Wie immer in meinen Büchern habe ich auch in diesem Buch einige historische Fakten in die fiktive Handlung eingebaut, die ich gerne aufzählen möchte.
Zuallererst ist hierbei Hanns Borchardt zu nennen, den ich an den deutschen Unternehmer Manfred »Big Manni« Schmider angelehnt habe. Eine erste Parallele ist der Name, ich habe Hanns mit Absicht das zweite »N« in seinem Namen gegeben, um diese Ähnlichkeit zu unterstreichen. Ansonsten habe ich vor allem das Aussehen und Auftreten übernommen: Beide sind große, schwere Männer, die schöne, eher zierliche Ehefrauen haben. Beide sind durch betrügerische Geschäfte – wenn auch in unterschiedlichen Bereichen – zu Geld und Macht gekommen und zu Fall gebracht worden. Übrigens habe ich daher auch Hanns’ Angewohnheit, mit dem Hubschrauber zur Arbeit zu fliegen, anstatt mit dem Auto zu fahren. Beide sind bemerkenswerte Rhetoriker, die viele Menschen in Politik und Wirtschaft von sich überzeugen konnten. Während Hanns jedoch, als er mit dem Rücken zur Wand steht, den Suizid wählt, wurde Schmider verurteilt, hat seine Haft verbüßt, das Insolvenzverfahren wurde 2020 abgeschlossen, und er lebt heute auf Mallorca.
Was Hanns bei Maria anwendet, als sie ihn einer Affäre verdächtigt, ist uns heute als Gaslighting bekannt, und dies ist rein auf Hanns, nicht auf Manfred Schmider gemünzt. In der Psychologie ist das Gaslighting eine Form psychischer Gewalt, um das Opfer gezielt zu manipulieren, ihm das Selbstbewusstsein zu nehmen und es an der eigenen Wahrnehmung und sich selbst zweifeln zu lassen. Hanns, der offensichtlich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat, setzt seine Fähigkeit, glaubhaft lügen und täuschen zu können, mehrfach ein, um Marias Verdacht zu zerstreuen und im Gegenteil ihr vorzuwerfen, schwere Fehler begangen zu haben, die er ihr in seinem Großmut jedoch verzeiht.
Ich habe übrigens auch mehrfach beschrieben, wie Hanns nicht nur andere täuscht, sondern auch sich selbst, um sein Selbstbild des großen, erfolgreichen Mannes, Baulöwen und Philanthropen zu wahren. Das ist auch einer der Gründe, weshalb Hanns auf Kritik aggressiv reagiert; es ist eine Form von Selbstschutz. Einerseits will er das Misstrauen gegen sich zerstreuen und sein Gegenüber verunsichern, andererseits versucht er alles, um das Bild, das er von sich selbst hat, mit der Realität in Einklang zu bringen – und scheitert hierbei so, dass er keinen Ausweg mehr sieht.
Lea Stern ist ebenso wie das Golden Paradise frei erfunden. Die Geschichte ihrer Mutter beruht jedoch auf der Vita von Lili Baruch, einer deutschen Fotografin, die in den Zwanzigerjahren in ihrem Atelier am Kurfürstendamm 201 bekannte Künstlerinnen und Künstler, Schauspielerinnen und Schauspieler sowie Sportlerinnen und Sportler ablichtete. Als Jüdin musste sie Anfang der 1930er-Jahre mit Ehemann und Tochter in die Schweiz fliehen. Hieraus habe ich die fiktive Geschichte rund um die beeindruckende Lea Stern gesponnen, die mit ihrer Mutter aus Deutschland – wie viele Jüdinnen und Juden – ins damalige Palästina fliehen musste und die Gründung Israels miterlebte, ehe sie nach Deutschland zurückkehrte, um das Atelier ihrer Mutter wieder zurück in Familienhand zu bekommen und mit dem Club ein Zeichen für die Freiheit zu setzen.
Vorbild für das Golden Paradise war Rolf Edens Szeneclub Big Eden , der seinen Standort am Kurfürstendamm 202 hatte. Auch der Name Golden Paradise und der goldene Apfel als Erkennungszeichen des Clubs sind eine Anspielung auf das Big Eden , da beide mit dem Paradies konnotiert sind. Ich habe Ku’damm 201 und 202 und die damit verbundenen Geschichten zusammengefasst und zum Mittelpunkt der Handlung gemacht.
