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Der Aufprall eines zwanzig Tonnen schweren Bulldozers auf die stahlverstärkten Türen erzeugte ein furchterregendes, Ehrfurcht gebietendes Spektakel der Zerstörung. Die Türen wurden wie Papier zerfetzt und gaben den Blick auf das monströse gelbe Baufahrzeug frei. Das geriet außer Kontrolle und stieß aus den neben dem Führerhaus aufragenden Auspuffrohren wütend schwarzen Rauch aus. Das Kreischen von berstendem Metall und das Scheppern von herabfallenden Wrackteilen vermischte sich mit dem Dröhnen des Dieselmotors, als der Bulldozer weiterfuhr, wobei sich eine abgerissene Tür um das Motorgehäuse wickelte.

Becker griff nach der Sig-Automatik und stürzte durch das klaffende Loch des Tores, gefolgt von Westbrook und Griffin. Hier herrschte das reinste Chaos. Stücke von zerrissenem Metall und Verstärkungsstreben lagen überall herum. Der Motor des riesigen Fahrzeugs brummte noch immer am anderen Ende des Raumes. Er lief noch, trotz der Beschädigungen. Die Luft war geschwängert von Dieselabgasen, die sich mit dem aufgewirbelten Staub zu einem dichten Dunst vermischten, der die Umrisse verwischte und die Menschen als undeutliche, unscharfe Schatten erscheinen ließ.

»Rein da! Los!«, brüllte Becker über den Lärm hinweg.

»Gesichert!«, schrie Westbrook.

»Verstanden!«, antwortete Griffin.

»Seid wachsam«, warnte Becker. »Wir haben einen Freund hier drin.«

Schwer atmend in der drückenden Hitze und mit tränenden Augen, in die Staub und Rauch drangen, rückte Becker tiefer in das Gebäude vor. Er hielt seine Waffe fest umklammert.

Es konnte einmal eine Maschinenhalle oder eine Autowerkstatt gewesen sein, angesichts der schweren Metallplatten, die in regelmäßigen Abständen im Betonboden befestigt waren. Die Maschinen, die einst darauf gestanden hatten, waren längst abgebaut worden. Jetzt waren davon nur noch rostige Schraubgewinde und tote Stromkabel übrig. Der hintere Teil des Lagers hatte als Verwaltungsbereich gedient. Die Verschläge der alten Büros an der Rückwand waren verstaubt und verlassen. In den Wänden aus Rigipsplatten klafften große Löcher, wo jemand die Verkabelung herausgerissen hatte.

Durch die schmutzigen, kaputten Fenster im Dach drangen schwache Sonnenstrahlen, die den Rauch und den Staub, den der Bulldozer aufgewirbelt hatte, zu durchdringen suchten. Das große Fahrzeug hatte einen der Büroverschläge demoliert, bevor es zum Stillstand kam. Eine zerborstene Wand aus Holz und Gipskarton lag über der Ladeschaufel und der Fahrerkabine, und um das Fahrzeug herum gab es ein Wirrwarr aus anderen Trümmern, die von der vorbeifahrenden Maschine mitgerissen worden waren. Nachdem der Motor sein Schmieröl verloren hatte, überhitzte er schließlich und fraß sich fest. Stille kehrte in das Gebäude ein. Es schrie niemand, es fielen keine Schüsse.

Becker wollte sich gerade nach links wenden, als Griffin sich auf der anderen Seite der Halle meldete.

»Ich sehe den Schützenpanzer!«

Becker wandte sich dorthin und spähte blinzelnd durch den Rauch und den Staub. Er erkannte gerade noch, wie seine beiden Kameraden auf ein geparktes Fahrzeug zusteuerten, das in einer Ecke der Halle stand.

Es handelte sich tatsächlich um einen Infanterie-Mannschaftstransporter, der in dem charakteristischen graugelben Tarnmuster des irakischen Militärs lackiert war. Becker eilte sofort zu ihnen. Wenn sie richtiglagen, war dies das Fahrzeug, in dem Belikow von der Absturzstelle hierhergebracht worden war. Es war durchaus möglich, dass der Mann noch drinsaß.

»Gesichert!«, rief Griffin, nachdem er die Fahrerkabine überprüft hatte. Sie war leer.

»Verstanden!« Westbrook näherte sich den hinteren Türen. »Gib mir Deckung.«

Griffin eilte zum Heck des Panzers und richtete seine Waffe auf die Türen, während die Frau nach dem Riegel griff, der sie geschlossen hielt. Becker näherte sich schussbereit mit erhobener Waffe. Doch noch während er sich dem Fahrzeug näherte, spürte er, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten.

Irgendetwas stimmte hier nicht. Es fehlte etwas. Wo waren die Angreifer? Und warum hatten sie hier gehalten?

Erst als er einen Blick auf den Boden warf und schwarze Reifenspuren bemerkte, verschmolzen seine Gedanken zu einer einzigen, erschreckenden Erkenntnis. Reifenspuren, die vom Tatort wegführten. Hier hatte ein anderes Fahrzeug auf die Entführer gewartet.

»Naomi, halt!«, schrie er und rannte auf seine Kollegin zu.

Westbrook drehte sich zu ihm um, alarmiert durch seinen dringenden Schrei, aber es war schon zu spät. Sie schwang bereits die Luke auf.

Der Blitz verschlang die Welt um ihn herum, und Becker wurde von den Beinen gerissen, als die Druckwelle ihn traf und wie eine Stoffpuppe durch den Raum schleuderte.

