Ellie zog sich gerade an, als Peter an diesem Vormittag das Schlafzimmer betrat. Nur in einem dünnen Unterrock stand sie im Licht des Fensters, und er runzelte die Stirn, als er die leichte Wölbung ihres Bauches sah. Ihm war schon aufgefallen, dass ihre Brüste voller waren und sie etwas zugenommen hatte, aber bisher hatte er sich nichts dabei gedacht. Jetzt aber fiel der Groschen, und in seinem Inneren wogte heißer Zorn auf dieses kleine Flittchen auf.
»Verdammt, wer war das?« Er marschierte auf sie zu, packte ihre Arme, schüttelte sie durch und brüllte: »Du verfluchte kleine Hure! Du bist auch nicht besser als die anderen Weiber, die sich irgendwelchen anderen Typen in die Arme werfen, während ihre Männer ihr Leben für den König und das Vaterland riskieren.«
Ellie wurde schlecht. Er hatte bloß noch ein paar Tage Urlaub, und sie hatte so gehofft, dass er die Wahrheit nie erfahren würde, doch er hatte es erraten, und es abzustreiten hätte sicher keinen Sinn. Sie musste Peter beichten, dass sie vergewaltigt worden war.
»Das war nicht meine Schuld«, stieß sie mit einem Schluchzen in der Stimme aus. »Er hat mich vergewaltigt, und ich habe mich so gut es ging gewehrt. Aber er hat mich so lange geschlagen, bis ich auf dem Boden lag, und dann ist er über mich hergefallen. Es war nur dieses eine Mal …« Sie blickte trotzig zu ihm auf. »Das liegt allein an diesem gottverdammten Krieg. Wenn du nicht weg gewesen wärst, wäre das nie passiert. Ich habe ihn ganz sicher nicht ermuntert …«
»Lüg mich nicht an!« Vor lauter Zorn verpasste er ihr eine solche Ohrfeige, dass sie vor Schmerz zusammenfuhr. »Hättest du mir deinen Bastard etwa unterschieben wollen? Dachtest du, ich würde es nicht merken und du könntest dann so tun, als ob das Balg erst später auf die Welt gekommen wäre, damit ich mir einbilde, dass ich der Vater bin?«
Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie sah hilflos zu ihm auf. Natürlich hatte sie genau das vorgehabt, aber so, wie er es formulierte, ging ihr auf, wie hinterhältig das gewesen wäre, und verlegen wandte sie sich ab. Sie war das Opfer, doch das wollte er anscheinend nicht verstehen, und als sie sein Gesicht sah, geriet sie in Panik.
»Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte«, gab sie mit verschämter Stimme zu. »Ich hab weggehen, es woanders kriegen und zur Adoption freigeben wollen … aber dann kamst du plötzlich heim, und mir kam der Gedanke, dass ich dieses Kind vielleicht behalten könnte und du nie erfahren müsstest, dass du nicht der Vater bist …«
»Ich sollte dir den Bastard aus dem Leib prügeln«, fuhr er sie an und schüttelte sie erneut. »Du elendes, verlogenes Flittchen! Mit wie vielen Männern hast du es getrieben, während ich in Übersee gewesen bin?«
Er schüttelte sie weiter durch und schlug ihr dann so kräftig ins Gesicht, dass ihr Kopf nach hinten flog. Sie schmeckte Blut und sah, dass er so wütend war wie noch nie zuvor. Sie hatte vorher schon gewusst, wie aufbrausend er war, so aber hatte sie ihn noch nie zuvor erlebt, und unter seinem kalten Blick erbebte sie vor Angst. Sie sah ihn schweigend an, doch dadurch wurde seine Wut noch weiter angefacht.
»Gib mir gefälligst eine Antwort, Ellie«, brüllte er sie an und bohrte ihr die Finger schmerzhaft in den Oberarm. »Verdammt, sag mir die Wahrheit, wenn ich dich nicht umbringen soll. Mit wie vielen Männern warst du noch zusammen, während ich versucht habe zu überleben, damit ich zu dir zurückkommen kann?« Er hielt ihr drohend seine Faust unter die Nase und erklärte zornbebend: »Ich warne dich …«
»Hören Sie auf, Peter!«, herrschte ihn Mrs. Tandy an. Sie war herbeigeeilt, als sie den Lärm vernommen hatte, und stand in der offenen Zimmertür. »Es stimmt, was Ellie sagt. Sie wurde vergewaltigt und misshandelt, doch sie hatte nicht den Mut, zur Polizei zu gehen, denn er hat ihr gedroht, zurückzukommen und sie umzubringen, wenn sie so was tut. Vor allem hätte ihr die Polizei wahrscheinlich nicht geglaubt, denn schließlich sind aus deren Sicht immer die Frauen schuld. Aber sie ist kein schlechtes Mädchen, ganz egal, wie es jetzt vielleicht auf Sie wirkt. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass sie ein anständiges Mädchen ist und abends immer hier bei mir zu Hause sitzt.«
»Ich wüsste nicht, was Sie das alles angeht.« Peter funkelte sie zornig an.
»Sie leben beide hier in meinem Haus«, erklärte sie ihm ruhig. »Ich kann verstehen, dass Sie wütend sind. Natürlich sind Sie wütend und verletzt, aber ich habe Ellie an dem Abend nach der Vergewaltigung gesehen. Sie nicht. Natürlich ist es großes Pech, dass sie von diesem Kerl auch noch geschwängert worden ist, doch damit kommen wir klar. Sie kann noch immer von hier fortgehen, um das Baby zu bekommen, und die Heilsarmee wird dafür sorgen, dass es dann zu guten Menschen kommt.«
»Nein …« Urplötzlich hatte Ellie das Verlangen, dieses Baby zu beschützen, und verschränkte schluchzend ihre Arme vor dem Bauch. Sie hasste ihren Vergewaltiger, aber wenn sie jetzt gezwungen werden würde, dieses kleine Wesen fortzugeben, würde es ihr das Herz zerreißen. Sie wollte ihrem Baby all die Mutterliebe geben, die ihr selbst nie zuteilgeworden war. Warum nur hatte Peter nicht versucht, sie zu verstehen? Dann hätte sie sich weiterhin an ihn geklammert und getan, was er verlangte, aber nun kam er ihr wie ein Fremder vor und hatte eine Seite seines Wesens aufgezeigt, die ihr zuwider war. Sie hatte ihn für nett und großzügig gehalten, doch das war er nur, wenn er nicht wütend war. »Ich will mein Kind behalten, denn es ist ein Teil von mir. Ich bringe es nicht über mich, es wegzugeben«, klärte sie die beiden anderen auf, denn plötzlich tat ihr der Gedanke, sich von ihrem Kind zu trennen, in der Seele weh. »Ich weiß, dass du es niemals akzeptieren würdest, Peter, aber schließlich wirst du auch mich selbst jetzt nicht mehr wollen. Ich werde also einfach weggehen, irgendwo mein Kind bekommen und versuchen, mir ein neues Leben aufzubauen. Ich will kein Geld von dir, und du kannst dich natürlich scheiden lassen, wenn du willst …«
»Nein!«, stießen ihr Mann und Mrs. Tandy unisono aus.
