5. Kapitel
Ich genieße meine Macht. Niemand sagt mir, was ich tun soll. Und wenn doch, interessiert es mich nicht.
LEA STERN
Lea betrachtete ihn provokant, während sie sich langsam auszog und den Seidenstoff zu Boden gleiten ließ. In seinem Blick lag Gier, und sie genoss es, ihren Mund zu öffnen und kurz mit ihrer Zunge lasziv über die Lippen zu fahren. Hanns war noch vollständig bekleidet, weil sie es ihm untersagt hatte, sich auszuziehen, bis sie ihn dazu aufforderte. Sie bestimmte, was geschah, sie bestimmte, wann es geschah. Sie allein entschied darüber, wann er ihren Körper berühren durfte – und das ließ sie ihn spüren. Ihr gefiel diese Macht, die sie über ihn hatte und die sie in sexueller Hinsicht reizte. Hanns Borchardt war ein Mann der großen Worte und Gesten, er galt als der Baulöwe Berlins, dem die Wichtigen dieser Stadt aus der Hand fraßen. Und genau dieser Mann saß hier in ihrem Schlafzimmer und würde alles dafür geben, sie endlich berühren zu dürfen.
»Zieh dich aus«, befahl sie. »Erst den Schlips, dann das Hemd. Mehr nicht.«
Hanns schluckte, nickte eilig, und als er aufstand, sah Lea mit einer gewissen Genugtuung auf seine ausgebeulte Hose. Eilig löste er den Knoten seiner Krawatte, öffnete die Knöpfe seines Hemdes und sah sie an, während sie ihn musterte. Ein Lächeln umspielte Leas Lippen.
»Nimm deine Uhr ab, und leg sie auf den Nachttisch. Ich mag es nicht, wenn das kalte Metall meine Haut berührt.«
Hanns fingerte an dem Armband seiner Audemars-Piguet-Uhr, öffnete den Verschluss und legte die Uhr auf dem Nachttisch ab. Für Lea war sie eine Art Symbol ihres Einflusses auf Hanns Borchardt geworden, hatte sie ihm doch bei einem ihrer ersten Treffen gesagt, dass sie die von ihm bevorzugten Rolex-Uhren für ein vollkommen überholtes Relikt hielt, das nur jene Männer trugen, die Macht zur Schau zu stellen versuchten, die sie gar nicht hatten. Eine Audemars Piguet hingegen verrate Stil und das Abgrenzen von einer Norm, die das Besondere innehatte. Aber, so hatte sie damals hinzugefügt, jeder müsse ja letztendlich selbst wissen, welchen Eindruck er bei seinem Gegenüber hinterlassen möchte.
Sie hatte eine große Genugtuung empfunden, als Hanns bei ihrem nächsten Rendezvous eine Audemars Piguet am Handgelenk trug. Kommentiert hatte sie es jedoch nicht.
»Und jetzt die Hose«, forderte sie ihn auf. »Und zwar gleich zusammen mit der Unterhose. In einem Zug. Sofort.«
Eilig gehorchte Hanns, streifte die Hosen ab und stand nun nur in Socken vor ihr.
»Also bitte«, sagte Lea nur und warf einen verächtlichen Blick auf seine Füße. Sofort entledigte er sich darauf auch des restlichen Stoffes und trat nun auf sie zu.
»Nein«, sagte sie, hob mahnend den Zeigefinger und machte einen Schritt rückwärts. »Setz dich auf den Stuhl dort, und die Hände verschränkst du hinter deinem Rücken.« Sie hob den Kopf. »Jetzt!«, fügte sie noch hinzu, worauf Hanns sich beeilte, ihren Forderungen Folge zu leisten.
Lea sah auf sein vorstehendes, steifes Glied. Sein gieriger Blick verriet ihr, dass er es nicht mehr lange aushalten konnte.
»Ich möchte nicht, dass du mich anfasst. Du behältst deine Hände auf dem Rücken, verstanden?«
»Ja«, brachte er nur hervor und schluckte schwer.
»Gut.« Lea stellte einen Fuß auf die Bettkante, fasste sich zwischen die Beine und fuhr langsam mit der Hand aus ihrem Schambereich bis zu ihren Brüsten herauf. Hanns wirkte, als würde ihm schwindlig. Sie ließ ihre Hand nun wieder an sich heruntergleiten, fasste zwischen ihre Beine und legte den Kopf mit einem Stöhnen in ihren Nacken. Dann sah sie ihn an, wiederholte es, trat auf ihn zu und fuhr mit der Hand, mit der sie sich soeben noch selbst berührt hatte, über seine Lippen. Hanns öffnete den Mund, leckte gierig mit der Zunge über ihre Finger. Sie entzog ihm die Hand, drückte ihn auf dem Stuhl zurück, fasste sein Glied, setzte sich auf ihn und ließ ihn so in sich eindringen.
