In diesem Kapitel erfahren Sie …
mit welchen zehn fiesen Tricks Sie zum Ja-Sagen manipuliert werden,
wie zwei Pappen am Boden Ihnen beim Nein-Sagen helfen,
wie Sie eine perfekte Anleitung zum Nein-Sagen für Nette umsetzen und
wie sich eine Studentin vor einem Wildfremden entblößt hat, nur weil sie nicht Nein sagen wollte.
Eines Tages rief beim Telefon-Talker Jürgen Domian (WDR) die Studentin Andrea an, der mitten in Frankfurt etwas Unglaubliches passiert war. 70 Sie hatte einen Einkaufsbummel durch die Stadt gemacht, als sie in der belebten Fußgängerzone ein junger Student der Ethnologie ansprach: »Wir machen gerade eine Befragung zum Thema Spontaneität und Körperinszenierung.«
»Bist du spontan?«, fuhr er fort. Andrea bejahte, denn als Spontaneitäts-Bremse wollte sie nicht gelten. Der junge Mann fragte ein paar Kleinigkeiten, ehe er wissen wollte: »Welche Farbe hat deine Unterwäsche?« Sie war zu nett, um die Frage zurückzuweisen: »Schwarz«. Der Student hakte nach: »Kannst du das beweisen?« Und sie antwortete »aus einem Reflex heraus«: »Ja, klar kann ich das beweisen.«
Der Student überließ ihr die Wahl eines Ortes. Sie schlug vor, in ein Bekleidungsgeschäft zu gehen. »Dann bin ich in die Umkleidekabine und habe mich ausgezogen. Und er stand davor (…) Und ich habe auch noch gedacht: Sollst du das jetzt wirklich machen?« Dann öffnete sie den Vorhang der Kabine, entkleidet bis auf Slip und BH. »Und er hat geguckt.«
Jürgen Domian war entsetzt: »Bist du wahnsinnig, Andrea?« Sie sagte, sie sei in diesem Moment »nicht zurechnungsfähig« gewesen. Wie hatte sie nur so naiv sein können, auf diese abenteuerliche Geschichte reinzufallen? Natürlich verschwand der angebliche Student sofort, nachdem er gesehen hatte, worauf er aus war.
Wenn es schon so schwerfällt, den dubiosen Wunsch eines Wildfremden abzulehnen: Wie schwer ist es dann erst, Anliegen vertrauter Menschen zurückzuweisen? Wem fällt es leicht, Nein zu sagen zu einem wichtigen Kunden, zum eigenen Chef, zu einem langjährigen Freund oder zum Liebespartner?
»Nein« ist für nette Menschen ein Wort, an dem sie fast ersticken. Was Andrea passiert ist, kennen wir alle: Jemand will etwas von uns. Unser innerer Alarm springt an, weil uns die Sache unstimmig erscheint – und doch schaffen wir es nicht, dieses Funksignal von innen (»Sag Nein, du willst das nicht!«) wichtiger zu nehmen als die Erwartung von außen (»Sag Ja, der andere erwartet das!«).
Psychologisch ist das höchst interessant: Wir externalisieren unsere Entscheidung. Wir sind so sehr auf den anderen fixiert, dass wir den Funkkontakt zu unserer Innenwelt verlieren. Wir entscheiden aus der Perspektive des anderen. Andrea zieht sich nicht aus, weil sie das will, sondern weil er das will.
Nette Menschen glauben, dass ein Nein unhöflich ist, eine Zumutung für den anderen. Sie gehen davon aus, den anderen zu kränken und gegen sich aufzubringen. Das Nein-Sagen erscheint ihnen als Akt der Unbarmherzigkeit, als egoistischer Alleingang – was oft mit einer Selbstverneinung zu tun hat, mit übertriebenen Selbstansprüchen. 71 Wer sich selbst nicht gerecht wird, will dem Fremdanspruch gerecht werden, um sich nicht auf beiden Feldern als Verlierer zu fühlen.
Das Nein ist bei netten Menschen negativ besetzt, deshalb nehmen sie es nur selten in den Mund. Doch wenn es Ihnen gelingt, das Nein mit einer positiveren Geschichte zu verbinden, öffnen sich Ihnen neue Möglichkeiten.
»Ich weiß wirklich nicht, was ich in China soll«, sagte Ramona Seidel (28). Ihrem Mann, Ingenieur eines Weltkonzerns, war eine Position in China angeboten worden – für ein Jahr. »Er setzt voraus, dass ich ihn begleite«, erzählte Seidel. »Und ich kann das total verstehen, ich wollte auch nicht allein auf einen anderen Kontinent.« Andererseits stand sie als Journalistin bei einer Frauenzeitschrift kurz vor der Beförderung zur Chefin vom Dienst. China bot ihr beruflich keine Perspektive.
In der Beratung wollte sie herausfinden, welche Entscheidung die richtige wäre. Mir fiel auf, dass sie fast nur von ihrem Mann sprach: wie enttäuscht er wäre, wenn sie ihn nicht begleiten würde. Dagegen kamen ihre eigenen Interessen kaum vor. Ich lud sie zu einer meiner Lieblingsübungen ein.
Dazu legte ich eine große Pappe auf den Boden und schrieb in Riesenlettern darauf: »Ein Nein schadet allen!« Nun bat ich Ramona Seidel, sich auf diese Pappe zu stellen und zu begründen, warum sie ihrem Mann ein Nein keinesfalls zumuten durfte. Sofort legte sie los: »Ich bin seine Frau. Ich liebe ihn. Ich kann ihn nicht einfach hängen lassen. Ein Nein würde heißen: ›Du bedeutest mir nichts.‹ Ein Nein würde heißen: ›Wir gehen ein Jahr lang getrennte Wege.‹ Das könnte der Anfang vom Ende sein. Vielleicht fragt er sich, ob ich die Richtige für ihn bin, wenn ich ihn allein in ein fernes Land ziehen lasse. Ich meine: Wenn sich zwei Menschen lieben, wollen sie doch so oft wie möglich zusammen sein. Ein Nein wäre ein verheerendes Signal.«
Im selben Tonfall fuhr sie zehn Minuten lang fort. Sie malte sich alle möglichen Horrorszenarien aus: dass ihr Mann sich in eine Chinesin verliebt (»Da dürfte ich mich nicht beschweren, wenn ich ihn allein gehen lasse«), dass er aufgrund ihrer Abwesenheit in eine Depression fällt oder dass ihm – »Er ist immer so ungeschickt!« – im Haushalt ein schwerer Unfall passiert.
