3. Akt

Zu Hause

Umbau zu häuslichen Situationen.

Musik: The Stranglers, «Golden Brown».

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Wann immer ich auf Frauen treffe, deren Körper von der Frustration ihrer Berufstätigkeit so zerfressen sind, dass sie Krebszellen Tür und Tor öffnen, beglückwünsche ich mich zu meiner Entscheidung, zu Hause zu bleiben.

FRAU TÖSS

Mein Körper ist doch niemand, der anderen Türen öffnet. Wenn ich es so will, dann bleibt in meiner Wohnung alles verschlossen, denn das ist meine Insel, sage ich immer. Meine Wohnung ist meine Insel. In der ich Blumen pflege.

FRAU LUHMANN

Ein wunderbarer Randgruppenberuf, das Inneneinrichterinnenwesen. Die Männer geben die Form vor, sie bauen die Wände mit schwieliger Hand, der große Wurf, die Frauen und Homosexuellen tragen lustige Blumenvasen hinein.

FRAU GRAU

Regen Sie sich nicht auf. Das ist doch nichts, was Sie nicht mit dem gezielten Einsatz von Hormonsubstituten beheben könnten.

MANN

Oh, da zeige ich Ihnen jetzt ein paar garantiert wirkungsvolle Übungen gegen Ihre Wechseljahresbeschwerden, die Sie mit ein wenig Selbstdisziplin komplett ohne Krebs und ohne der Sozialgemeinschaft zur Last fallenden Hormone überstehen können.

FRAU TÖSS

Ich benötige noch sehr starke Tampons!

FRAU GRAU

Ist ja gut, Kindchen, es ist alles gut. Es ist nicht so schrecklich, das Alter. Nur eine kleine Trauer wird Sie begleiten, plötzlich, eines Morgens, sitzt sie an Ihrem Bettrand –

KLEINE TRAUER

Hallo.

FRAU GRAU

Und flüstert:

KLEINE TRAUER

Schau aus dem Fenster. Es regnet oder ist Frühling und Vögel singen, die Welt duftet, und das wird sie auch weiter tun. Ohne dich. Bald. Du hast es im Leben zu nichts gebracht. Schade. Aber bedenke, dass alle Versuche des Menschen, sich unsterblich zu machen, scheitern.

MANN

Himmel, Sie müssen wirklich was gegen das Winkfleisch an Ihrem Oberarm machen!

FRAU LUHMANN

Bei der Gelegenheit können Sie auch gleich noch meine Innereien untersuchen, das mögen Sie doch, diesen Blick ins Dunkel, in die Wiege der Menschheit …

MANN

Darf ich mit der Lymphdrainage beginnen? Und können Sie mir dabei kurz erklären, warum wir bei der Untersuchung Ihrer Ausscheidungs- und Geschlechtsorgane so in Verzückung geraten sollen, dass wir sie mit Kosenamen bedenken?

FRAU GRAU

Dass sie neben unserer Harnöffnung in die Welt gekrochen sind, das werden uns die Männer nie verzeihen.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

(betrachtet sich) Im Alter muss sich eine Frau entscheiden, ob sie Ziege oder Kuh sein will.

FRAU LUHMANN

Je nachdem braucht sie zwingend kleine Handventilatoren, Schuhe mit unauffälligen Einlagen, Mogelunterwäsche, Stützstrümpfe und Textilien mit Tigerdrucken.

FRAU GRAU

Die Evolution der Technologie ist eine Fortsetzung des evolutionären Prozesses, der die technologieerschaffende Spezies hervorgebracht hat.

FRAU LUHMANN

Den Satz haben sie gecopy-pastet, um den Eindruck einer männlich abstrakten Intelligenz zu erwecken.

MANN

(macht Musik: The Knife, «Pass this on»)

FRAU TÖSS

Ich habe mich in Momenten, da ich mich zu Hause unerwartet in Gegenständen spiegelte, gefragt, ob ich hinter der Aussage, die ich mit blondierten Haaren, einer Brustvergrößerung, goldenen Ketten und Tigerprint-Kleidung mache, stehen kann.

