Am Dienstag zur Mittagszeit überquerten Charlotte und die Mädchen den Highway und gingen zu Fuß in den eigentlichen Ort Santa Maria. Zwei Tage lang waren die Mädchen im Auto oder Motelzimmer eingesperrt gewesen. Jetzt hatten sie das Bedürfnis zu rennen, zu springen und sich im Kreis zu drehen, bis ihnen schwindlig wurde. Also taten sie genau das. Charlotte musste dabei an die Illustrationen denken, die die Lehrer ihnen im Unterricht an der Highschool gezeigt hatten (»A wie Atom!«) – freudig erregte Elektronen, die immer rund um den Atomkern flitzten.
»Kinder, bitte etwas langsamer!«, rief sie ihnen hinterher.
Mit dem untrüglichen Instinkt aller Kinder führten Rosemary und Joan Charlotte schnurstracks zu einem Park mit Spielplatz. Die Mädchen nahmen das Klettergerüst in Beschlag, und Charlotte suchte sich eine Bank.
Heute war ihre Stimmung gut. Oder zumindest besser. Letzte Nacht hatte sie durchgeschlafen, der Regen hatte aufgehört, die Sonne schien, und es war ihr gelungen, einen Waffenstillstand zwischen den Kriegsparteien in ihrem Kopf zu schließen. Es herrschte Frieden, zumindest für den Moment. Der Wagen würde erst morgen fertig sein, also musste sie heute nicht über die Vergangenheit nachdenken und auch nicht über die Zukunft. Weiter nach Kalifornien oder zurück nach Oklahoma? Im Moment musste sie keine Entscheidung treffen.
»Komm, mach mit, Mommy!«, rief Rosemary.
»Nein danke, ich bleibe lieber hier«, rief Charlotte zurück.
»Mommy!«, rief auch Joan.
Charlotte hatte seit fast zwanzig Jahren nicht mehr auf einer Spielplatzschaukel gesessen. Die Mädchen ließen jedoch nicht locker, und sie stellte fest, dass es ihr genauso viel Spaß machte wie früher. Der Himmel kam auf einen zugerast, der Boden kippte weg – dieses Gefühl, dass man für den Bruchteil einer Sekunde aus seinem eigenen Körper herausgeschleudert wurde. Die Mädchen lachten vor Freude, sie lachte – nur der Hund fühlte sich ausgeschlossen. Er hatte den Kopf auf eine Vorderpfote gelegt und beobachtete sie entrüstet.
Im Lebensmittelgeschäft kaufte sie genügend Vorräte für ein paar Tage: eine Packung Wonder-Bread-Weißbrot, Käse, Äpfel, mehrere Dosen Wiener Würstchen sowie eine Packung Schokoladenkekse. Sie aßen ihr Picknick aus Käsesandwiches und Äpfeln auf einer Holzbank vor einem Bankgebäude, das noch kleiner war als das in Woodrow. Charlotte beobachtete eine Frau ungefähr in ihrem Alter, die den Bürgersteig entlanghastete. Vielleicht war sie spät dran für die Arbeit, nachdem sie die Mittagspause für Besorgungen genutzt hatte.
Auf dem Rückweg zum Motel kamen sie an einem Schaufenster vorbei, hinter dem sich eingestaubte, wild zusammengewürfelte gebrauchte Elektrogeräte türmten: Toaster, Radios, Staubsauger, Kaffeemaschinen und Elektrogrills. Warteten sie auf die Reparatur, oder waren sie zum Verkauf gedacht? Vermutlich sowohl das eine wie auch das andere, aber es war unmöglich zu sagen, was auf welches Gerät zutraf. Charlotte fiel eine Kamera im untersten Regal auf, eine preiswerte kleine Kodak Brownie Cresta, und sie blieb stehen, um sie sich genauer anzusehen.
Irgendwie hatte der Besitzer des Ladens Charlotte durch das ganze Durcheinander hindurch entdeckt und winkte sie herein. Sie gab Rosemary die Leine mit dem Hund und ging hinein.
»Guten Tag. Die Kamera im Fenster, da ganz unten, ist die zu verkaufen?«, fragte sie.