Einen Augenblick lang spürte er nichts, als triebe er in einem Pool der Leere. Das änderte sich einen Moment später, als er auf den harten, unnachgiebigen Betonboden prallte und seine ganze Welt plötzlich aus erdrückendem Schmerz und knochenerschütternden Stößen zu bestehen schien. Er lag am Boden, während ein tödlicher Hagel aus Holz- und Steinsplittern vorbeiflog und Glas von den zerbrochenen Dachfenstern auf ihn herabregnete.

Becker öffnete zuckend die Augen. Das Sonnenlicht fiel durch die zerborstenen Fenster und den aufgewirbelten Rauch auf ihn.

Er spürte warmes Blut, das über seine Haut rann, und den tiefen, pochenden Schmerz der Blutergüsse an den Stellen, an denen sein Körper auf den Boden geschmettert worden war. Aber in einem Winkel seines Verstandes war ihm klar, dass das keine Rolle mehr spielte. Nur ein Gedanke durchdrang den Nebel aus Pein und Desorientierung.

Komm hoch!

Mühsam und unter Schmerzen schaffte er es, sich auf die Knie aufzurichten. Dann verlor er das Gleichgewicht und fiel wieder um. Die Explosion musste sein Gleichgewichtsorgan verletzt haben. Er hatte das Gefühl, als betrachtete er die Welt vom Grund eines tiefen, trüben Beckens aus.

Steh auf! Sofort!

Die Welt schwankte und schwankte unangenehm um ihn herum, aber Becker kämpfte hart, um die Kontrolle zu behalten. Er dachte an Westbrook und Griffin, die so nahe an dem geparkten Fahrzeug gestanden hatten, und das Blut gefror ihm in den Adern. Mit zusammengebissenen Zähnen und aller Kraft packte er die Kante eines gebrochenen, verbogenen Metallträgers und zog sich daran hoch.

Er wischte sich Blut und Schmutz aus den Augen und sah sich um, schockiert vom Ausmaß der Zerstörung um ihn herum. Das Lagerhaus, das bereits durch den Aufprall des Bulldozers beschädigt worden war, war durch die Explosion noch mehr verwüstet worden. Die verbliebenen Büroverschläge im hinteren Teil des Gebäudes waren völlig zerstört, der stählerne Steg lag verbogen und zerbrochen wie Plastik darüber. Alle Fenster über dem Gebäude waren herausgesprengt worden, ebenso viele der Wellblechpaneele.

Das leicht gepanzerte Infanteriefahrzeug war verschwunden. An seiner Stelle befand sich ein brennendes, verbogenes Wrack aus verkohltem Metall. Der Gestank von brennendem Treibstoff und Plastik ließ ihn würgen. Der Boden rundherum war mit brennenden Trümmern und Wrackteilen bedeckt und …

Becker erstarrte, als er ein Bündel verkohlter, blutverschmierter Lumpen nicht weit von ihm entfernt auf dem Boden liegen sah. Schwankend stolperte er vorwärts und sackte neben dem Bündel auf die Knie.

»Oh Gott …!«

Er konnte nicht einmal mehr erkennen, ob es Griffin oder Westbrook gewesen war. Er wusste nur, dass derjenige Gott sei Dank tot war.

Becker konnte nicht hierbleiben. Über das Fauchen und Knistern der Flammen hinweg hörte er ein bedrohliches Knarren und Ächzen aus dem Gebälk. Das Dach drohte einzustürzen. Unsicher richtete er sich auf und stolperte taumelnd in Richtung des zerfetzten Eingangs. Zweimal verschwamm ihm alles vor den Augen, und er stürzte, aber beide Male rappelte er sich wieder hoch und kämpfte sich weiter.

Als er ins Sonnenlicht trat, kniff Becker die Augen zusammen, geblendet von dem grellen Licht, das der staubige Boden reflektierte, der durch die ständige Sonneneinstrahlung weiß gebleicht war. Die Welt um ihn herum wirkte verwaschen und verschwommen, als sei alles Leben aus ihr herausgesaugt worden. Auf der gegenüberliegenden Baustelle war die Arbeit zum Stillstand gekommen, und die Arbeiter starrten in seine Richtung, auf den Rauch, der aus dem zerstörten Lagerhaus aufstieg.

Becker beachtete sie nicht, als er weiterhumpelte und dabei Blutflecken auf dem staubigen Boden hinterließ. Er blieb erst stehen, als mehrere Militärfahrzeuge in Sicht kamen und so heftig um eine Kurve schossen, dass der vorderste Lastwagen fast auf zwei Räder kippte. Es handelte sich um Humvees, die bewährten leichten Truppentransporter der US -Armee. Auf den Fahrzeugdächern schwenkten Maschinengewehre nach links und rechts, bemannt mit grimmig dreinblickenden Kanonieren in schwerer Körperpanzerung und verspiegelten Sonnenbrillen.

Der vordere Lastwagen kam etwa zwanzig Meter von Becker entfernt zum Stehen. Die Reifen rutschten über den unebenen Boden und wirbelten Staubwolken auf. Innerhalb von Sekunden stiegen zwei gepanzerte Männer aus, die M4-Sturmgewehre im Anschlag.

»Runter auf die Knie!«, schrie einer von ihnen, ein Korporal mit roten Haaren und schlimmer Akne. Er klang eher panisch als aggressiv. »Auf die Knie, sofort! Hände über den Kopf!«

Widerstand würde seinen Tod bedeuten. Selbst in seinem benommenen Zustand wusste Becker, dass seine einzige Option darin bestand, sich zu fügen. Auf jeden Fall war er zu müde und verletzt, um anderes tun zu können. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und ging auf die Knie, als die Soldaten auf ihn zu rannten