»Du bleibst auch weiter hier, wo ich mich um dich kümmern kann«, bot ihr die Wirtin an.
»Ich will mich doch gar nicht scheiden lassen.« Peter blickte auf die roten Flecken im Gesicht und an den Armen seiner Frau und wandte sich verlegen wieder ab. »Es tut mir leid, Ellie. Ich wollte dir nie wehtun, aber ich dachte, dass du mich belügst, und schließlich hättest du mir gleich die Wahrheit sagen sollen.«
»Ich dachte, dass du mich dann hassen würdest, und das tust du ja sicher auch.« Inzwischen liefen ihr frische Tränen über die Wangen. »Ich dachte, dass ich so das Kind und dich behalten kann …«
Er starrte sie mit großen Augen an. Sie konnte deutlich sehen, dass er noch immer mit sich rang, doch dann gab er ihr die Hand. »Vielleicht bekommen wir das ja zusammen hin«, erklärte er, wobei sein Blick verriet, dass er sich nur versöhnlich gab, damit sie bei ihm blieb. »Aber du musst mir alles sagen – auch den Namen dieses Kerls …«
»Er ist ein Deserteur, ein Plünderer und ein Tyrann«, mischte sich wieder Mrs. Tandy ein. »Die Polizei hatte ihn zwischenzeitlich festgenommen, aber es heißt, dass er noch mal entkommen ist.«
Bei diesen Worten starrte Ellie sie aus furchtsam aufgerissenen Augen an.
»Ich habe es dir nicht gesagt, weil ich gehofft hatte, dass es nicht stimmt – doch selbst wenn er aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, glaube ich kaum, dass er sich noch mal in der Gegend blicken lassen wird.«
»Falls doch und falls ich dann noch hier bin, bringe ich ihn um«, erklärte Peter, und sein Blick verriet, wie ernst es ihm mit dieser Drohung war. »Nun sag mir, wie er heißt, Ellie, und wie er ausgesehen hat.«
»Dann werde ich jetzt wieder gehen«, meinte Mrs. Tandy und bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Ich hoffe nur, dass Sie sie nicht noch einmal schlagen werden, Peter, denn dann rufe ich die Polizei.«
»Ganz sicher nicht. Ich bin bloß ausgerastet, weil ich dachte …« Er brach ab und wand sich wieder Ellie zu. »Ich möchte, dass du mir nun alles ganz genau erzählst. Ich lasse diesen Schweinehund nicht damit durchkommen, dass er dich misshandelt und geschwängert hat.«
»Ich will nicht, dass du etwas tust, wofür du dann am Ende vielleicht selbst im Gefängnis landen oder vielleicht sogar hängen wirst«, erklärte sie, bevor sie sich von Peter in die Arme nehmen ließ.
»Das wird ganz bestimmt nicht passieren«, versprach er ihr und küsste sie aufs Haar. Sein mörderischer Blick jedoch bewies, dass er, auch wenn er Ellie ihren Anteil an der ganzen Sache vielleicht irgendwann verzeihen und ihr großmütig gestatten würde, dieses Baby zu behalten, dieses Schwein dafür bezahlen lassen würde, dass es auf sie losgegangen war. Er würde diesen Dreckskerl zahlen lassen – und ganz sicher nicht mit Geld.
Er müsste erst in ein paar Tagen wieder an die Front, und vielleicht reichte diese Zeit ja aus, um diesen Bastard aufzuspüren und dafür zu sorgen, dass er Ellie und auch alle anderen Frauen zukünftig in Ruhe ließ. Und falls er ihn vor seiner Abreise nicht finden sollte, kannte er genügend Männer, die bereit wären, hinterrücks mit einem Messer auf so einen Mistkerl loszugehen. Er würde ihn zwar lieber eigenhändig fertigmachen, aber selbst wenn er ihn nicht mehr rechtzeitig vor Ende seines Urlaubs fände, wären die Tage dieses Mannes eindeutig gezählt …
*
Peggy sah sich das Foto von Pips Freundin an. Er hatte es dem Brief, den er an sie geschrieben hatte, beigelegt und meinte, dass sie hoffentlich im Sommer mal nach London kommen könnten, aber vorher leider nicht. Behutsam legte sie das Foto auf ihr Bett und bückte sich, um einen Strumpf vom Boden aufzuheben, als ein solcher Schmerz durch ihren Rücken zuckte, dass sie leise schrie. Es war, als hätte jemand sie mit einem Messer attackiert, und schwankend ließ sie sich zurück auf die Matratze fallen.
Es konnte doch nicht sein, dass sie schon jetzt ihr Kind bekam. Sie hatten gerade einmal Anfang März, und ihren Berechnungen zufolge hätte sie noch mindestens zwei Wochen Zeit. Sie keuchte, als die Schmerzen stärker wurden, abebbten und wiederkamen, und ihr war klar, dass das die ersten Wehen waren. Bei diesem Gedanken wogte Panik in ihr auf. Ables Baby durfte noch nicht kommen, weil es dann womöglich um sein Leben kämpfen müsste, und die Vorstellung, dass sie nach Able noch sein Kind verlieren könnte, brachte sie beinahe um den Verstand.
In ihren Augen brannten Tränen, und sie rappelte sich mühsam auf und schleppte sich erst durch den Flur und dann hinab ins Erdgeschoss. Sie durfte nun nicht panisch werden. Manchmal hatten Frauen auch vorzeitige Wehen, die sich wieder legten, bis das Baby Wochen später kam. Sie durfte nicht die Zuversicht verlieren und musste stark sein, damit nichts geschah. In ihrem Alter sollte sie ihr Kind im Krankenhaus bekommen, und ihr Bett im London Hospital war längst schon reserviert. Doch leider erst in vierzehn Tagen, und wenn es so weiterginge, würde sie es nicht einmal mehr in die Klinik schaffen, bis es so weit war.
