KÜ-10
Die Nacht über schlief ich wie ein Stein. Ich teilte zwar mit Nathraen das Bett, doch da keiner von uns länger als eine Minute wach bleiben konnte, hätte ich genauso gut den Fußboden nehmen können.
Ich erwachte erst wieder, als die Geräusche um mich herum so laut wurden, dass ich langsam wieder zu Bewusstsein kam.
Das Erste, was ich erblickte, waren hundert spitze Zähne im Maul einer riesigen Echse, direkt vor meiner Nase.
»Elorion, steh mir bei!«, schrie ich und schreckte hoch.
»Hört ihr das, er ruft nach seinen Göttern. Die werden euch hier unten nicht helfen können, Silva'tel.«
Es war Nathraens spöttische Stimme. Ich hob langsam den Blick und erkannte, dass er auf der Reitechse saß. Um ihn herum standen Dutzende Krieger in Lederrüstung und Kettenpanzern. Sie alle starrten mich an, als sei ich eine seltene Tierart.
»W-Was habt ihr mit mir vor?«, hörte ich mich selbst sagen.
»Wir reisen nach Umbraevyn. Unsere Königin möchte euch kennenlernen. «
»Königin?«
Ich wusste, dass es keine guten Nachrichten waren. Nathraen sah in mir wirklich einen Gefangenen und brachte mich zu der Person, die über mein Schicksal entscheiden würde. Ich war offensichtlich nur eine Ware, die man tauschen konnte. Nichts weiter.
»Wir werden sehen, ob Vaxarya ebenso gnädig mit euch ist wie ich.« Nathraen schnalzte mit der Zunge, woraufhin sich seine Reitechse in Bewegung setzte. Er trabte voraus, während ich zurückblieb und gefesselt auf eine jener monströsen Reitechsen gesetzt wurde. Im Vergleich zu einem Pferd war das Reptil dünn und wackelig. Der Sattel, auf dem sie mich festbanden, war zwar bequem und groß genug, um richtig tief darin versinken zu können, dafür stand die Echse keine Sekunde still, und eine immerwährende schlängelnde Bewegung ging vom Schwanz bis zum Kopf, die mich schon bald nervte. Ich wusste, dass die Echse nicht anders konnte, immerhin stand sie nur auf den Hinterbeinen und musste das Gewicht mithilfe des Schwanzes ausbalancieren – es ärgerte mich trotzdem. Schon nach den ersten paar Schritten auf der Echse vermisste ich die gleichmäßig schaukelnden Bewegungen meines Hengstes Derovyel.
Das Gasthaus, in dem Nathraen und ich die letzte Nacht verbracht hatten, lag hinter uns an der Höhlenwand. Es war im weiten Umkreis das einzige Gebäude. Von ihm ausgehend verliefen sechs Tunnel in alle Himmelsrichtungen, von denen ich nur die Eingänge erkennen konnte, da sie dahinter im Dunkel verschwanden.
»Vorwärts«, rief Nathraen, und sogleich setzte sich der Trupp in Bewegung. Um mich herum zählte ich gut zwanzig Krieger auf Reitechsen, die in Dreierreihen den südlichsten Tunnel ansteuerten. Mich hatten sie in die Mitte genommen. Die meisten von Nathraens Männern, die ich am Abend zuvor in der Taverne gesehen hatte, blieben dort zurück, und so war das Licht von Fackeln und das Brüllen von Männern noch nach vielen Hundert Schritten wahrzunehmen.
Wir bogen sehr bald von einem Tunnelgang in den nächsten und wieder in den nächsten, deshalb hatte ich schon nach kürzester Zeit vollkommen die Orientierung verloren. Ich wusste weder, wo das Gasthaus lag, noch wo sich der nächstgelegene Höhlenausgang zur Oberfläche befand. Ich war verloren und vollkommen auf die Dunkelelfen angewiesen. Ich konnte nicht einmal über eine Flucht nachdenken, da ich es niemals lebend aus diesem Labyrinth schaffen würde. Und wie ich meine blutrünstigen Verwandten einschätzte, waren sie sicher nicht so klug gewesen, jemals eine Karte des Tunnelsystems anzulegen.
