8

Am vierundzwanzigsten stand Peggy früher als gewöhnlich auf, denn vor der abendlichen Weihnachtsparty hatte sie noch viel zu tun. Inzwischen hatte sie beim Kochen häufig Rückenschmerzen und das Bücken fiel ihr schwer, doch wenn sie sich genügend Zeit ließ, kam sie immer noch zurecht. Schon seit Wochen hatte sie Geld und Lebensmittel für das Fest gespart und gestern alles, was sie brauchte, eingekauft. Auch wenn es viele der besonderen Speisen aus den Vorjahren nicht gäbe, böte sie den Gästen auch an dieser Weihnacht anständiges Essen an. Zwar müssten sie auf den glasierten Früchtekuchen dieses Mal verzichten, doch Jack Barton hatte ihr zwei Dosen süßer Füllung für die Weihnachtsplätzchen aufbewahrt, und dazu hatte sie zwei leckere Biskuitrollen gemacht. Die Dosensahne, die der Milchmann ihr geliefert hatte, war mit Konservierungsmitteln und so dick, dass sie beim Schlagen sicher umgehend zu Butter würde, also würde sie einfach die Rollen dünn damit bestreichen, kurz bevor sie sie nach drüben in den Schankraum trug.

»Bist du schon bei der Arbeit, Mum?«, erkundigte sich Janet, die in ihrem pinkfarbenen Morgenmantel in die Küche kam. Ihr Haar war ungekämmt, und sie riss den Mund zu einem Gähnen auf. »Ich mache uns nur eine Tasse Tee und nehme sie mit rauf. Und für Maggie wärme ich ein bisschen Milch. Sie liebt es immer noch, wenn sie am Morgen Milch bekommt, und ich bringe ihr gerade bei, wie man aus einem Becher trinkt.«

Peggy lächelte sie an. »Mach nur, Liebes. Ich bereite erst einmal das Essen für die Mittagsgäste vor, und um die Sachen für das Fest kümmere ich mich dann heute Nachmittag. Wie geht es Mike?«

»Ich glaube, besser. Als er gestern Abend ankam, war er hundemüde.« Sie sah sich die Dinge, die ihre Mutter bereits für die Feier vorbereitet hatte, an. »Lass mich dir helfen, Mum. Ich komme nach dem Tee wieder herunter.« Janet füllte Wasser in den Kessel und stellte zwei Tassen, Milch und Zucker auf ein Holztablett. »Wie wäre es mit einem Tee für dich, bevor ich unseren mit raufnehme?«

»Nein, danke, Jan, ich habe gerade schon einen getrunken, und ich habe alle Hände voll zu tun.«

»Ich weiß nicht, ob ich selbst an deiner Stelle auf die Party nicht verzichtet hätte«, stellte Janet fest. »Es ist in diesem Jahr echt schwierig, und die ganze zusätzliche Arbeit ist bestimmt nicht gut für dich.«

»Ich habe jede Menge Energie«, erklärte Peggy lächelnd, als sie Janet Tee in zwei von ihren schönsten Tassen gießen sah. »Ich dachte, dass dein Vater vielleicht Weihnachten nach Hause kommen würde, aber er hat mir zwölf Pfund geschickt und mich gebeten, die Geschenke für uns zu besorgen, und natürlich schickt er deinem Bruder auch ein bisschen was. Oh, für dich und Mike kam eine Karte an.«

»Ich finde es gemein von Dad, dass er dich alles kaufen lässt und selbst an Weihnachten nicht kommt.«

Mit einem gleichmütigen Achselzucken meinte Peggy: »Angeblich hat er mal wieder furchtbar viel zu tun. Aber im Grunde wüsste ich auch nicht, ob ich ihn hier zu Hause würde haben wollen. Wahrscheinlich hätten wir uns alle andauernd zusammenreißen müssen, denn die Sache zwischen mir und Able und dass ich zu allem Überfluss auch noch ein Kind von diesem Mann bekomme, hat er mir noch immer nicht verziehen. Ich weiß, dass er mir einen zivilisierten Brief geschrieben hat und mir erlaubt, so zu tun, als ob er selbst der Vater dieses Kindes wäre – aber trotzdem hat er mir noch lange nicht vergeben. Das kann ich ihm natürlich nicht verdenken, unter den gegebenen Umständen bin ich allerdings ganz froh, dass er in Schottland bleiben will.«

»Er hätte dir ein bisschen helfen können …«

»Das übernimmt Maureen. Sie hat fünf Tage Urlaub und holt heute Nachmittag mit ihrer Gran und Violet ihren Vater aus dem Krankenhaus. Dann kommt sie gegen sechs und deckt mit mir zusammen die Tische drüben ein.«

»Dann helfe ich dir tagsüber so viel ich kann«, sagte ihr Janet nickend zu.