Als Peggy in die Küche kam, stand Janet dort am Herd. Mike aß gerade Toast mit Marmelade, und das Mädchen kochte Tee.
»Ich habe …«, begann Jan, bevor sie merkte, dass mit ihrer Mutter etwas nicht in Ordnung war. »Oh, Mum, was ist … es ist doch nicht das Baby? O mein Gott, es kommt schon früher, stimmt’s?«
»Ich habe fürchterliche Schmerzen«, gab Peggy zu. »Die Wehen kommen zu schnell, ich glaube also nicht, dass ich jetzt noch mit einem Taxi in die Klinik fahren kann.«
»Dann rufe ich den Arzt«, erbot sich Mike und schob entschlossen seinen Stuhl zurück. »Es sei denn, du möchtest doch versuchen, noch ins Krankenhaus zu fahren.«
Peggy spürte eine neue starke Wehe und empfand den Wunsch zu pressen, also stützte sie sich auf die Rückenlehne eines Stuhls und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, dafür ist es schon zu spät. Ich will nicht, dass mein Baby auf dem Rücksitz eines Taxis kommt …«
»Hilf deiner Mum wieder nach oben, Janet«, befahl Mike, der plötzlich die Kontrolle über das Geschehen übernahm. »Ich rufe in der Zwischenzeit den Arzt, und du ziehst dir am besten schon einmal ein Nachthemd an und legst dich dann ins Bett, Peggy, denn vielleicht müssen wir das Baby selbst entbinden, wenn es so schnell kommt.«
Trotz ihrer Schmerzen musste Peggy lächeln. Anscheinend setzte bei dem jungen Mann, der selbst bis vor Kurzem noch Patient gewesen war, das Training der Marine ein. »Ich hätte oben bleiben sollen, aber ich dachte, dass der Schmerz noch mal vergeht, schließlich ist es eigentlich noch viel zu früh.«
»Vielleicht vergeht er ja tatsächlich noch einmal«, erklärte Janet, um sie zu beruhigen, doch sie beide wussten, dafür ging es viel zu schnell.
»Oh«, schrie Peggy, als sie oben angekommen waren, »jetzt habe ich mich nass gemacht!« Sie blickte Janet an. »Das heißt, mir ist die Fruchtblase geplatzt. Wir sind nun also ganz auf uns gestellt.«
»O nein, dass seid ihr nicht«, drang Nellies gut gelaunte Stimme durch den Flur. »Ich dachte mir bereits, dass du uns vielleicht überraschen würdest, Peggy, Liebes, und ich habe schon jede Menge Babys auf die Welt gebracht. Dort, wo ich herkomme, hat niemand Geld für einen Arzt gehabt, und gerade wenn die Kinder früher als erwartet kamen, habe ich den jungen Müttern oft geholfen, weil sie sonst völlig allein gewesen wären.«
Peggy hätte gern gelächelt, doch sie wusste, wie verschreckt die arme Janet war, und war auch selbst ziemlich nervös. Nach zwei Geburten käme sie auch diesmal mit den Schmerzen und dem Stress zurecht, doch damals war sie jung gewesen, und vor allem hatte sie in beiden Fällen eine Hebamme gehabt. Der Arzt hatte sie mehrfach darauf hingewiesen, dass sie dieses Kind im Krankenhaus bekommen sollte, aber dafür war es nun zu spät. Sie krümmte sich vor Schmerz, hielt sich den Bauch, und Jan und Nellie tauschten schnell das alte Bettzeug gegen neues aus. Die Handtücher, die sie unter das Laken schoben, sollten die Matratze schonen, damit sie auch weiter zu verwenden war. Natürlich hatte Peggy bereits Vorkehrungen für das Kind getroffen, aber daran, was bei einer Hausgeburt benötigt wurde, hatte sie natürlich nicht gedacht.
Die gute Nellie aber hatte derartige Sorgen nicht. »Geh runter in die Küche, koch dort Wasser und bring es zusammen mit einer sauberen Schüssel, jeder Menge weicher Tücher und den Sachen für das Baby rauf«, wies sie die immer noch besorgte Janet an. »Ich binde eine Tischdecke oder ein dickes Tuch ans Bettgestell, an dem deine Mum sich während der Geburt festhalten kann. Es hilft, wenn du was hast, woran du ziehen kannst, sobald die Wehen kommen und du das Bedürfnis hast zu pressen, aber noch nicht pressen darfst, Peggy. Und nun helfe ich dir erst einmal in dieses Nachthemd, damit Janet deine nassen Sachen rausbringen kann.«
»Hast du wirklich schon bei mehreren Geburten assistiert?«, erkundigte sich Peggy, nachdem Janet aus dem Raum gegangen war.
»Ich habe das nicht offiziell gelernt, nur war die Hebamme in unserer Gegend selten nüchtern, deshalb haben die Mütter eher mir als ihr vertraut.« Ihre Freundin lächelte sie an. »Tief einatmen, Liebes. Und jetzt so fest wie möglich wieder aus … genau …«
»Ich könnte etwas Gas und Sauerstoff gebrauchen …«
»Leider wirst du dich mit dieser Tischdecke begnügen müssen, bis der Doktor kommt. Ich hoffe doch, dass irgendwer ihn angerufen hat?«
»Mike hat gesagt, dass er das übernimmt«, erklärte Peggy, und als sie vor Schmerzen schrie, nahm Nellie ihre Hand.
