Das Schlafzimmer lag im dritten Stock des Hotels Genevieve am Cap Ferrat, mit einem schönen Ausblick über den Garten und die Terrassen. Die Sonne stand schon hoch am strahlend blauen Himmel. Es war eine hervorragende Woche gewesen: perfektes Essen, erstklassige Weine und die übliche angenehme Gesellschaft der Côte d’Azur. Trotzdem war Sir Magnus Pye schlechter Laune, als er seinen Koffer zu Ende packte. Der Brief, der vor drei Tagen eingetroffen war, hatte ihm die Ferien so richtig verdorben. Er wünschte, der verdammte Pfarrer hätte ihn nie geschickt. Das war doch typisch! Immer musste die Kirche sich einmischen, um allen den Spaß zu verderben.

Seine Frau lehnte träge am Balkongeländer und beobachtete ihn, während sie ihre Zigarette rauchte. »Wir werden den Zug verpassen«, sagte sie.

»Der Zug fährt erst in drei Stunden. Wir haben genug Zeit.«

Frances Pye drückte ihre Zigarette aus und kam ins Zimmer zurück. Sie war eine dunkelhaarige, gebieterische Gestalt, ein wenig größer als ihr Gemahl und wesentlich imposanter. Er war klein und rund und rosig und versuchte sich an einem schwarzen Bart, der offensichtlich zögerte, sein Gesicht zu bedecken. Mit seinen dreiundfünfzig Jahren trug Sir Magnus gern dreiteilige Anzüge, die sein Alter und seinen Status betonten. Sie waren maßgeschneidert und teuer. Die beiden waren ein ungleiches Paar: der Landedelmann und die Schauspielerin, könnte man sagen. Sancho Pansa und Dulcinea del Toboso. Obwohl er den Titel trug, stand dieser seiner Frau sehr viel besser. »Du hättest gleich abreisen sollen«, sagte sie.

»Absolut nicht«, grunzte Sir Magnus und versuchte, den Deckel des Koffers herunterzudrücken. »Sie war schließlich bloß unsere Haushälterin.«

»Sie hat bei uns gewohnt.«

»Sie hat im Pförtnerhaus gewohnt. Das ist was anderes.«

»Die Polizei wird vielleicht mit dir reden wollen.«

»Die Polizei kann mit mir reden, wenn ich wieder da bin. Nicht, dass ich denen was zu erzählen hätte. Der Pfarrer schreibt, sie wäre über das Kabel vom Staubsauger gestolpert. Eine verdammte Schande, aber doch nicht mein Fehler. Sie werden ja wohl kaum annehmen, dass ich sie umgebracht habe oder dergleichen.«

»Zutrauen würd’ ich’s dir, Magnus.«

»Na ja. Ich hätt’s ja wohl schwerlich tun können. Ich war die ganze Zeit hier bei dir.«

Frances Pye sah zu, wie ihr Mann mit dem Koffer kämpfte, aber Hilfe bot sie ihm keine an. »Ich dachte eigentlich, dass du sie gernhast«, sagte sie.

»Sie war eine gute Köchin, und sie hat immer ordentlich saubergemacht. Aber wenn du die Wahrheit wissen willst: Ich hab’ sie nicht ausstehen können. Weder sie noch ihren Sohn. Ich fand immer, dass sie irgendwie schwierig war – die ganze Art, wie sie immer herumhuschte. Und wie sie geschaut hat! Dieser Blick, als ob sie was wüsste, wovon du nichts ahnst!«

»Trotzdem hättest du zur Beerdigung gehen sollen.«

»Warum?«

»Weil das ganze Dorf sehen wird, dass du nicht da bist. Das wird man dir übelnehmen.«

»Die mögen mich doch ohnehin nicht. Und sie werden mich noch weniger mögen, wenn sie hören, was ich mit Dingle Dell vorhabe. Aber was schert’s mich? Ich hab’ mich noch nie bemüht, einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen. Das ist das Problem, wenn man irgendwo auf dem Land lebt. Die Leute ratschen und tratschen den ganzen Tag. Na, mir egal. Sollen sie doch von mir denken, was sie wollen. Von mir aus können sie alle zur Hölle gehen.« Sir Magnus drückte die Kofferschlösser zu und ließ sich etwas zurücksinken. Er keuchte leicht von der Anstrengung.

Frances musterte ihn interessiert und für einen Moment lag so etwas wie Abscheu oder Verachtung in ihrem Blick. Liebe gab es keine mehr in ihrer Ehe. Das wussten sie beide. Sie blieben zusammen, weil es bequem war. Selbst in der mediterranen Hitze der Côte d’Azur herrschte eine frostige Atmosphäre im Zimmer.

»Ich werde einen Gepäckträger rufen lassen«, sagte sie. »Das Taxi ist sicher schon da.« Als sie zum Telefon ging, sah sie eine Postkarte auf dem Tisch liegen. Sie war an Frederick Pye adressiert, an eine Adresse in Hastings.

»Herrje«, schimpfte sie. »Du hast ja nicht mal die Karte an Freddy abgeschickt. Du hast versprochen, sie auf den Weg zu bringen, und jetzt liegt sie hier seit einer Woche herum.« Sie seufzte. »Wahrscheinlich ist er längst wieder zu Hause, ehe sie ankommt.«

»Na wenn schon. Ist nicht das Ende der Welt. Die Familie, bei der er ist, kann sie ihm ja nachschicken. Und irgendwas Wichtiges steht auch nicht drauf.«

»Auf Postkarten steht nie was Wichtiges. Darum geht es doch gar nicht.«

Frances Pye nahm den Hörer ab und rief beim Empfang an. Während sie mit dem Portier sprach, fiel ihrem Mann etwas ein. Es war die Geschichte mit der Postkarte. Irgendwas daran löste eine Erinnerung bei ihm aus. Was war es bloß? Es hatte mit dem Begräbnis zu tun, das er heute verpasste. Ach ja! Wie eigenartig. Magnus Pye beschloss, dass er die Sache nicht noch einmal vergessen durfte. Er musste etwas erledigen, und zwar gleich wenn er wieder zu Hause war.