In den Queen’s Arms trug in diesem Augenblick James Fraser ein Tablett mit fünf Drinks in einen stillen Winkel der Gaststube. Es waren drei große Bier für Robert Blakiston, für Inspektor Chubb und ihn selbst, ein Dubonnet mit Bitter Lemon für Joy Sanderling und ein kleiner Sherry für Atticus Pünd. Er hätte gern noch ein paar Tüten Kartoffelchips hinzugefügt, aber irgendetwas sagte ihm, dass das unpassend wäre. Er setzte sich und warf einen Blick auf den Mann, der sie hier zusammengeführt hatte. Robert Blakiston, der seine Mutter und seinen Mentor innerhalb von zwei Wochen verloren hatte, war direkt von der Arbeit gekommen. Er hatte den Overall aus- und ein Jackett angezogen, aber seine Hände waren immer noch ölverschmiert. Fraser fragte sich, ob er das je würde wegwaschen können.

Robert war ein merkwürdiger junger Mann, nicht unattraktiv, aber doch wie eine grobe Skizze seiner selbst mit dem schlecht geschnittenen Haar, den stark ausgeprägten Backenknochen und der blassen Haut. Er saß neben Joy, wahrscheinlich hielt er unter dem Tisch ihre Hand. Seine Augen wirkten gehetzt. Es war offensichtlich, dass er lieber überall sonst gewesen wäre als hier.

»Mach dir keine Sorgen, Rob«, sagte Joy gerade. »Mr Pünd will uns nur helfen.«

»So, wie er dir in London geholfen hat?« Robert wollte nichts davon hören. »Das Dorf lässt uns nicht in Ruhe. Erst haben die Leute gesagt, ich hätte meine eigene Mutter ermordet, der ich nie ein Haar gekrümmt hätte, und jetzt fangen sie an, über Sir Magnus zu flüstern.« Er wandte sich an Atticus. »Sind Sie deswegen da, Mr Pound? Weil Sie mich im Verdacht haben?«

»Hatten Sie Grund, Sir Magnus ein Unglück zu wünschen?«, fragte Pünd.

»Nein. Er war kein einfacher Mann, das gebe ich zu. Aber er war immer gut zu mir. Ohne ihn hätte ich jetzt keinen Job.«

»Ich muss Sie einige Dinge über Ihr Leben fragen«, sagte Pünd. »Das hat nichts damit zu tun, dass Sie irgendwie verdächtiger wären als irgendein anderer im Dorf. Aber sowohl Ihre Mutter als auch Sir Magnus sind in Pye Hall umgekommen, und man kann sagen, dass Ihr Leben eng mit Pye Hall verbunden ist.«

»Das habe ich mir nicht ausgesucht.«

»Natürlich nicht. Aber Sie können uns vielleicht ein paar wichtige Dinge über die Leute sagen, die da gelebt haben.«

Die sichtbare Hand Roberts schloss sich um sein Bierglas. Er sah Pünd trotzig an. »Sie sind kein Polizist«, sagte er. »Warum sollte ich Ihnen überhaupt etwas sagen?«

»Ich bin Polizist«, unterbrach Chubb. Er hatte sich gerade eine Zigarette anstecken wollen, und als er jetzt innehielt, war das Streichholz nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. »Und Mr Pünd arbeitet mit mir zusammen. Sie sollten an Ihre Manieren denken, junger Mann. Wenn Sie nicht kooperieren, können wir Sie auch mal eine Nacht in unsere Arrestzelle einladen. Vielleicht verbessert das Ihr Benehmen. Soviel ich weiß, wäre es ja nicht Ihr erster Aufenthalt hinter Gittern.« Er entzündete die Zigarette und blies dann das Streichholz aus.