Je länger ich ihr zuhörte, desto mehr erschien mir ihr »Nein« als ein Dolch, den sie ihrem geliebten Mann einfach nicht ins Herz rammen wollte.
Dann beschriftete ich eine neue Pappe: »Ein Nein nützt allen!« Ich bat sie, sich nun auf diese Pappe zu stellen: »Malen Sie sich aus, dass Ihr Nein eine gute Tat ist. Dass es auf der ganzen Welt kein besseres, kein sozialeres Wort gibt. Begründen Sie nun, warum es gut wäre, wenn Sie Nein sagen, für Sie, für Ihren Mann, ja überhaupt.«
Hilflos stand sie da und suchte nach Worten. Ein paar Mal hob sie zu sprechen an, aber verstummte wieder. Es dauerte bestimmt zwei Minuten, bis sie in Fahrt kam: »Also, mir würde ein Nein nützen, weil ich nicht aus meiner Karriere gerissen würde. Ich könnte dort bleiben, wo meine Freunde sind und ich am liebsten bin: in dieser Stadt. Und ich würde es mir ersparen, mich in China womöglich ein ganzes Jahr zu langweilen.« Sie führte noch ein paar weitere Argumente an, bis ich nachfragte, inwiefern denn ihr Mann von einem Nein profitieren könnte?
Wieder brauchte sie etwas Zeit, dann sagte sie: »Ich glaube, ein ehrliches Nein wäre ihm lieber als ein geheucheltes Ja. Ich meine, was hätte er davon, wenn ich ihn nach China begleite, aber dort unzufrieden bin und schlecht gelaunt? Oder wenn ich ihm später aufs Brot schmiere, dass ich ihm dieses Jahr geopfert habe, dass er mir die Chance verbaut hat, Chefin vom Dienst zu werden? Vielleicht macht ein Nein unsere Beziehung spannender, weil wir uns seltener sehen. Ich glaube, er will eine selbstbewusste Frau und keine, die immer nur seiner Meinung ist.«
Je länger sie über die Vorteile eines Neins redete, desto lebendiger wurde sie. Das Nein, gerade noch ein verbaler Dolch, hatte seine Schärfe verloren – weil sie es mit neuen Augen sah.
Übrigens nahm die Geschichte eine interessante Wendung: Als Ramona Seidel die Begleitung nach China freundlich, aber bestimmt ablehnte, sagte ihr Mann: »Weißt du was? Dann blase ich die Sache ab. Ich möchte in deiner Nähe bleiben. Und es gibt auch hier in der Zentrale interessante Karrieremöglichkeiten für mich.«
Auf diese Idee war sie gar nicht gekommen: dass auch ihr Mann zurückstecken und eine Trennung verhindern könnte. Als ich sie zwei Jahre später wiedersah, erzählte sie mir, das Nein habe ihre Beziehung belebt.
Und mittlerweile stellte sie sich immer, wenn sie zwischen Ja und Nein abwägte, die Vorteils-Pappe auf dem Boden vor. »Wie schlimm und schädlich ein Nein ist, daran denke ich von allein. Aber welche Vorteile es hat, darauf komme ich erst durch diesen Trick. Heute fällt es mir viel leichter, zu anderen Nein zu sagen.«
Bitte übertragen Sie diese Übung auf sich und schreiben Sie drei Situationen auf, in denen Ihnen das Nein-Sagen schwerfällt. Und dann führen Sie den Satz zu Ende: »Ein Nein nützt hier allen, weil ...« Notieren Sie, was für ein Nein spricht, auch aus der Sicht des Menschen, zu dem Sie es sagen. Hier ein reales Beispiel:
Situation, in der mir ein Nein schwerfällt:
In Bekleidungsgeschäften passiert es mir oft, dass mich Verkäuferinnen ansprechen, ob sie mich beraten dürfen. Und weil ich kein Nein über die Lippen bringe, tun sie das auch. Dann fühle ich mich immer unwohl. Manchmal lasse ich mich sogar zum Kauf von Kleidungsstücken überreden, die mir gar nicht gefallen. Dann steht der nächste Horror für mich ins Haus: das Zurückgeben der Ware.
Ein Nein nützt hier allen, weil …
… die Verkäuferinnen und ich dasselbe Interesse haben: dass ich mich beim Einkaufen wohlfühle und mich richtig entscheide. Das gelingt mir besser, wenn ich allein und unbeobachtet die Kleidungsstücke auswähle und anprobiere. Dann macht mir das Einkaufen mehr Spaß, und ich treffe eine bessere Wahl. Das Geschäft profitiert davon, weil ich weniger umtausche.
Und jetzt sind Sie an der Reihe:
Situation 1, in der mir ein Nein schwerfällt:
Ein Nein nützt hier allen, weil …
Situation 2, in der mir ein Nein schwerfällt:
Ein Nein nützt hier allen, weil …
Situation 3, in der mir ein Nein schwerfällt:
Ein Nein nützt hier allen, weil …
Nein-Sagen ist immer so schwer oder so leicht, wie Sie es sich machen. Wer glaubt, dem anderen einen verbalen Dolch ins Herz zu rammen, erstarrt. Wer aber erkennt, dass Aufrichtigkeit allen Beteiligten dient, sagt leichter und natürlicher Nein. Es liegt an Ihnen, Ihrem Nein einen psychologischen Rahmen, ein günstiges Framing, zu verleihen. 72 Wenn Sie zu sich sagen: »Ich lehne jeden vierten Wunsch anderer ab!«, fühlen Sie sich damit womöglich unwohl; der Fokus liegt auf der Ablehnung, und das verstößt gegen Ihr Selbstbild. Wenn Sie dagegen sagen: »Von vier Wünschen stimme ich dreien zu!«, können Sie besser damit leben – obwohl sich der Inhalt nicht verändert.
