26
HAVEN
Samstagabend gegen acht. Bringt irgendwas zu trinken mit.
Stellas Nachricht kam direkt am nächsten Tag, und seitdem bin ich aufgeregt. Jackson meinte, er würde sich um den Alkohol kümmern, und er hat den Kopf geschüttelt, als ich ihn fragte, ob ich noch so etwas wie ein Gastgeschenk besorgen müsse.
«Man fährt da hin, man trinkt, man unterhält sich, man trinkt mehr, und dann lässt man sich im besten Fall von irgendjemanden wieder nach Hause fahren, der nichts getrunken hat», war seine Aussage zum Ablauf des Abends.
Man unterhält sich. Allein der Gedanke daran, zwischen lauter fremden Menschen zu stehen und mit ihnen reden zu müssen, bringt mich ins Schwitzen. In nicht einmal zwei Stunden wird Jackson vorbeikommen, um mich abzuholen. Seit dem Frühstück starre ich überwiegend aus dem Fenster, statt an meinem Schreibtisch an einer Hausarbeit zu arbeiten, wie ich es eigentlich vorhatte. Ich habe Caroline erzählt, dass ich heute Abend auf einer Party bin, und sie hat mir viel Spaß gewünscht. Lucy dagegen hat mich angesehen, als habe ich tatsächlich eine Einladung zum Premierminister erhalten. «Du gehst auf eine Party?», hat sie gesagt, jede Silbe pure Ungläubigkeit, was ihr ein scharfes «Lucy!» von ihrer Mutter eintrug. Daraufhin verdrehte meine Cousine die Augen, und ich beschloss, dass ein Tee zum Frühstück völlig ausreicht.
Ich werde das schaffen. Ich will es schaffen. Wenn alles so läuft, wie ich mir das wünsche, werde ich nach dieser Party ein klein wenig mehr dazugehören. Vielleicht fällt Jackson dann ja auch auf, dass es ganz angenehm ist, nicht dauernd zwischen mir und seinen Freunden wählen zu müssen. Diese Party ist eine Prüfung. Bestehe ich sie, habe ich Jackson und auch mir selbst bewiesen, dass ich nicht langweilig bin und nicht seltsam und überhaupt einfach ein Mensch, den man auch zur nächsten Party einlädt. Oder mit dem man mal etwas anderes unternimmt, vielleicht einen Kaffee trinken geht, weil … man mich mag. Ich stelle es mir schön vor, in der Uni Leute grüßen zu können, und sie grüßen zurück, und man freut sich einfach, einander zu sehen.
Aber was, wenn das heute Abend schiefgeht? Wenn sie mich nicht mögen? Mit irgendjemandem muss ich jetzt über diese Party reden. Nicht mit Jackson. Ich glaube, der hat dazu schon alles gesagt. Sam, Lucy und Caroline fallen aus naheliegenden Gründen ebenfalls raus, und dass ich nicht mit Stella darüber reden kann, warum mich der Gedanke an ihre Party ziemlich nervös macht, ist wohl auch klar. Bliebe Jon. Oder … ich ziehe das Telefon zu mir, um Rae anzurufen. Seit unserem zweiten Shoppingtrip habe ich nichts mehr von ihr gehört, doch immerhin wollten wir uns noch mal treffen. Dann wird ja wohl ein Anruf nicht allzu ungewöhnlich sein, hoffe ich.
«Hi, Haven.» Rae klingt erstaunlicherweise nicht besonders überrascht, sondern eher so, als würden wir häufiger miteinander telefonieren.
«Rae, hallo. Ich würde dich gern etwas fragen», komme ich sofort zur Sache, bevor mir einfällt, dass das blöd sein könnte. «Wie geht es dir?»
«Gut», erwidert sie. «Wolltest du mich das fragen?»
«Nein, also … du warst doch garantiert schon auf Partys, oder?»
«Klar.»
«Worüber unterhält man sich da so?»
Ich rechne es Rae hoch an, dass sie an dieser Stelle nicht auflacht.
«Kommt drauf an», sagt sie nach einigen Sekunden.
«Worauf?»
«Mit wem du hingehst, wer noch so da ist, was es für eine Party ist, und ob die Musik so laut ist, dass man sich überhaupt unterhalten kann.»
Ich hoffe, die Musik wird laut sein. «Es werden nur Leute da sein, die ich kaum kenne, es ist eine Studentenparty, und ich gehe mit Jackson hin», zähle ich auf.
«Du bist mit deinem Freund da?», sagt Rae. «Tja, dann kannst du entweder in seiner Nähe bleiben oder du besorgst dir was zu trinken und guckst dich in Ruhe um. Und wenn du jemanden siehst, der nett wirkt, stellst du dich daneben und sagst ‹Hallo, ich bin Haven›.»
«Und dann?»
«Wie, und dann?»