Hanns stöhnte laut, ganz so, als sei es eine Befreiung, es endlich spüren zu dürfen. Langsam bewegte sich Lea auf ihm, presste sich ganz nah gegen ihn, warf ihren Kopf in den Nacken, drückte ihre Hände gegen seine Brust und ihn so immer fester gegen die Stuhllehne. Hanns keuchte, presste sein Gesäß nach oben. Lea bewegte sich noch rascher, fester, dann kam sie, und nur einen Augenblick später gab Hanns einen fast tierischen Laut von sich und ergoss sich in ihr. Lea fasste seine Schultern und hielt sich daran fest, dann lehnte sie sich ein wenig zurück. Sie sah Hanns an, der nun seine Augen öffnete. Lea lächelte ihn mit einem Gefühl der Genugtuung an. Dann stand sie auf und ging ins Bad. Als sie wieder herauskam, lag Hanns nackt ausgestreckt auf dem Bett und hatte die Augen geschlossen. Lea legte sich ebenfalls nackt neben ihn. Sie zündete sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und hielt sie dann an Hanns’ Lippen, der daran zog. Keiner von ihnen sagte etwas, sie lagen einfach nur schweigend da, rauchten und spürten dem Gefühl nach.
»Wie mit dir war es noch mit keiner Frau«, sagte Hanns irgendwann.
Lea antwortete nicht, lächelte nur zufrieden.
»Ich überlege, meine Frau zu verlassen«, setzte er hinzu.
»Du kannst tun, was du willst. Doch das ändert nichts an unserem Verhältnis«, stellte Lea klar.
»Und wenn ich dich nur für mich will?«
»Dann ist das deine Sache. Ich werde mich auf nichts Festes einlassen, weder mit dir noch mit sonst jemandem.«
»Es stimmt also, dass du nicht nur mit mir schläfst, nicht wahr?« Hanns vermochte den Zorn nicht aus seiner Stimme zu vertreiben.
Lea hatte noch immer die Augen geschlossen und machte sich auch jetzt nicht die Mühe, sie zu öffnen und ihn anzusehen.
»Mhm«, bestätigte sie. »Selbstverständlich.«
Sie spürte, dass Hanns sich aufsetzte und gegen die Wand lehnte.
»Warum? Ich meine, du kannst nicht leugnen, dass es dir auch gefallen hat.«
Lea öffnete die Augen und sah ihn an. »Natürlich hat es mir gefallen«, sagte sie dann noch immer lächelnd. »Sonst würde ich es doch nicht tun.«
»Und das reicht dir nicht?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, ob es mir reicht oder nicht, weil ich mir überhaupt keine Gedanken darüber mache. Denn das muss ich nicht.« Sie setzte sich ebenfalls aufrecht hin, nahm sich noch eine Zigarette und zündete sie an. »Ich mache das, wonach mir ist. Wenn mir ein Mann gefällt und ich mit ihm schlafen will, tu ich’s. Sehe ich eine Frau, die etwas an sich hat, das mich reizt, schlafe ich auch mit ihr.« Sie zog an ihrer Zigarette und hielt sie dann wieder Hanns an die Lippen. »Keine Versprechen, keine Verpflichtungen. Nur Leidenschaft und Erfüllung. Wir haben schließlich nur dieses eine Leben, Hanns.«
»Und wenn ich dich bitten würde, mich zu heiraten?«
»Pfff«, machte Lea. »Wenn du in einer Ehe leben möchtest, solltest du einfach bei deiner Frau bleiben. Oder du lässt dich scheiden und suchst dir eine andere. Ich jedoch« – sie schüttelte noch immer lächelnd den Kopf – »werde es nicht sein.«
»Wenn du mich schon nicht auf die Art haben willst, sollten wir wenigstens Geschäfte miteinander machen.«
»Bitte, Hanns, nicht schon wieder dieses Thema.« Lea verdrehte die Augen, setzte sich auf die Bettkante, griff sich ihren seidenen Morgenmantel, zog ihn über und band ihn vorne zu. Dann stand sie auf, nahm die Zigarette, die sie auf dem Aschenbecher abgelegt hatte und trat ans Fenster.
»Du würdest auf einen Schlag mehr Geld bekommen, als du jemals verdienen könntest«, beharrte er.