Glauben Sie mir: Ihre innere Haltung pflanzt sich nach außen fort. Je selbstverständlicher Sie Ihr Nein aussprechen, desto selbstverständlicher wird es akzeptiert.
Andere Menschen wollen Sie heimlich nach ihrer Pfeife tanzen lassen. Mit unterschwelligen Botschaften und psychologischem Druck sollen Sie als netter Mensch gefügig gemacht werden. Damit sich das Nein, das Ihnen auf der Zunge liegt, doch noch in ein Ja verwandelt.
Erst wenn Sie die Tricks der Manipulatoren kennen, können Sie sich dagegen wappnen. Darum stelle ich Ihnen hier die fiesesten Manipulationstechniken vor, mit denen andere Ihr Ja erzwingen wollen – und verrate Ihnen Gegenstrategien.
Bei einer Vereinsversammlung werden Sie dafür gelobt, dass Sie sich in der Vergangenheit so viel um die Jugendarbeit gekümmert haben: »Der ganze Verein ist dir dankbar, dass du dich so für den Nachwuchs engagierst!«, sagt der Vorsitzende. Gleichzeitig bittet er Sie, eine weitere Jugendgruppe zu übernehmen, obwohl Sie schon ausgelastet sind.
Der Trick: Das Lob soll wie Zucker in einer bitteren Medizin wirken – damit Sie schlucken, was Ihnen nicht schmeckt, sich auch künftig wie erwünscht verhalten. Sonst riskieren Sie, dass Ihnen das Lob nachträglich entzogen wird (»Ist wohl doch nicht so engagiert in der Jugendarbeit«).
Gegenstrategie: Bedanken Sie sich für das Lob – und machen Sie ein Argument für Ihr Nein daraus: »Vielen Dank, dass du mein Engagement in der Jugendarbeit so anerkennst. Gerade weil ich schon so viel mache, möchte ich jetzt nichts Weiteres beginnen.«
Als die Studentin Andrea gefragt wurde, ob sie spontan sei, war ihr klar: Der Interviewer wollte ein »Ja« hören. Damit saß sie in der Falle: Wie hätte sie jetzt als netter Mensch die Folgefrage nach der Unterwäsche zurückweisen können, ohne sich wie eine Lügnerin vorzukommen?
Der Trick: Erst stellt man Ihnen Fragen, die Sie in vorauseilendem Gehorsam bejahen, etwa ob Sie offen für Neues, flexibel im Denken oder engagiert für Ihre Firma sind. Und wenn Sie erst auf die »Ja-Straße« eingebogen sind, wie Verkäufer das nennen, geht die Reise in eine Richtung weiter, die Ihnen schadet, aber dem Fragenden nützt: Sie sollen einen Kauf tätigen, einer Zumutung zustimmen oder Überstunden knüppeln.
Gegenstrategie: Bekräftigen Sie Ihre erste Antwort – aber zeigen Sie auf, dass die neue Forderung Ihnen zu weit geht: »Ich bin zwar spontan – aber das heißt nicht, dass ich mit einem Fremden auf der Straße über meine Unterwäsche spreche.«
Ihre Partnerin sagt zu Ihnen: »Wenn du mich wirklich liebst, dann gibst du dein zeitaufwändiges Hobby auf.« Oder Ihr Chef sagt zu Ihnen: »Wenn Sie wirklich loyal sind, stellen Sie keine Rückfragen, sondern führen den Auftrag einfach aus.«
Der Trick: Ihnen wird das Gefühl vermittelt, dass Sie mit einem Nein die Beziehung zum anderen in Frage stellen oder gar zerstören. Emotion und Sache werden unzulässig miteinander verquickt.
Gegenstrategie: Zeigen Sie auf, dass die gute Beziehung kein Anlass ist für eine gefällige Antwort, im Gegenteil: »Gerade weil ich dich liebe, will ich dir eine ehrliche Antwort geben ...« Oder: »Gerade weil ich loyal bin, frage ich Sie nach ...«
Ihre Chefin sagt zu Ihnen: »Natürlich ist es Ihr Recht, der Weihnachtsfeier fernzubleiben. Nur glaube ich, dass Sie dann im Team unten durch sind. Überlegen Sie sich das gut.« Oder Ihr Nachbar sagt: »Wenn du nicht zum Straßenfest kommst, machst du dich zum Außenseiter.«
Der Trick: In Ihnen wird eine tiefe Angst geschürt: dass Sie Rückhalt verlieren, sich ausgrenzen, allein dastehen. Als wäre Ihr Nein der Türöffner für eine Isolationszelle, aus der Sie so schnell nicht mehr rauskommen.
Gegenstrategie: Machen Sie deutlich, dass die Zuneigung der anderen nicht von einem einzelnen Ja abhängt: »Ich habe zu den Kollegen ein gutes Verhältnis, das über viele Jahre gewachsen ist. Deshalb bin ich sicher, dass sie meine Entscheidung verstehen werden.«
Ein Freund ruft an und will sich noch am selben Abend mit Ihnen verabreden. Sie geben zu verstehen, dass es nicht so gut passt – worauf er sagt: »Wenn ich dir wirklich so unwichtig bin, dass du lieber zu Hause abhängst, ist das natürlich deine Entscheidung.«
Der Trick: Sie werden wieder emotional erpresst. Der andere tut so, als habe Ihr Nein ihn persönlich beleidigt. Er hofft, dass Sie diese Vorstellung nicht aushalten – und ihm doch noch Ihr Ja geben.