»Das alte Ding?« Der Ladenbesitzer, ein gebeugtes, kahlköpfiges, verschrumpeltes Männlein mit einem langen grauen Zahn, der spitz aus der Lippe ragte wie ein Reißzahn, erinnerte Charlotte an eine Figur aus einem Kindermärchen. Der Troll unter der Brücke, aber ein freundlicher. »Ich weiß gar nicht, ob sie überhaupt funktioniert, aber sagen Sie mir, wie viel Sie entbehren können, wahrscheinlich bin ich einverstanden.«
Eigentlich konnte Charlotte gar nichts entbehren. »Einen Dollar?« Sie wusste, die Kamera musste mehr wert sein. »Tut mir leid. Ich weiß, es ist nicht gerade viel.«
»Das reicht. Mein heutiges Sonderangebot«, entgegnete der Mann.
Zusätzlich schenkte er ihr noch einen Rollfilm. Für Charlotte war es eine willkommene Erinnerung, dass nicht jeder außerhalb von Woodrow miesepetrig, schmierig oder gemein war. Manche Leute da draußen, wie dieser Herr hier oder ihr Nachbar im Motel, Mr. Wainwright, waren freundlich, zuvorkommend und richtiggehend sympathisch.
Während die Mädchen und der Hund ein Mittagsschläfchen machten, untersuchte Charlotte die Brownie. Es gab jeweils nur eine Einstellung für Verschluss, Blende und Bildschärfe; so etwas konnte man gewinnen, wenn man fünfzehn Campbell’s-Suppenetiketten einsendete. Trotzdem war sie recht gut in Schuss. Charlotte ging vor die Tür und machte einen Schnappschuss vom Innenhof. Das Rund des trockenen Pools, das Rund des wolkenlosen Himmels, der Horizont wie das Scharnier zwischen den beiden Hälften eines leeren Medaillons.
Bemerkenswert, wie sich eine Veränderung der Lichtverhältnisse auf ein Motiv auswirkte. Die weiß getünchten Wände der Bungalows, die im Regen so nüchtern und grau gewirkt hatten, strahlten jetzt in einem tiefen, satten Cremeton. Die ehemals ausgeblichenen roten Dachziegel dominierten jetzt das Bild mit ihrer Leuchtkraft.
Charlotte fand, zum Abendessen könnten sie sich eine Mahlzeit in dem Diner im Ort gönnen. Die Kellnerin führte sie zu einem Tisch in einer Nische am Fenster. Am Tisch daneben saß ihr Nachbar aus dem Motel, Mr. Wainwright.
»Wir müssen aufhören, uns dauernd so über den Weg zu laufen«, scherzte er.
Charlotte musste schmunzeln. Die Mädchen flitzten davon, um sich die Jukebox anzusehen. Gerade lief »Moody River«. Charlotte verzog das Gesicht, als Pat Boone das große, schmalzige Finale knödelte.
Mr. Wainwright hob abwehrend die Hände. »Ich schwöre, ich bin unschuldig. Das Verbrechen war bereits in vollem Gange, als ich eintraf …«
»Kann das jemand bezeugen?«, fragte sie.
»Sie müssen mir glauben. Wenn Sie irgendwo eine Bibel auftreiben, lege ich auch meine Hand drauf.«
Die Kellnerin brachte Charlotte die Speisekarte. Mr. Wainwright hatte bereits gegessen. Er schob den leeren Kuchenteller von sich weg und trank einen Schluck Kaffee.
»Ich habe munkeln hören, Sie sind aus Oklahoma«, bemerkte er.
»Wenn Sie sie lassen, erzählt Rosemary Ihnen ihre ganze Lebensgeschichte«, seufzte Charlotte. »Stimmt nicht, das tut sie auch so.«
»Wie gefällt’s Ihnen in Oklahoma? Ich war noch nie dort.«
»Ich weiß auch nicht, ob sie sich dran erinnern würden, selbst wenn sie mal dort waren.«
»Jetzt, wo ich drüber nachdenke: Ich bin auf dem Weg hierher durchgekommen.«
»Na bitte.«
Die Mädchen kamen wieder an den Tisch. »Mommy, können wir einen Nickel für die Jukebox haben?«, fragte Rosemary.
