JACKSON
P
iña colada. Es war natürlich eine Piña colada, was sonst, und bis ich Diane finde, die mir das verrät, und bis ich sie dazu bringe, mir noch einen solchen Cocktail zu mixen, vergeht bestimmt eine Viertelstunde.
«Wie viel Rum kippst du denn da rein?»
«Nach Gefühl.»
«Der halbe Cocktail besteht aus Rum!»
«Das sagt mir eben mein Gefühl», erklärt Diane unbekümmert. «Es schmeckt doch, also hör auf zu meckern.» Sie öffnet den Kühlschrank und holt nicht nur Ananassaft, sondern auch noch Sahne heraus und schüttet beides ins Glas.
«Hast du Havens Cocktail auch mit dieser Menge an Rum gemixt?»
«Na klar.»
«Sie hat überhaupt keine Erfahrung mit Alkohol!»
«Woher soll ich das bitte wissen?», erwidert Diane gereizt. «Das hat sie mir nicht gesagt.»
«Sorry, aber den kannst du selbst trinken. Du hättest dir doch denken können, dass Haven Alkohol nicht unbedingt gewohnt ist!»
«Jax, wenn zu deiner Freundin eine Gebrauchsanleitung gehört, dann gib mir die das nächste Mal einfach mit, okay?» Diane stellt Saft und Sahne zurück in den Kühlschrank. «Will jemand eine Piña colada?», ruft sie in die Menge und hält das Glas hoch. Sekunden später ist sie es los. «Cay hat recht», sagt sie noch, bevor sie mich stehenlässt. «Du bist grauenhaft langweilig geworden.»
Dianes Urteil kümmert mich weniger als die Tatsache, dass
Haven schon seit über zwanzig Minuten auf mich wartet. Ich weiß, ich wollte mir keine übertriebenen Sorgen mehr um sie machen, trotzdem kommt mir das eindeutig zu lang vor. Zu allem Überfluss stoße ich auf meinem Weg nach draußen auch noch mit Cayden zusammen.
«Hey, Jax! Kaylee hat es mir erzählt, aber ich hab’s nicht geglaubt.»
«Was?»
«Na, dass du hier bist. Wo ist dein … wo ist Haven?»
«Sie wartet draußen auf mich. Wir sehen uns später, okay?»
«Jetzt renn doch nicht gleich weg – und zu trinken hast du auch nix.»
Unwillig schüttle ich Caydens Arm ab. «Ich hatte schon was, danke.» Mit meinem Glas ist zwar Stella abgezogen, aber egal.
Als ich mich an ihm vorbeidränge, schließt Cayden sich mir an. «Okay, dann halten wir eben Ausschau nach deiner verlorengegangenen Freundin.»
«Witzig», murmele ich und sehe mich suchend um. Beim Buffet ist Haven nicht mehr. Achtlos schiebe ich einige Leute beiseite, ohne ihr rotes Haar entdecken zu können. Vage beunruhigt drehe ich eine kleine Runde, bevor ich ratlos innehalte.
«Vielleicht ist sie wieder reingegangen», schlägt Cayden vor.
«Warum sollte sie? Wir hatten ausgemacht, dass sie draußen wartet.»
«Kann ja sein, dass es ihr zu lange gedauert hat, und sie wollte dich suchen.»
Das wäre möglich. Ohne darauf zu achten, ob Cayden mir folgt, gehe ich zum Haus zurück. Eine Viertelstunde später habe ich mich
einmal erfolglos durch das gesamte Untergeschoss gearbeitet. Wo ist sie?
Cayden ist immer noch neben mir. «Ruf sie doch einfach mal an.»
Gute Idee. Ich ziehe mein Smartphone hervor und weiß kurz darauf, dass Haven ihr Telefon ausgeschaltet hat. Wenn es hier nur nicht so verdammt voll wäre. Am liebsten würde ich sie ausrufen lassen.
«Vielleicht ist sie einfach gegangen.» Cayden tritt einen Schritt zur Seite, weil ein paar Frauen sich an ihm vorbei in Richtung Küche drängeln.
«Glaub ich nicht. Ich geh noch mal draußen nachschauen.»
«Du machst dir nicht ernsthaft Sorgen, oder? Das ist hier nur eine Party, was soll schon passieren?»
Cayden hat nicht unrecht. Das hier ist eine elitäre Party von gutsituierten Studenten und kein abgefuckter Drogenring oder so, aber trotzdem … bei dem, was Haven intus hat …
Mir kommt ein Gedanke, und ich mache auf dem Absatz kehrt.
«Wo rennst du denn jetzt hin?», ruft Cayden hinter mir her.
«Nur was nachschauen.»