Der Studentenstreik, der zu Beginn von Holger unterstützt wird, fand tatsächlich zu der Zeit statt. Er begann wie beschrieben an der FU Berlin im Fachbereich Germanistik, nachdem die Hochschullehrer Gerhard Bauer und Friedrich Rothe wegen eines Wahlaufrufs für die KPD suspendiert worden waren. Am 24. November 1976 gab es die erste Vollversammlung, nach der sich die anderen Fachbereiche zum gemeinsamen Streik an der Uni zusammenschlossen und sich der Streik anschließend auf bundesweite Ebene ausweitete. Dabei kam es mehrfach zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Studenten. Die Studenten fühlten sich in der Presse teilweise falsch präsentiert, worüber unter anderem der ebenfalls erwähnte Streikkurier berichtete, der vom Institut für Publizistik herausgegeben wurde und universitätsintern berichtete. Dabei ist zu erwähnen, dass es nicht bei bloßen Streiks blieb, sondern auch aktiv Vorschläge für Änderungen gemacht wurden, sodass Holgers Meinung, die Streiks würden keine Wirkung haben, nicht den Tatsachen entspricht, sondern eher zeigt, dass er sich zunehmend radikalisiert. Ein Beispiel für konkrete Neuorganisation ist der Unabhängige Studentenausschuss, dessen Gründung ursprünglich bereits bei der Versammlung am 6. Dezember geplant war, dann aber eine Woche später stattfand. Eine große Herausforderung war es für die Studenten, sich politisch abzugrenzen, weil ihnen besonders am Anfang ein starker Linksradikalismus unterstellt wurde, der auch tatsächlich zum Teil vorhanden war, allerdings bestand die streikende Studentenschaft nicht nur aus rein linken Kräften.
Den Protest, zu dem Thomas und Holger fahren, um sich mit den verhafteten Studenten Christoph Dreher und Peter Wietheger zu solidarisieren, gab es ebenfalls wirklich; er fand am 3. Dezember statt. Zuvor hatte es bereits eine Demonstration vor dem Ort des Haftprüfungstermins gegeben und eine Veranstaltung an der Technischen Universität Berlin sowie ein paar Tage später an der FU Berlin. Holger spielt während der Autofahrt einerseits auf die auch von Maria erwähnten Wahlen am 3. Oktober an, bei denen die CDU stärkste Kraft wurde, nachdem in der vorigen Wahlperiode die SPD vorne gelegen hatte, die Regierung jedoch letztlich wieder von SPD und FDP gestellt wurde. Die Vereidigung der neuen Regierung war im Dezember. Außerdem finden die Ausschreitungen an der Baustelle des Kernkraftwerks Brokdorf Erwähnung. Die Polizei ging damals tatsächlich mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern gegen die zahlreichen Demonstranten vor, um die Besetzung des Geländes zu unterbinden.
Der 30. November 1976, der für die polizeilichen Behörden so etwas wie einen finalen Trumpf im Kampf gegen den Terrorismus darstellte, wie sie zu der Zeit glaubten, hat sich wie beschrieben abgespielt.
Auf dem Weg von Kassel nach Frankfurt wurden auf der Bundesautobahn 5 zwei RAF -Mitglieder gefasst: Siegfried Haag, ein ehemaliger Rechtsanwalt aus Heidelberg, zu dessen Mandanten unter anderem der zwei Jahre zuvor bei einem Hungerstreik verstorbene Holger Meins gezählt hatte, und Roland Mayer, der am Steuer des gestohlenen grauen Opel Admiral saß. Die beiden waren mit Pistolen bewaffnet, ließen sich aber ohne Gegenwehr festnehmen. Siegfried Haag war ein paar Monate zuvor in einem palästinensischen Ausbildungslager der RAF zum Anführer gewählt worden und bildete gemeinsam mit Verena Becker die Führung. Bei sich hatten sie drei Taschen mit Dokumenten und strategischen Plänen der RAF für die »Offensive 77«.
Allerdings wurden diese Pläne falsch ausgewertet, und sie konnten zum Teil nicht entschlüsselt werden. Drei Codeworte für Aktionen waren: Margarine, Big Money und Big Raushole . Margarine war das geplante Attentat auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback – dessen Initialen SB , der Name einer bekannten Margarinenmarke, ergaben. Big Money stand für das Kidnappen von Industriellen, um Lösegeld zu erpressen. Tatsächlich wurde das Geld später mit Banküberfällen beschafft. Big Raushole sollte die Befreiung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und weiteren inhaftierten RAF -Mitgliedern sein. Ergänzend dazu war die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und des Bankiers Jürgen Ponto geplant – Letztere bot sich an, weil Susanne Albrecht die Familie kannte.