»Dann ist ja gut. Ich weiß, dass tut jetzt höllisch weh, Liebes, doch keine Angst, weil du nicht in der Klinik bist, denn wenn das Kind jetzt kommt, ist es bereit dazu, und das musst du ganz einfach akzeptieren. Vor allem bist du eine starke Frau und wirst das ganz problemlos überstehen.«
Peggy traten Tränen in die Augen. »Aber was ist mit meinem Baby? Ich will dieses Baby haben, Nellie, und ich habe Angst, dass es vielleicht nicht überlebt, wenn wir …«
»Natürlich wird es das. Sein Vater war noch jung und stark – das heißt, dass dieses Kind auf jeden Fall ein Kämpfer wird. Du wirst schon sehen.«
»Darf ich reinkommen?«, erklang Maureens Stimme aus dem Korridor, und beide Frauen sahen sie verwundert an. »Ich war gerade in der Nähe, und dann hatte ich so ein Gefühl, dass es nicht schlecht wäre, auf einen Sprung hereinzuschauen. Janet hat gerade mit Maggie alle Hände voll zu tun, deswegen bringe ich euch nun die Schüssel, die Handtücher und diese Tischdecke, um die du sie gebeten hast, Nellie. Janet sagt, wenn wir das Wasser brauchen, ist es heiß.«
»Setz dich zu Peggy, während ich mir schnell die Hände wasche«, schlug ihr Nellie vor. »Wir haben nach dem Arzt geschickt, weil Peggy eigentlich im Krankenhaus ihr Kind hätte bekommen sollen, aber ich glaube kaum, dass er noch rechtzeitig erscheint. Und auch die Hebamme hier aus der Gegend kann nicht kommen, denn als ich mir vorhin eine Zeitung holen wollte, habe ich gesehen, dass sie gerade ihre Runde dreht. Das heißt, jetzt bringen wir beide das Baby auf die Welt. Ich weiß zwar, was ich tun muss. Aber ohne Hilfe wird es etwas schwierig, und da Janet, wie es aussieht, anderes zu tun hat, ist es gut, dass du vorbeigekommen bist. Vor allem warst du Schwesternhelferin und kennst dich deshalb sicher gut mit solchen Dingen aus.«
»Natürlich helfe ich«, sagte Maureen mit einem aufmunternden Lächeln für die arme Peggy zu. »Nimm meine Hand, Liebes. Ich habe schon bei einigen Entbindungen geholfen, denn nach meinem Wechsel an das Krankenhaus in London war ich schließlich auf der Gynäkologie.«
»Gott sei Dank, dass du vorbeigekommen bist«, stieß Peggy aus. »Ich hoffe nur, du hattest nichts Besonderes vor.«
»Nichts, was so wichtig ist, wie dass du nun dein Kind bekommst. Violet wollte noch einmal mit meiner Großmutter und mir sprechen, aber Gran ist bereits vorgegangen und hat zur Sicherheit Tom Barton mitgenommen, also kommt sie auch gut ohne mich zurecht. Ich kann also so lange bleiben, wie du mich hier brauchst.«
»Danke.« Peggy lächelte sie an und schrie dann abermals vor Schmerzen auf. »Verdammt! Das war echt mies …«
»Ich werde mal kurz schauen, wie weit das Baby ist, Peggy. Kannst du dich auf den Rücken legen und die Knie anziehen wie im Krankenhaus? Dann kann ich nachsehen, was passiert. O ja, es sieht so aus, als hättest du es fast geschafft, Liebes. Bald kannst du anfangen zu pressen, aber erst mal atme ganz tief ein und aus, und sobald Nellie wieder da ist, gehe auch ich selbst schnell ins Bad und schrubbe meine Hände ordentlich mit Seife ab.«
*
»Wo ist Maureen, und wofür habt ihr ihn dabei?«, erkundigte sich Violet und blitzte Hilda und den Jungen wütend an. »Er hat mit dieser Sache schließlich nichts zu tun …«
»Ich habe Tom gebeten, mich zur Vorsicht zu begleiten, und wir können über alles reden, selbst wenn meine Enkeltochter nicht mehr kommt. Wie hast du dich entschieden, Violet?«
»Ab Samstagabend habt ihr das Haus wieder für euch. Ich habe keine Lust, mich ins Geschäft zu stellen, und zum Wohnen habe ich was Besseres gefunden, wo ich keine derart unverschämte Miete zahlen muss. Die Möbel räume ich am Freitag oder Samstag aus.«
»Das musst du natürlich halten, wie du willst.« Als Hilda ihre Schwiegertochter ansah, drückte ihre Miene Mitleid und zugleich Verachtung aus. »Und was hast du mit den Waren aus dem Laden vor?«
»Ich habe den Vertrag von diesem Anwalt unterschrieben, denn ich kann mit diesem Zeug nichts anfangen und bin einfach froh, wenn ich hier draußen bin. Ich hätte nie in diese gottverdammte Wohnung einziehen sollen. Ich hatte schließlich selbst ein gut gehendes kleines Unternehmen, aber Henry meinte, dass es uns zusammen viel besser gehen würde, und jetzt stehe ich mit leeren Händen da …«
»Wenn das so ist, war das sicherlich nicht seine Schuld«, erklärte Hilda, und verlegen wandte Violet sich ab. »Für viele Leute wären ein Konto mit zweihundertfünfzig Pfund und das, was du noch für die Waren kriegst, jede Menge Geld, und dazu hast du ja noch deine eigenen Ersparnisse, denn die hat Henry ganz bestimmt nicht angerührt.«
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht«, fauchte Violet, verzog dabei aber das Gesicht. Man sah ihr an, dass sie sich unbehaglich fühlte. »Aber schließlich habt du und deine unverschämte Enkelin mich auch nie gemocht.«