Haven ist weder im Gästeklo, noch in einem der beiden Badezimmer im ersten Stock, und so langsam mache
ich mir Sorgen, egal, was Cayden sagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Haven einfach gegangen ist, doch als ich die Treppe wieder nach unten steige und mich noch einmal zur Terrassentür vorarbeite, nagt genau dieser Gedanke an mir. Was, wenn es ihr doch zu viel geworden und sie einfach losmarschiert ist? Ich hätte sie ausgerechnet hier und heute nicht allein lassen sollen. Wie blöd kann man sein?
«Jax.» Wie auch immer er es anstellt, Cayden taucht schon wieder
auf. «Sie steht bestimmt einfach irgendwo rum und unterhält sich. Meinst du nicht, es wäre klüger, abzuwarten und …»
«Nein.» Ich bleibe so plötzlich stehen, dass Cayden mit mir zusammenstößt. «Warum rennst du mir eigentlich die ganze Zeit nach? Das dürfte doch ziemlich langweilig für dich sein, wenn ich Diane da richtig verstanden habe.»
«Hey, jetzt mach mich nicht an, weil du deine Freundin nicht findest – du bist
langweilig geworden in letzter Zeit!»
«Ach, verpiss dich doch.» Wie mir das alles hier auf die Nerven geht. Ich hätte mich gar nicht von Haven überreden lassen sollen herzukommen.
Die Stimmung draußen erreicht offenbar gerade irgendeine Art von Höhepunkt. Im Pool kreischen ein paar Frauen herum, doch Haven ist nicht dabei. Ich gehe so systematisch vor, wie das bei diesem Gedränge eben möglich ist, und Cayden, der sich komischerweise nicht verpisst hat, scheint immer noch mitzusuchen. Ganz kurz bin ich mir sicher, Haven auf der Hollywoodschaukel liegen zu sehen, doch das Ding ist leer, und das, was ich im ersten Moment für einen menschlichen Körper hielt, sind nur ein Haufen Jacken.
Hier hinten ist nicht so viel los. Obwohl es dunkel ist, spenden die Fackeln aus dem Garten und die Laternen von der Straße genügend Licht, um mir klarzumachen, dass Haven einfach nicht mehr da ist. Noch einmal taste ich nach meinem Telefon.
«Komm mit.»
«Was? Wohin?»
Cayden packt meinen Arm und zerrt mich mit sich. «Komm einfach mit.»
«Was … was soll denn das?»
Halb schleift er mich über die Straße, ohne mir zu antworten, und gerade als ich ihn ernsthaft anmachen will, fällt mein Blick auf den etwas dunkleren Umriss zwischen einigen dünnen Bäumen. Mit einem flauen Gefühl im Magen gehe ich näher heran. Das Licht der Laternen erreicht Haven und den Typen, mit dem sie dort steht, nicht ganz, aber es ist klar zu erkennen, womit sie beschäftigt sind. Das ist … das ist …
Ich fühle mich, als habe mir jemand mit aller Kraft zwischen die Beine getreten.
Haven klammert sich an diesen Kerl, und als der ihr jetzt auch noch seine Zunge in den Mund schiebt, reiße ich mich von Cayden los, ohne genau zu wissen, was ich eigentlich vorhabe. Auf jeden Fall werde ich mir nicht zwei Bier aus dem Kühlschrank besorgen und verschwinden.
Im nächsten Moment geschehen mehrere Dinge unmittelbar hintereinander. Haven tritt abrupt einen Schritt zurück, schwankt bedenklich, beugt sich dann vor und übergibt sich.
Als ich in das fassungslose Gesicht des Typen blicke, der nicht schnell genug beiseitegesprungen ist, um seine Schuhe zu retten, erkenne ich ihn. Jon. Klar. Wer auch sonst. Der Arsch aus der Uni. Was auch immer der ausgerechnet auf dieser Party zu suchen hat.
«Du musst ja wirklich gut gewesen sein», sage ich zu ihm.
Jon braucht ein paar Sekunden, um die Situation zu überreißen. «Ich habe … es ist nichts …»
Wenn er jetzt behauptet, es sei gar nichts passiert, frisst er sein T-Shirt. Vermutlich geht diese Botschaft in Wellen von mir aus, denn Jons Mund klappt plötzlich zu, und er geht in einem vorsichtigen
Bogen um mich herum zurück Richtung Party.
Ich mache keine Anstalten, ihn aufzuhalten. Je eher seine blöde Visage hier verschwindet, desto besser.
Haven ist auf die Knie gefallen, ihre Haare verbergen ihr Gesicht. Sie würgt immer noch, und eine Sekunde lang möchte ich mich umdrehen und ebenfalls verschwinden.
Dann mache ich einen Schritt vorwärts. Und noch einen.