Joy legte ihrem Verlobten die Hand auf den Arm. »Bitte, Robert …«

Er schüttelte sie ab. »Ich habe nichts zu verbergen. Sie können fragen, was Sie wollen.«

»Dann lassen Sie uns beim Anfang anfangen«, schlug Pünd vor. »Wenn es Ihnen nicht zu viel ausmacht, könnten Sie uns vielleicht beschreiben, wie Ihre Kindheit in Pye Hall gewesen ist.«

»Es macht mir nichts aus, auch wenn ich da nie sehr glücklich gewesen bin«, erwiderte Robert. »Es ist nicht sehr schön, wenn die eigene Mutter sich mehr für ihren Arbeitgeber interessiert als für den eigenen Vater. Aber so ist es gewesen, praktisch vom ersten Tag an, als wir ins Pförtnerhaus einzogen. Sir Magnus hier, Sir Magnus da! Sie war ganz besessen von ihm, dabei war sie nie mehr als seine Putzfrau. Mein Vater war nicht sehr glücklich darüber. Es fiel ihm nicht leicht, im Haus und auf dem Grund und Boden eines anderen Mannes zu wohnen. Aber eine Zeitlang haben sie durchgehalten. Mein Vater hatte vor dem Krieg nicht viele Aufträge. Es war eine Wohnung, und wir konnten das Geld, das meine Mutter verdiente, gut brauchen. Mein Vater musste es sich gefallen lassen. Ich war elf Jahre alt, als wir da eingezogen sind. Vorher hatten wir in der Sheppard’s Farm gewohnt, das war der Bauernhof meines Großvaters. Er war ziemlich runtergekommen, aber wir konnten für uns sein, und das gefiel uns. Tom und ich waren in Saxby geboren und hatten immer nur hier gewohnt. Für mich gab es nichts anderes auf der Welt. Sir Magnus brauchte jemanden, als die frühere Haushälterin zu alt wurde, und da meine Mutter ohnehin schon verschiedene Putzstellen im Dorf hatte, lag es wohl nahe, dass sie den Job kriegte.

Das erste Jahr war ganz okay. Das Pförtnerhaus war gar nicht übel. Jedenfalls hatten wir mehr Platz als auf Sheppard’s Farm. Jeder hatte sein eigenes Zimmer, das war schön. Mum und Dad schliefen am Ende vom Flur. Ich hab’ sogar in der Schule ein bisschen angegeben mit unserer tollen Adresse, auch wenn die anderen Kinder mich damit aufzogen.«

»Wie gut haben Sie sich mit Ihrem Bruder verstanden?«

»Wir hatten manchmal Streit, so wie alle Jungen. Aber wir standen uns nahe. Wir haben uns über das ganze Grundstück gejagt. Wir waren Piraten, Schatzjäger, Soldaten oder Spione. Die meisten Spiele hat Tom erfunden. Er war jünger als ich, aber viel schlauer. Er hat mir nachts Klopfsignale geschickt, dafür hatte er sich einen Geheimcode ausgedacht. Ich habe meist nichts verstanden, aber ich hab’ gehört, wie er nachts an die Wand klopfte, wenn wir eigentlich schlafen sollten.« Er lächelte bei der Erinnerung, und für einen Augenblick wich die Anspannung aus seinem Gesicht.

»Hatten Sie nicht auch einen Hund? Bella?«

Sofort verkrampfte sich Roberts Gesicht wieder. Fraser erinnerte sich an das Halsband, das in der Schublade gelegen hatte. War das irgendwie von Belang?

»Bella hat Tom gehört«, sagte Robert. »Mein Vater hat sie für ihn gekauft, als wir noch auf Sheppard’s Farm wohnten.« Er warf Joy einen Blick zu und wusste offenbar nicht, ob er fortfahren sollte. »Aber als wir umgezogen sind … hat es kein gutes Ende genommen.«

»Was ist denn passiert?«

»Wir haben es nie richtig rausgekriegt. Ich sage nur: Sir Magnus wollte den Hund nicht auf seinem Grundstück. Das war klar. Er hat behauptet, Bella würde die Schafe erschrecken. Er hat gesagt, wir sollten sie abschaffen. Aber Tom liebte seinen Hund nun mal sehr. Deshalb hat Daddy nein gesagt. Eines Tages war der Hund dann verschwunden. Wir haben überall gesucht, aber Bella war einfach verschwunden. Und dann, ungefähr zwei Wochen später, haben wir sie gefunden. In Dingle Dell.« Er zögerte und sah nach unten. »Es hatte ihr jemand den Hals durchgeschnitten. Tom hat immer gesagt, dass es Brent war. Aber wenn er’s getan hat, dann nur, weil Sir Magnus das wollte.«