Gegenstrategie: Weisen Sie seine Fehldeutung zurück und wenden Sie seine eigene Strategie vorsichtig gegen ihn (hier im letzten Satz): »Du bist mir auf jeden Fall wichtig. Nur ändert das nichts daran, dass ich für heute Abend schon andere Pläne habe. Wenn auch ich dir wichtig bin, wirst du das verstehen.«
Eine Bekannte ruft Sie an und sagt: »Es ist doch in Ordnung für dich, dass du zu unserem Grillabend deinen legendären Kartoffelsalat mitbringst? Und dann bitte noch eine Schüssel mit Quark und deinen tollen Apfelkuchen.«
Der Trick: Ihr Einverständnis wird gar nicht abgefragt (was Ihnen die Gelegenheit geben würde, Nein zu sagen!), sondern vorausgesetzt. Als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, dass Sie tun, was von Ihnen erwartet wird.
Gegenstrategie: Decken Sie auf, welche Forderung Ihnen untergejubelt werden soll – und sagen Sie klar, was davon Sie erfüllen wollen und was nicht: »Du bittest mich, für unseren Grillabend drei Sachen vorzubereiten: Kartoffelsalat, Quark und Apfelkuchen? Eine davon kann ich dir zusagen: den Salat.«
Eine Kollegin kommt auf Sie zu: »Das ist jetzt nur eine Kleinigkeit, bei der du mich unterstützen könntest, und zwar ...« Was sie jetzt aber aufzählt, klingt nach einem Berg Arbeit. Oder: Ein Bekannter bittet Sie, ihn abzuholen und mitzunehmen: »Es ist ja nur ein ganz kurzer Umweg für dich ...« Nach Ihrer Rechnung sind es 30 Kilometer!
Der Trick: Der andere redet seine Forderung klein. Damit setzt er Sie unter moralischen Druck: Wenn Sie dennoch Nein sagen, könnten Sie kleinlich und egoistisch wirken (und er weiß, wie sehr Sie das fürchten!).
Gegenstrategie: Machen Sie klar, dass Ihre Entscheidung nicht von der Größe der Bitte, sondern von grundsätzlichen Erwägungen abhängt: »Unabhängig davon, wie klein oder groß die Aufgabe (oder: der Umweg) ist – im Moment passt es nicht, ich bin zeitlich zu eng eingebunden.«
Wer eine Bitte äußert, riskiert ein Nein. Wer Sie aber dazu bringt, dass Sie Ihre Hilfe von allein anbieten, umgeht dieses Risiko. Oft reichen ein paar Andeutungen, schon springen Sie in die Bresche. Zum Beispiel sagt Ihr Chef: »Ich weiß wirklich noch nicht, wer unsere Jubiläumszeitung organisiert. Ich wäre so froh, wenn sich da jemand fände.«
Der Trick: Sie sollen dazu verlockt werden, Ihren Finger freiwillig zu heben – weil Sie es nicht ertragen, dass der andere mit seinem ungelösten Problem allein dasteht.
Gegenstrategie: Schlucken Sie den Köder nicht, sondern sagen Sie einen freundlichen Satz, der Ihre Neutralität betont: »Dann wünsche ich Ihnen, dass sich da noch eine gute Lösung findet. Ich kann ja mal die Ohren offen halten.«
Über viele Jahre haben Sie hinter Ihren Kindern hergeräumt. Jetzt, da sie etwas älter sind, fordern Sie mehr Selbständigkeit ein. Doch Ihr Sohn sagt: »Du hast das doch immer für uns gemacht, und es war nie ein Problem.« Oder: Sie sind in der Firma dafür bekannt, dass Sie sich neben Ihrer Kernaufgabe noch um die Azubis kümmern. Als Sie das eines Tages, unter großer Arbeitslast, ablehnen, meint Ihr Chef: »Aber das gehört doch schon immer zu Ihren Aufgaben.«
Der Trick: Aus der Tatsache, dass Sie in der Vergangenheit Ja gesagt haben, leiten die anderen einen künftigen Anspruch darauf ab. Ihnen wird ein schlechtes Gewissen gemacht – als würden Sie durch ein Nein den anderen wegnehmen, was ihnen zusteht.
Gegenstrategie: Machen Sie deutlich, dass Ihre frühere Gefälligkeit Sie nicht zur Fortsetzung verpflichtet, eher davon befreit: »Gerade weil ich mich so viele Jahre um die Azubis gekümmert habe, neben all der anderen Arbeit, finde ich: Es wird höchste Zeit, dass es jemand anders tut.«
Sie haben mit Ihrer Tochter vereinbart, dass sie spätestens um 23 Uhr zu Hause sein muss. Doch nun steht sie bei Ihnen auf der Matte, klimpert mit den Augen und sagt: »Bitte, bitte, es ist wirklich die Ausnahme: Heute möchte ich eine Stunde länger unterwegs sein, denn ...«
Der Trick: Sie sollen Ihr Nein scheibchenweise aufgeben: nicht grundsätzlich, sondern nur in diesem einen Fall. Oder wollen Sie wirklich hartherzig auf Ihrer Ablehnung beharren? Doch jede Ausnahme, die Sie machen, weicht Ihr Nein auf – bis es am Ende selbst zur Ausnahme wird.
Gegenstrategie: Wiederholen Sie Ihr Nein und erklären Sie, dass Vereinbarungen keinen Spielraum für Ausnahmen vorsehen: »Wir haben 23 Uhr verabredet – damit wir nicht jeden Einzelfall verhandeln müssen. Und dabei bleibt es.«
Niemand kommt auf die Idee, sich an ein Klavier zu setzen und es sofort zu beherrschen. Jedem ist klar, er muss das Instrument lernen. Warum sollte es mit dem Nein-Sagen anders sein? Auch hier gibt es eine komplizierte Klaviatur und viele Zwischentöne. Und weil Sie als netter Mensch auf ein Ja geeicht sind, tun Sie sich damit besonders schwer. Wie können Sie Ihre Fertigkeiten im Nein-Sagen trainieren? Indem Sie die folgenden 15 Kniffe verinnerlichen.