»Wo sind eure Manieren, Kinder? Sagt Mr. Wainwright guten Tag.«
»Guten Tag, Mr. Wainwright.«
»Guten Tag, Mr. Wainwright.«
»Darf ich?«, fragte er. Er griff in die Tasche und zog einen Nickel hervor. »Habt ihr schon eins ausgesucht? Was werden wir denn hören?«
Charlotte gestattete es mit einem Nicken, und Rosemary nahm die Münze entgegen.
»Danke sehr. Joan sagt den Buchstaben, und ich sage die Nummer. Ich nehme die Nummer Sieben, weil ich sieben Jahre alt bin. Joan ist acht. Wir liegen genau elf Monate auseinander. Jedes Jahr im September sind wir einen ganzen Monat lang gleich alt. Joan nimmt ›J‹, weil ihr Name mit einem ›J‹ anfängt. Machst du doch, Joan, oder?«
»Na gut«, sagte Joan.
»Rosemary und Joan, das sind hübsche Namen. Wisst ihr, der Name meiner Großmutter war Églantine, das heißt ›Rose‹ auf Französisch. Damals in der alten Heimat, in Frankreich, war sie Trapezkünstlerin. Ist ne wahre Geschichte. Eines Abends rutschte sie aus und stürzte ab. Sie fiel zwar ins Netz, wurde aber herausgeschleudert. Eigentlich sollte man doch annehmen, Netze dürften gar nicht so stark federn, oder?«
Die Mädchen hörten wie gebannt zu.
»Wie dem auch sei«, fuhr er fort. »Meine Großmutter wurde aus dem Netz geschleudert und prallte an eine der Stützen des Zirkuszelts. Sie brach sich sämtliche Knochen im Bein. Aber auf diese Weise hat sie meinen Großvater kennengelernt. Er war Arzt und saß gerade im Publikum, um sich die Vorstellung anzusehen. Er kam nach unten in die Manege und flickte ihr Bein wieder zusammen.«
Charlotte lachte. »Ist sie vorher noch aufgestanden und hat die Vorstellung zu Ende gebracht?«
»Sie glauben mir nicht. Kann ich Ihnen nicht verdenken. Meine Großmutter war eine hervorragende Lügnerin. Aber ich weiß ganz sicher, irgendwann in ihrem Leben ist sie Trapezkünstlerin gewesen. Ich habe die Bilder gesehen. Andererseits hatte sie vielleicht auch nur das Kostüm.«
Charlotte bat die Mädchen, sich ihr Lied auszusuchen und sich vor dem Abendessen die Hände zu waschen. J-7 stellte sich als »Will You Love Me Tomorrow?« von den Shirelles heraus. Eine riesige Verbesserung gegenüber Pat Boone.
»Was führt Sie eigentlich nach Los Angeles, Mr. Wainwright?«, fragte Charlotte. »Wenn Sie mir die Frage erlauben.«
»Frank, bitte.«
»Was führt Sie nach Los Angeles, Frank?«
»Ich bin auf dem Weg dorthin, um Versicherungen an den Mann zu bringen. Meine Firma in New York ruht nicht eher, bis sie die ganze Welt erobert hat. Also muss ich losziehen. Aber keine Sorge, ich bin erst morgen in einer Woche wieder im Dienst. Ich werde nicht versuchen, Ihnen irgendetwas anzudrehen.«
»Ist das nicht genau das, was ein guter Vertreter sagen würde?«, frozzelte sie.
»Da Sie’s schon mal erwähnen, lassen Sie mich Ihnen den Unterschied zwischen einer Risikolebensversicherung und einer Kapitallebensversicherung erklären. Wenn Sie nett fragen, gebe ich Ihnen vielleicht sogar einen Rabatt. Manchmal kann ich auch großzügig sein.«
Die Kellnerin zwinkerte Charlotte im Vorbeigehen verschwörerisch zu. Charlotte ignorierte die Geste. Vermutlich würden die allermeisten Frauen Mr. Wainwright für einen guten Fang halten, mit seinen Augen, dem Kinn und dem dunklen, so elegant gescheitelten Haar. Nur war Charlotte in keiner Weise auf der Suche nach einem Mann.
»Demnach sind Sie aus New York?«, fragte sie.