MANN

Wie sagte schon der Prediger Johannes Chrysostomos: Die Weiber sind hauptsächlich dazu bestimmt, die Geilheit der Männer zu befriedigen.

FRAU GRAU

Lustig.

MANN

Nicht wahr? So, ich benetze die Atmosphäre mit ätherischen Ölen. Damit Sie mit allen Sinnen … sind Mütter anwesend? Ich frage wegen dem Einsatz der Essenzen.

FRAU LUHMANN

Luhmann, ein Sohn. Missraten.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Merz-Dulschmann. Zwei Kinder. Dito.

MANN

Buben?

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Die Bezeichnung scheint mir unpassend, um die beiden Männer, die sich in meinem Haus aufhalten, zu beschreiben. Sie sind riesengroß, ich verstehe nicht, wozu die Natur so viel Material verwendet, um Menschen herzustellen, die zu nichts taugen. Sie lagern in der Küche, pinkeln auf den Klodeckel, kleben Kaugummis an meine Sessel, schauen Fußball und betrachten mich, wie man in neureichen Familien eine Putzfrau ansieht.

FRAU LUHMANN

Mein Kind ist zwanzig. Und hat keine Interessen, außer am Computer zu sitzen, Pornofilme zu schauen und dabei vermutlich zu onanieren, glaube ich den verklebten Socken unter seinem Bett und den vertrockneten Breispritzern auf der Tastatur.

MANN

Klingt nach typischen Fällen von unausgelasteten Jungen, die für all die Kriege auf der Welt verantwortlich zeichnen, allein weil Frauen nicht aufhören, Söhne im Überschuss zu gebären.

FRAU TÖSS

Ich habe keine jungen Männer hergestellt. Ich habe nichts vorzuweisen außer den ungesicherten Anspruch auf einen Platz, an dem ich meine Arbeitskraft verkaufe, und Wochenenden, an denen sich die Abwesenheit einer von mir produzierten Familie ungünstig auf meine Psyche auswirkt.

MANN

(singt) Dass Frauen nicht gebären wollen,

Heißt Krieg der Welt, das Licht wird rar.

Denn alles, was sie wollen sollen,

Ist Leben schaffen aus dem Vollen.

Frauen ohne Mutterschaft

Verdienen strikte Einzelhaft.

Sie sind zu nichts auf dieser Erde,

Sie nehmen uns die knappe Luft,

die Frau, die nicht gebären will,

Ist, kurz gesagt, ein mieser Schaft.

FRAU LUHMANN

Haben Sie gerade Schaft gesagt?

MANN

Ja, ich habe Schaft gesagt, und ich glaube, für Ihre Befindlichkeit setze ich am besten Bergamotte ein. Heiter, leicht, fruchtig-süß, optimistisch, klar, harmonisierend, anregend, stimmungsaufhellend bei Autofahrt, Haushalt –

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Die Idee des Heims als Ort des Rückzugs wird durch die Anwesenheit jugendlicher Männer obsolet. Mein Mann, der mich sehr liebt, fragt mich:

MANN

Wovon, wenn du mir die Frage gestattest, musst du dich zurückziehen, die du doch den Tag nur mit dem Beobachten unserer jugendlichen Jungen verbringst?

FRAU LUHMANN

Von Alleinerziehenden will keiner etwas wissen. Die Menschen nehmen beeindruckende Umwege in Kauf, nur um keine unserer Klagen hören zu müssen. Ich war, wie jede Mutter, eine schlechte. Wir können nicht anders, das Kind braucht ja einen Grund zur späteren Klage im Freundeskreis.

FRAU TÖSS

(will Dehnübungen machen) Ich bekomme mein Bein nicht über meinen Kopf.

FRAU LUHMANN

Ich habe das Kind, das von einem Baby zu einem Jungen wurde und alles an ihm zu lang, zu rot, sehr lieb. Gehabt. Wie man einen Menschen eben lieb hat, mit dem man familiär verkehrt.

FRAU GRAU

(zu Frau Töss) Vielleicht sollten Sie es abschneiden, das verbessert auch ihren BMI.