Es entstand eine lange Pause. Als Pünd seine nächste Frage stellte, war seine Stimme sehr leise. »Ich muss Sie jetzt noch nach einem anderen Todesfall fragen«, sagte er. »Ich weiß, dass es schmerzlich für Sie ist. Aber Sie verstehen sicher …«

»Sie reden von Tom.«

»Ja.«

Robert nickte. »Als der Krieg anfing, ist mein Vater nach Boscombe Down geschickt worden. Er hat da an den Flugzeugen gearbeitet und blieb meist die ganze Woche da. Wir haben ihn nur noch ab und zu gesehen. Vielleicht wäre es nicht passiert, wenn er mehr da gewesen wäre und auf uns aufgepasst hätte. Das hat jedenfalls meine Mutter immer gesagt. Sie hat ihm die Schuld gegeben, weil er nicht da war.«

»Was genau ist denn passiert? Können Sie mir das sagen?«

»Ich werd’ es nie vergessen, Mr Pound. Solange ich lebe, werd’ ich das nicht vergessen. Damals dachte ich, es wär’ meine Schuld. Das haben die Leute alle gesagt, und vielleicht hat mein Vater das auch gedacht. Er hat nie darüber geredet mit mir. Er hat danach überhaupt kaum noch mit mir geredet, und jetzt hab’ ich ihn schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Vielleicht hat er ja Recht. Tom war zwei Jahre jünger als ich, und ich sollte wohl auf ihn aufpassen. Aber ich hab’ ihn allein gelassen, und das Nächste, was ich mitgekriegt habe, war, wie sie ihn aus dem See gezogen haben. Da war er schon tot. Im Wasser ertrunken. Er war doch erst elf Jahre alt.«

»Es war nicht deine Schuld, Robert«, sagte Joy. Sie legte ihren Arm um seine Schultern und hielt ihn fest. »Es war ein Unfall, du warst ja nicht mal in der Nähe.«

»Ich hab’ ihn in den Park gelassen. Ich hab’ ihn allein gelassen.« Er starrte Pünd an, und seine Augen waren plötzlich mit hellen Tränen gefüllt. »Es war mitten im Sommer. Ein heißer Tag, so wie heute. Wir waren auf Schatzsuche. Wir suchten immer nach Silber und Gold. Wir hatten ja davon gehört, wie Sir Magnus diesen Römerschatz im Dingle Dell gefunden hatte. Ein vergrabener Schatz! Jeder Junge träumt von so was. Wir hatten Geschichten gelesen im Magnet und im Hotspur und wollten, dass so was wirklich passiert. Sir Magnus hat uns dabei sogar ermutigt. Er hat uns immer irgendwelche Aufgaben gestellt. Vielleicht hat er ja auch Schuld. Ich weiß nicht. Irgendwie geht’s immer um Schuld. Es passiert was, und dann fangen die Leute an und suchen nach Schuldigen.

Tom ist im See ertrunken. Bis heute wissen wir nicht, wie es passiert ist. Er war komplett angezogen. Er ist nicht etwa schwimmen gewesen. Vielleicht ist er ins Wasser gefallen. Vielleicht hat er sich den Kopf gestoßen. Brent hat ihn gefunden und herausgezogen. Ich hab’ ihn schreien hören und bin über den Rasen gerannt. Ich hab’ geholfen und ihn wiederzubeleben versucht, wie wir es in der Schule gelernt haben. Aber es hat nichts genutzt. Bis meine Mutter heruntergekommen ist und uns da gefunden hat, war alles zu spät.«

»Neville Brent hat damals schon da gearbeitet?«, fragte Chubb. »Ich dachte, sein Vater wäre der Gärtner gewesen.«

»Ja, aber der war nicht mehr Jüngste. Neville hat seinem Vater geholfen. Später hat er dann den Job übernommen, als der Alte gestorben ist.«

»Es muss ein schrecklicher Schock für Sie gewesen sein, als Sie Ihren Bruder in diesem Zustand gesehen haben«, stellte Pünd fest.