»Du hast mit Maggie und mit deinem Mann genug zu tun. Mike wird sich hier erst mal ein bisschen seltsam fühlen, also kümmere dich am besten hauptsächlich um ihn. Vor allem hat Nellie mir versprochen, dass sie heute Morgen sauber machen wird. Ich habe wirklich Glück, dass ich so viele gute Freundinnen und eine derart wunderbare Tochter habe«, meinte Peggy, und nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Für Maggie habe ich zu Weihnachten ein hübsches Kleid gekauft – das heißt, ich habe auf dem Markt den Stoff gefunden und es selbst genäht und dazu noch ein Perlenarmband für sie gemacht. Und was kriegt sie von dir?«

»Einen echt süßen Teddybären und einen gebrauchten Puppenwagen. Nellie hat erzählt, dass eine ihrer Freundinnen so was verkaufen will, und mit den hübschen Decken, die Nellie dafür genäht hat, sieht er aus wie neu. Sie wird sich sicher freuen, wenn sie meine alten Puppen darin durch die Gegend schieben kann.«

»Auf jeden Fall. Mike hat wahrscheinlich nicht daran gedacht, etwas für sie zu kaufen, oder?«

»Er war schließlich die ganze Zeit im Krankenhaus, aber inzwischen scheint er akzeptiert zu haben, dass sie seine Tochter ist, deshalb hat er ja vielleicht trotzdem was für sie. Auf alle Fälle wirkt er heute Morgen schon viel glücklicher als gestern Abend, als er angekommen ist.« Sie schaltete das Radio ein, und als die Klänge eines Weihnachtslieds den Raum erfüllten, lächelten die beiden Frauen sich an. »Bei seiner Ankunft sah er furchtbar müde aus, aber wir haben beide gut geschlafen, und jetzt wirkt er wunderbar entspannt und so, als wüsste er, dass er zu Hause ist. Er hat gefragt, ob wir auch einen Weihnachtsbaum aufstellen.«

»Ich fürchte, dieses Jahr gibt es keinen Weihnachtsbaum«, gab Peggy traurig zu. »Ich habe zwar die Bar geschmückt, aber um einen Baum zu kaufen, hat mir schlicht die Zeit gefehlt.«

»Ich hatte überlegt, ob ich für Maggie einen kleinen Baum besorgen soll, weil sie vollkommen fasziniert war von dem kleinen Baum, den sie in einem Schaufenster gesehen hat, doch am Ende kam mir das in einer Zeit wie dieser irgendwie frivol und obendrein wie Geldverschwendung vor. Gestern Nachmittag habe ich im Wohnzimmer Papiergirlanden aufgehängt, und wenn wir die Geschenke auf der Anrichte verteilen, wird das sicher hübsch. Vielleicht kaufe ich auch noch ein paar Stechpalmenzweige, falls ich heute Morgen Zeit habe, um auf den Markt zu gehen. Um diese Zeit bin ich echt gerne dort, weil dort so eine weihnachtliche Atmosphäre herrscht.«

»Geh doch mit Mike zusammen auf den Markt«, schlug Peggy vor. »Es tut ihm sicher gut, ein bisschen an die frische Luft zu kommen – und dir und Maggie auch.«

»Ich werde ihn auf alle Fälle fragen, was er davon hält«, stimmte ihr Janet zu. »Dann trinke ich jetzt meinen Tee, ziehe mich an, komme zurück und helfe dir.«

Peggy nickte stumm. Sie wollte nicht, dass Janet zu viel Zeit darauf verwandte, ihr zur Hand zu gehen, solange Mike zu Hause war. Die beiden waren seit ihrer Hochzeit allzu oft getrennt gewesen, und sie bräuchten Zeit zusammen, damit Mike sie wieder kennenlernte und erkannte, dass sie seine Frau und Maggie seine Tochter war. Anscheinend konnte er sich immer noch an nichts erinnern, gab sich aber alle Mühe, so normal zu leben, wie es ihm bei den Gedächtnislücken möglich war.