»Henry war mein Sohn, und du warst seine Frau. Wenn du ihm eine bessere Frau gewesen und mit uns ein bisschen netter umgegangen wärst, hättest du nach seinem Tod auch weiter auf uns zählen können, aber so ziehst du jetzt eben aus und wirfst mir den Schlüssel bitte Samstag in den Briefkasten.«
»Du wirst die verdammten Schlösser doch wahrscheinlich sowieso austauschen …«
»Allerdings, das werde ich. Denn wie ich bereits sagte, Violet, ich vertraue dir nicht, und das ist deine eigene Schuld. Ich finde trotzdem nicht, dass Maureen und ich dir gegenüber auch nur ansatzweise ungerecht gewesen wären.«
»Was bist du doch für ein arrogantes Weib. Ich hoffe nur, du bildest dir nicht ernsthaft ein, ich würde Miete zahlen für die kurze Zeit nach Henrys Tod, in der ich noch hier wohne, denn das tue ich ganz sicher nicht.«
»Das hätte ich auch nicht gedacht.« Mit diesen Worten schnappte Maureens Gran sich ihren Einkaufskorb und wandte sich zum Gehen. »Tom hat eine Liste aller Waren im Lager und Geschäft erstellt. Ich kann dir nur raten, nichts davon bei deinem Auszug mitzunehmen, Violet, denn dann geht die Person, an die du den Bestand verkauft hast, zur Polizei. Ihr Geld geht heute Nachmittag in der Kanzlei des Anwalts für dich ein. Du kannst es dort abholen, wenn du willst.«
»Du elendige, selbstgerechte Hexe«, fauchte Violet. »Bestimmt hast du das Zeug gekauft. Soll dich der Teufel holen.«
Hilda sah ihr direkt ins Gesicht. »Ich werde ebenfalls darauf verzichten, dir Glück zu wünschen, Violet, denn für sein Glück ist jeder selbst verantwortlich, und irgendwann kriegt jeder das, was er verdient …«
Gefolgt von Tom marschierte sie erhobenen Hauptes aus dem Wohnzimmer, und als sie wieder unten angekommen waren, blickte er sie fragend an. »Soll ich die Tür des Lagers absperren? Sie hat ein neues Schloss bekommen, als mein Dad hier seine Stelle angetreten hat, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Violet einen Schlüssel dafür hat.«
»Gute Idee.« Die alte Dame lächelte ihm anerkennend zu. »Aber das bisschen Geld lässt du am besten in der Kasse, weil das schließlich Teil von ihrem Erbe ist. Ich will nichts haben, was ihr zusteht, aber wenn sie könnte, würde sie wahrscheinlich mehr nehmen als das, worauf sie einen rechtmäßigen Anspruch hat.«
»Dann sperre ich die Tür schnell ab und nehme vorsorglich den Schlüssel mit«, erklärte Tom. »Nur kommt sie trotzdem weiter in den Laden, und wir können nicht verhindern, dass sie sich vor ihrem Auszug vielleicht noch mal dort bedient.«
»Falls sie das tut, haben wir eben Pech. Wahrscheinlich wird sie sich die Chance, noch irgendetwas mitzunehmen, nicht entgehen lassen, aber mehr als ein paar Dosen steckt sie ganz bestimmt nicht ein.«
»Da haben Sie recht.« Der Junge sperrte die Tür des Lagers ab und steckte vorsorglich den Schlüssel ein. »Dann komme ich am Sonntagmorgen her und sehe nach, ob sie was mitgehen lassen hat. Und falls ich vorher irgendetwas tun kann, brauchen Sie es bloß zu sagen«, bot er Hilda an.
»Halt dich einfach von Violet fern. Sie würde dir bestimmt was antun, wenn sie könnte, Tom. Am besten gehen wir ihr alle aus dem Weg, bis sie verschwunden ist …«
*
»Maureen, Nellie … vielen, vielen Dank«, erklärte Peggy und sah überglücklich sofort wieder ihre Babys an. »Ich kann nicht glauben, dass ich sie nun endlich in den Armen halte und dass sie gesund und munter sind. Ich hatte keine Ahnung, dass es zwei sind, denn obwohl der Arzt gesagt hat, dass ich zur Geburt auf alle Fälle in die Klinik gehen sollte, hat er nie etwas von Zwillingen gesagt. Aber sie machen dort auch so immer ein furchtbares Trara, und vielleicht habe ich deswegen auch nicht richtig zugehört.«
»Und der Gedanke ist dir nie gekommen?«, hakte Nellie nach. »Du warst schon ziemlich früh sehr dick, Peggy, und dass du jetzt schon in den Wehen lagst, hat mich nicht sonderlich überrascht. Das kommt bei Zwillingen schließlich öfter vor.«
»Ich fand es wirklich etwas seltsam, dass ich derart zugenommen habe, aber um darüber nachzudenken, hatte ich einfach zu viel zu tun. Aber es geht ihnen doch gut?«
»Es geht ihnen hervorragend.« Maureen berührte sanft den Kopf des kleinen Jungen, der vielleicht ein bisschen schwächer, doch mit seinen feinen blonden Löckchen und den blauen Augen eine ebensolche Schönheit wie seine Schwester mit den glatten dunklen Haaren war. »Ich weiß, du hast gesagt, dass du zu Hause bleiben willst, nachdem sie wohlbehalten auf die Welt gekommen sind, aber wenn dir dein Arzt empfiehlt, ins Krankenhaus zu gehen, sollest du trotzdem auf ihn hören.«
»Ich bin erschöpft, aber okay«, erklärte Peggy und sah gähnend zu, wie Maureen ihre Kinder zu der Wiege in der Ecke trug. Da sie nur eine Wiege hatte, würde es ein bisschen eng werden, anscheinend waren die Kinder jedoch gern zusammen, und der kleine Junge schmiegte sich sofort an seine Schwester an. »Aber wenn du denkst, ich sollte ihretwegen dennoch in die Klinik gehen …« Sie sah ihre Freundin ängstlich an.
