EINSTIEG IN DEN AUSSTIEG
AUTOPILOT, DER Wovon bei Autos alle reden, das gibt es bei Booten schon lange: den Autopilot. Er steuert das Boot auf einem festgelegten Kurs, zu einer gesetzten Position oder – für Segler besonders reizvoll – auf einem definierten Kurs zum Wind. Auf See, besonders bei Nacht, ersetzt der Autopilot oft den Steuermann. Seit Jahren warten Skipper aber vergeblich auf den Modus für automatisiertes An- und Ablegen.
BACKBORD Links! Weil auf einem Boot Kommandos klar und deutlich sein müssen, heißt es in der Seefahrt Backbord und › Steuerbord, ausgehend vom › Heck zum › Bug. Steuerbord und Backbord haben auch ihre eigenen Farben. Steuerbord ist grün, Backbord rot. Das gilt für die Lichter an Bord, die bei Nacht anderen Booten die Fahrtrichtung angeben, aber auch für Tonnen, die das Fahrwasser markieren.
Tage und Nächte verbringe ich mit dem Taschenrechner, kritzle Notizen und Gedanken auf Listen, die überschrieben sind mit »Pro« und »Contra«. Ich mache mir Gedanken über meine Rente, über Einkünfte und Ausgaben, über Freunde und Familie, die ich künftig weniger sehen werde. Und natürlich überlege ich, wo und wie ich leben will. Wie viel Geld ich wohl brauchen werde, um leben statt lediglich überleben zu können?
Ich wälze Ordner, um mir erst mal einen Überblick über meine Ausgaben zu verschaffen, über Versicherungen zum Beispiel, die ich in all den Jahren abgeschlossen und nie in Anspruch genommen habe, über Mitgliedschaften in Vereinen und Organisationen. Über sinnvolle und sinnlose Ausgaben. Was kann ich kündigen? Wo kann ich sparen?
In meine private Altersvorsorge werde ich weiterhin einzahlen. Das steht fest. Bei der privaten Krankenversicherung erkundige ich mich, ob die Leistungen auch für das nichteuropäische Ausland gelten, und lasse mir das schriftlich bestätigen. Ich frage bei meiner Bank nach, wie hoch die Gebühren für Abhebungen im nichteuropäischen Ausland sind. 10 Prozent der Summe, die abgehoben wird. Definitiv zu viel, ich wechsle das Institut.
Ein paar Reserven schlummern noch auf meinem Konto, aber nicht viele. Unmöglich, davon ein Boot zu kaufen. Aktien und Fonds: Fehlanzeige! Vermutlich bin ich der einzige Wirtschaftsjournalist, der nie eine Aktie besessen hat. Will ich mir den Traum vom Ausstieg ermöglichen, muss ich also mein Tafelsilber versetzen – sprich meine hypothekenbelastete Wohnung in Berlin-Friedrichshain, die eigentlich mal als Altersvorsorge gedacht war. Eine zweite Wohnung ein Stockwerk tiefer, die ich an Freunde vermietet habe, behalte ich als stille Reserve. Eigentlich wollte ich die beiden Wohnungen mal zusammenlegen, um eine herrlich große Wohnung zu schaffen. Daraus wird dann wohl nichts mehr. Aber meine Pläne haben sich ja ohnehin geändert. Also checke ich vergleichbare Wohnungen auf den einschlägigen Immobilienportalen und kann es kaum glauben: Der Preis hat sich in nur fünf Jahren verdoppelt. So bliebe auch nach Auslösung der Hypothek samt Vorfälligkeitszinsen noch genügend Geld für den Neustart, selbst wenn ich vorsichtig kalkuliere, um nicht viel zu früh böse Überraschungen zu erleben. Ich bin erleichtert. Einerseits. Andererseits bin ich wie in Schockstarre. Wenn ich wirklich so viel Geld für die Wohnung bekomme, gibt es absolut keinen Grund mehr, den Schritt in ein neues Leben nicht zu wagen, denke ich. Es ist kein Netz mit doppeltem Boden. Sicher nicht. Aber es ist definitiv mehr als ein Strohhalm, an den ich mich klammern kann. Und was habe ich schon zu verlieren? Ich bin ungebunden, habe keinerlei Verpflichtungen. Und sollte mein Ausstieg scheitern, dann habe ich wenigstens ein paar schöne Jahre, die mir niemand mehr nehmen können wird. Die Erkenntnis beruhigt mich. Ich widme mich wieder dem Taschenrechner.