Lea lächelte und sah weiter aus dem Fenster. »Ich habe genug Geld, Hanns.«
Hanns schlug die Decke zur Seite und stand ebenfalls auf, griff sich erst seine Unterhose, dann zog er sich vollständig an. »Ich verstehe nicht, warum du dich so sperrst.« Er klang verärgert.
Lea nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette, blies dann genussvoll den Rauch wieder aus. »Das musst du auch nicht«, erwiderte sie ohne jede Emotion.
Sie konnte Hanns ansehen, dass ihm diese Reaktion alles andere als recht war.
»Willst du, dass ich bettle?«, fragte er.
Lea betrachtete ihn. »Deine Verzweiflung macht dich unattraktiv, Hanns.« Sie zog noch einmal an ihrer Zigarette, ging dann zum Aschenbecher, drückte sie aus und begab sich ins Bad.
»Warte«, bat er. »Wir müssen darüber reden.«
Lea drehte sich um, lehnte sich an den Türrahmen und sah ihn an. »Du solltest jetzt gehen, Hanns.«
Er ballte seine Hand zur Faust. »Ich gebe dir ein anderes Gelände in guter Lage, natürlich zu einem Spitzenpreis. Und ich sehe zu, dass wir der Stadt auch noch eine Förderung aus der Tasche leiern.«
»Hab einen schönen Tag, Hanns.« Sie drehte sich um und schloss die Tür hinter sich. Dann erneuerte sie in aller Ruhe ihr Make-up und richtete ihre Haare. Als sie wieder aus dem Bad kam, war sie überrascht, dass Hanns noch immer da war. Sie sagte nichts, ging hinüber zu ihrem Schrank, zog sich eine gemusterte Bluse und einen engen Rock heraus.
»Ich brauche das Grundstück, Lea. Wenn du so weitermachst, hört der Spaß für mich langsam auf.«
Sie kleidete sich in aller Ruhe an und drehte sich erst dann zu ihm um. »Und was möchtest du mir konkret damit sagen?« Sie legte den Kopf schräg, wie sie es oft tat, wenn sie sich mit jemandem unterhielt. Lea war jetzt achtundvierzig Jahre alt, und was sie früher vermutlich verunsichert hätte, ließ sie heute nur noch die Schultern zucken. Sie war genau da, wo sie sein wollte, und hatte lange und hart dafür gearbeitet. Lea war gerade einundzwanzig gewesen, als sie nach Deutschland zurückgekehrt war, das Land, aus dem ihre Mutter mit ihr, der damals zehnjährigen Tochter, vor den Nationalsozialisten geflohen war, weil sie Juden waren. Und seit ihrer Rückkehr hatte Lea nur ein einziges Ziel verfolgt: Das Grundstück mit dem Fotoatelier, das ihrer Mutter gehört hatte und das diese viel zu günstig an einen Deutschen hatte verkaufen müssen, zurückzuerwerben und hieraus etwas ganz Eigenes zu schaffen. Und das war ihr gelungen. Und wie! Sie mochte nicht mehr daran denken, was sie alles dafür hatte tun müssen, nur, dass sie niemals ihr Ziel aus den Augen verloren hatte und so schließlich bekam, was sie wollte. Sie hatte das alte Atelier umbauen, erweitern und einen Club daraus machen lassen, das Golden Paradise , DER Szeneclub Nummer eins in Berlin. Und die Geschäfte liefen nicht nur gut, sie liefen ausgezeichnet. Es gab also überhaupt keinen Grund für Lea, über einen Verkauf an Hanns Borchardt auch nur nachzudenken. Vor allem aus persönlichen Gründen nicht, doch sie sah keine Veranlassung, ihm dies auf die Nase zu binden. Sie schlief mit ihm, ja, und das sogar schon einige Monate. Und es gefiel ihr sogar, fand sie doch die Kombination des Machers und harten Geschäftsmannes, der es im Bett liebte, dominiert zu werden, irgendwie reizvoll. Doch gerade jetzt nahm seine Attraktivität für sie deutlich ab.
»Was ich dir damit sagen will?«, wiederholte Hanns nun ihre Frage.
Sie sah ihn nur interessiert an, abwartend, was als Nächstes von ihm käme.