Neben meiner Orientierungslosigkeit war es vor allem das Fehlen von Licht, das mir zu schaffen machte. Die Höhlengänge waren ebenso dunkel wie die Haut der Dunkelelfen selbst. Lediglich ein paar Pilzvorkommen am Wegesrand, die von innen heraus leuchteten, gaben Licht von sich und halfen mir so, mich an die Dunkelheit zu gewöhnen und ein wenig vom Weg erkennen zu können. Da meine Augen das Tageslicht gewöhnt waren, hatte ich große Probleme damit, weiter als zehn Schritte zu sehen. In Selvaras war es selbst bei Nacht und innerhalb der Häuser nicht so finster wie hier. Durch die Tunnelgänge wehte teilweise ein solch starker Wind, dass ich den Kopf gesenkt hielt, damit er mir nicht die Tränen in die Augen trieb. Ich hatte keine Vorstellung davon, was diesen Luftzug verursachte, und auf meine Frage hin reagierte niemand. Sie unterhielten sich untereinander, machten Witze auf meine Kosten und ignorierten mich. Das gleichmäßige Stapfen der Echse fühlte sich mit der Zeit immer natürlicher an, und ich erwischte mich dabei, wie ich dem Tier den Hals tätschelte, ganz so, als wäre es ein Pferd.
Auf dem gesamten Weg sah ich Nathraen kein einziges Mal. Da er den Trupp anführte, ritt er an der Spitze und ließ mich mit diesen Nichtsnutzen alleine. Ich wusste, dass es keinerlei Verpflichtungen gab, keine Abmachung. Wie töricht von mir, zu glauben, dass ihn und mich irgendetwas verband. Er war immer noch mein Feind. Er hatte sich meines Körpers bemächtigt, und es hatte mir gefallen, doch das war auch schon alles. Es würde sicher kein zweites Mal geben, wenn ich erst seiner Königin gegenüberstand.
Unser Ritt dauerte keinen halben Tag. Nachdem wir eine lange Strecke durch enge Tunnel hinter uns hatten, passierten wir eine Höhle nach der anderen, und auf diesen Strecken zog Nathraen das Tempo an. Die Echsen trabten in einer Horde zum anderen Ende der Höhle, bis wir wieder in einen schmalen Tunnel bogen und die Geschwindigkeit gedrosselt wurde.
Unterwegs begegneten wir keiner einzigen Seele, weder Elf noch Tier. So war ich froh, als wir kurz vor der Stadt das erste Mal einen Spähtrupp trafen und ich endlich wieder in Gesichter lebender Wesen sehen konnte, da ich bereits gefürchtet hatte, in einer dieser Höhlen zu verrotten.
Der Spähtrupp stellte sich bei näherer Betrachtung als Wachpatrouille heraus, die die Gänge rund um die Stadt ablief und Ausschau nach Feinden hielt.
»Als ob sich irgendein Elf der Oberfläche je hier herunter trauen würde …«, murmelte ich, als man uns passieren ließ und wir nach ein paar Schritten in eine riesige Höhle einbogen .
Mir blieb der Mund offen stehen, als ich einen Blick auf das erhaschte, was sich in dieser riesigen Höhle befand: Eine Stadt, größer und weiträumiger als Selvaras selbst, erstreckte sich von den Klippen, vor denen wir haltmachten, bis zu den Stalaktiten an der Decke. Sie ragten so weit in die Tiefe, dass die Dunkelelfen um sie herum Treppengänge und Häuser gebaut hatten, die ich nur als winzige Punkte wahrnehmen konnte. Da mich die immerwährende Finsternis in den Tunneln geschwächt hatte, freute es mich ganz besonders, dass es in der Stadt sehr viel heller war. Eine ganze Reihe monströser, biolumineszierender Pilzvorkommen säumte die ovale Stadt und gab kontinuierlich so viel Helligkeit ab, dass eine angenehme Lichtstimmung herrschte, in der man alles gut erkennen konnte. Zum ersten Mal seit Stunden sah ich auch Nathraen wieder, wie er ganz vorn an der Klippe auf seiner Echse thronte und mit stolzgeschwellter Brust auf die Stadt herniedersah.