»Wir werden sehen, was der Arzt sagt, wenn er kommt.« Von draußen erklang ein Geräusch, und Maureen öffnete die Zimmertür. »Da kommt er ja. Es wird ihn sicher überraschen, dass die ganze Sache bereits erledigt ist.«
»Mrs. Ashley«, grüßte er, als er das Schlafzimmer betrat, »es tut mir leid, dass es nicht schneller ging – aber wie es aussieht, haben Sie es auch problemlos ohne mich geschafft.«
»Nur weil Nellie und Maureen hier waren«, gab sie lächelnd zu. »Maureen ist Schwesternhelferin, und Nellie hat schon öfter Kinder auf die Welt geholt …«
»Da hatten Sie ja wirklich Glück. Trotzdem sollten wir Sie jetzt noch untersuchen, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Am besten wären wir dabei allein, zusammen mit Mrs. Hart.«
»Ich habe zwar die Prüfung in Geburtshilfe noch nicht gemacht, aber ich war bereits bei einigen Geburten auf der Frauenstation des London Hospital dabei. Die heutige Geburt verlief sehr schnell und vollkommen problemlos, auch wenn sich der kleine Junge etwas Zeit gelassen hat.«
Der Arzt hob unmerklich die Brauen, doch erst mal untersuchte er die Mutter, richtete sich wieder auf und stellte fest: »Die Blutungen sind ganz leicht. Dennoch sollten wir darauf achten, und ich werde heute Abend noch mal wiederkommen, um zu sehen, wie es Ihnen geht.« Dann trat er an die Wiege, um auch die Babys in Augenschein zu nehmen. »Sie sehen gut aus, und die Finger und die Zehen sind alle dran, nur tut der Junge sich anscheinend mit dem Atmen etwas schwer.«
»Ich dachte, er sieht gut aus …« Peggy richtete sich ängstlich auf und wandte sich mit vorwurfsvoller Stimme an Maureen. »Hast du mir nicht gesagt, es ginge ihnen hervorragend?«
»Das tut es auch«, bestätigte der Arzt. »Aber das Mädchen hatte offenbar im Mutterleib das Sagen, deshalb ist der Junge nicht so stark wie sie. Das ist kein Grund zur Sorge, Mrs. Ashley, aber wie es aussieht, täte ihm beim Atmen etwas Hilfe gut.« Er hauchte auf sein Stethoskop, um es ein wenig anzuwärmen, und drückte es dem Kind behutsam auf die Brust. »Genau, das Herz schlägt nicht ganz regelmäßig, daher sollten wir den Kleinen erst mal gründlich untersuchen und danach noch kurz beobachten, wie er sich macht. Ich werde einen Krankenwagen rufen, und dann wäre es das Beste, wenn Sie mit den beiden Babys in die Klinik führen, denn schließlich wollen wir auf Nummer sicher gehen.«
»Natürlich, wenn Sie denken, dass das nötig ist.« Mit Tränen in den Augen ergriff Peggy Maureens Hand. »Ich würde es nicht aushalten, ihn zu verlieren …«
»Ich glaube nicht, dass Sie das Kind verlieren werden«, klärte Doktor Martin sie mit einem brüsken Nicken auf. »Nur ist der Kleine eben noch ein bisschen schwach und sollte aus diesem Grund zur Beobachtung ein paar Tage ins Krankenhaus. Und Sie und seine Schwester kommen mit, damit er nicht alleine ist. Wir werden sehen, wie die Dinge sich entwickeln, doch wenn alles glattgeht, können Sie in ein paar Tagen sicher wieder heim.« Dann wandte er sich an Maureen. »Würden Sie mich wohl kurz vor die Tür begleiten?«
»Ja, natürlich. Ich bin sofort wieder da, Peggy«, versicherte sie ihrer Freundin und folgte dem Doktor in den Flur.
»Haben Sie die Anzeichen bemerkt?«, erkundigte er sich, als sie mit ihm zur Treppe ging.
»Er hat sofort geatmet, als er einen leichten Klaps von mir bekommen hat, aber er war ein bisschen blau und kommt mir generell ein bisschen schwächer als seine Schwester vor.«
»Also müssen wir jetzt hoffen, dass er keinen Hirnschaden davongetragen hat«, erklärte er und nickte. »Ich habe ganz bestimmt nicht vor, den Teufel an die Wand zu malen, aber Mrs. Ashley ist nun mal nicht mehr die Jüngste und hat statt in der Klinik hier zu Hause Zwillinge geboren. Wie Sie wahrscheinlich wissen, kommen manche Babys auf die Welt und haben ein kleines Loch im Herz, das sich dann später von alleine schließt. Trotzdem brauchen sie erst mal besondere Fürsorge, wenn ihnen kein dauerhafter Schaden bleiben soll. Es ist ein Segen, dass Sie hier waren, Mrs. Hart.«
»Nellie ist als Hebamme erfahrener als ich, aber am besten hätten wir sie rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht.«
»Dann hätte sie die Babys wahrscheinlich im Taxi auf die Welt gebracht. O nein, ich habe nichts an der Entbindung auszusetzen, Mrs. Hart. Ich hoffe nur, der Junge kommt auch durch.«
Maureen bedankte sich bei ihm und ging ins Schlafzimmer zurück, wo Peggy lautlos weinend an der Wiege stand und ihrem Sohn über das Köpfchen strich.
»Bitte, Liebes, leg dich wieder hin. Du solltest noch nicht wieder auf den Beinen sein. Du musst versuchen, optimistisch zu sein, denn schließlich wollen wir nicht, dass deine Blutung sich verstärkt. Es kommt mitunter vor, dass Zweitgeborene etwas Hilfe brauchen, aber meistens reicht es schon, ihnen ein bisschen Sauerstoff zu geben und sie zu beobachten, und dafür ist nun mal der beste Ort ein Krankenhaus.«
»Ich darf ihn nicht verlieren, Maureen. Ich liebe meine Babys jetzt schon über alles, und ich habe Schuldgefühle, denn ich hätte früher merken müssen, dass etwas nicht stimmt, und in die Klinik fahren sollen. Vielleicht habe ich auch zu viel gearbeitet.«
»Das hätte sicher keinen Unterschied gemacht. Ich nehme an, dass seine Schwester fast den ganzen Raum für sich beansprucht hat und er deshalb ein bisschen kleiner und nicht ganz so kräftig ist wie sie. Wir können noch nicht sagen, ob er dauerhaft etwas davon zurückbehalten wird, aber selbst wenn, ist das bestimmt nicht deine Schuld. Vor allem geht es diesen Kindern oft nach ein paar Stunden gut. Das habe ich einmal in einer Vorlesung gehört, aber Genaues weiß ich nicht, denn schließlich hatte ich noch keine Zeit, um einen Kursus in Geburtshilfe zu absolvieren. Aber die Bücher habe ich gelesen, und im London Hospital habe ich ab und zu bei Notgeburten assistiert, die alle glimpflich ausgegangen sind«, erklärte sie und kreuzte ihre Finger hinter dem Rücken, weil sie ihrer Freundin ihre Angst um ihren kleinen Jungen nehmen wollte, auch wenn dessen Zustand alles andere als rosig war. »Ich bin mir sicher, wenn er erst ein bisschen Sauerstoff bekommt, geht es ihm gut.«
»Gott sei Dank, dass du vorbeigekommen bist«, stieß Peggy aus. »Mir ist an ihm nichts aufgefallen – und Nellie auch nicht, denn sie hat gesagt, die beiden wären kerngesund.«
»Es sind ja auch zwei wunderbare Babys«, pflichtete Maureen ihr bei und drückte ihr die Hand. »Ruh du dich erst mal etwas aus, Liebes, und dann versuch, sie anzulegen, ja? Janet wird dir eine Tasse Tee raufbringen, denn schließlich kann sie es kaum erwarten, sich ihr Schwesterchen und ihren kleinen Bruder anzusehen – und dann ist es wahrscheinlich Zeit, ins Krankenhaus zu fahren. Und wenn die Ärzte sich den Jungen erst mal angesehen haben, kriegen sie ihn bestimmt innerhalb von ein paar Tagen hin.«
*
Maureen blieb noch bei Peggy, bis der Krankenwagen kam, und fuhr mit ihr zusammen ins Krankenhaus. Sie ließ sie erst allein, als sie in einem Bett lag, neben dem die kleine Fay in einer Wiege schlief. Freddy hatte man umgehend auf die Kinder-Intensivstation gebracht und dort mit Sauerstoff versorgt, und Peggy war in Tränen ausgebrochen, als er fortgetragen worden war. Dann aber gab die Schwester ihr ein leichtes Schlafmittel, und vor Erschöpfung fielen ihr sofort die Augen zu.