Natürlich war das Leben, seit der Krieg begonnen hatte, auch für alle anderen nicht normal, ging es ihr durch den Kopf, als sie ein Blech mit Käsebrötchen in den Ofen schob. Zu Mittag gäbe es im Schankraum Selleriecremesuppe, und falls jemand etwas anderes wollte, Brote mit Tomate, aber mehr bekäme sie beim besten Willen nicht hin.

Dann fiel ihr plötzlich ein, dass Anne ja heute irgendwann von ihrer sehr spontanen Hochzeitsreise wiederkommen würde, und ihr wurde warm ums Herz. Ihre Freundin hatte auf dem Standesamt so glücklich ausgesehen, und Peggy hoffte, dass sie nach den Flitterwochen noch genauso glücklich war.

*

Anne packte ihre Koffer aus und seufzte, als sie ein paar Sachen ihres Mannes zwischen ihren Kleidern sah. Er hatte ihr erklärt, dass er die Freizeithemden und die Hosen, die er während ihrer Zeit am Meer getragen hatte, erst nach seiner Rückkehr wieder bräuchte, und gefragt, ob sie sie aufbewahren könnte, bis er wiederkam. Darunter waren auch zwei neue Hemden und der wunderschöne Kaschmirschal, den er von ihr zu Weinachten bekommen hatte und in den er ganz vernarrt gewesen war.

»Ich lasse ihn am besten trotzdem hier, sonst wird er mir vielleicht geklaut«, hatte er traurig festgestellt. »Dazu war es an meinem letzten Einsatzort so warm, dass man noch nicht mal eine Jacke brauchte, und vor allem will ich dieses schöne Stück auf keinen Fall verlieren.«

»Weißt du, wohin es diesmal für dich geht?«

»Sie haben uns nur gesagt, wir würden abermals verlegt«, hatte er stirnrunzelnd festgestellt. »Am Anfang war ich erst in Norwegen und dann in Frankreich, und ich hatte wirklich Glück, dass ich in Dünkirchen gerettet worden bin. Danach waren wir aus verschiedenen Gründen weiter südlich stationiert, aber vor meinem Urlaub haben sie gesagt, nach meiner Rückkehr würden wir nach Übersee verlegt.«

Sofort nach ihrer Heimkehr hatte Kirk sich wieder auf den Weg gemacht. Sie hatten seine Uniform und seine Ausrüstung bei seinem Onkel abgeholt, zurück zum Bahnhof aber hatte er alleine fahren wollen.

»Ich hasse lange Abschiede«, hatte er ihr erklärt und sie noch einmal liebevoll geküsst. »Ich werde dir so schnell wie möglich schreiben, Liebling, und dich wissen lassen, ob es dort, wo wir jetzt hinkommen, warm ist oder kalt. Versuch, dich nicht um mich zu sorgen, und vergiss nicht, dass ich dich unendlich liebe. Ich verspreche dir, zurückzukommen und mir dann ein wunderbares Leben mit dir aufzubauen.«

Anne hatte ihre Tränen unterdrückt, bis er verschwunden war, beim Auspacken der Koffer aber ließ sie ihnen freien Lauf. Die kurze Zeit am Meer erschien ihr hier zu Hause wie ein Traum, doch sie würde die Erinnerung bis an ihr Lebensende voller Glück bewahren. Die Tage und die Nächte waren ausgefüllt gewesen, und nach einem späten Frühstück waren sie immer endlos auf der Promenade und am Strand entlangspaziert. Gelblich braune Schaumkronen hatten auf dem dunkelgrünen Meer getanzt, und der trotz schwachen Sonnenlichts eisige Wind hatte die Wellen aufgepeitscht.

Nach einem mittäglichen Snack hatte sie im hoteleigenen Sportraum Tischtennis und Darts gespielt, wobei sie einmal gegen eine Gruppe von Senioren, die das ganze Jahr in Clacton lebten, angetreten waren. Zwar hätte Kirk gewinnen können, doch er hatte einem der alten Männer den Triumph gegönnt und ihm als Zeichen seiner Anerkennung obendrein noch einen Whiskey an der Bar spendiert.