Vielleicht wechseln Sie bislang die Straßenseite, wenn eine Situation auf Sie zukommt, in der Sie Nein sagen müssten. Sie malen sich aus, einen anderen gegen sich aufzubringen und bei ihm in Ungnade zu fallen.
Wie wäre es, sich stattdessen auf die Chancen zu konzentrieren? Zum Beispiel könnten Sie zu sich sagen: »Was für eine tolle Gelegenheit! Jetzt kann ich zeigen, dass ich zu mir selber stehe. Mit jedem Nein trete ich ein für meine Bedürfnisse, meine Ziele und meine Träume. Mit jedem Nein wachse ich, weil ich für meine Interessen kämpfe. Das erhöht meinen Selbstrespekt, und ich sichere mir den Respekt der anderen. Also: Vielen Dank für diese Chance zum Nein-Sagen, ich nehme sie gerne an!«
Diese Sichtweise hat mehrere Vorteile. Zum einen wird das Nein-Sagen für Sie attraktiv. Und zum anderen werden Sie ausstrahlen, dass Nein-Sagen für Sie ein natürlicher Vorgang ist. Die Manipulatoren haben künftig schlechte Karten.
Die meisten netten Menschen, denen ein Ja rausrutscht, sind in diesem Moment nicht ganz bei sich. Statt nach innen zu lauschen, was sie selber wollen, konzentrieren sie sich auf den anderen: »Was will er von mir? Was würde mein Nein für ihn bedeuten?« Auf dieser Basis entscheiden sie. Das ist so, als würde ein Richter ein Urteil fällen, obwohl er nur eine Partei gehört hat.
Achten Sie auf ein faires Entscheidungs-Verfahren. Wenn jemand etwas von Ihnen will, dann horchen Sie in sich hinein:
Will ich das auch?
Passt es in meine Pläne?
Fühlt es sich gut an?
Und wie reagiert mein Körper?
Eine Klientin von mir hat festgestellt, dass sie oft die sprichwörtliche Faust in der Tasche ballt, während sie dennoch Ja sagt. Durch diese Fragen ist es ihr gelungen, ihren Willen schneller herauszufinden und durch ein klares Nein zu vertreten.
Wovon hängt ein gesunder Selbstwert ab? Nicht davon, was die anderen über Sie denken – sondern von Ihrer eigenen Meinung über sich. Jedes Ja entgegen Ihrer Überzeugung untergräbt Ihr Selbstwertgefühl. Jeder faule Kompromiss lässt Sie innerlich schrumpfen. Denn Sie nehmen sich, Ihre Wünsche und Ihre Interessen nicht ernst.
Den umgekehrten Effekt erzielen Sie, wenn Sie Ihre eigenen Bedürfnisse konsequent vertreten: Jedes Mal, wenn Sie eine Zumutung ablehnen, wächst Ihr Mut. Jedes Mal, wenn Sie einen anderen stoppen, wächst Ihr Selbstvertrauen. Zum Beispiel können Sie sich sagen: »Wenn ich Nein sage, tu ich meinem Selbstwert etwas Gutes. Ob andere mich gut oder schlecht finden, ist ihre Sache. Davon bin ich umso weniger abhängig, je mehr ich mich selber mag. Ein hoher Selbstwert hilft mir dabei.«
Nein ist ein Wort, das nach Blockade klingt, nach Verweigerung. Aber ist diese Sichtweise wirklich wahr? Setzen Sie eine andere Brille auf: Jedes Nein, das Sie zu anderen sagen, ist ein Ja zu Ihnen selbst.
Ein Nein zur Überstunde ist ein Ja zu etwas Größerem – etwa einem Abend mit Freunden.
Ein Nein zu einer Einladung ist ein Ja zu etwas Größeren – etwa einer erholsamen Ruhephase.
Ein Nein zu einer Beförderung ist ein Ja zu etwas Größerem – etwa zu mehr Zeit für die Familie.
Der entscheidende Gedanke: Sie sprechen sich für Ihre eigenen Bedürfnisse aus, nicht gegen die eines anderen. 73
Was passiert, wenn Sie »Nein« ab sofort als ein konstruktives Wort sehen, das Ihnen hilft, Ihr Leben zu gestalten, Ihre Zeit einzuteilen und Prioritäten zu setzen? Ich wette: Dieses Bedeutungs-Reframing 74 , dieser neue Blick aufs alte Wort, kann dazu führen, dass Ihnen das Nein-Sagen Lust statt Frust bereitet. Probieren Sie’s aus!
Nette Menschen ziehen die Probleme anderer Leute an. Zum Beispiel ist eine Kollegin in die Schulden gerutscht, weil sie über ihre Verhältnisse lebt. Nun steht sie bei Ihnen am Schreibtisch und bittet Sie, ihr etwas Geld zu leihen (obwohl sie Ihnen die letzte Leihgabe noch schuldig ist!). Und Sie denken sofort: »Wenn ich ihr das Geld nicht gebe, steht sie heute Abend vielleicht ohne Essen da. Oder kann die Busfahrkarte für ihr Kind nicht mehr kaufen. Oder der Strom wird ihr abgedreht.«
Dieses soziale Denken spricht für Sie, aber: Wer anderen aus der Patsche hilft, unterstützt damit oft jenes Verhalten, das in die Patsche geführt hat. Zum Beispiel mogelt sich die Kollegin mit dem von Ihnen geliehenen Geld noch etwas länger an der wichtigen Erkenntnis vorbei, dass sie ihren unrealistischen Lebensstandard senken muss.
Nach 20 Jahren als Karriere- und Persönlichkeitsberater darf ich Ihnen versichern: Am sozialsten ist es, einem Menschen die Verantwortung für sein Leben zu lassen – und nicht, sie ihm abzunehmen. Dabei hilft ein einziges Wörtchen: Nein.