»Ich hab’ geschrien. Ich hab’ mich ins Wasser geworfen. Ich hab’ ihn gepackt und gezogen. Ich habe geheult, und ich kann heute noch nicht an der verdammten Stelle vorbeigehen, wo es passiert ist. Ich wollte nicht mehr im Pförtnerhaus bleiben, und wenn es nach mir ginge, wäre ich längst weg aus Saxby-on-Avon, und nach allem, was hier passiert ist, bin ich vielleicht auch bald weg. Auf jeden Fall ist mein Vater an diesem Abend zurückgekommen. Er hat meine Mutter angeschrien, und mich. Er hat uns kein bisschen zu helfen versucht. Alles, was wir gekriegt haben, war seine Wut. Ein Jahr später hat er uns verlassen. Er hat gesagt, es wäre Schluss mit der Ehe. Wir haben ihn nicht wiedergesehen.«

»Wie hat denn Ihre Mutter reagiert?«

»Sie hat weiter für Sir Magnus gearbeitet. Das war das Wichtigste. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, ihn zu verlassen, egal was. Sie hat ihn so unglaublich verehrt. Jeden Tag ist sie auf dem Weg zur Arbeit an diesem See vorbeigekommen. Sie hat mir gesagt, sie hätte nie hingeschaut, sie hätte den Kopf zur anderen Seite gedreht. Trotzdem weiß ich nicht, wie sie das fertiggebracht hat.«

»Aber sie hat sich weiter um Sie gekümmert?«

»Sie hat es versucht, Mr Pound. Das muss ich ihr zugestehen, obwohl ich’s ihr nie gedankt habe. Nachdem Tom gestorben war, ist alles kaputtgegangen. In der Schule hab’ ich versagt. Die anderen Kinder waren so verdammt grausam. Und dann hatte sie ständig Angst um mich. Sie ließ mich gar nicht mehr aus dem Haus. Manchmal fühlte ich mich wie ein Gefangener. Sie hat mich ständig beobachtet. Sie hatte wohl Panik, mir könnte auch was passieren, und dann wäre sie ganz allein. Ich glaube, das war auch der Grund, weshalb sie nicht wollte, dass ich Joy heirate. Weil ich sie dann verlassen würde. Sie hat mich erstickt, und das hat unsere Beziehung vergiftet. Ich kann’s ja zugeben. Am Ende hab’ ich sie gehasst.«

Er hob sein Bier und nahm zwei schnelle Schlucke kurz nacheinander.

»Du hast sie nicht gehasst«, sagte Joy ruhig. »Es hat nicht gestimmt zwischen euch, das war alles. Ihr habt beide im Schatten dieses Unfalls gelebt, und ihr habt nicht gemerkt, dass es euch krank gemacht hat.«

»Kurz bevor sie gestorben ist, haben Sie eine Drohung gegen sie ausgestoßen«, sagte Inspektor Chubb. Er hatte sein Bier bereits ausgetrunken.

»Das habe ich nicht, Sir. Das habe ich nie getan.«

»Dazu kommen wir später«, sagte Pünd. »Letztendlich haben Sie Pye Hall verlassen. Erzählen Sie uns doch mal etwas von Ihrer Zeit in Bristol.«