Der Abstieg am Klippenrand stellte sich als Wagnis heraus. Der Weg war zerklüftet und so steil, dass ich vermutlich beim Laufen öfter abgerutscht wäre. Zum Glück saß ich auf einer Reitechse. Ich war überrascht, wie leichtfüßig und trittsicher diese Tiere uns hundert Schritte in die Tiefe trugen, ohne einen einzigen Reiter abzuwerfen oder Proviant zu verlieren. Sie brachten uns alle heil nach unten und trugen uns in die Außenbezirke der Stadt, die man unschwer als Arbeiterviertel erkennen konnte. Nutztiere standen in der Nähe kleiner Hütten aus Felsgestein. Pflanzen wurden auf Äckern mit besonders weicher Erde angebaut, und Schmiede bearbeiteten an jeder Ecke Metalle. Das Klirren ihrer Schmiedehämmer war überall zu vernehmen und verfolgte uns auch noch, als wir in die Wohnviertel einzogen, die aus hundert schmalen Gängen bestanden, die sich zwischen hohen, unförmigen Häusern erstreckten, vorbei an Felsen und Stalagmiten, und in denen ich mehr weiße Haarschöpfe entdeckte, als ich zählen konnte.
Das Volk von Umbraevyn jubelte Nathraen zu und rief seinen Namen, was mein Volk noch nie bei meiner Rückkehr getan hatte. Ich konnte in jedem Gesicht ehrliche Verehrung erkennen. Sie sahen ihm nach, lachten und weinten vor Freude, als er ihnen zuwinkte, und hüpften aufgeregt, wenn sie in einer der hinteren Reihen standen und nicht genug sehen konnten.
»Sie … lieben ihn …«, murmelte ich, als ich eine ganze Traube Dunkelelfenfrauen erspähte, die sich für ihn entblößten und ihm Kinder versprachen, wenn er sich nur einmal zu ihnen legen würde.
»Natürlich tun sie das«, antwortete die Wache, die neben mir ritt. »Er steht für die Macht, die unser Volk schon bald haben wird. Solange er uns anführt, werden wir jeden Krieg gewinnen.«
»Krieg?«
Ich erhielt keine Antwort, da die Wache eingreifen musste, als sich ein Pulk um Nathraen scharte und uns so am Weiterreiten hinderte. Sie griffen nach ihm, wollten einmal seine Hände berühren und ein Lächeln geschenkt bekommen, das er auch großzügig verteilte.
Sie sehen in ihm wirklich einen Helden.
Nathraen lächelte und winkte, als seine Krieger den Weg freimachten, und warf mit Kusshänden um sich, was besonders die Damenwelt erfreute.
Hinter dem Wohnviertel lagen noch ein paar weitere, unter ihnen das der Händler mitsamt Märkten und Ausstellungen von Sklaven und Vieh, sowie ein Viertel von Magiebegabten, die mitten auf der Straße ihre Zauber erprobten und Gegenstände schweben ließen. Fasziniert von all diesen Anblicken, hatte ich ständig das Gefühl, dass wir zu schnell ritten. Ich konnte mich nicht sattsehen an dieser kuriosen Stadt und versuchte, mir jeden Eindruck einzuprägen, damit ich ihn irgendwann für mein Volk zu Papier bringen konnte, falls ich jemals zurückkehren würde.
Nach dem Magieviertel kamen wir auf einen riesigen Platz, der so weiträumig war, dass dort ein ganzes Heer Aufstellung hätte nehmen können. Dahinter, im Herzen der Stadt, hing ein riesiger Palast zwischen zwei Stalaktiten, die von der Decke bis zum Boden reichten, von milchig-violetter Farbe waren und wie zusammengewachsene Knochen aussahen.
»Der Palast der Königin«, sagte ich leise und bekam dafür ein zustimmendes Murmeln als Antwort.
