Johnny Whitehead saß auf einem imitierten Captains Chair mit geschwungener Rückenlehne und drehbarem Sitz. Auch er dachte über den Mord nach. Eigentlich hatte er den ganzen Vormittag an nichts anderes gedacht. Er polterte herum wie ein Elefant in seinem eigenen Porzellanladen, räumte sinnlos Dinge um und rauchte wie ein Wilder. Als er eine hübsche, wenn auch angeschlagene Seifenschale aus Meißener Porzellan zerschlagen hatte, die eigentlich für neun Shilling Sixpence hätte verkauft werden sollen, verlor seine Frau die Geduld.
»Was ist denn los mit dir?«, fragte sie. »Du führst dich auf wie ein Brummbär mit Kopfschmerzen. Das ist schon deine vierte Zigarette. Warum gehst du nicht mal raus und schnappst frische Luft?«
»Ich will nicht rausgehen«, knurrte Johnny.
»Was ist denn los?«
Johnny drückte seine Zigarette in einem Royal-Doulton-Aschenbecher aus, der die Form einer Kuh hatte und sechs Shilling kosten sollte. »Was glaubst du denn?«, fauchte er.
»Ich weiß es nicht, deshalb frage ich ja.«
»Sir Magnus Pye! Das ist los.« Er starrte auf den Zigarettenstummel, der immer noch qualmte. »Warum musste irgend so ein Idiot ihn ermorden? Jetzt haben wir die Polizei im Dorf, die überall an die Tür klopft und Fragen stellt. Die sind bestimmt bald hier.«
»Was macht das schon? Die können uns doch fragen, was sie wollen.« Es gab eine winzige Pause, gerade lang genug, dass man sie merkte. »Das können sie doch, oder?«
»Natürlich können sie das.«
Gemma musterte ihn mit einem scharfen Blick. »Du hast doch nichts angestellt, Johnny?«
»Was redest du da?« Seine Stimme klang gekränkt. »Wieso fragst du mich so was? Natürlich habe ich nichts angestellt. Was sollte ich in diesem Kaff hier draußen denn anstellen?«
Es war der alte Streit zwischen ihnen: Stadt gegen Land, Saxby gegen praktisch jeden anderen Ort auf der Welt. Aber jetzt musste John Whitehead plötzlich an etwas anderes denken: Hatte ihn nicht Mary Blakiston erst vor wenigen Wochen hier im Laden zur Rede gestellt? Hatte sie ihn nicht wissen lassen, was sie alles über ihn wusste? Sie war sehr plötzlich gestorben, genau wie Sir Magnus, und beide innerhalb von zwei Wochen. Das war kein Zufall, jedenfalls würde die Polizei das nicht annehmen. Johnny wusste, wie die Polizei arbeitete. Sie würden Unterlagen heraussuchen und eine Akte erstellen, sie würden sich jeden ansehen, der in der Nachbarschaft lebte. Es würde nicht lange dauern, bis sie hinter ihm her sein würden.
Gemma setzte sich neben ihn und legte ihm die Hand auf den Arm. Obwohl sie so viel zierlicher und zerbrechlicher war, wussten sie beide, dass Gemma diejenige mit der inneren Kraft war. Sie hatte zu ihm gestanden, als sie in London Probleme hatten. Sie hatte ihm jede Woche lange Briefe voller Fröhlichkeit und Optimismus geschrieben, als er »auf Kur« war. Und als er schließlich wieder nach Hause gekommen war, hatte sie die Entscheidung getroffen, nach Saxby-on-Avon zu ziehen. Sie hatte die Idee mit dem Antiquitätenladen gehabt, weil sie wusste, dass er sich damit eine solide, ehrbare Existenz aufbauen konnte, ohne auf das Know-how seines alten Lebens gänzlich verzichten zu müssen.