»Ursprünglich aus Maryland. Aber ich bin jetzt seit zwanzig Jahren an der Upper West Side«, entgegnete er.
»Ich kann’s gar nicht erwarten, New York zu sehen. Die Museen, die Theaterstücke.«
»Ich sag’s Ihnen ja nur ungern, aber da sind Sie in die falsche Richtung unterwegs …«
»Na ja, Kalifornien möchte ich auch sehr gern sehen. Aber wie Rosemary Ihnen heute Morgen mitgeteilt hat, fahren wir momentan nirgendwohin.«
»Ich hatte schon vermutet, dass Sie das gestern waren, die der Abschleppwagen hier abgesetzt hat. Ihr Auto hing hinten dran.«
»Ja, stimmt.«
»Was für ein Pech. Wann werden Sie wieder aufbrechen können?«
»Hoffentlich morgen. Heute Nachmittag soll ich in der Werkstatt vorbeikommen.«
»Dann wollen Sie Thanksgiving nicht in Santa Maria, New Mexico, verbringen?«
»Nein, nicht unbedingt.«
»Wissen Sie, was Karma ist?«
»Karma?«, fragte Charlotte.
»So nennen es die Buddhisten im Orient. Ich habe davon gehört, als ich in der Armee war. Die Buddhisten glauben an Gleichgewicht. Das Universum kippt mal in die eine, mal in die andere Richtung, ständig bewegt sich das Gewicht hin und her, aber Karma sorgt dafür, dass sich die Waagschalen wieder ausgleichen. Für jedes Unrecht gibt es ein Recht, das es wieder aufhebt. Können Sie mir folgen?«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Charlotte.
»Ihr Auto bleibt auf dem Weg nach Kalifornien liegen, und Sie sitzen ein paar Tage hier in Santa Maria, New Mexico, fest. Ziemlicher Mist. Aber jetzt schuldet Ihnen das Universum einen Gefallen.«
»Ach ja?« Charlotte zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Obwohl die Vorstellung verlockend war. Karma. Sie stellte sich das flüssige Quecksilber in einem Thermometer vor, das stieg und fiel, immer bestrebt, die goldene Mitte zu finden. »Ich fühle mich geschmeichelt, die Aufmerksamkeit des Universums zu haben. Allerdings frage ich mich, ob es nichts Wichtigeres gibt, um das es sich kümmern muss.«
»Ich gebe nur wieder, was die Buddhisten sagen«, entgegnete er.
»Also glauben Sie gar nicht selbst daran? An Karma?«
Er dachte einen Moment über die Frage nach. Ihr gefiel, dass er sich die Zeit nahm. Die Menschen waren in ihren Ansichten so festgefahren, dass sie antworteten, ohne nachzudenken. Zumindest die meisten in Woodrow, Oklahoma.
»Ich weiß nicht, ob ich daran glaube oder nicht. Ich weiß nur, dass ich’s gern glauben würde.«
Die Mädchen kehrten zurück. Das Essen kam. Während sie aßen, erstellten Rosemary und Joan eine Liste mit den Höhepunkten des heutigen Tages, in der Reihenfolge von eins bis zehn nach Wichtigkeit. Die Mädchen liebten ihre Listen. Mr. Wainwright – Frank – bezahlte seine Rechnung, hinterließ ein großzügiges Trinkgeld für die Kellnerin und stand auf.
»Wir sehen uns nachher im Motel«, verabschiedete er sich.
Als Charlotte die Mädchen am Abend ins Bett brachte, hatte Rosemary etliche Fragen über Trapezkünstlerinnen und Frankreich und Knochenbrüche und ob sich der Arzt in Mr. Wainwrights Großmutter während der Vorstellung verliebt hatte oder erst danach, als er sie wieder zusammenflickte. Joan hingegen blieb schweigsam. Charlotte hatte bereits beim Abendessen an ihrem Gesicht gesehen, dass sich diese Frage zusammenbraute.
»Warum kommt Daddy nicht mit uns nach Kalifornien?«, fragte Joan. »Um Tante Marguerite zu besuchen?«
»Leise«, flüsterte Charlotte. »Schlaf jetzt. Wir reden später drüber.«
»Daddy ist nicht mitgekommen, weil er arbeiten muss, Joan.« Rosemary stützte sich auf einen Ellbogen. Sie äußerte nie vorsichtige Vermutungen, wenn sie etwas auch entschieden verkünden konnte. »Natürlich ist das der Grund.«
»Ach so«, murmelte Joan.