Ich setze mir ein Budget für den Bootskauf und gestatte mir monatliche Ausgaben von 3000 Euro, wovon allerdings auch die private Altersvorsorge und die Krankenversicherung bezahlt werden müssen. Allein diese beiden Posten machen zusammen mehr als 1000 Euro aus. Trotzdem bin ich zufrieden mit der Zahl, die auf dem Display des Rechners erscheint: 4,7! Wenn ich mein Budget nicht überschreite, hätte ich also genug Kohle, um 4,7 Jahre meinen Traum zu leben. Genügend Zeit, um mich nach Wegen umzuschauen, wie ich die Bordkasse aufbessern kann. Und jeder Cent, den ich verdiene, jeder Euro, den ich nicht ausgebe, würde die sorgenfreie Zeit verlängern. Trotzdem bin ich mir bewusst, dass auch 4,7 Jahre wie im Fluge vergehen können. Und dann? Dann bin ich zweiundfünfzig Jahre alt. Zu jung für die Rente, vielleicht zu alt für den Arbeitsmarkt?
Aber wie heißt es so schön: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Also setze ich das Kündigungsschreiben auf, in vollem Bewusstsein, dass jeder der nächsten Schritte nicht mehr rückgängig zu machen ist. Wenn die Kündigung raus ist, ist sie raus. Wenn die Wohnung verkauft ist, bin ich obdachlos. Und schon bin ich beim nächsten Problem: Was mache ich überhaupt mit meinen Möbeln und den anderen Habseligkeiten? Verkaufen? Einlagern? Verschenken? Das eine erscheint mir zu aufwendig, das andere zu teuer.
Die Entscheidung nimmt mir ein junger Franzose namens Aurélien ab. Zusammen mit seiner Freundin ist er einer der ersten Interessenten, denen ich die Wohnung zeige. Ich habe mich gegen einen Makler entschieden. Zum einen, weil ich noch hier wohne und nicht möchte, dass plötzlich unerwarteter Besuch im Wohnzimmer steht. Zum anderen geht es mir gegen den Strich, dass Makler eine stattliche Provision auf den Kaufpreis verlangen, nur damit sie die Tür aufschließen und achselzuckend Fragen notieren, um sie an den Verkäufer weiterzuleiten. So ist es mir ergangen, als ich 2013 auf Wohnungssuche in Berlin war. Den teuren Schließservice lehne ich deshalb ab und investiere lieber selber in eine Anzeige.
Aurélien ist nicht der einzige Interessent. Der Wohnungsmarkt in Zeiten von Niedrigzinsen und verfehlter Baupolitik ist brutal. Vor allem Ausländer scheinen interessiert. Franzosen, Briten, Iren und ein Italiener melden sich. Verglichen mit Paris, London, Dublin oder Rom sind die Preise in Berlin immer noch ein Schnäppchen. Es ruft sogar ein Mitarbeiter einer internationalen Immobiliengesellschaft an, der die Wohnung ungesehen kaufen will. Allerdings für einen niedrigeren Preis, dafür sofort. Da ich aber noch einige Zeit in Berlin bleiben muss, kommt das nicht infrage. Als ich Aurélien bereits mündlich zugesagt habe, bieten andere Interessenten einen Aufschlag von 10 Prozent an. Dass ich mich an den Handschlag halten will, verstehen sie nicht. »12 Prozent?«, legen sie stattdessen nach. Ich lehne ab.
Natürlich hat auch Aurélien noch versucht, am Preis zu drehen, aber schließlich akzeptiert er meinen Vorschlag, was mir viel Mühe erspart. Ich lasse alles, bis auf meine privaten Sachen, in der Wohnung. Ohne Aufpreis. Möbel, Inventar, Fernseher, Telefon, meine heiß geliebte italienische Espressomaschine, Küchenutensilien, die Klobürste, selbst die Bilder an der Wand und die Bücher auf den Regalen. Es schreckt ihn nicht einmal ab, dass ein Bild, ein Schwarz-Weiß-Stich auf Alu-Dibond, mich bei einer Strandsegelregatta zeigt. Aurelién, der in einer WG lebt, kann alles gebrauchen. Bei einem Boot würde in dem Inserat stehen: »mit Pött und Pan«.