Einmal hatten sie in einem der Pavillons, die auf der Landungsbrücke standen, zu den altmodischen Melodien, die die kleine Band zum Besten gab, getanzt, zweimal hatten sie im Kino irgendwelche Filme, die in London längst gelaufen waren, gesehen, und an den anderen Abenden waren sie spazieren und auf einen Drink in einen hübschen Pub gegangen und dann so schnell wie möglich ins Hotel und dort ins Bett zurückgekehrt.

Kirk hatte sich als wunderbarer Liebhaber erwiesen, und sie wusste, dass er ihr entsetzlich fehlen und ihr Bett sich kalt und leer anfühlen würde, wenn er nicht an ihrer Seite schlief. Und trotz der Arbeit, die sie liebte, und der Freundinnen, die sie hatte, würde sie sich bis zu seiner Rückkehr sicher furchtbar einsam fühlen.

Seufzend schob sie ihre Koffer in den großen, altmodischen Schrank, schnappte sich ihre Handtasche und ein paar kleine Päckchen und verließ das Haus. Sie wollte zu Maureen und Peggy, um zu hören, was sich während ihrer Hochzeitsreise hier ereignet hatte, und sie müsste noch zu ihrem Onkel, um ihm sein Geschenk zu bringen, denn auch wenn ihr Leben erst, wenn Kirk nach Hause käme, wieder richtig Fahrt aufnehmen würde, musste es bis dahin weitergehen.

*

»Ich war eben bei Maureen«, erzählte sie, als sie zur Mittagszeit im Pub erschien. »Ich wollte ihr mein Weihnachtsgeschenk geben, aber es war niemand da. Geht es ihr gut?«

»Sie holen ihren Vater aus dem Krankenhaus«, erklärte Peggy ihr und lächelte sie an. »Ich wusste nicht genau, wann du heute nach Hause kommst.«

»Kirk muss heute Nachmittag zurück zu seiner Einheit, also haben wir den ersten Zug zurück genommen, sind zu seinem Onkel, um dort seine Sachen abzuholen, und dann ist er mit einem Taxi weg. Er durfte seinen Zug auf keinen Fall verpassen, denn sonst hätte er sich unerlaubt von seinem Trupp entfernt.«

»O Gott, das hätte er ganz sicher nicht gewollt«, stieß Peggy aus. »Kommst du heute Abend zu der Party, oder hast du keine Lust?«

»Natürlich komme ich. Kirk hat gesagt, er will versuchen, gegen neun hier anzurufen, denn ich habe ihm erzählt, dass ich dir heute Abend helfen will.«

»Das wäre wirklich nett.« Peggy brach ab und zapfte schnell ein kleines Bier für einen Gast. Sie reichte ihm das Glas, zog ab, und als er ging, wandte sie sich wieder ihrer Freundin zu. »Zwar kommt auch noch Maureen, und Jan tut, was sie kann, aber Mike ist gestern Abend heimgekommen, und ich will nicht, dass sie hier den ganzen Abend schuftet, während er alleine oben sitzt. Wenn du mir also helfen würdest, würde ich mich wirklich freuen.«

»Natürlich helfe ich, denn schließlich muss ich weitermachen wie bisher. Ich hatte wirklich Glück, dass ich so einem wunderbaren Mann begegnet bin, aber egal, wie sehr er mich auch liebt, weiß ich nicht sicher, ob er jemals wiederkommt. Das ist uns beiden klar, und tief in unserem Innern haben wir das akzeptiert, auch wenn er mir geschworen hat zurückzukommen und ich nach unserer Hochzeitsreise dazu neige, ihm zu glauben, weil er einem einfach das Gefühl gibt, dass er alles, was er will, auch in die Tat umsetzt.«

»Dann hast du eure Hochzeit also nicht bereut?«

»Ich danke Gott auf Knien, dass ich einmal im Leben mutig genug war, total verrückt zu sein«, erklärte Anne, wobei das Glück ihr deutlich anzusehen war. »Selbst wenn die Hochzeitsreise alles ist, was mir mit ihm vergönnt ist, bin ich froh und dankbar, weil ich seine Frau geworden bin. Ich bin so glücklich wie noch nie zuvor im Leben, Peggy, und ich denke, es war Schicksal, dass wir uns begegnet sind.«