Wir brauchten ungefähr genauso lange, den Platz zu überqueren, wie zuvor alle anderen Viertel zu durchlaufen. Während des gesamten Weges blickte ich zur Höhlendecke hinauf, die so weit entfernt war, dass ich ihre Höhe nur erahnen konnte. Ich war von diesen Gebäuden überwältigt, die sich viel natürlicher in die Umgebung einpassten als die Häuser meines Volkes in den Wald. Die Gelehrten hatten unrecht gehabt mit allem, was sie über die Dunkelelfen gesagt hatten: Sie waren weit mehr, als je ein Oberflächenelf niedergeschrieben hatte. Sie waren Baukünstler, Meisterschmiede und große Krieger; sie hatten sich den Gegebenheiten des Unterreichs angepasst und lebten so in Einklang mit ihrer Umgebung, dass es mir eine Gänsehaut bescherte. Wenn ich nicht ihr Gefangener gewesen wäre, hätte ich darum gebeten, mir jeden Winkel dieses Reiches zu zeigen, da ich es kaum erwarten konnte, in eines dieser windschiefen Häuser zu gehen, um zu lernen, wie sie lebten .
Das Eingangstor zum Palast der Königin war genauso gewaltig wie der Palast selbst. Im Vergleich dazu waren wir Ameisen, die davor herumkrabbelten. Als die großen Torflügel aufgingen, erhaschte ich einen Blick auf die dahinterliegende Halle. Sie war komplett aus schwarzem Kristallglas gehauen.
»Obsidian …«
»So ist es, Prinz der Waldelfen.« Die Wache, mit der ich mich zuvor unterhalten hatte, stieg von ihrer Echse ab und band mich los, damit ich ebenfalls absitzen konnte. Bis auf die Fußfesseln entfernten sie alle meine Ketten und hielten mich nur noch an den Armen fest, als wir durch das große Tor schritten.
Sie wussten, dass ich nicht zu fliehen wagte. Das Unterreich war ein Labyrinth aus Tunneln, die ein Oberflächenbewohner wie ich niemals alleine durchschreiten konnte, geschweige, dass er einen Ausgang gefunden hätte.
Da ich keinerlei Anstalten machte, mich zu wehren, ließen die Wachen mich schon bald locker neben sich herlaufen, während wir Nathraen folgten, der vor uns durch die Halle schritt und uns bald durch einen Torbogen in die angrenzende Halle tief im Felsgestein führte.
Ich gab einen erstaunten Laut von mir, als ich den Raum in seiner Gänze erfasste. Es war der Thronsaal der Königin, die am anderen Ende der Halle auf einer riesigen Spinne saß, umringt von so dicken Spinnweben, dass man kaum noch das schwarze Gestein der Wände erkennen konnte. Von der Decke hingen dicke Fäden, die sich wirr über dem Fußboden verteilten. Als ich auf einen von ihnen trat, bemerkte ich, wie klebrig sie waren. Ich hing fest und brauchte meine Hände, um wieder freizukommen. Dabei sah ich am Rand der Halle, wie sich etwas in einem dicken, runden Spinnensack bewegte .
»Ihre Opfer ersticken, noch bevor sie sie frisst. Das dauert zwei ganze Tage, bis einem da drinnen die Luft ausgeht. Mal abgesehen von dem üblen Geruch, der dich unaufhörlich erbrechen lässt.«
Nathraen lachte und warf der Wache, die das gesagt hatte, einen anerkennenden Blick zu.
»Du brauchst unseren Gast nicht so zu quälen, Locaz, er hat auch so schon die Hosen voll«, meinte er, sah in mein erschrockenes Gesicht und zwinkerte mir zu, bevor er den Blick wieder nach vorne richtete.
Wie witzig!
Es war erstaunlich, wie überheblich Nathraen im Beisein seiner Männer war. Er war kaum auszuhalten – arrogant wie Niriel und mein Vater zusammen –, und ich hätte ihm am liebsten etwas ins Gesicht geworfen, damit er aufhörte zu grinsen. Doch dann erinnerte ich mich wieder daran, wie ich bei unserer Abreise gewesen war. Ich hatte ihn angebrüllt und geschlagen, nur um vor meinen Männern gut dazustehen und keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Vielleicht tat er ja genau das Gleiche? Möglicherweise versuchte er, so abweisend wie möglich zu sein, damit niemand dahinterkam, was er und ich geteilt hatten.
Ich wusste, dass es nicht gut war, an ihm festzuhalten. Andererseits war er der Einzige, den ich in dieser riesigen Stadt kannte – dem Zentrum meiner Feinde.
Königin Vaxarya war ebenso schön und Furcht einflößend wie ihr bester Krieger. Sie war groß, überaus gut aussehend und von überragender Arroganz, das konnte ich nach einem kurzen Blick in ihr Gesicht erkennen.
