Prolog

»Schlaf, Kindlein, schlaf …«

Leise Schritte erfüllten das Kinderzimmer. Eine Frau ging über den dicken, flauschigen Teppich, der sorgfältig für das Neugeborene ausgesucht worden war. Das Mondlicht fiel durch die halb geschlossenen Jalousien auf den Boden und überzog ihn mit Lichtstreifen, die den Raum wie eine himmlische Gefängniszelle wirken ließen, in der ein Baby – ihr Baby – gefangen gehalten wurde.

»Die Mutter schüttelt’s Bäumelein …« Die Wand war liebevoll mit fröhlich grinsenden Comic-Giraffen dekoriert, die ihre Hälse wachsam zur Zimmerdecke reckten. »Da fällt herab ein Träumelein …«

Sie hörte auf zu singen und horchte auf das immer lauter werdende Knirschen der Garagentür, deren hässliches schwarzes Maul darauf wartete, ihn zu verschlingen. Ihn herzubringen.

Während sie mit hämmerndem Puls wartete, lauschte sie auf das Knarzen der Haustür, seine schweren Schritte auf der Holztreppe. Wenn es er war, würde sie es am Quietschen der fünften Stufe erkennen sowie am Ächzen der siebten.

Doch vermutlich wusste er von der ersten verräterischen Stelle. Die fünfte Stufe würde er auslassen, nicht jedoch die siebte.

Das Ächzen würde ihr das Leben retten.

Als keine der beiden Stufen ihre treuen Warnungen von sich gaben, schlüpfte sie an die Seite des Babybetts und sah lächelnd auf den schlafenden Säugling hinab. In ein paar Minuten wären sie frei. Allein und in Sicherheit.

»Schlaf, Kindlein, schlaf …«

Sie hob das Baby an ihre Brust, hielt es geborgen in ihrem Arm, genoss das Gefühl des zarten kleinen Köpfchens an ihrem Körper. Die Haut des Kindes roch nach süßem Schaumbad, wie ein exquisites Parfüm.

»Dein Vater hüt’ die Schaf’.« Die tiefe, raue Stimme erklang von der Tür, wo ein attraktiver Mann im Schatten an den Türrahmen gelehnt stand und sie aus glänzenden schwarzen Augen beobachtete.

Als sie zu ihm herumwirbelte, verzog er den Mund zu einem trägen, gefährlichen Lächeln. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als ihr voller Entsetzen klar wurde, dass er das Seufzen der siebten Stufe entdeckt hatte.

»Die Sternlein sind die Lämmerlein …«, sang sie heiser weiter, als ob nichts passiert wäre. Schließlich gehörte sie hierher, zu dem Baby. Nichts und niemand konnte ihr das nehmen.

»Da liegst du falsch, Schätzchen.« Er lächelte bösartig, betastete die Waffe an seiner Hüfte und schüttelte den Kopf. »Das Lämmchen bist du.«