Nach der eingereichten Kündigung und dem verhandelten Verkauf der Wohnung steht der nächste Schritt an. Wahrscheinlich der wichtigste: Ich muss ein passendes Boot finden. An Auswahl mangelt es nicht. Es gibt Hunderte Angebote im Internet. Im Idealfall liegt das Boot bereits in der Türkei, Griechenland wäre auch noch okay, beschließe ich. Frühestens im Oktober, so der Plan, werde ich umsiedeln. Kurz bevor die Herbststürme einsetzen. Um die Auswahl einzugrenzen, muss ich mir zunächst klarmachen, wonach ich eigentlich suche. Schließlich wird das Boot mein zukünftiges und zudem einziges Zuhause sein, dazu mein Büro und auch mein Hobby.
Die Wahl des Bootstyps und der Ausstattung ist abhängig vom Revier. Mir ist klar, dass ich mein Abenteuer am Mittelmeer starten will, konkret in der Türkei. Ich kenne das Land, ich mag nicht nur die ausgezeichnete Küche, sondern auch die Offenheit und Lebensfreude der Menschen. Und sogar die Sprache habe ich einmal gelernt. Wenn auch nur rudimentär, damals beim Studium. Das Stipendium der Ankara Üniversitesi, Zweigstelle Izmir, das ich 1997 bekommen hatte, sagt aber beileibe nichts über meine Sprachkenntnisse aus. Mein Kommilitone Alex und ich wurden geradezu genötigt, das Stipendium anzunehmen, das die Türkei für die beiden besten Türkisch-Studenten an der Universität Würzburg ausgelobt hatte. Und bei aller Bescheidenheit, natürlich waren Alex und ich die besten unseres Fachs. Aber eben auch die einzigen. Und eigentlich ziemlich schlecht. Unsere Dozentin bestand jedoch darauf, das Angebot anzunehmen, sonst würde wohl nie wieder ein solches folgen. Also willigten wir widerwillig ein, flogen nach Izmir – und versagten beim Einstufungstest. Obwohl wir bereits drei Semester Türkisch studierten, fanden wir uns im Anfängerkurs wieder. Aber es war eine wunderbare Zeit in einem spannenden Land.
Spanien, Italien, Kroatien, Griechenland – überall habe ich bereits Boote gechartert. Überall war es schön. An einigen Orten aber auch ganz schön teuer. Die Türkei war nur schön. Wunderschön sogar, weniger überlaufen als die anderen Destinationen und auch deutlich günstiger. Die Lebenshaltungskosten spielen neben den Liegeplatzgebühren eine wesentliche Rolle bei meinen Kalkulationen. Und die Türkei ist nun mal unschlagbar günstig. Zumindest für Europäer. Leider nicht für die Türken selbst. Viele Familien müssen mit dem Mindestlohn auskommen, der kaum zum Leben reicht.
Eine weitere Überlegung will ich auch nicht außer Acht lassen: Mein Plan ist zwar, zunächst keinen Plan zu haben, einfach aus dem Grund, mir keinen Druck zu machen. Aber ich will dennoch nicht ausschließen, dass irgendwann einmal der Tag kommen wird, an dem mir das Mittelmeer zu klein wird. Das Boot, nach dem ich suche, soll also blauwassertauglich sein, sprich: Es soll mich auch sicher um die Ozeane bringen können. Es muss nicht der schnellste Segler sein, dafür sicher.
Segeln, so wie es mir für die nächsten Jahre vorschwebt, ist für mich kein Sport, sondern vielmehr Spaß und Erholung – wenn an manchen Tagen auch sicherlich eine Herausforderung. Der Mix macht den Reiz aus. Aber Sport? Nein, nicht wirklich. Ich muss immer lächeln, wenn Verwandte oder Freunde davon erzählen, dass sie wieder »sportlich segeln« waren – auf ihrem Dickschiff mit Familie. Nicht, dass ich falsch verstanden werde. Regattasegeln ist ein knallharter Sport. Als Journalist hatte ich schließlich das Vergnügen, ein paar Mal bei Wettkämpfen an Bord gehen zu dürfen. In Cardiff war ich Gast auf dem Katamaran des dänischen Teams SAP. Der Wind wehte kräftig, und mehr noch böig, zwei Teams kenterten. Mein einziger Job an Bord war es, die Mannschaft nicht zu stören – und mich nicht in den Schoten zu verheddern. Die Positionen, an denen ich mich aufhalten durfte, waren durchnummeriert. Bei jedem Manöver brüllte der Skipper mir eine Zahl zu, woraufhin ich wie ein angeschossenes Känguru über das Netz zu meinem neuen Platz hüpfte. Bei dieser Regattaserie dauert ein Rennen nicht länger als fünfzehn Minuten, auf engstem Raum werden aber etliche Manöver gefahren. Beim Zieleinlauf war ich nass geschwitzt, die Pumpe ackerte wie wild, ich rang nach Luft. Ich war platt, erschöpft und voller Hochachtung für die Jungs, die wirklich Erstaunliches leisteten. Das ist »sportliches Segeln« für mich. Nicht Fahrtensegeln bei 5 Beaufort. Aber es gibt Segler, die sehen das anders. Wie mein Vater.