»Da war ich nicht lange.« Robert klang jetzt verärgert und mürrisch. »Sir Magnus hat das für mich arrangiert. Nachdem mein Vater weg war, hat er sich um mich gekümmert. Er war kein schlechter Mensch – er hatte auch seine guten Seiten. Er hat mir eine Lehrstelle bei Ford besorgt, aber es hat nicht geklappt. Ich hab’ es vermasselt. Ich hab’ mich einsam gefühlt in dieser großen Stadt. Ich bin zu oft saufen gegangen. Und dann gab es diese Schlägerei im Blue Boar. Wegen nichts und wieder nichts.« Er warf Chubb einen Blick zu. »Aber Sie haben natürlich Recht, Sir. Ich habe eine Nacht im Arrest verbracht. Und es hätte noch schlimmer werden können, wenn Sir Magnus sich nicht für mich eingesetzt hätte. Er hat mit der Polizei gesprochen, und die haben mich laufen lassen, mit einer Verwarnung. Aber das hat mir gereicht. Ich bin nach Saxby zurückgekommen, und er hat mir den Job in der Werkstatt verschafft. Ich hab’ immer schon gern an Autos herumgeschraubt. Ich nehme an, das hab’ ich von meinem Vater. Ist das Einzige, was ich ihm verdanke.«

»Was hat denn zu dem Streit zwischen Ihnen und Ihrer Mutter geführt, in der Woche bevor sie gestorben ist?«, fragte Pünd jetzt.

»Das war überhaupt nichts«, sagte Robert. »Sie wollte, dass ich eine Glühbirne ersetze. Das war alles. Glauben Sie wirklich, dass ich sie deswegen umbringen würde, Mr Pound? Ich schwöre Ihnen, ich war nicht mal in ihrer Nähe. Ich hätte es gar nicht gekonnt. Joy hat es Ihnen doch allen gesagt. Ich war an dem Abend und die ganze Nacht mit ihr zusammen. Wir haben meine Wohnung zusammen verlassen, und wenn ich lüge, dann lügt sie auch. Warum sollte sie das tun?«

»Entschuldigen Sie«, sagte Pünd und wandte sich an Joy Sanderling, die offenbar schon ahnte, was jetzt kommen würde. »Aber das ist noch kein ganz schlüssiger Beweis. Als Sie mich in London besucht haben, Miss Sanderling, haben Sie gesagt, Sie wären zusammen gewesen. Aber heißt das auch, dass Sie sich ständig im Auge gehabt haben? Haben Sie nicht vielleicht mal gebadet oder geduscht? Haben Sie nicht vielleicht Frühstück gemacht?«

Joy errötete heftig. »Ja, das hab’ ich getan, Mr Pünd. Vielleicht gab es zehn oder fünfzehn Minuten, in denen ich Robert nicht direkt gesehen habe.«

»Und Ihr Motorroller stand direkt unten im Hof, Miss Sanderling. Zu Fuß war es zu weit nach Pye Hall, aber mit dem Roller hätte Robert nur zwei, drei Minuten gebraucht. Das haben Sie selbst gesagt. Es wäre also durchaus möglich gewesen, dass Robert nach Pye Hall gefahren wäre, seine Mutter umgebracht hätte, die Ihrer Ehe im Weg stand, und wieder zurückgekommen wäre, während Sie noch in der Badewanne lagen …« Pünd ließ den Satz in der Luft hängen.

»Und wie sieht es mit dem Tod von Sir Magnus aus?«, fragte Pünd und wandte sich wieder Robert zu. »Können Sie mir sagen, wo Sie am Abend seines Todes um halb neun gewesen sind, Mr Blakiston?«

Robert sank hilflos in sich zusammen. »Wo soll ich gewesen sein? Ich war zu Hause und hab’ was gegessen. Wo hätte ich sonst sein sollen? Aber wieso denken Sie, dass ich Sir Magnus etwas getan haben könnte? Er hat mir doch immer nur Gutes erwiesen.«

»Ihre Mutter ist in Pye Hall gestorben, und er ist nicht mal zur Beerdigung gekommen.«

»Wie können Sie bloß so grausam und ungerecht sein?«, rief Joy. »Sie spinnen hier Fantasiegeschichten aus dünner Luft, bloß weil Sie Robert was anhängen wollen. Er hatte überhaupt keinen Grund, seine Mutter oder Sir Magnus zu töten. Und was den Motorroller angeht – das hätte ich gehört, wenn der weggefahren wäre. Ich hab’ aber nichts gehört, als ich in der Wanne lag.«

»Sind Sie fertig?«, fragte Robert. Er stand auf und ließ das restliche Bier einfach stehen.