»Das freut mich sehr für dich. Anfangs hatte ich leise Zweifel, aber trotzdem das Gefühl, dass du es wagen solltest. Und jetzt musst du mit deinem Leben weitermachen und fest daran glauben, dass er wiederkommen wird.«

»Das werde ich – das heißt, das tue ich«, verbesserte sich Anne, während sie ein paar Päckchen aus der Tasche zog. »Die sind für dich, Janet und Maggie, und das hier ist eine Kleinigkeit für Mike. Für Pip habe ich einen Buchgutschein gekauft und ihn an die Adresse, die du mir gegeben hast, geschickt.«

»Da wird er sicherlich begeistert sein, ich danke dir. Ich habe oben auch etwas für dich und Kirk. Das gebe ich dir heute Abend.« Seufzend fügte sie hinzu: »Ich habe Pip und Laurie auch je einen Buchgutschein und ein paar andere Kleinigkeiten mit der Post geschickt.«

»Kommen die beiden denn an Weihnachten nicht heim?«, erkundigte sich Anne in etwas missbilligendem Ton. »Sie kriegen doch ganz bestimmt manchmal Urlaub, oder nicht?«

»Ich weiß zwar nicht genau, wo Laurie ist, aber er meint, er könnte dort im Augenblick nicht weg. Ich glaube, dass wir ohne diesen Krieg wahrscheinlich sowieso nicht mehr zusammen wären«, räumte Peggy schulterzuckend ein. »Und von Pip kam eine Karte, auf der eigentlich nur stand, dass er mich liebt, ich habe also keine Ahnung, was er treibt. Aber ich habe ja genug Gesellschaft. Morgen Mittag kommen Jack Barton und der junge Tom. Mit ihnen, Nellie, Maggie, Jan und Mike wären wir zu siebt, und wenn du Lust hast, würden wir uns freuen, wenn du auch zum Essen kämst.«

»Ich? Das würde ich sehr gerne, Peggy, aber Mavis hat sich unglaublich gefreut, dass ich zurück bin, und mir voller Stolz erzählt, dass sie extra ein kleines Hühnchen für uns beide aufgetrieben hat.«

»Ich kann verstehen, dass du sie nicht enttäuschen willst. Vielleicht kommst du ja dann einfach zum Abendbrot?«

»Ab sechs hätte ich sicher Zeit, weil Mavis dann mit ihrem Strickzeug vor dem Radio sitzt. Ich würde wirklich gerne kommen.«

»Dann ist es also abgemacht. Willst du die Sachen für Maureen hier liegen lassen? Sie kommt später her, dann kannst du dir den neuerlichen Weg zu ihr nach Hause sparen …«

»Ja, danke«, sagte Anne. »Dann mache ich mich langsam wieder auf den Weg, denn ich muss heute Nachmittag noch zur Rektorin meiner Schule, um herauszufinden, wann ich wieder anfangen soll. Mit Glück haben wir die neue Schule Mitte Januar fertig eingerichtet, und dann geht der Unterricht dort los.«

»Dann sehen wir uns heute Abend.« Peggy winkte Anne zum Abschied hinterher, gab ihren Gästen durch das Läuten ihrer Glocke zu verstehen, dass der Pub in fünf Minuten schließen würde, und rief fröhlich: »Frohe Weihnachten. Ich freue mich, wenn wir uns heute Abend auf der Party sehen. Ansonsten haben wir am zweiten Weihnachtstag zwei Stunden morgens und ab sieben abends noch mal für drei Stunden auf …«

Ein paar Gäste wünschten Peggy frohe Weihnachtstage, doch die meisten kämen abends auf das Fest.