»Regatta ist immer!«, raunzte er mich mal an, als wir auf der Schlei segelten. Ich war vielleicht fünfzehn Jahre alt, saß an der Pinne. Mein Kumpel Holger hockte ebenfalls gemütlich am Heck. Wir genossen die Sonne und hörten irgendwelche Musik auf unseren Walkmen. Mein Vater, mit dem wir zwei Wochen Urlaub machten, kam aus der Kajüte, guckte grimmig in die Segel, dann auf ein deutlich größeres Segelboot, das an uns vorbeirauschte. Vielleicht war es die Sonne, aber ich glaube, es war der Ärger, der in ihm kochte und sein Gesicht rot färbte. »Wie segelst du denn?«, blaffte er mich an. Ich verstand nicht, was er meinte. Ich hatte ja Kopfhörer auf. Aber auch ohne Musik auf den Ohren hätte ich wohl genauso verständnislos geschaut. Es war ein wunderschöner, ein relaxter Tag. Warum also aufregen? So ähnlich muss ich das auch geäußert haben, in den wohlbedachten Worten, die pubertierende Teenager nun mal so wählen. Hektisch fummelte mein Vater an den Segeln, kurbelte am Vorsegel, fierte das Groß und verstand die Welt nicht mehr. Das andere Boot zog Meter um Meter an uns vorbei. Und der Skipper winkte uns auch noch feist grinsend zu. Das war zu viel. Als nächste Maßnahme verscheuchte mein Vater meinen Kumpel Holger vom Heck. Dass wir zu zweit so weit hinten säßen, sei schlecht für den Trimm. Das war, so weit meine Erinnerung, die Erklärung meines Vaters. Meine war: Wir segeln auf einer Neptun 22, deren Segeleigenschaften in etwa vergleichbar sind mit einem VW Bulli, der versehentlich ins Wasser gefahren ist. Mein Vater ließ das nicht gelten. Und dann fiel der legendäre Satz, an dem wir uns heute noch regelmäßig erfreuen, wenn wieder mal ein anderes Boot an uns vorbeizieht: »Regatta ist immer!«
Wer die Schlei kennt, der weiß, wie viele Boote dort in den Sommerferien unterwegs sind. Und wer eine Neptun 22 kennt, weiß, welchen Platz wir an diesem Tag belegt hätten, wenn es wirklich eine Regatta gewesen wäre. Entsprechend war am Abend die Laune meines Vaters. Und unsere natürlich auch. Wie zwei störende Pennäler im Unterricht, die vom Lehrer getrennt wurden, verbrachten wir den Tag in größtmöglicher Distanz. Ich an der Pinne im Heck, Holger im Bug. Dem Trimm hat es übrigens nichts gebracht.
Daher bin ich weitgehend kuriert von der fixen Idee, in jedem Segel am Horizont einen Konkurrenten zu sehen. Fährt ein anderes Boot an mir vorbei – egal. Überhole ich ein anderes Segel – na gut, dann freue ich mich. Natürlich habe auch ich Spaß, an stürmischen Tagen mich und das Boot zu fordern. Ich liebe das Knarzen der Schoten, das Ächzen des Rumpfes, wenn das Boot unter der Kraft des Windes durch die Wellen schneidet. Aber Regatta ist für mich eben nicht immer.
Nein, ein schnelles Segelboot brauche ich wirklich nicht, auch wenn es natürlich akzeptable Segeleigenschaften haben darf. Wenn möglich möchte ich auch keine Fließbandware der gängigen Serienhersteller, keinen dieser »Joghurtbecher« mit ihren dünnen Bootswänden, die der Hersteller preist, weil sie leicht und schnell sind, aber in wenigen Jahren weich wie warmes Wachs. Viele der neuen Modelle, gerade die modernen wie mondänen Decksalonyachten, bieten zwar einen herrlichen Lebensraum. Im breiten Cockpit können sich halbe Fußballteams in der Sonne fläzen. Aber wehe, die Yachten geraten in einen Sturm. Bei Schräglage werden die weiten Wege zum Parcours, und gerade wenn man mit kleiner Crew oder allein an Bord ist, sind kurze Wege wie in einem Centercockpit, also einem Cockpit, das mehr in der Mitte des Bootes statt am Heck ist, Gold wert.