Es war bereits nach fünf, als Maureen heimkam und bemerkte, dass dort alle Lichter brannten und ein Polizist vor ihrer Haustür stand. Sie rannte los und rief mit angsterfüllter Stimme: »Was ist los? Geht es meiner Gran und Shirley gut?«
»Die alte Dame steht ein bisschen unter Schock«, erklärte ihr der junge Mann. »Aber zum Glück war dieser Schuft schon nicht mehr da, als sie nach Hause kam. Nur leider hat er alle Schränke und auch alle Schubladen durchwühlt. Mein Chef ist noch im Haus und spricht mit ihr.«
Maureen trat durch die Tür und sah sofort, dass in die Wohnung eingebrochen worden war. Die Mäntel lagen auf dem Boden, und der Inhalt der Kommode war im ganzen Flur verteilt.
Eilig ging sie weiter in die Küche, in der ihre Großmutter mit dem Inspektor sprach. Noch während er sich ihre Aussage notierte, fragte sie: »Oh, Gran, geht es dir gut?«
»Mir geht es bestens, Schatz – wie geht es Peggy?«
Maureen brauchte nicht zu fragen, woher Hilda wusste, was passiert war, denn in ihrer Gegend sprachen Neuigkeiten sich im Handumdrehen herum, und sicher wussten bereits alle über Peggys Zwillinge Bescheid.
»Sie ist im Krankenhaus, weil eins der Kinder dort behandelt werden muss«, erklärte sie und sah sich in dem Durcheinander in der Küche um. »Hier wurde eingebrochen …«
»Ich bin Inspektor Baxter«, stellte der Beamte sich ihr höflich vor. »Und Sie sind Mrs. Maureen Hart?« Als sie nickte, fügte er mitleidig hinzu: »In Ihrem Zimmer sieht es am schlimmsten aus, und Ihre Großmutter geht davon aus, dass etwas Schmuck und Silber weggekommen sind.«
»O nein, die meisten dieser Sachen waren von meiner Mum. Sie hat sie mir vererbt, und ich hatte sie oben in den Schrank gelegt. Aber woher haben die Einbrecher gewusst, dass niemand da war? Schließlich steht das Haus sonst nie den ganzen Tag lang leer.« Sie sah sich suchend um und fragte: »Wo ist Shirley überhaupt?«
»Ich hatte mich ab halb vier wieder selbst um sie kümmern wollen, aber nach dem Einbruch hielt ich es für besser, sie bei Anne zu lassen, bis hier wieder halbwegs Ordnung herrscht. Und dann bin ich erst einmal losgelaufen, um die Polizei zu alarmieren«, meinte ihre Gran und schüttelte den Kopf. »Ich konnte es nicht glauben, als ich all die Sachen auf dem Boden liegen sah …«
»Das war bestimmt ein Schock für dich, doch ich bin wirklich froh, dass du die Kleine noch bei Anne gelassen hast. Ich will nicht, dass sie dieses Chaos sieht.« Maureen sah ihre Gran mit einem – wenn auch leicht gezwungenen – Lächeln an. »Solange ihr gesund und munter seid, ist alles andere egal. Das mit Mums Sachen tut mir leid, aber ich glaube nicht, dass sie besonders wertvoll waren. Es macht mich einfach traurig, weil für mich Erinnerungen damit verbunden waren. Und an Bargeld dürften sie kaum was gefunden haben – oder, Gran?«
»O nein, das bisschen Bargeld war in meiner Tasche, und die hatte ich dabei. Meine Wertsachen und alles andere Geld sind auf der Bank, und auch das Sparbuch trage ich zur Vorsicht stets mit mir herum. Ich glaube also nicht, dass außer etwas Silber und einer Granatbrosche, die ich von meiner Mutter hatte, etwas fehlt. Die Kerzenleuchter aus massivem Silber vorn im Wohnzimmer, die Messingreiseuhr und die silberne Teekanne sind weg, aber ich nehme an, dass die versichert waren.«
»Oh, Gran, es tut mir leid.« Maureen nahm Hilda tröstend in den Arm.
»Im Grunde macht mir das nicht wirklich etwas aus, auch wenn es um die Sachen deiner Mutter echt schade ist. Ich nehme an, dass er auch die mitgehen lassen hat.«
»Am besten gehe ich schnell rauf und sehe nach. Ich werde Ihnen eine Liste machen, Inspektor.«
»Das wäre nett.«
Sie lief hinauf und rang entsetzt nach Luft, als sie das Ausmaß der Verwüstung sah. Es deutete auf große Eile oder auf den Wunsch, das größtmögliche Chaos anzurichten, hin. Eine hübsche Porzellanfigur sowie der Spiegel über dem Frisiertisch waren zerbrochen, und das kleine Schmuckkästchen lag aufgebrochen auf dem Boden und enthielt nicht eins der Stücke mehr, die ihr von ihrer Mutter hinterlassen worden waren. Genauso waren der Kasten mit den Silberkerzenständern, das silberne Tee- und Kaffeeset und ihre hübschen Silberkaffeelöffel nicht mehr da. Gran hatte ihr gesagt, sie sollte diese Dinge für ihr eigenes Zuhause aufbewahren, also hatte sie sie sorgsam eingewickelt und zusammen mit einem hübschen Teeservice aus Porzellan in ihren Schrank gestellt.
Ihre Lieblingsbrosche hatte sie zum letzten Mal zu ihrem besten Kleid getragen, und tatsächlich steckte sie noch immer dort. In seiner Eile hatte sich der Dieb nicht auch noch alle ihre Kleider angeschaut und einfach mitgehen lassen, was er auf den ersten Blick an Wertsachen in ihrem Zimmer hatte liegen sehen. In ihren Augen brannten Tränen der Erleichterung, denn ihre Mutter hatte diese Brosche ebenfalls geliebt, deswegen hätte der Verlust sie mehr als das Verschwinden all des anderen Schmucks und auch der Teile ihrer Aussteuer geschmerzt.