»Ich würde deine Weihnachtfeier um nichts in der Welt verpassen wollen«, stellte Alice Carter grinsend fest. »Das ist für mich der schönste Teil von Weihnachten. Ich werde mich in Schale werfen und zum Essen ein paar Liedchen für euch trällern, wenn du willst.«

»Auf jeden Fall. Und jetzt verschwindet«, forderte die Wirtin ihre Gäste auf und öffnete die Tür. »Ich habe noch zu …«

Ehe sie den Satz beenden konnte, kam ein junger Mann in Uniform herein, und Peggy fiel ihm unter Tränen um den Hals. »Oh, Pip, mein Schatz – warum hast du uns nicht Bescheid gegeben, dass du kommst?«

»Hi, Mum.« Unter den amüsierten Blicken ihrer Gäste nahm er sie verlegen in den Arm. »Ich wusste erst im letzten Augenblick, ob was draus wird … Ich hoffe doch, du hast beim Essen morgen noch ein bisschen Platz für eine weitere Person?«

»Oh, Pip, natürlich habe ich noch Platz für dich.« Sie strahlte ihren Jungen an, da ihr das Herz vor Freude aufging. »Ein schöneres Geschenk hätte mir niemand machen können …«

Nachdem der letzte Gast gegangen war, schloss sie die Tür von innen ab und wandte sich noch immer ungläubig, doch überglücklich abermals an ihren Sohn.

»Ich hätte nicht gedacht, dich Weihnachten zu sehen … wie herrlich, dass du noch gekommen bist …«

»Beruhig dich, Mum«, bat Pip. »Ich habe nur zwei Tage frei, und Freitagmorgen sitze ich dann schon wieder im Zug zurück.« Etwas verlegen blickte er auf ihren Bauch. »Geht es dir gut – mit deinem Baby und auch sonst?«

Mit einem liebevollen Lächeln meinte sie: »Natürlich geht es mir gut. Du bist an Weihnachten zu Hause, und das ist das Einzige, was zählt. Aber jetzt habe ich dir dein Geschenk schon mit der Post geschickt …«

»Es kam noch rechtzeitig vor meiner Abfahrt an. Sheila hat gesagt, ich sollte kommen und dir, Jan und Maggie die Geschenke selbst übergeben. Dad hat einen Buchgutschein von mir geschickt bekommen. Das war am einfachsten, und schließlich weiß ich, dass er sich darüber freut.«

»So habe ich es auch gemacht«, gab Peggy zu. »Damit liegt man bei ihm nie verkehrt.«

»Ich weiß, dass es bei euch schon eine ganze Weile nicht mehr gut gelaufen ist«, bemerkte Pip und lächelte sie an.

Mittlerweile überragte er sie mühelos um einen ganzen Kopf, und Peggy musste einfach lachen, weil ihr kleiner Junge in der Zwischenzeit zu einem selbstbewussten jungen Mann herangewachsen war. Mit seinem kleinen Schnäuzer sah er wirklich lässig aus, was aber vielleicht auch an seiner Uniform und seinem Leben bei den Fliegern lag.

»Ich wünschte mir, das alles wäre nicht passiert«, fuhr er mit ruhiger Stimme fort. »Aber Sheilas Eltern haben sich schon vor einer halben Ewigkeit getrennt. Sie war deshalb total schockiert und hat dann ewig ihrem Dad die Schuld daran gegeben, aber schließlich ging ihr auf, dass Menschen sich verändern und dann manchmal eben auch ein anderes Leben wollen.«

Entschlossen hakte Peggy sich bei ihrem Jungen ein. »Wie erwachsen du doch in der Zwischenzeit geworden bist. Aber jetzt lass uns erst einmal zu Mittag essen, und dann will ich alles über diese Sheila hören …«

Errötend meinte er: »Nun ja … sie ist einfach ein Mädchen aus dem Ort. Manchmal gehen wir miteinander aus und haben in vielen Dingen einen ganz ähnlichen Geschmack. Sie hat gesagt, dass sie dich gerne bald mal kennenlernen würde, und ich weiß, dass du sie mögen würdest, so wie sie dich andersherum auch.«

»Das wäre schön. Du weißt, dass sie hier jederzeit willkommen ist.«

»Ich wollte sie bereits dieses Mal mitbringen, aber sie muss Weihnachten zu ihrer Großmutter – und hat gesagt, dass du dich sicher erst mal an die Vorstellung gewöhnen musst, bevor sie dich hier überfällt …«

»An was für eine Vorstellung, mein Schatz?« Peggy sah ihn fragend an. Mit seinen neunzehn Jahren sah er wie Mitte zwanzig aus, was vielleicht eine Folge des verdammten Krieges und der Arbeit war – und trotzdem war er noch sehr jung.