Charlotte sah jedoch, dass sie nicht überzeugt war. Also Vorsicht. Wenn Joan erst einmal Witterung aufgenommen hatte, war sie unermüdlich und gab nicht so schnell auf.
Nachdem die Mädchen eingeschlafen waren, machte Charlotte mit dem Hund die letzte Runde vor dem Schlafengehen. Es war zunehmender Mond, schon voller als ein Halbmond, und der Himmel war klar und wolkenlos. Alles um sie herum wirkte wie mit einer feinen Schicht Silber überzogen.
Mr. Wainwright – Frank – stand an seinem üblichen Platz am Poolzaun und sah ebenfalls hinauf zum Mond. Sie verspürte den leisen, aber nicht ganz unangenehmen Verdacht, er könne schon länger dort gestanden und auf sie gewartet haben. Aber natürlich war das albern.
Sie ging zu ihm hinüber. »Das war wohl unvermeidlich, was?«, begrüßte sie ihn.
»Das Old-Mexico-Motel ist ja nun wirklich nicht groß. Nicht, dass ich mich beschweren würde.«
»Nein?«
»Na, ist doch klar, wir haben nie unser Gespräch über Risikolebensversicherungen zu Ende geführt.«
Sie lächelte. Er flirtete auf eine so nette Art und Weise, seine Herzlichkeit wirkte so echt, dass sie es ihm nicht übel nahm. Aber sie fragte sich, ob sie ihm nicht beibringen sollte, dass all seine Bemühungen völlig umsonst waren.
»Wenn man in New York lebt, vergisst man, wie der Himmel aussieht«, sagte er.
»Das werd ich Ihnen wohl glauben müssen.«
»In Oklahoma gibt es bestimmt viel Himmel.«
»Ja, und zwar überall. Man kann ihn gar nicht übersehen.«
Er streckte die Hand aus, um den Hund am Ohr zu kraulen, dabei streifte er mit der Schulter ihre Hüfte. Das plötzliche Gefühl von Lust, ein dreckiges, elektrisches Knistern, traf sie völlig unvorbereitet. Sie stellte sich vor, wie sie mit ihrer Hand an seinem Bauch entlang unter den Hosenbund fuhr, ihn in die Hand nahm, drückte und spürte, wie er in ihrem Griff hart wurde. Ihr Mund auf seinem, ihre Beine um seine Taille geschlungen, den Rücken am Zaun, während der Zaunpfahl sich ihr oben zwischen die Schulterblätter bohrte. Lange würde er das nicht aushalten. Er würde um Erlösung betteln. Und morgen wäre sie dann verschwunden. Vielleicht würde Charlotte sich an ihn erinnern, vielleicht auch nicht.
Der Hund schloss die Augen, lehnte den Kopf an seine Hand und brummte wohlig.
»Die meisten Hunde mögen mich«, sagte er. »Keine Ahnung, warum.«
»Glauben Sie, Menschen können sich ändern?«, fragte Charlotte.
Die Frage schien ihn zu überraschen. »Sich ändern?«
»Wer sie sind. Ihren Charakter, nehme ich an. Wie sie sich verhalten, an was sie glauben. Nachdem man jahrelang eine bestimmte Art von Mensch gewesen ist, kann man dann einfach beschließen, jemand anderes zu werden?«
Er schien gründlich darüber nachzudenken. Charlotte hatte wieder diesen leisen Verdacht. Dass er sie hinter seinem Lächeln genau taxierte und unter diversen möglichen Antworten diejenige auswählte, von der er annahm, dass sie sie hören wollte.
»Die meisten Menschen ändern sich nicht«, antwortete er schließlich.
»Ja. Das glaube ich auch«, sagte Charlotte.
»Aber vielleicht können sie es. Wenn sie’s nur genug wollen.«
Kurz dachte sie, er würde sie vielleicht küssen. Aber stattdessen tätschelte er den Hund noch einmal zum Abschied.
»Tja, ich sollte wohl wieder reingehen«, sagte er. »Gute Nacht.«