FRAU TÖSS

(zeigt stattdessen Fotos) In meinem häuslichen Umfeld – hier – habe ich Blumen aufgestellt. Ihr zarter Eigengeruch überdeckt auch die unliebsamen olfaktorischen Nebenerscheinungen meiner Bulimie-Erkrankung.

BLUMEN

Wie sie wieder nach Hause kommt. Niedergeschlagen von einem Tag, der ihr nichts geschenkt hat. Wie sie Schlemmerfilets in den Ofen schiebt und isst und dann von sich gibt, ein wenig nach Schweiß riechend. Und nach Angst, vor dem Ende der Woche, deren Anfang, der Beschleunigung der Zeit, der Verkürzung ihres Aufenthalts auf der Welt, die sie kennt.

Wie sie da sitzt. Und uns anstarrt. Als würden wir ihr Gesellschaft und Freund sein.

MANN

Das ist so ermüdend. Die sind nie zufrieden. Egal, ob sie arbeiten, allein leben, sich ausleben, sich entdecken oder beschissene Blumenvasen töpfern. Da scheint nichts zu sein, in ihrem Kern, das sie geradehält. Es braucht immer eine Einwirkung von außen, damit sie sich bewegen und spüren, und es ist nie genug.

FRAU GRAU

Wer hat Sie denn gefragt? Wollten Sie sich nicht der Pediküre meiner etwas gelben Füße zuwenden?

FRAU TÖSS

Apropos – ich habe mir meine verkleinern lassen. Die schmerzenden kleinen Füße gebe ich in Schuhe mit hohen Absätzen, auf denen ich unsicher durch die Straßen wanke, denn der Jagdreflex sollte nicht unterschätzt werden, und sitze dann doch immer an einem Küchentisch und sehe die Wand an.

FRAU GRAU

Zu Hause wird gegessen, geschlafen und die Geschwüre, die in Einmachgläsern schwimmen, betrachtet.

Geschwüre in Einmachgläsern schweigen.

Früher habe ich es auch mit Blumen versucht, aber die quatschen mir zu viel.

FRAU LUHMANN

Ich habe ihn geliebt, meinen Sohn, der las und aus dem Fenster sah, bis wie über Nacht Hormone von ihm Besitz nahmen.

FRAU GRAU

Ach, die Hormone. Mir fällt es schwer, Männer, die von ihrer Biologie erfüllt sind, ernst zu nehmen, ihnen gar Verantwortung zu übertragen. Es gibt durchaus einige, die zu großen wissenschaftlichen oder künstlerischen Leistungen fähig sind, wahrscheinlich sind sie das Resultat traumatischer Ereignisse in der Jugend, die ihnen einen Zugang zu beiden Gehirnhälften ermöglichen, doch in fast allen mir bekannten Fällen richten sich Männer, die etwas leisten, mit Drogen oder/und zu großer Eitelkeit zugrunde.

MANN

Feminismus existiert nur, um hässliche Frauen in die Gesellschaft zu integrieren. Sagte Bukowski.

FRAU GRAU

Seien Sie ruhig und spielen Sie mit Ihren Testikeln, solange sie noch an Ihnen befindlich sind. Sage ich, und meine Hand spielt an den Einmachgläsern.

FRAU TÖSS

Meine Mutter war so dominant.

Alle Frauen in einem Sprechkanon, unterlegt von Musik: Demis Roussos, «Goodbye My Love Goodbye».

ALLE

Ich habe nie genügt. Ich habe sie nie achten können. Ich war eifersüchtig auf sie. Sie war eifersüchtig auf mich. Ich wurde seelisch verletzt. Ich wurde körperlich verletzt. Ich wurde von ihr nicht anerkannt. Ich wurde von ihr nicht gefördert. Nie hat sie mir Grenzen gesetzt. Sie hat mich eingeengt. Sie hat mir nie gesagt, dass ich die Schönste bin, die Beste, sie war eine Feministin, sie war angepasst, sie war eine fucking Hausfrau. Eine Mutter.