Als sie uns näherkommen sah, schlug sie ihrem Spinnentier auf den Kopf und zwang es dazu, sie am Boden abzusetzen, wo sie sich auf einem Thron niederließ, der aus schwarzem, durchsichtigem Glas in wildester Zackenform bestand.
Gelangweilt sah sie uns entgegen. Erst als Nathraen vor ihr auf die Knie ging und ihr seine Dolchfächer zu Füßen legte, hellte sich ihre Miene für einen Augenblick auf.
»Ihr hattet Erfolg, General Nathraen«, sagte sie mit tiefer Stimme.
General?! Habe ich richtig verstanden?
»Meine Königin, ich bringe euch als Zeichen unseres Sieges diesen Waldelfen. Er ist König Alathons einziger Sohn und Erbe.«
Nathraen schnippte mit den Fingern, und sofort packten mich zwei Wachen an den Armen und stießen mich nach vorne, sodass ich, auf Knien rutschend, neben ihm landete. Ich stieß einige Flüche aus und heftete den Blick auf den Boden.
»Sein einziger Sohn …«, echote die Königin mit gedehnter Stimme. Ich konnte förmlich spüren, wie sich ihr Blick in meinen Kopf bohrte. »Zeigt mir sein Gesicht …«
Nathraen stieß mich mit dem Fuß an, doch ich reagierte nicht und starrte weiterhin auf den glänzenden Boden, in dem ich eine Spiegelung der Königin sehen konnte.
»Telrys, mach schon«, murmelte Nathraen und stieß mich ein weiteres Mal an. Ich reagierte immer noch nicht und wünschte mir, meinen Dolch zu haben, den ich diesem General für seine Lügengeschichten nur zu gerne in den Fuß gerammt hätte.
Statt mich ein weiteres Mal anzustoßen, riss Nathraen meinen Kopf an den Haaren nach oben, sodass ich dem Blick der Königin nicht mehr ausweichen konnte .
»Er ist stolz«, sinnierte die Königin und betrachtete sichtlich interessiert mein Gesicht. »Und erstaunlich schön …«
»… und ein Kind«, fügte Nathraen hinzu.
»Ich bin ein Mann«, schrie ich und packte Nathraens Handgelenke, die noch immer meine Haare hielten. Ich kniff ihm in die Haut und fand mich kurz darauf mit dem Kopf unter seinem Arm wieder, bevor er mich wie einen Sklaven in eine kniende Position drückte.
»Er ist ein unbeholfener Bursche, meine Königin; er ist leicht zu beeinflussen, aber er hat Mut.«
»Den hat er.«
Ich vermied es, sie anzusehen. Man hatte mich seit jeher davor gewarnt, einer dunkelelfischen Hexe in die Augen zu sehen. Ich wusste zwar nicht genau, ob sie eine war, doch ihre Ausstrahlung war alles andere als erfreulich.
»Und er ist dumm, wie jeder Oberflächenbewohner.«
Alle lachten. Ich mahlte mit den Kiefern und verkniff mir eine bösartige Bemerkung.
»Wie habt ihr ihn gefangen nehmen können, General? Amüsiert mich.« Die Königin lehnte sich in ihrem Thron zurück und schlug ein Bein über das andere, während ihre Finger mit ihrem langen Haar spielten.
Nathraen hielt mich noch immer fest am Boden, als er sich neben mich stellte und zu erzählen begann.
»Ich traf den Prinzen an jenem Tag in den Nebeln, östlich von Selvaras …«
Ich versuchte, nicht so genau hinzuhören, da ich bereits wusste, was er erzählen würde.
»… er hat mich mit einem Dolch vergiftet und als Gefangenen nach Selvaras gebracht. «
»Ich liebe eure Manöver, General Nathraen, erzählt mehr davon«, rief die Königin, die sich auf ihrem Thron aufgerichtet hatte.
»Ich habe ihm mein Leben vor die Füße geworfen, und er hat mich verschont, wie es zu erwarten war, meine Königin. Der Prinz hat ein weiches Herz und so hat er nicht eine Sekunde daran gedacht, dass ich mich gefangen nehmen lassen wollte
Ich knirschte mit den Zähnen, während ich versuchte, die Wut zu kontrollieren, die sich in mir zusammenbraute.