Jemand stürmt auf Sie zu mit der Frage: »Kannst du mal eben für mich ...?« – und verblüfft nehmen Sie wahr, wie Ihnen ein Ja über die Lippen gleitet. Ein paar Sekunden später ärgern Sie sich: »Wie konnte ich nur Ja sagen? Warum habe ich nicht Nein gesagt?«
Sensible Menschen erleben oft, dass sich ihr Denken im Gespräch dem anderen anpasst und ihr eigener Gedankenfluss zu spät ankommt. 75 Das erwünschte Ja, das der andere wie ein Magnet anzieht, erreicht Ihre Lippen schneller als das empfundene Nein, das langsam von innen reift.
Stellen Sie sich vor, dass es in Ihrem Kopf zwei Schubladen gibt: eine oft benutzte, die offen steht – und eine selten verwendete, die geschlossen ist und ein wenig klemmt. Wenn Sie unter Druck antworten, greifen Sie automatisch in die offene Schublade. Dort stoßen Sie auf Vokabeln, für die Sie von Eltern und Lehrern belohnt wurden: »Ja«, »Geht klar«, »Kein Problem«, »Mach ich«, »Ist in Ordnung«.
Dagegen müssten Sie deutlich mehr Konzentration und Zeit aufwenden, um die zweite, klemmende Schublade zu öffnen. Dort finden Sie Formulierungen wie: »Nein«, »Da passe ich«, »Im Moment nicht«, »Ich habe andere Pläne«, »Ich will das nicht«.
Wie können Sie Zeit gewinnen, um diese (noch) ungewohnte Schublade aufzuziehen? Indem Sie sagen: »Lass mich einen Moment nachdenken, ich komme gleich auf dich zu.« Formulieren Sie es unbedingt als Aussage und nicht als Bitte, die der andere ablehnen könnte (»Kann ich mir etwas Zeit nehmen?«). Dann sammeln Sie sich innerlich, entscheiden sich für eine Schublade – und ziehen gegebenenfalls ein kräftiges Nein heraus, mit dem Sie dem anderen gegenübertreten. Diese Ruhe und Entschiedenheit gibt Ihnen große Souveränität.
Nette Menschen denken oft in Extremen: Wenn ich Ja sage, nehmen mich die anderen als sozial, freundlich und aufgeschlossen wahr. Aber wenn ich Nein sage, gelte ich als raubeinig, unsozial und egoistisch. Dabei übersehen sie die Chance, dass sich ein Nein auf freundliche und respektvolle Weise vermitteln lässt.
Wie das geht? Würdigen Sie das Anliegen des anderen, ehe Sie Ihr Nein aussprechen – und enden Sie mit Ihren guten Wünschen: »Vielen Dank für deine Einladung. Es freut mich, dass du an mich denkst. Nur habe ich diesen Abend schon anders verplant. Ich wünsche dir, dass ihr eine schöne Feier habt.«
Ob Sie jemandem Wertschätzung vermitteln, hängt nicht davon ab, ob Sie Ja oder Nein sagen – sondern wie Sie es sagen. Ein herzliches Nein kann dem anderen mehr Respekt vermitteln (und Ihnen einbringen) als ein automatisiertes Ja. Auch ein Korb, den Sie geben, kann ein verbaler Geschenkkorb sein.
Viele nette Menschen tragen ihr schlechtes Gewissen beim Nein-Sagen vor sich her: »Es tut mir total leid, aber ich kann nicht kommen. Ich hoffe, das bringt deine Pläne jetzt nicht völlig durcheinander. Sorry, wirklich, es geht einfach nicht.«
Welcher Eindruck entsteht, wenn Sie sich für Ihr Nein »entschuldigen«? Dass Sie damit – wörtlich genommen – »Schuld« auf sich laden und um Vergebung bitten. Aber die werden Sie nicht bekommen, denn dadurch wittert der andere seine zweite Chance: »Doch, du bringst meine Pläne durcheinander! Alle anderen Gäste haben zugesagt. Los, jetzt gib dir einen Ruck!«
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Tragen Sie Ihr Nein freundlich, bestimmt, aber ohne Entschuldigung vor. Es ist das Wesen einer Einladung, dass Sie sie ablehnen können, sonst wäre es eine Einberufung. Und es ist das Wesen einer Bitte, dass Sie ihr nicht entsprechen müssen, sonst wäre es ein Befehl. Mit einem Nein laden Sie keine Schuld auf sich, sondern nehmen Ihr gutes Recht wahr. Das sollten Sie auch ausstrahlen.
Wenn Sie »Eigentlich nicht« sagen, kommt beim anderen an: »Vielleicht doch!« Wenn Sie lächeln, während Sie etwas ablehnen, senden Sie die Botschaft: »Mein Wille wackelt.« Und wenn Sie derweil nervös am Kinn zupfen oder einen Stift vor sich auf dem Tisch rollen, kommt beim anderen an: »Ich bin unsicher – vielleicht sag ich doch noch Ja.«
Wann immer Sie eine Doppelbotschaft senden, hört der Empfänger, was er hören will: das halbe Ja. Er betrachtet das als Einladung nachzuhaken, Druck zu machen und Sie doch noch rumzukriegen.
Darum ist es so wichtig, dass Sie Ihre Botschaft klar transportieren. Forscher der Universität Wisconsin haben herausgefunden, wie Sie auf eine Bitte am wirkungsvollsten Nein sagen: kurz, gezielt und ohne lange Erklärung. 76 Idealerweise beginnt Ihre Antwort schon mit einem Nein, zum Beispiel: »Nein, am Wochenende passt das nicht. Da habe ich andere Pläne.« Dieses verbale Stoppschild lässt keinen Spielraum für Interpretationen.
Meiden Sie Konjunktive und sprachliche Weichmacher wie »vielleicht« oder »eigentlich«. Formulieren Sie umso bestimmter, je mehr Widerstand Sie erwarten. Gegenüber moderaten Zeitgenossen funktioniert eine sanfte Variante: »Nein, das passt leider nicht.« Dagegen verstehen fordernde Menschen deutliche Worte besser: »Nein, das ist ausgeschlossen«, »Nein, das kommt nicht in Frage«, »Nein, auf keinen Fall«. Solche Formulierungen machen klar: Ihr Nein ist wie in Beton gegossen, es gibt keinen Verhandlungsspielraum.