»Das werde ich dir später sagen, Mum.«

»Verstehe. Also ist es etwas Ernstes?« Peggy musste schlucken, denn sie konnte diesem selbstbewussten Burschen ja wohl kaum erklären, er wäre noch zu jung zum Heiraten.

»Ich glaube schon«, gestand er ihr und trat mit ihr zusammen durch die Küchentür. »Ich weiß …«

Dann brach er plötzlich ab, denn dort am Tisch saß Janet neben Mike, und Nellie stand am Herd und rührte irgendetwas um.

»Oh, hallo, Mike.« Entschlossen trat er auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »Schön, dich zu sehen, altes Haus. Wie geht es dir?«

Mike schüttelte ihm kurz die Hand. »Viel besser als beim letzten Mal. Und du bist sicher Pip.«

»Man sagte mir, es hätte dich echt schlimm erwischt.«

»Ich habe keine Ahnung, was mit mir passiert ist«, gestand Mike ihm unumwunden ein. »Irgendwann habe ich in einem Krankenhaus die Augen aufgeschlagen, ohne dass ich dort auch nur ein Wort verstanden hätte, bis ein Arzt kam, der ein bisschen Englisch sprach. Ich nehme an, das war mein Glück.«

»Und wie geht es dir, Jan?«, wandte Pip sich plötzlich etwas unsicher seiner Schwester zu. Er wusste offensichtlich nicht, was er noch mehr zu seinem Schwager hätte sagen sollen, der halb tot aus dem Meer gezogen worden war und damit leben musste, dass er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wer er selbst war.

Unter seiner weltgewandten Hülle war er eben immer noch der Junge, der von Peggy großgezogen war, und dankbar kam sie ihm zu Hilfe und erklärte: »Pip muss Freitag erst zurück. Ist das nicht wunderbar?«

»Es ist echt schön, dass du gekommen bist«, meinte auch Jan. »Warum hilfst du uns nicht, das Wohnzimmer zu schmücken – und wenn möglich, hätte Mike auch gerne einen kleinen Weihnachtsbaum.«

Pip grinste breit. »Sheilas Mutter hat den Baum bereits vor einer Woche aufgestellt – das hätte Dad niemals erlaubt, nicht wahr?«

»Aber er ist nicht hier, wir können also tun und lassen, was wir wollen«, erklärte Janet, und ihr Bruder runzelte die Stirn, bevor er schweigend den von Nellie angebotenen Becher Tee entgegennahm.

*

Erst kurz vor ihrer abendlichen Feier hatte Peggy noch mal die Gelegenheit zu einem Gespräch mit ihrem Sohn. Sie wollte ihn nach dieser Sheila fragen, die er offenbar so gerne hatte, und zu ihrer Überraschung schien ihn ihr Interesse an der jungen Frau zu freuen.

»Ich will sie heiraten«, erklärte er ihr lächelnd, »und ich habe auch schon den Verlobungsring für sie gekauft. Jetzt fehlt mir bloß noch Dads Erlaubnis, damit ich das Aufgebot bestellen kann.«

Peggy riss schockiert die Augen auf. »Ich würde diese Sheila wirklich gern so schnell wie möglich kennenlernen. Also bring sie bitte mit, wenn du noch einmal Urlaub hast …«

»Ich werde es versuchen«, sagte er ihr grinsend zu. »Du wirst sie mögen, Mum, und mir ist klar, dass du mir die Erlaubnis geben würdest, nur will ich mit Dad nicht streiten, denn er schreibt mir manchmal und, na ja … er ist nun mal mein Dad.«

»Natürlich ist er das, mein Schatz«, pflichtete sie ihm bei. »Ich finde auch, dass du ihn fragen solltest, vergiss aber nicht, dass ich mich nicht weniger für deine Zukunft interessiere und mir wünsche, dass du glücklich bist.«

»Sie macht mich glücklich«, meinte Pip. »Die Fliegerei ist manchmal ganz schön hart, doch ihretwegen will ich unbedingt zurückkommen …«

»Dann solltest du sie wirklich heiraten«, stimmte ihm Peggy lächelnd zu. »Und jetzt hilf mir, das Essen auf den Tisch zu bringen, weil das schließlich schon mal eine gute Übung für das Eheleben ist …«