Im Nachhinein konnten auch die Decknamen entschlüsselt werden:
Anton: Rolf Klemens Wagner
Bodo: Günter Sonnenberg
Ede: Christian Klar
Egon: Siegfried Haag
Hans: Stefan Wisniewski
Inge: Waltraud Boock
Käthe: Friederike Krabbe
Karl: Rolf Heißler
Michael: Roland Mayer
Olga: Sieglinde Hofmann
Paula: Verena Becker
Tim: Peter-Jürgen Boock
Wenn die polizeilichen Behörden mehr hätten entschlüsseln können, hätten sie auch Aufgabenbereiche zuordnen können; Boock war für das Pappen basteln zuständig, also Dokumente fälschen, verbündete Palästinenser waren P’s, RAF -Anwalt Klaus Croissant wurde Hörnchen genannt.
So gelang es nur, die Attentate zu verzögern: Das Attentat auf Siegfried Buback sollte Ende 1976 stattfinden und wurde nun am 7. April 1977 durchgeführt.
Brigitte Mohnhaupt, die Ende 1976 von Gudrun Ensslin im Hochsicherheitstrakt instruiert wurde, ihre Nachfolge anzutreten, weil sie bald entlassen werden sollte, hatte den Decknamen Nora .
Paula , mit der sich Monika, Ede und Holger treffen, ist niemand anderes als Verena Becker, die zu dieser Zeit die Anführerin der RAF war. Becker hatte sich der Bewegung 2. Juni in Berlin angeschlossen. 1972 wurde sie wegen der Beteiligung an einem Bombenanschlag auf einen Yachtclub in Berlin, bei dem eine Person starb, verhaftet und zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. 1975 wurde sie freigepresst und in die Demokratische Volksrepublik Jemen ausgeflogen. 1977 wurde sie nach dem Mordversuch an zwei Polizisten zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie war währenddessen teilweise Informantin des Verfassungsschutzes und wurde 1989 begnadigt, allerdings 2012 wegen der Beihilfe zum Mord im Fall Siegfried Buback zu vier weiteren Jahren Haft verurteilt.
Ich habe das Aussehen von Becker beschrieben und ihr ihren tatsächlichen RAF -Namen Paula gegeben, das Treffen selbst ist aber natürlich frei erfunden.
Um Holgers Weg in die RAF darzustellen, habe ich mir typische Abläufe der Radikalisierung angesehen, sowohl bei der RAF als auch bei heutigen terroristischen Vereinigungen. Anhand von Holger lassen sich die vier Stufen der Radikalisierung, die in der Terrorismusforschung häufig genannt werden (1. Unmut, Präradikalisierung; 2. Identifikation; 3. Ideologisierung; Indoktrinierung, 4. Mobilisierung), gut nachvollziehen.
Mit der Teilnahme an den Studentenstreiks macht Holger den ersten Schritt in die Radikalität. Tatsächlich gab es eine gewisse Übereinstimmung in den Werten, ein Großteil der Befürworter des Streiks vertraten eine linke Ideologie, wenn auch nicht alle. Allerdings möchte ich ausdrücklich betonen, dass eine gewisse Solidarität linker Werte nicht gleichbedeutend mit Terrorismus und Extremismus ist und dass Studentenbewegungen keinesfalls ein direkter Weg in die RAF bedeuteten, auch wenn es Einzelfälle gab, in denen es sich so abspielte. Dadurch gerät Holger, der definitiv mit der Ideologie der RAF sympathisiert, aber selbst eigentlich einen gewaltfreien Wandel möchte, immer mehr in eine Zwickmühle: Er weiß, dass er mit Monika leben möchte, aber will sich nicht der RAF anschließen. Monika wiederum wird diese nicht seinetwegen verlassen. Er kann auch nicht verraten, was er weiß, ohne Monika in Gefahr zu bringen.
Für die Überzeugungen der RAF habe ich mich stark in der Szene eingelesen und mich sowohl mit theoretischen oder philosophischen Schriften rund um den Kommunismus als auch mit Briefen, Interviews und Pamphleten der RAF , die glücklicherweise weitestgehend gut dokumentiert sind, befasst. Das Konzept Stadtguerilla von Ulrike Meinhof stellte dabei eine sehr gute Quelle dar, einfach weil es meiner Meinung nach die Ideen konkret wiedergibt und ich hiermit einerseits die Unzufriedenheit mit dem System, andererseits die militanten Pläne, um die eigenen Ziele zu erreichen, sehr gut veranschaulichen konnte. Ich habe auch Verschwörungstheorien im Roman verarbeitet, zum Beispiel die, dass Ulrike Meinhof hingerichtet wurde, wie Jan-Carl Raspe behauptete.