Achten Sie darauf, dass Sie in einer tiefen Tonlage sprechen. Eine zugeknöpfte Körpersprache, etwa vor der Brust verschränkte Arme, kann die sprachliche Botschaft unterstreichen. Halten Sie beim Nein-Sagen den Blickkontakt. Und sorgen Sie dafür, dass Sie Ihrem Gesprächspartner körperlich mindestens auf Augenhöhe begegnen. Wenn er vor Ihren Schreibtisch tritt, dann stehen Sie zum Nein-Sagen auf. Er darf nicht auf Sie herabschauen.
Wenn Ihr Vorgesetzter Sie zu einer Überstunde nötigen will, obwohl Sie schon auf dem Zahnfleisch gehen, wie reagieren Sie dann? Natürlich können Sie Ihr Nein damit begründen, dass Sie ausgepowert sind und Ihre Ruhe brauchen. Klüger ist es jedoch, dass Sie den Vorteil des anderen einbinden – er soll erkennen, dass das Nein auch ihm dient: »Im Moment ist meine Konzentration verbraucht. Ich benötige jetzt den Feierabend, um mich zu erholen.« (Sie beginnen mit Ihrer eigenen Perspektive, um dann eine Brücke zum Gesprächspartner zu bauen.) »Dann kann ich morgen wieder voll konzentriert an die Arbeit gehen. Denn Fehler dürfen wir uns bei diesem wichtigen Projekt nicht erlauben.« (Sie deuten an, dass eine Fortsetzung Ihrer Arbeit gefährlich wäre – weil sich Fehler einschleichen könnten.)
Einigen Chefs ist es egal, ob ihre Mitarbeiter gut erholt sind oder nicht. Aber jeder Chef will produktive Mitarbeiter am Start haben und vermeiden, dass sich Fehler in die Arbeit einschleichen – denn dafür müsste er seinen Kopf hinhalten.
Fragen Sie sich vor jedem Nein, was der andere davon hat. Und binden Sie diesen Aspekt mit ein. Dann fühlt sich das Nein für Sie sozialer an. Und es sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie mit Widerspruch kämpfen müssen.
Was tut ein Kind, wenn Sie ihm einen wichtigen Wunsch abschlagen? Es sagt »Bitte, bitte!«, um Sie zu erweichen. Erwachsene verhalten sich genauso. Ein Nein wird als Verhandlungsgrundlage gesehen: Mal schauen, ob da nicht doch was geht!
Und nun lauert eine Falle: Weil der andere verhandelt, kommen Sie ihm ein Stück entgegen. Aber weil Sie ihm ein Stück entgegenkommen, zieht er Sie weiter in seine Richtung, bis er gewonnen hat.
Darum: Lassen Sie sich nicht auf eine Diskussion ein, das weckt falsche Hoffnungen. Schieben Sie keine neuen Argumente nach, das beschwört neue Gegenargumente herauf. Besser: Wiederholen Sie Ihr Nein im selben Wortlaut, zum Beispiel: »Nein, auf keinen Fall.« Ganz egal, welche rhetorischen Schliche sich der andere einfallen lässt, ob er droht, an Ihr Mitleid appelliert oder Sie zu sozialem Verhalten ermahnt – Sie sagen weiterhin: »Nein, auf keinen Fall.«
Diese Technik nennt sich »Schallplatte mit Sprung« 77 und hat einen bestechenden Vorteil: Sie frustriert den anderen. Er merkt, dass seine erneuten Vorstöße nichts bewirken. Alles bleibt beim Alten, sogar Ihre Wortwahl. Schnell wird er aufhören, sich seinen Kopf an Ihrer rhetorischen Mauer blutig zu rennen. Dann haben Sie sich durchgesetzt.
»Kannst du bitte ganz, ganz schnell eine wichtige Sache für mich erledigen – und zwar ...?« Wenn jemand mit diesen Worten auf Sie zukommt, und die »Sache« ist mehr als eine Kleinigkeit, dann will er Sie unter Zeitdruck setzen. Damit Sie in die offene Ja-Schublade greifen, statt lang nach einem Nein zu fummeln.
Oder: Ein Kollege lobt Ihr »geniales Fremdsprachen-Talent« – ehe er Sie dafür einspannen will, ein Dokument für ihn zu übersetzen. Hier soll das Lob als Schmiermittel für Ihr Ja dienen.
Was tun Sie, wenn jemand Sie zu einem Ja manipulieren will, ein Verhalten, das vor allem Narzissten an den Tag legen? 78 Decken Sie die Manipulation auf, dann verpufft sie. Zum Beispiel sagen Sie: »Du setzt mich gerade unter Zeitdruck. Ich möchte über diese Entscheidung in Ruhe nachdenken.« Oder: »Lobst du mein Sprachtalent, weil du glaubst, dass ich dir die Arbeit dann eher abnehme?« Und schon muss der andere sich rechtfertigen – und Sie haben Zeit, sich innerlich zu sammeln und eine stimmige Antwort zu finden.
