sie Ihre eigenen Glaubenssätze durch und entwickeln Sie für jeden drei Alternativen. Experimentieren Sie im Alltag damit, welche davon sich als Richtschnur fürs Handeln am besten bewährt. Geben Sie Ihrem neuen Denken das Ja-Wort, als wollten Sie es heiraten. Je öfter es Ihnen gelingt, den alten Glaubenssatz zu ersetzen, desto mehr gerät dieser in Vergessenheit. Dann handeln Sie weniger nett – aber deutlich stimmiger.

Meine Nettigkeits-Prüfung

Die Lügnerin im Seminar

Die Situation: Das Probe-Wochenende meines alljährlichen Ausbildungsgangs zum Karriereberater neigt sich dem Ende. Ich blicke in zufriedene Gesichter. Beim Abschied bekräftigen die Teilnehmer, den kompletten Kurs zu belegen. Nur Frau Meinel, eine Managerin, die als Letzte geht, überrascht mich mit der Aussage: »Ich führe den Kurs nur fort, wenn ich den Vorzugspreis bekomme! Ich habe von einem anderen Teilnehmer erfahren, dass Sie ihm einen Rabatt gegeben haben. Den möchte ich auch.«

Ich bin wie vor den Kopf gestoßen. Niemand hat für diesen Kurs je einen Rabatt bekommen. Wie soll ich der Kundin jetzt antworten: diplomatisch oder direkt?

Übung: Wie hätten Sie an meiner Stelle reagiert?

Meine Reaktion: Ich entscheide mich, ihr Grenzen zu setzen – und sage: »Ich kann Ihnen versichern, dass alle dasselbe bezahlen – in diesem Kurs und auch in allen Jahrgängen davor. Aber wenn Sie jetzt Zweifel haben, ob die Ausbildung für Sie den vollen Preis wert ist, dann sollten Sie den Kurs abbrechen – dann ist er für Sie nicht das Richtige.« Frau Meinel rudert sofort zurück und spricht von einem »Missverständnis«.

Bewertung aus heutiger Sicht: Ich finde meine Reaktion nach wie vor gut.

Kommentar: Frau Meinel stellt mich durch ihr Psychospielchen auf die Probe. Lass ich es mit mir machen oder nicht? Die klare Abgrenzung gelingt mir, weil ich ein gutes Gewissen habe und zugleich im Namen der anderen Teilnehmer spreche, die alle regulär bezahlen. Klare Kante kann sozial sein.

Übrigens: Frau Meinel hat den Kurs dann doch belegt und mich mit auffallendem Respekt behandelt. Ich wusste, woher er kam!

Die Nettigkeits-Falle: Ich war drauf und dran, mich freundlich zu rechtfertigen: »Ich kann mir das nicht erklären, warum Ihnen jemand von einem Rabatt erzählt hat. Es stimmt jedenfalls nicht.« Das wäre ein Fehler gewesen: Nicht ich musste mich rechtfertigen – sondern sie!

Meine Lehre: Wenn jemand deine Grenzen testet: Klopf ihm auf die Finger! Tu es einmal deutlich, dann ist kein zweites Mal nötig – und du erntest Respekt.