London zu verlassen, war nicht einfach gewesen, vor allem nicht für einen Jungen, der sein ganzes Leben in Hörweite der Bow Bells zugebracht hatte. Aber Johnny hatte begriffen, dass es gut für ihn war, und sich zögernd dazu entschlossen. Aber sie wusste, dass es ihn klein gemacht hatte. Der laute, fröhliche, vertrauensselige, aber auch polternde und jähzornige Johnny Whitehead würde in einer Gemeinde, wo jeder jeden ständig beobachtete und Missbilligung tödlich sein konnte, nie ganz zu Hause sein. War es falsch gewesen, ihn hierher zu schleppen? Sie erlaubte ihm gelegentliche Ausflüge nach London, aber es machte sie immer nervös, wenn er unterwegs war. Sie fragte ihn nicht, was er dort vorhatte, und er erzählte es auch nicht. Aber diesmal war es anders. Er war erst vor ein paar Tagen dort gewesen. Konnte dieser Besuch etwas mit dem zu tun haben, was hier in Saxby passiert war?
»Was hast du in London gemacht?«, fragte sie.
»Warum willst du das wissen?«
»Nur so.«
»Ich hab’ ein paar von den Kumpels getroffen – Derek und Colin. Wir haben mittaggegessen und ein paar Bierchen getrunken. Du hättest auch mitkommen sollen.«
»Das wäre dir doch gar nicht recht gewesen.«
»Sie haben sich nach dir erkundigt. Ich bin an unserem alten Haus vorbeigekommen. Das sind jetzt alles Wohnungen. Ich hab’ an die alten Zeiten gedacht. Wir haben doch viel Spaß da gehabt.« Johnny tätschelte Gemmas Hand, und dabei fiel ihm auf, wie dünn sie geworden war. Je älter sie wurde, desto weniger schien von ihr da zu sein.
»Ich hab’ genug von London für dieses Leben, Johnny.« Sie zog ihre Hand weg. »Und was Derek und Colin angeht – das sind nie deine Freunde gewesen. Die haben nicht zu dir gestanden, als alles schiefging. Das blieb mir überlassen.«
Whitehead verzog das Gesicht. »Du hast Recht«, sagte er. »Ich geh mal ein bisschen raus. Nur eine halbe Stunde. Das weht die Spinnweben weg.«
»Ich komm mit, wenn du magst.«
»Nein. Du musst auf den Laden aufpassen.« Seit sie am Morgen aufgemacht hatten, war noch kein einziger Kunde da gewesen. Das war eins der Probleme mit Mordfällen: Sie schreckten die Touristen ab.
Gemma sah ihrem Mann hinterher, während die Glocke über der Tür klimperte. Sie hatte gedacht, es würde alles gut werden, wenn sie ihr früheres Leben zurückließen. Auch wenn Johnny geknurrt hatte – es war die richtige Entscheidung gewesen. Aber die beiden kurz aufeinanderfolgenden Morde hatten das alles geändert. Es war, als hätten die alten Schatten die Hand ausgestreckt und sie gefunden. Mary Blakiston war hier gewesen. Nach langer, langer Zeit war die Haushälterin zum ersten Mal hier im Laden gewesen, und Johnny hatte es abgestritten. Er hatte gelogen. Er hatte behauptet, sie hätte nach einem Geschenk gesucht, aber Gemma wusste, dass das nicht stimmte. Wenn Mary Blakiston ein Geschenk gewollt hätte, wäre sie nach Bath gefahren und hätte bei Woolworth oder Boots gesucht. Und ein paar Tage später war sie gestorben. Hatten die beiden Ereignisse miteinander zu tun? Gab es womöglich auch eine Verbindung zum Tod von Sir Magnus Pye?
Gemma war nach Saxby-on-Avon gekommen, weil sie dachte, dass es hier sicher wäre. Jetzt, als sie in dem schmuddeligen Laden zwischen Hunderten von überflüssigen Sachen saß, Kinkerlitzchen und Schnickschnack, den offenbar niemand mehr wollte und für den sich zumindest heute kein Mensch interessiert hatte, wünschte Gemma sich dringend, sie und Johnny könnten irgendwo anders sein.