«Was sage ich nach Hallo?»
«Dann wartest du ab, was der andere sagt.»
«Und wenn der auch nur hallo sagt?»
«Haven.» Jetzt lacht Rae doch. «Die Wahrscheinlichkeit, dass die andere Person genauso unsicher ist wie du, liegt unter null. Warst du denn noch nie auf einer Party?»
«Nein. Was soll ich also tun, wenn wir beide hallo gesagt haben, und mehr passiert nicht?»
«Okay, lass mal überlegen.» Es raschelt am anderen Ende, und ich stelle mir vor, dass Rae es sich gerade bequem macht. «Du könntest fragen, woher derjenige die Leute kennt, die diese Party veranstalten. Klassiker. Oder was er oder sie studiert, noch ein Klassiker. Und dann fragst du einfach weiter. Warum ausgerechnet dieses Studium? Geht ihr auf die gleiche Uni? Welche Dozenten findet ihr gut? Das Essen in der Mensa war heute echt mies, oder, hey, ich mag übrigens dein Shirt, wo hast du das gekauft, und wie findest du die Musik hier? Es ist …» Rae unterbricht sich. «Haven? Du schreibst nicht gerade mit, oder?»
Ertappt lasse ich den Stift sinken. «Doch.»
«Glaub mir einfach – das ergibt sich. Frag irgendetwas und lass zwischendurch genügend Luft, damit dein Gegenüber auch mal was fragen kann, das ist alles. Es ist ganz leicht, du wirst sehen. Lauf einfach ein bisschen rum – irgendwo ist eigentlich immer jemand, mit dem man sich zumindest eine Zeitlang unterhalten kann. Und wenn du nach einer Stunde noch kein Gespräch zum Laufen gekriegt hast, erklärst du die Party für lahm und gehst nach Hause. Vergiss nur Jackson nicht.» Raes Grinsen bei diesen Worten ist spürbar.
«Hoffentlich hast du recht», sage ich wenig überzeugt. «Hast du nicht Lust mitzukommen?» Das rutscht mir heraus, bevor ich mir die Frage stelle, ob es in Ordnung ist, einfach noch jemanden zu Stellas Party mitzubringen.
«Lieber nicht, ich mach mir nicht so viel aus Partys.»
Noch jemand, der Partys nicht mag. «Wieso nicht?»
«Ist einfach so.»
«Jackson mag auch keine Partys. Und er denkt, ich würde sie auch nicht mögen.»
«Ach, da muss er nicht recht haben. Früher bin ich gern auf Partys gegangen, aber …» Rae unterbricht sich. «Es wird bestimmt lustig. Wenn du wieder zurück bist, schreib mir eine Nachricht, wie es dir gefallen hat, okay?»
«Mach ich.»
«Weißt du schon, was du anziehst?»
«Ähm … eine Hose? Und ein T-Shirt?»
Ganz kurz ist es still am anderen Ende. «Das wird wohl passen», sagt Rae schließlich.
«Wieso? Zieht man auf Partys irgendetwas Besonderes an?»
«Nein, eigentlich nicht», wiegelt Rae ab.
«Aber warum hast du dann gefragt? Was sollte ich denn anziehen?»
«Zieh irgendetwas an, worin du dich wohl fühlst. Und selbstbewusst.»
Meine erste Antwort auf diesen Ratschlag schlucke ich hinunter. Früher habe ich meine Stimmung nie von meinen Kleidern abhängig gemacht – aktuell allerdings würde ich vermutlich sogar zögern, meine alten Sachen in Jasper im Wald anzuziehen.
«Was würdest du anziehen, wenn du ich wärst?» Praktischerweise kennt Rae alle meine Kleider. Sie hat sie ja beinahe alle zusammen mit mir ausgesucht.
«Das schwarze, ärmellose Top mit dem Stehkragen», entscheidet Rae spontan. «Und dazu eine schwarze Jeans.»
«Okay.»
«Was hast du für Schuhe?»
«Nur die Turnschuhe, die wir gekauft haben.» Und meine alten Wanderstiefel, aber die muss ich garantiert erst gar nicht erwähnen.
«Hast du nicht ein paar coole Boots? Schwarze?»
«Nein.»
«Du hast echt nur die Sneakers? Sonst nix?»
«Na ja …»
«Welche Größe hast du?»
«Neun.»
«Wo wohnst du? Ich bring dir was vorbei.»
Sekunden später ist unser Gespräch beendet, und ich lasse das Telefon auf den Schreibtisch sinken. Rae fährt jetzt los. Hierher. Nur um mir ein paar Schuhe zu bringen.
Obwohl ich nicht einmal denke, dass ich mich in ihren Schuhen anders fühlen werde als in meinen eigenen, kommt das doch meinem Wunsch, so etwas wie eine Freundin zu haben, ziemlich nahe.