MANN

Wenn man Ihnen so zuhört, ahnt man, warum es sehr viel weniger weibliche als männliche Nobelpreisträger gibt. Würden Sie bitte alle Ihre Füße nun in die dafür vorgesehene Fußwanne stellen.

Frauen mit Füßen in Wanne.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Das Umfeld, das meine Kinder hatte prägen sollen, wären Menschen von so etwas wie sozialer Umgebung prägbar …

MANN

Meinen Respekt Ihnen, die sich nicht dem modischen Diktat unterwerfen und die Haare an Ihren Beinen einfach wuchern lassen. Das ist gelebte Befreiung.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

… bestand aus Büchern, Kunst, aus Reisen und Kontakten zu weltoffenen Menschen verschiedenster Religionen und Ethnien. Vielleicht ist ihr derzeitiger Zustand eine Trotzphase, eine Art Rebellion, doch sieht man die Tiefe und Ernsthaftigkeit ihres Gebarens, steht eher der traurige Schluss zu vermuten, dass sie zu dem werden, was Menschen in ihrer Bestimmung sind: Affen auf zwei Beinen.

FRAU GRAU

Ich glaube, die meisten Frauen stellen nur Kinder her, damit sie in ihrer Wohnung nicht dauernd mit dem Feuerlöscher verwechselt werden.

FRAU TÖSS

Von wem denn, bitte schön? In meine Wohnung kommen seit Jahren nachts nur noch Männer, die nach ihren Verrichtungen wieder verschwinden.

FRAU LUHMANN

Meine Wohnung riecht nach Schweiß, so viel ich auch lüften mag. Der Junge ist in sozialen Netzwerken aktiv, sagt er, und meint damit YouPorn. Ich rede mit meinen Leuten, sagt er, und ich höre sein Glied auf seinen Hoden klatschen, das Sperma tropft ihm aus Nase und Ohren, und jeder Schritt hinterlässt eine nussartig stinkende Flüssigkeit, die Spuren finden sich im ganzen Haus, da kann ich putzen, so viel ich will, und er sieht mir auf den Hintern, während ich gebückt seine Spermaspuren entferne.

MANN

Wenn Sie sich so aufregen, komme ich mit dem Epilieren wirklich nicht gut voran.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

(zeigt Fotos) Mein Heim. Zehn Jahre lang habe ich renoviert, Stoffe ausgesucht, Tapeten aus dem Burgund bestellt, Narzissen aus Florenz gepflanzt, und wenn ich fertig war, begann ich wieder von vorne. Meine Kinder rochen noch nach Vanille und Backpulver.

FRAU TÖSS

Heinz ist verheiratet.

ALLE

Heinz?

FRAU TÖSS

So heißen sie alle, und alle sind sie verheiratet.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Die Perfektion meines Heimes war nie, ähm … perfekt.

Weil sich darin zwei junge Männer mit ihren unglaublich ausladenden Füßen und ihren klumpenförmigen Turnschuhen aufhalten, die nur eine Botschaft ausstrahlen: Ich, der Träger, bin ein Idiot.

FRAU LUHMANN

Seien Sie doch froh, dass die Ihren Füße haben. Meiner hat seine irgendwo verloren. Er sitzt und liegt ausschließlich. In seinem Zimmer, aus dem er sich selten bewegt, finde ich halb angefressene Pizzen, Coladosen auf dem Fußboden, Kippen in Joghurts. Er wird da sitzen bleiben, wichsen und sich nicht rühren, bis ich tot bin; dann werden sie ihn mit mir bestatten, und er wird neben mir im Sarg liegen und – na, Sie wissen schon.

FRAU TÖSS

Das ist meine Wohnung (zeigt weitere Fotos), in der ich alleine lebe. Ich erwähnte es wohl schon? Ab und zu kommt ein Geliebter vorbei, wobei ich unter Liebe verstehe, meinen Kopf in den Nacken zu werfen und zu stöhnen, und dann paaren wir uns auf dem weißen Teppich, der nie von Familienfüßen beschmutzt wird.