Die Pornofilmszene, die Hanna kennenlernt, ist 1976 ein großes Thema gewesen. 1970 erschien der erste Schulmädchen-Report , löste die Report-Welle aus und war mit über hundert Millionen Zuschauern die erfolgreichste deutsche Filmreihe aller Zeiten.
Erst 1975 wurde die Vorführung von Pornofilmen in der BRD teilweise legalisiert, woraufhin Sexkinos entstanden. Da die kommerzielle öffentliche Vorführung von Pornofilmen weiterhin verboten war, wurde ein Entgelt für Getränke, Speisen oder Striptease verlangt, oder der Film wurde nicht öffentlich, sondern in Einzelkabinen gezeigt. Kurz darauf setzten sich jedoch auch Videoformate durch, die den Heimvideokonsum ermöglichten. 1976 stellte zum Beispiel JVC das Format VHS (Video Home System) vor. Die Heimvideotechnologie setzte sich letztlich durch und sorgte für einen Rückgang der Sexkinos.
Hanns sitzt einen Abend vor dem Fernseher, schaut eine Talkshow und erwähnt die Tagesschau . Das genaue Abendprogramm ließ sich hier leider nicht nachverfolgen, ich habe mir aber das Fernsehprogramm aus den Jahren 1976 und 1977 angeschaut und davon abgeleitet, was Hanns sich angesehen haben könnte.
Die erwähnte Sonthofen-Rede wurde 1974 vom damaligen CSU -Vorsitzenden Franz Josef Strauß während einer Klausurtagung der CSU -Landesgruppe des Bundestages in Sonthofen gehalten und im März 1975 veröffentlicht. Der heute noch bekannte Begriff Sonthofen-Strategie beschreibt das Verhalten der Opposition, selbst keine eigenen Vorschläge zu bringen, um später – während der nächsten Wahl – auf die Verfehlungen der Regierung hinweisen zu können und sich selbst positiver dastehen zu lassen.
Maria spricht kurz von den Trümmerfrauen, ein Ansatz, der in dieser Form ein Mythos ist und wohl vor allem der Vergangenheitsbewältigung diente: (schuldlose) Frauen als heldenhaft darzustellen, um von der Kriegsschuld und den NS -Verbrechen abzulenken.
Maria erwähnt außerdem den Karlslust -Tanzhallenbrand, der sich am 8. Februar 1947 ereignete und insgesamt 81 Todesopfer forderte. Es war zu dieser Zeit extrem kalt, weswegen Kanonenöfen zum Aufheizen benutzt wurden. Die Tanzhalle war gegen Ende des Krieges als Gefängnis genutzt worden, sodass – wie beschrieben – die Fenster vergittert und Türen zugemauert waren. Durch die entstehende Panik wurden Menschen zu Tode getrampelt, außerdem kehrten einige, die es bereits rausgeschafft hatten, zurück zur Garderobe, um ihre Mäntel, in deren Taschen sie ihre Lebensmittelmarken verwahrten, zu holen. Lebensmittelmarken wurden während der Weltkriege und der Besatzungszeit von den Alliierten verteilt, um einerseits eine Grundversorgung zu gewährleisten und andererseits Güter zu rationieren.
Die Beschreibungen vom Kotti habe ich einer sehr interessanten Bilderreihe entnommen, die zum einen das Leben in den 70ern direkt am Kotti zeigt und zum anderen die starke Armut in den angrenzenden Straßen. Ich kann jedem nur empfehlen, sich die im Quellenverzeichnis angegebene Bilderstrecke anzuschauen. Immerhin ist Kreuzberg noch immer ein sozialer Brennpunkt, und die Probleme, die damals nicht angegangen wurden, belasten also noch heute. Unabhängig davon fangen diese Bilder meiner Meinung nach aber die Zeit unglaublich gut ein und zeigen zum Beispiel, wie gegensätzlich das Leben sein kann, obwohl man nur einige Straßen voneinander entfernt wohnt. Auch aus diesem Grund habe ich übrigens Straßen und Stadtteile am Anfang der jeweiligen Kapitel genannt. Einerseits soll dies der Orientierung dienen, andererseits drücken Grunewald, Charlottenburg und Kreuzberg auch einen eigenen Status, ein Selbstverständnis und ein Lebensgefühl aus.