Ehemalige Charterboote schließe ich ebenfalls aus. Viele Jahre habe ich selbst gechartert, von daher weiß ich nur zu gut, was die armen Boote alles erleiden müssen. Zudem brauche ich keine vier gleich großen Kabinen, schon gar nicht drei Badezimmer.
Das Wichtigste ist aber natürlich der Preis: Rund 75.000 Euro veranschlage ich. Die Größe des Bootes soll um die 40 Fuß liegen, also etwa 12 Meter, groß genug, um darauf komfortabel leben zu können, aber klein genug, um es mit zwei Leuten, oder gegebenenfalls auch allein, bequem zu segeln. Ich liebäugle mit einer Mittelcockpit-Yacht. Safety first! Außerdem gefallen mir die großzügigen Achterkajüten dieser Bauart, räumlich weit entfernt von der Gästekabine im Bug, wohin ich schnarchenden Besuch verbannen kann. Das Boot soll zudem weitgehend autark sein, eine Solaranlage haben oder einen Windgenerator, damit man auch mal mehrere Tage (oder Wochen) fernab von Häfen bleiben kann. Ein Watermaker, der Salzwasser in trinkbares H2O verwandelt, wäre wünschenswert, aber kein Muss, ebenso wie eine Klimaanlage für die heißen Tage im Hochsommer. Auf eine Heizung am Mittelmeer kann ich dagegen verzichten. Wenn ich mich da mal nicht täuschen werde. Aber vor allem soll das Boot eines haben: Charme.
* * *
Mein ganzes Leben passt in einen Golf. Am 28. August 2018 verlasse ich meine Wohnung zum letzten Mal. Mein Gepäck beschränkt sich auf zwei Seesäcke, einer voll mit Klamotten, der andere mit Laptop, Kameras und all dem anderen technischen Geraffel. Dazu kommen zwei Kisten mit Dokumenten, die ich bei meinen Eltern in Celle unter dem Dach deponiere. Der halbe Kofferraum war vorher schon voll mit meinen Strandsegelklamotten, die irgendwie nach Meer riechen. Aber nicht nach frischer Seeluft, eher nach totem Fisch. Der Abschied von Berlin, der Stadt, die ich nie lieben gelernt habe, fällt entsprechend kühl aus. Er hat etwas Surreales. Als ich die Tür der Wohnung zuziehe, in der ich die letzten Jahre gelebt habe, ist alles noch so, als ob ich nur für ein Wochenende wegfahren würde. Auf den Regalen stehen noch meine Bücher, auf dem Bett liegt meine Bettwäsche, im Kühlschrank steht die angefangene Tüte Milch, mit der ich mir eben den letzten Cappuccino für die Fahrt zubereitet habe. Den Schlüssel lasse ich in den Briefkasten plumpsen, so wie ich es oft getan habe, wenn Freunde für ein paar Tage kamen, während ich weg war. In zwei Stunden wird Aurélien einziehen. Er kapert quasi mein altes Leben, setzt sich in das von mir bereitete Nest.
Als ich das letzte Mal durch den Innenhof gehe, warte ich darauf, dass mich irgendwelche Emotionen überfallen. Aber da ist nichts. Vor dem Haus setze ich mich ans Steuer meines Wagens, wie ich es schon Hunderte Male zuvor gemacht habe, lege den Gurt an, starte den Motor. Alles wie immer, als würde ich mal eben zum Supermarkt fahren. Als ich nach einer halben Stunde das gelbe Schild mit dem roten Strich durch »Berlin« passiere, ist auch der Kaffee passé, dessen milden Geschmack ich immer mit der Wohnung in Friedrichshain assoziiert habe. Ich stelle den Becher in der Mittelkonsole ab, drücke aufs Gaspedal. Der Berliner Bär, der an der Stadtgrenze an der A2 steht, schaut mich überrascht an. Wahrscheinlich, weil ich meinen ganzen Ballast bei ihm gelassen habe. Im Rückspiegel sehe ich, dass es über der Stadt regnet. Vor mir scheint die Sonne. Wenn das kein gutes Omen ist.