FRAU GRAU

(zeigt Fotos) Das sind meine Präparate.

FRAU TÖSS

So eklig. Kein Wunder, dass sie lesbisch sind.

FRAU GRAU

Ich bin nicht sexuell, bin ich dann lesbisch? Wenn mir Frauen näher stehen, bin ich dann sexuell orientiert? Oder bin ich nur befreit, weil mir inzwischen alleine sehr wohl ist und ich die Nähe eines Menschen nicht mit geschlechtlichen Aktivitäten bezahlen muss?

MANN

Sind das Katzenhaare da an Ihrem Bein?

FRAU TÖSS

Sicher ein Haar von Schlautzi, das meiner Bürste entgangen ist.

MANN

Darf ich Ihnen anhand dieser Katzenattrappe zeigen, was ich (zerfleischt Katzenattrappe) von Katzen halte, die in engen Wohnungen von Frauen an Kratzbäumen hängen, weil sie so geschmeidig und anmutig und unberechenbar sind wie ihre Halterinnen? Diese verdammten Mistkatzen.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Ich hasse jede Art von sportlicher Ertüchtigung, all diese mittelmäßigen Menschen, die ihre mittelmäßigen Körper schinden, um dem Leben ein Jahr mehr abzutrotzen. Sie glauben, unsterblich werden zu können – wozu, wozu? Wozu sollen gerade die Menschen, die Sport treiben, die fadeste Sorte, überleben, für immer, und wer möchte in so einer Welt dann noch zu Hause sein? Ich hasse Wettkämpfe, Olympiaden, diese Ersatzschlachten des Neuzeitmenschen, diese Zurschaustellung von Fleiß, Disziplin, gesunder Ernährung und grenzenloser Dummheit. Nicht umsonst werden viele Sportler Berufssoldaten oder umgekehrt.

MANN

Einmal weiblich, immer weiblich. Die Natur ist zwar nicht unfehlbar, doch hält sie stets an ihren Fehlern fest. Sagt Saki.

FRAU GRAU

Wer?

MANN

Nehmen wir grauen Lack, passend zu dem leichten Hornton?

FRAU TÖSS

Ich hasse alle Heinze mit ihren Ehefrauen, die Bettina heißen …

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Ich heiße Claudia.

FRAU TÖSS

… und mit denen sie sich auseinander gelebt haben und nur darauf warten, dass die Kinder … irgendwas, um dann irgendwas mit dir zu unternehmen, woran keiner glaubt, du nicht und der Heinz nicht, der dich zwar begattet, aber nur bei gelöschtem Licht, und sich dann schnell wegschleicht, beschämt von seinem Glied, das ein Eigenleben zu führen scheint und sich immerzu in Leerräume, die sich außerhalb von Bettina befinden, bohren muss. Verzeihung – wie heißen Sie?

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Claudia. Aber mein Mann nennt mich Wuschel.

FRAU TÖSS

Wuschel. Das habe ich schon mal gehört.

MANN

Apropos: Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, dass die Männer durch sie geboren werden. Martin Luther.

FRAU GRAU

Ich wusste gar nicht, dass der Kontakt zu Frauen hatte.

FRAU LUHMANN

Mein Sohn verkehrt mit Frauen nur virtuell.

FRAU TÖSS

Heinz ist so normal, dass ich ihn manchmal mit der Matratze verwechsle. Er kommt nach Feierabend, geht nach einer Stunde, er will sich scheiden lassen, wenn – vermutlich wenn seine Kinder aus dem Haus sind.

MANN

Mit welcher überlegenen Herablassung sie über uns reden, die Opfer, mit welcher Ablehnung sie unserer Sucht nach Liebe und Nähe begegnen, die sich nun mal im Sexuellen einen Weg sucht. Da treibt es doch jeden gesunden Mann in Verrichtungsboxen, um sich einen Moment der Ruhe und Herrschaft zu kaufen.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Heinz arbeitet sehr viel.

MANN

Meine Mutter hatte Angst, ich könnte homosexuell sein, weil ich Bücher las.