»Alles ist käuflich, Lea. Und uns beiden ist doch vollkommen klar, dass du nur den Preis in die Höhe treiben willst. Doch ich habe keine Zeit für so was. Unser kleines amouröses Techtelmechtel ist das eine. Doch glaube ja nicht, dass ich deshalb Rücksicht auf dich nehme, nur weil du gut im Bett bist.«
Lea betrachtete ihn noch einen Moment, dann sagte sie: »Ich gebe dir recht, Hanns – alles ist käuflich. Doch nicht alles ist mit Geld käuflich. Ich würde an dich verkaufen, wenn mir nichts an dem Grundstück läge oder aber ich den Club nicht weiter betreiben wollen würde. Doch so, wie es ist, gibt es für mich keinen Grund, auf dein Angebot einzugehen. Und wenn du nun davon sprichst, keine Rücksicht auf mich nehmen zu wollen, weil wir uns im Schlafzimmer gut verstehen, so kann ich die Auffassung nachvollziehen und auch teilen. Alles andere würde nicht deinem Wesen entsprechen.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. »Doch weißt du, du musst auch gar keine Rücksicht auf mich nehmen. Kämpfe gern mit harten Bandagen, und versuch, mir das Leben schwer zu machen.« Wieder legte sie den Kopf schräg. »Das erhöht womöglich sogar die erotische Spannung zwischen uns.«
»Das ist kein Spiel, Lea!« Er war laut geworden.
»Für dich nicht, das weiß ich. Doch für mich« – sie zuckte die Achseln – »irgendwie schon.«
Hanns war anzusehen, dass es in ihm brodelte. Er stand auf und machte eilig ein paar Schritte auf sie zu, fasste ihre Schultern.
»Vorsicht, Hanns«, sagte sie, ohne sich einschüchtern zu lassen oder zurückzuweichen. »Du begibst dich auf sehr dünnes Eis.«
Sie sahen sich in die Augen, dann ließ er ihre Schultern los.
»Kannst du bitte noch mal darüber nachdenken?«, fragte er nun in versöhnlichem Tonfall.
Lea sah ihn an, dann nickte sie. »Ja, das kann ich«, stimmte sie zu, auch wenn sie es nicht so meinte. Doch sie wollte aus dieser Situation hier herauskommen. Nicht, weil sie sich vor ihm fürchtete. Nein, er machte ihr keine Angst. Sie spürte nur, dass sie sich im Kreis drehten, vor allem aber hatte sie schlicht keine Lust, noch weiter darüber zu sprechen. Ja, er tat gerade etwas, das sie mehr als alles andere verabscheute: Er langweilte sie.
»Mach mir ein schriftliches Angebot, und lass mir auch die Pläne von Grundstücken zukommen, die du mir für den Bau eines neuen Clubs anbieten könntest. In Ordnung?«
Hanns sah sie an, zog sie an sich und gab ihr einen langen Kuss. Die Erleichterung war ihm deutlich anzumerken. Es war, als sei ihm soeben eine zentnerschwere Last von den Schultern genommen worden.
»Danke, Lea. Wirklich.« Wieder küsste er sie. »Du wirst es nicht bereuen.«
»Ich habe nur zugesagt, mir die Unterlagen anzuschauen, Hanns. Ich gebe dir kein Versprechen.«
»Ich weiß«, sagte er. »Doch ich weiß auch, dass es dich überzeugen wird, wenn du siehst, was ich dir zu bieten habe.«
Lea lächelte. »Komm«, sagte sie dann. »Gehen wir gemeinsam hinaus. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
Hanns zog sein Jackett über und griff sich Schal und Mantel. Seine Krawatte stopfte er achtlos in die Manteltasche, statt diese zu binden.
Gemeinsam stiegen Lea und er die Stufen hinab. Leas Wohnung befand sich über ihrem Club, war jedoch mit einem gesonderten Eingang versehen.
Sie traten auf die Straße, und Lea wandte sich zu Hanns um, hob sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss. »Auf Wiedersehen, Hanns. Es hat mir gefallen.«
Hanns zog sie an sich, küsste sie auf den Mund. »Du bist die aufregendste Frau, die ich je getroffen habe«, stellte er dann fest und küsste sie noch einmal.
»Selbstverständlich«, erwiderte sie zufrieden und tätschelte noch kurz mit der Hand seine Wange. »Auf bald, Hanns.« Damit machte sie kehrt und ging die wenigen Schritte zum Eingang des Golden Paradise , schloss die Tür auf und verschwand darin, ohne sich noch einmal umzudrehen. Kurz fragte sie sich, wie unangenehm Hanns werden könnte, wenn sie ihm mitteilte, letztendlich bei ihrer Entscheidung, ihm das Grundstück nicht zu verkaufen, geblieben zu sein. Doch dann wischte sie den Gedanken fort. Sie würde es ja dann sehen.