»Ich habe keine weiteren Fragen«, sagte Pünd.

»Dann gehe ich jetzt nach Hause, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Ich geh’ mit dir«, sagte Joy hastig.

Chubb warf Pünd einen Blick zu, als ob er ganz sicher sein wollte, dass es keine weiteren Fragen gab. Pünd nickte leicht, und die beiden jungen Leute verließen die Gaststube.

»Glauben Sie wirklich, dass er seine Mutter umgebracht haben könnte?«, fragte Fraser, sobald sie gegangen waren.

»Ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, James. Die Art, wie er über seine Mutter geredet hat …, er war ärgerlich, und vielleicht hatte er sogar immer noch etwas Angst. Aber Hass war da nicht. Außerdem glaube ich nicht, dass er mit dem Motorroller durchs Dorf gefahren wäre. Haben Sie die Farbe gesehen? Ein hellrosa Motorroller. Das wäre schon sehr auffällig, wenn er sich den geliehen hätte, um einen Mord zu begehen. Hatte er ein Motiv, um Sir Magnus zu töten? Möglich ist das natürlich immer, aber im Augenblick sieht es nicht so aus.«

»Dann haben wir also unsere Zeit verschwendet«, sagte Chubb. Er warf einen Blick auf sein leeres Glas. »Trotzdem kriegt man ein anständiges Bier in den Queen’s Arms. Und ich habe noch etwas für Sie, Herr Pünd.« Er griff in seine Aktentasche und zog das Tagebuch von Mary Blakiston heraus. »Das haben wir im Pförtnerhaus gefunden. In der Küche, zwischen den Kochbüchern. Da stehen Sachen drin über die Leute im Dorf! Sie hat die schmutzige Wäsche nur so gesammelt.«

»Glauben Sie, Mrs Blakiston hat diese Dinge benutzt, um die Leute im Dorf zu erpressen?«, fragte Fraser aufgeregt. »Das wäre ja ein Mordsmotiv, um sie die Treppe runterzuschubsen.«

»Da haben Sie Recht«, sagte Chubb. »Manche Einträge sind etwas unbestimmt, sie hat sich sehr vorsichtig ausgedrückt. Aber falls die Leute wussten, was sie alles gesammelt hat, dann hat sie bestimmt eine Menge Feinde gehabt. Genau wie Sir Magnus. Der hat sich auch eine Menge Feinde gemacht mit seinen Plänen für Dingle Dell. Das ist das Problem bei diesem Fall: Zu viele Verdächtige! Die Frage ist nur: War es derselbe Täter? Und ist Mary Blakiston wirklich ermordet worden?« Der Inspektor stand auf. »Bitte geben Sie mir das Buch bei Gelegenheit wieder zurück, Herr Pünd. Ich muss jetzt nach Hause. Mrs Chubb kocht heute ihr berühmtes Fricassée de Poulet à l’Ancienne, Gott helfe mir, wenn ich da zu spät komme!«

Fraser und Pünd blieben allein zurück.

»Sie meinen, dass es zu viele Verdächtige gibt?«

»Wenn er sich fragt, ob Sir Magnus und seine Haushälterin tatsächlich von derselben Person umgebracht worden sind. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Es gibt offensichtlich einen Zusammenhang zwischen den beiden Todesfällen, aber worin er besteht, wissen wir immer noch nicht. Und solange wir das nicht wissen, tappen wir im Dunkeln. Aber vielleicht halten wir die Antwort ja bereits in den Händen.« Er schlug das Buch auf, studierte die erste Seite und lächelte. »Die Handschrift kommt mir jedenfalls sehr bekannt vor.«

»Ach, wieso?«

Aber Pünd gab keine Antwort. Er hatte zu lesen begonnen.