Sie tauchte immer, wenn ich die Funktion meiner Geschlechtsteile erforschte, in meinem Zimmer auf, was mir heute noch in Form verfrühten Samenergusses zu schaffen macht.

Fast jeder Mann, den ich kenne, hat Traumata durch die Spucke seiner Mutter an Taschentüchern in seinem Gesicht erfahren.

FRAU TÖSS

Heinz hat zwei Söhne, die er selten sieht, weil er seine Abende mit mir verbringt. Sie sind groß wie Leitern, und sie sind noch nicht aus dem Haus, vermutlich werden sie mit vierzig ausziehen.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Wussten Sie, dass übergewichtige Menschen sehr schlecht verbrennen?

FRAU TÖSS

Heinz hat mir Fotos gezeigt, so stolz, dass ihm die Tränen kamen, und mir auch, weil niemand auf mich stolz sein wird, weil ich keine Spuren hinterlassen habe.

Wen meinen Sie mit übergewichtig?

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Fiel mir unzusammenhängend beim Betrachten Ihrer Fesseln ein.

FRAU GRAU

Es gibt viele Krematorien, die Tote mit einem BMI über 26 ablehnen.

FRAU LUHMANN

Haben Tote einen BMI?

FRAU GRAU

Stellen Sie sich das vor: Sie liegen als chemischer Abfall in einem Wägelchen, vorne machen die Fahrer Scherze über Ihren Leib, der in Krematorien nicht einmal zum Brennen taugt. Das nenne ich eine Spur in den Planeten pflügen.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Wenn ich mit dem Leichenwagen spazieren fahre, hinterlasse ich der Nachwelt ein Haus – wenn ich das hier mal zeigen darf (zeigt es) – mit alten angeklebten Kaugummis unter teuren Rokoko-Kommoden und gelben Pflanzen, über die alkoholische Getränke geleert wurden. Manchmal finde ich Erbrochenes an aberwitzigen Orten in der Wohnung.

MANN

Dieses dauernde Gejammer. Sind Sie alle unterfickt, oder … Hoppla, das ist mir jetzt so rausgerutscht. Jetzt halten Sie doch mal still, ich mache hier eine Maniküre.

FRAU TÖSS

Hat er gerade unterfickt gesagt?

FRAU GRAU

Dass Frauen dem Verkehr eine übergeordnete Bedeutung beimessen, wie Sie, ist ein sehr großes männliches Missverständnis.

FRAU LUHMANN

Mich hat das noch nie interessiert. Der Verkehr. Als ich jünger war, ja, aber das passiert doch in unserem Alter nicht mehr, dass wir uns von Hormonen verwirren lassen, dafür ist es ja gut, das Älterwerden, dass man nicht mehr den Gefühlen, die in irgendwelchen Organen gebildet werden, ausgeliefert ist.

FRAU TÖSS

Nichts in mir will mehr die Körperteile eines schönen Mannes berühren.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Mein erster Sexualkontakt erfolgte im Alter von 15. Der Mathematiklehrer bot mir an, die Prüfung in seiner Wohnung zu wiederholen. Der Geruch seines Rasierwassers steht heute noch auf meiner Haut.

FRAU TÖSS

Der erste freiwillige Geschlechtsverkehr fand nach einem Tanzvergnügen statt. Ein junger Mann begleitete mich nach Hause, schob mich hinter ein Denkmal und sagte nach unverständlichen Handlungen:

MANN

Ich melde mich.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Heinz hielt ein Jahr später um meine Hand an, und ich dachte, ich entkäme mit der Heirat dem Sexuellen.

FRAU LUHMANN

Das habe ich früh verstanden, dass sie nicht sind wie wir. Da muss immer was gehen, da müssen Pornos geschaut werden, Prostituierte gekauft, da muss gefummelt werden und geschnalzt und geküsst und angefasst, irgendetwas Sexuelles muss da ständig passieren.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Auch während der Schwangerschaft wollte Heinz nicht auf einen Verkehr verzichten. Es kam mir krankhaft vor, mit dem Baby, das uns dabei von innen beobachtet. Diese Raserei in meinem Inneren, fast einen Hass spürte ich, und Angst hatte ich immer, vor der Gewalt, die der Sache innewohnte.