»Sein Vater hat mich, wie ebenfalls zu erwarten war, zum Tode durch die Götter verurteilt, und so haben sie mich ein paar Tage später nach Fiyellnoas gebracht. Bis dahin hatte ich mir schon das Vertrauen des Prinzen erschlichen.«
Ich konnte die Beschleunigung meines Atems deutlich hören. Meine Fingernägel kratzten über den Fußboden.
»Törichter Bursche – und das soll ein Prinz sein!«, rief die Königin amüsiert, bevor sie Nathraen zuwinkte, damit er mit der Geschichte fortfuhr.
»Sie haben es mir noch viel leichter gemacht als geplant, als sie mir anboten, mir einen letzten Wunsch zu erfüllen.«
Die Königin gluckste vor Freude.
»Sagt schon, was haben diese Blattfresser euch versprochen?«
»Eine Nacht mit einer von Alathons Töchtern.«
Die Königin lachte unterirdisch.
»Und – welche habt ihr genommen?«
»Die Hübscheste natürlich«, rief Nathraen und drückte mir seine Finger in den Nacken. »Seinen Sohn. «
Die Königin konnte sich vor Lachen nicht mehr halten. Ihr bösartiges Gelächter schallte durch die gesamte Halle und machte mich rasend.
»Alathon wird toben vor Wut! Ihr macht ganz Umbraevyn stolz, General.«
»Habt Dank, meine Königin. Nachdem ich ihn in meinem Zelt hatte, habe ich zum Angriff gerufen. Meine Männer hatten die ganze Zeit auf der Lauer gelegen, und so war es ein Leichtes, den Götterhain zu säubern.«
»Sie sind alle tot?«
»Nein, wie ihr gewünscht habt, haben wir den König, seine Familie und ein paar Untertanen entkommen lassen, um die Nachricht unseres Sieges zu verbreiten. Sicher haben sie sich in ihre Nester verkrochen.«
»Sie lecken sich ihre Wunden …«
»Ganz genau. Sie werden lange brauchen, um sich von diesem Schock zu erholen.«
»Ihr versüßt mir den Tag, Schlächter.«
Nathraen verneigte sich ehrfürchtig. Ich hockte noch immer auf dem Boden und versuchte, meine Wut zu zügeln.
»Habt ihr auf eurer Mission den Weg nach Selvaras gefunden?«, fragte die Königin, als sie die Fassung wiedererlangt hatte.
»Ja.«
»Könnt ihr ihn uns beschreiben?«
»Bis ins kleinste Detail, meine Königin. Der Prinz hatte mir unüberlegterweise eine Augenbinde aus Leinen angelegt. Meine Dunkelsicht konnte das aber nicht einschränken. Ich kann meine Männer vom Götterhain bis ins Herz des Waldes führen. «
»Du Bastard!« Ich sprang auf und griff ihn an, die Daumen an seiner Kehle. Nathraen lachte unbeholfen, packte meine Handgelenke und bog sie mir auf den Rücken, sodass ich nur noch mit den Füßen treten konnte. Doch bevor ich etwas damit ausrichten konnte, stieß er mir in die Kniekehlen, und ich ging zu Boden.
»Er ist wild wie ein junger Hirsch.«
»Er ist handzahm«, beteuerte Nathraen. »Die Wahrheit zu erfahren, ist schwer für solch einen frommen Silva'tel wie ihn.«
»Er muss bestraft werden. Wachen, bringt ihn hinab in die Kerker. Niemand greift ohne Konsequenzen meinen General an.«
»Meine Königin, er ist ein dummes Kind, lasst ihn nur toben.«
»Stellt ihr etwa meinen Befehl infrage, General?«
Nathraen senkte den Blick.
»Nein, meine Königin.«
»Bringt den Waldelfenwicht ins Verlies. Soll sich unser Folterknecht an ihm austoben. Morgen werden wir entscheiden, was wir mit ihm anfangen, wenn er dann noch lebt.«
Die Königin schnippte mit den Fingern, und sofort packten mich die Wachen und schleiften mich aus dem Saal. Ich hatte es längst aufgegeben, mich zu wehren. Ich wusste, dass ich einen folgenschweren Fehler begangen hatte.