Sie ging wieder hinunter in die Küche und erklärte dem Inspektor, dass dem Dieb ihr bestes Teeservice aus Porzellan, zwei Kerzenleuchter und verschiedene andere Silbergegenstände, ein Paar goldener Ohrringe, ein Goldmedaillon, ein schweres Silberkreuz an einer Kette und ein schmaler Silberarmreif in die Hände gefallen waren.
»Was meinen Sie, wie viel die Sachen wert waren, Mrs. Hart?«
»Meine beste Brosche steckt noch an einem Kleid, deswegen hat der Dieb sie übersehen. Der Rest muss an die hundertfünfzig bis zweihundert Pfund wert sein. Es ist vor allem der ideelle Wert, der für mich zählt, und der Gedanke, dass hier jemand eingebrochen ist und all diese Dinge einfach mitgehen lassen hat.«
»So was ist hier noch nie passiert«, erklärte ihre Gran. »Nach meiner Heirat haben wir nie abgeschlossen, nicht mal, wenn wir abends in den Pub gegangen sind.«
»Ich fürchte, dass es immer ein paar schlechte Menschen gibt«, stellte Inspektor Baxter grimmig fest. »Vielen Dank für Ihre Hilfe. Also haben wir es hier mit Diebesgut im Wert von fast vierhundert Pfund zu tun. Das ist nicht gerade eine Kleinigkeit. Natürlich werden wir versuchen, diesen Typen zu erwischen oder wenigstens die Sachen wieder aufzutreiben, aber das wird ganz bestimmt nicht leicht.«
»Das ist bereits der zweite Einbruch, der in letzter Zeit hier in der Gegend stattgefunden hat«, meinte Maureen. »Wobei der andere Mann verhaftet worden ist …«
»Sie sprechen von dem Einbruch bei Tom Barton.« Der Inspektor runzelte die Stirn. »Tatsächlich hatten wir den Kerl verhaftet, aber hat man Ihnen nicht gesagt, dass ihm auf dem Transport zu einer Militärbasis ein Stückchen außerhalb der Stadt die Flucht gelungen ist? Wir haben ihn bisher noch nicht wieder aufgespürt. Vielleicht ist er ja wieder in sein altes Jagdrevier zurückgekehrt, aber ich glaube eher, dass Knocker James erst mal auf Tauchstation gegangen ist. Er ist ein Deserteur, und wenn das Militär ihn jetzt erwischt, glaube ich nicht, dass es noch einmal Gnade walten lassen wird.« Er sah auf seine Uhr. »Ich glaube, dass wer anderes hinter diesem Einbruch steckt, dem es speziell um dieses Haus gegangen ist. Wusste irgendjemand, dass Sie heute beide nicht zu Hause wären?«
Maureen und Hilda sahen sich an. »Wir waren beide um halb zehn woanders einbestellt.«
»Und wo?«
»Bei Violet, der zweiten Frau meines Vaters«, klärte ihn Maureen mit nachdenklicher Stimme auf.
»Es kann doch wohl nicht sein, dass Violet dahintersteckt …«, fiel ihr Hilda ins Wort.
»Sie dachte immer, dass sie einen Anspruch auf die Sachen meiner Mutter hätte, seit sie Vaters Frau geworden ist …« Maureen brach ab und blickte den Inspektor an. »Vor allem dachte sie, der Laden, den mein Vater jahrelang geführt hat, hätte ihm gehört, obwohl er nur von meiner Gran gepachtet war.«
»Und deshalb gab es Streit?« Abermals schlug der Inspektor sein Notizbuch auf und trug mit einem Bleistift etwas darin ein. »Wenn sie Sie heute früh getroffen hat, kann sie wohl kaum zur selben Zeit hier eingebrochen sein – aber vielleicht hat sie ja jemanden damit beauftragt, das für sie zu tun.«
»Ich glaube nicht, dass sie jemanden kennt, der so was machen würde«, meinte Maureens Gran.
»Alice hat mir erzählt, dass sie sich mal mit einem Mann in einem Café in der Commercial Road getroffen hat. In diesem schicken Laden, wo es Kaffee und Kuchen gibt. Und wie es aussieht, waren die beiden nicht nur einmal dort.« Maureen schüttelte ungläubig den Kopf. »Schwer vorstellbar, dass sie mit so was einverstanden wäre, auch wenn sie natürlich ziemlich sauer auf uns war.«
Inspektor Baxter schrieb sich Alice’ Namen und ihre Adresse auf, und als er ging, sahen sich die beiden Frauen seufzend an.
»Am besten tauschst du umgehend die Schlösser des Geschäfts und auch der Wohnung aus, sobald sie ausgezogen ist«, meinte Maureen. »Und vergewissere dich, dass mit den Waren alles seine Ordnung hat, bevor der Anwalt sie bezahlt.«
»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Violet hinter dieser Sache steckt?«
»Vielleicht hat sie sie nicht geplant, aber ich gehe jede Wette ein, dass sie den Täter kennt. Denn wer auch immer das getan hat, hatte es vor allem auf die Sachen meiner Mutter, aber gleichzeitig auf Bargeld abgesehen. Nur gut, dass du nie größere Summen hier aufbewahrst.«
»Da fällt mir etwas ein«, gab Hilda widerstrebend zu. »Das Geld fürs Gas steckte in einer Dose in der Speisekammer …« Sie lief los und kehrte kopfschüttelnd zurück. »Es waren zwar nur fünf Pfund in Kleingeld, aber sie sind nicht mehr da.«
»Nun ja, ich nehme an, das zeigt, dass du dein Geld an einem sichereren Ort aufheben musst. Auch wenn ich nicht einmal im Traum daran gedacht hätte, dass hier jemals so etwas passiert.«
»Es war auf jeden Fall jemand von außerhalb.« Die alte Dame runzelte die Stirn. »Auch wenn wahrscheinlich Violet dahintersteckt. Ich werde froh sein, wenn sie endlich weg ist, und ich werde meinem Anwalt sagen, dass er mit der Zahlung warten soll, bis wir uns vergewissert haben, dass sie noch nicht irgendwelche Waren aus dem Laden mitgehen lassen hat.«