MANN

Leidenschaft wollen sie. Damit meinen sie: Schokosoße voneinander lecken und die Haare schütteln. Mit dem bloßen Verlassen des Hauses machen sie eine sexuelle Aussage. Die wir bewerten. Natürlich bewerten wir sie, denn eine im geschlechtlich verwertbaren Sinne attraktive Frau bietet sich uns immer an. Also obliegt es uns, wertend über dieses Angebot zu befinden. Die Aussage, die eine Frau mit ihrer Erscheinung trifft, ist immer geschlechtlich. Oder eben verbittert.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Nach der Geburt hatte ich einige Wochen Ruhe. Davor war ich schlank gewesen, und ich glaubte, wenn ich die Kontur verlöre, würde Heinz von mir ermüdet sein. War er nicht.

MANN

Betteln müssen wir, um den heiligen Eintritt in sakrale Gewölbe. Und dann halten sie uns die Busen hin und die Beine und flirten, und dann ein Geschrei, wenn wir die Sache zu einem naturgegebenen Ende bringen wollen, und dann sind die Reize weg, mit vierzig, sagen wir mal, und dann jammern die unterfickten Damen und werfen uns vor, dass wir sie nicht mehr wahrnehmen. Es ist nicht möglich, im Umgang mit Frauen irgendetwas richtig zu machen.

FRAU TÖSS

Hat er gerade unterfickt gesagt?

FRAU LUHMANN

Ich glaube nicht, dass er unterfickt gesagt hat. Unbefriedigt vielleicht. Nicht, Sie haben doch unbefriedigt gesagt?

MANN

Statt zügig zum Wesentlichen zu kommen, reden sie von Kunst. Nächtelang saß ich mit Frauen, die ich begehrte, und hörte sie über Kunst reden. Oft, wenn sie selbst Kunst machen, prangern sie die Missstände im Kosovo an. Und tasten sich dann langsam zu ihrer eigentlichen Aufgabe vor: Afrika. Sie malen traurige Afrikaner oder gründen eine Theatergruppe in Kamerun, wo sie mit jugendlichen afrikanischen Männern arbeiten. Das darf man gar nicht zu Ende denken.

FRAU TÖSS

Woher weiß er das jetzt? Ich habe wirklich früher in einer Theater-AG im Sudan gearbeitet.

MANN

Oder sie schreiben autobiographische Bücher über ihre Familien und ihre verschissene Depression. Oder sie stellen Konzeptkunst her, die sich mit Matriarchaten beschäftigt. Sie könnten das auch einfach alles bleiben lassen und sich hinlegen, denn Frauen können nur etwas herstellen, nachdem etwas in sie gefüllt wurde.

FRAU LUHMANN

Er hat doch unterfickt gesagt.

Bilden Sie sich bloß nicht ein, dass ich Sie an meine Cellulite lasse!

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Oh, Obacht mit übereilten Aussagen. Außer einem Leih-Heinz wird sich vermutlich kein Mann mehr an Ihre Hautoberfläche wagen –

FRAU TÖSS

Einige Male habe ich bei Heinz zu Hause angerufen. Ich wollte die Stimme der Frau hören, die nicht in zu engen Korsagen an seinem Glied arbeiten muss, sondern einfach bei ihm schlafen darf.

FRAU GRAU

Meine Arbeit über die Entdeckung der dendritischen Zellen und ihre Rolle in der adaptiven Immunität wurde ignoriert, und ein toter Mann bekam den Preis. Ein toter Mann ist immer noch besser als eine lebendige Frau, mögen sich die Herrn in Stockholm gedacht haben.

MANN

Tausende Jahre Entwicklung, die Männern zu verdanken ist, gegen fünfzig Jahre, in denen es Frauen gefiel, ein wenig außerhalb ihrer häuslichen Gemütlichkeit tätig zu werden. Und schon wollen sie in die Vorstände, die Regierungen, an die Nobelpreise, ans vaterländische Verdienstkreuz. Darüber kann man mal reden, wenn die Frauen eine Welt errichtet haben.