Wenn Sie jemand überreden will, entsteht rasch ein Teufelskreis: Sobald Sie ihm widersprechen, fühlt er sich eingeladen, Argumente nachzulegen. Es ist, als würden Sie einen Ball unter die Wasseroberfläche drücken, der dann mit umso mehr Energie nach oben schnellt. Einfaches Gegenmittel beim Nein-Sagen: Widersprechen Sie den Argumenten nicht, sondern räumen Sie ihre mögliche Richtigkeit ein:
»Du wirst die Reise nach Neuseeland nicht bereuen«, versichert Ihnen ein Freund. »Es gehört zu den schönsten Ländern der Erde.«
Sie: »Das mag sein, dass es eines der schönsten Länder ist. Nur komme ich nicht mit.«
»Aber alle aus unserem Freundeskreis haben zugesagt. Es wäre unkollegial von dir, nicht mitzukommen.«
»Auch wenn dir das unkollegial erscheint: Ich komme nicht mit.«
»Was ist denn plötzlich mit dir los? Auf einmal bist du so egoistisch und denkst gar nicht mehr an die Gruppe.«
»Vielleicht bin ich egoistisch. Auf jeden Fall komme ich nicht mit.«
Solange Sie über Argumente diskutieren, wecken Sie beim anderen den Ehrgeiz, immer neue vorzubringen. Wenn Sie dagegen die mögliche Berechtigung all seiner Argumente einräumen, sieht er ein, dass nichts zu machen ist. Er läuft in eine verbale Nebelwand – weshalb man diesen rhetorischen Kniff »Vernebelungs-Methode« 79 nennt.
Nette Menschen fühlen sich oft unter Druck, ihr Nein zu rechtfertigen. Aber alle spezifischen Gründe, die Sie nennen, sind anfechtbar. Zum Beispiel sagen Sie: »Ich kann nicht zu der Feier kommen, da ich schon einen Termin habe.« Sofort hakt der andere nach: »Kannst du den Termin nicht verschieben?« Oder: »Ich kann dir mein Auto nicht leihen, ich muss um 20 Uhr meine Tochter abholen.« Der andere: »Dann leih mir dein Auto doch ab 20.30 Uhr!«
Dagegen bekommt Ihre Argumentation etwas Unumstößliches, wenn Sie sich auf Prinzipien berufen: »Ich verbringe den Mittwochabend grundsätzlich mit meiner Familie. Das haben wir so festgelegt, da gibt es keine Ausnahmen.« Oder: »Ich verleihe mein Auto prinzipiell nicht. Das habe ich schon anderen gesagt, die mich gefragt haben. Und das sage ich jetzt auch dir.«
Ein Prinzip ist ein inneres Gesetz – wenn Sie sich darauf berufen, wächst Ihre Autorität. Der andere versteht schnell, dass ein weiteres Anrennen keinen Sinn ergibt.
Wenn Sie Nein sagen, aber dem anderen dennoch weiterhelfen wollen: Überlegen Sie, welche Alternativen Sie ihm anbieten können. Zum Beispiel will Sie jemand zu einem Kurzurlaub überreden – und Sie antworten: »Das passt nicht in meine Pläne. Aber wir können uns gern mal wieder für ein gemeinsames Abendessen verabreden.«
Oder Ihr Chef sucht dringend einen Projektleiter – Sie lehnen ab und schlagen vor: »Sprechen Sie doch mal Birgit an. Sie sagte neulich, dass sie gern wieder ein neues Projekt hätte.«
Diese Variante dokumentiert Ihren guten Willen, weil Sie einen konstruktiven Vorschlag machen – zugleich bleibt Ihr Nein in dieser Sache unangefochten stehen.
Die Situation:
Ich bin Chefredakteur in einem Lifestyle-Konzern, als mich die Redakteurin eines TV-Senders anruft. Sie möchte, dass ich eine Beauty-Expertin für einen Nachmittags-Talk an sie vermittele. Ich beschreibe ihr eine Kollegin, die prima passen könnte. Sie ist begeistert. Ich sage ihr, dass ich für meinen Vorschlag noch den Segen der Geschäftsleitung brauche. Danach würde ich mich melden.
Meine Geschäftsleitung lehnt ab. Mit schlechtem Gewissen rufe ich die Redakteurin an. Sie ist außer sich vor Wut und brüllt: »Sie brechen Ihr Wort! So was habe ich ja noch nie erlebt. Ich hab mich auf Sie verlassen!« Ich bin überrumpelt und spüre, wie mein Herz rast. Zugleich ärgert mich ihre Reaktion. Was tun?
Übung: Wie hätten Sie an meiner Stelle reagiert?
Meine Reaktion : Ich sage zu der Redakteurin: »Wir haben doch vereinbart …« Aber sie brüllt weiter. Mehrfach hole ich zu einer Rechtfertigung aus, doch sie schneidet mir das Wort ab. Erst nach mehreren Minuten – mein Ohr dröhnt schon – kann ich sagen: »Ich hatte Ihnen ausdrücklich unter Vorbehalt zugesagt. Es tut mir wirklich leid, dass unsere Geschäftsleitung dagegen war.« Nun brüllt sie noch lauter: »Von Ihrem ›Es tut mir leid!‹ kann ich mir auch nichts kaufen!«
Bewertung aus heutiger Sicht: Ich hätte mir die aggressive Form ihrer Äußerung verbitten müssen, statt über den Inhalt zu sprechen: »Ihre Lautstärke lässt kein vernünftiges Gespräch zu. Ich fühle mich gerade sehr gestresst. Entweder sprechen Sie leiser, dann können wir den Sachverhalt diskutieren. Oder ich lege jetzt auf.«
Kommentar: Je länger ich mir ihren Tonfall gefallen ließ, desto mehr fühlte sie sich dazu legitimiert. Und indem ich mich am Ende auch noch bei ihr entschuldige (»… tut mir wirklich leid«), statt umgekehrt, schleudere ich mich vollends in den Tiefstatus.
Die heutige Variante dagegen ist aufrichtig, setzt klare Grenzen und kündigt Konsequenzen an. Damit hätte ich mich vernünftig abgegrenzt.
Die Nettigkeits-Falle: Wer als Netter Nein sagt, hat ein schlechtes Gewissen. Die Redakteurin muss gewittert haben, wie unwohl ich mich mit der Absage gefühlt habe. Und weil sie gespürt hat, dass ich in der Defensive bin, ist sie immer aggressiver geworden – wie ein Raubtier, wenn jemand vor ihm flüchtet.
Meine Lehre: Lass dich nicht anbrüllen, auch wenn sich jemand über dich ärgert. Für seine Gefühle ist er verantwortlich, nicht du. Wahre deinen Selbstrespekt, dann respektieren dich auch andere.