So, meine Damen, die Pediküre ist abgeschlossen.

FRAU LUHMANN

Sie Idiot haben meine Zehen abgetrennt.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Die Anrufe begannen vor vier Jahren. Mir war schnell klar, dass Heinz eine Geliebte hatte. Und das fand ich –

FRAU TÖSS

Ich hörte ihr «Ja bitte?». Und hasste sie mehr als jeden Menschen auf der Welt.

MANN

Beruhigen Sie sich, das ist der neue blutrote Lack der Saison. Wussten Sie, dass Frauen jährlich acht Milliarden für Kosmetik ausgeben? Von den Gewinnen der Modeindustrie reden wir da noch gar nicht. Ein wenig schwierig für Menschen, die permanent auf der Wertigkeit ihres Inneren und dessen Akzeptanz bestehen.

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Da gab es also einen Menschen, der scharf darauf war, Heinz aus seiner ausgewaschenen Unterwäsche zu schlagen, seine bleichen Beine abzulecken, jemand, der mit ihm geschlechtlich werden wollte und noch nicht einmal eine Bezahlung in Form einer Altersrente dafür bekam.

FRAU TÖSS

(zu Frau Merz-Dulschmann) Wovon reden Sie eigentlich?

FRAU MERZ-DULSCHMANN

Die Anrufe haben dann irgendwann aufgehört. Die Jungen übrigens auch. Sie spielen jetzt weder Basketball, Fußball oder Rugby, sie skaten nicht, schwimmen oder boxen, sie gehen noch nicht einmal in den Krieg.

FRAU LUHMANN

Der Krieg meines Sohnes richtet sich ausschließlich gegen mich. Meine Wohnung ist eine besetzte Zone.

MANN

Die Heteronormativität Ihrer Söhne ist doch sehr erfreulich. Nicht wie all die doktrinär von weiblichem Erziehungspersonal seelisch beschnittenen jungen Jungs …

FRAU LUHMANN

Hat er was gesagt?

FRAU GRAU

Nein, ich glaube nicht, dass er was gesagt hat. Vielleicht hat sich ein klein wenig die Sehnsucht nach einer kollektiven männlichen Wiedergeburt ohne Beteiligung der Frauen Luft verschafft.

MANN

Das Schmollen der Weiber ist nichts als ein Guerillakrieg, den sie gegen die konzentrierte Macht der Männer führen, ein Krieg, in dem sie immer siegen, sagte Ludwig Börne.

FRAU GRAU

Ähm –

MANN

Der war lustig, wollten Sie sagen, weil ihr Frauen doch nie wisst, was politisch ist, weil ihr nicht politisch sein könnt, weil ihr darunter nur den Kampf für eure verdammten Nobelpreise seht. Frau Wissenschaftler.

FRAU GRAU

Wissenschaftlerin!

MANN

Die feministische Kritik an der grammatisch männlichen Sprachform reiht sich ein in die allgemeine gesellschaftliche Tendenz zur Abschaffung der Männlichkeit und des Mannes. Um dieser allgemeinen Tendenz entgegenzuwirken, wäre – entgegen Luise F. Puschs – geradezu umgekehrt zu empfehlen, das «generische Maskulinum» zu stützen.

FRAU TÖSS

Ich finde den Masseur so humorvoll.

FRAU GRAU

Ja, Homosexuelle sind die besten Freundinnen. Junger Mann, Sie haben meine kleinen Zehen vergessen!

MANN

(außer sich) Ich bin nicht homosexuell. Ich bin gar nicht sexuell, und das habe ich euch zu verdanken, mit eurem Spott und euren Blicken habt ihr mich kastriert.

Schweigen.

FRAU LUHMANN

Diesen Wellness-Tag, diese Pause, diese begründete Abwesenheit, habe ich gerne angenommen. Ich bin leise die Treppen hinuntergestiegen. Das Gas habe ich angelassen.

FRAU TÖSS

Apropos. Ist Ihnen auch ein wenig schwummerig?