JACKSON
A uf dem Weg nach Hause zerschießt mir das Bild von Haven, die sich an diesen Jon klammert, jedes Mal den Versuch, mir einzureden, dass es diesmal nicht so ist wie bei Stella. Oder bei Lynn.
Haven war betrunken. Die älteste Entschuldigung der Welt, aber sie verträgt wirklich keinen Alkohol, verflucht, und ich hätte sie nach ihrem ersten Drink nicht allein lassen sollen.
Aber genau das wollte sie, oder? Sie wollte, dass ich gehe und ihr sogar noch einen Drink besorge, und ich Idiot laufe los, während Haven … Sie konnte das nicht abschätzen. Wie das Zeug wirken würde. Eine Piña colada mit der Menge an Rum, den Diane da reingekippt hat – ich wäre betrunken gewesen.
Ich hätte auf sie aufpassen müssen.
Und sie hätte nicht freiwillig mit diesem Arsch in den Park laufen sollen, ich meine – wie naiv kann man bitte sein? Nicht einmal Haven nehme ich es ab, dass sie nicht geahnt hat, was der Sack daraus schließen würde, wenn sie sich mit ihm in die Büsche schlägt. So sehr kann man gar nicht hinter dem Mond gelebt haben. Oder in einem Scheißwald.
Warum hab ich mich darauf eingelassen, etwas zu trinken zu holen, warum habe ich mich überhaupt auf diese verfickte Party eingelassen? Ich wusste doch von Anfang an, dass sie damit überfordert sein würde, allerdings hätte ich nicht gedacht, dass der Abend damit endet, dass sie mit irgendeinem Arsch rummacht. Dem ich übrigens noch beide Arme brechen werde.
Dass Cayden da ist, als ich nach Hause komme, nervt mich ebenfalls. Mich nervt alles. Einfach alles. Und irgendwas tut verdammt weh, und wäre Jonny nicht irgendwo damit beschäftigt, Kotze von seinen Schuhen zu wischen, weiß ich nicht, was ich in diesem Moment tun würde.
«Hey.» Cayden sitzt mal wieder auf dem Sofa und lässt das Smartphone sinken.
Ohne ihm zu antworten, gehe ich an ihm vorbei. Ich will jetzt duschen und dann … keine Ahnung, was dann. Schlafen wäre vielleicht nicht verkehrt.
«Jax, warte doch mal.»
«Was?» Ich drehe mich um. Ein paar Sprüche darüber, wie langweilig oder humorlos oder mies drauf ich bin, und ich werde einen Teil meiner schwelenden Wut gleich hier und jetzt los.
«Wie geht es ihr?»
Wie es Haven geht? Es gibt kaum eine Frage, mit der ich weniger gerechnet hätte.
«Was interessiert dich das?»
«Sie sah echt fertig aus.»
«So geht es ihr auch.»
«Was hast du zu ihr gesagt?»
«Dass der Arsch nicht so weit hätte gehen dürfen, wenn sie betrunken ist. Aber vielleicht wollte sie es ja sogar.»
Jetzt ist es raus. Das, was sich die ganz Zeit wie Glassplitter in mein Innerstes drückt, mir die Eingeweide aufschlitzt und mich bluten lässt. Haven mag Jon. Sie mag ihn. Wie oft hat sie mir erzählt, wie nett er sei? Und wie betrunken kann man sein, um sich mit einem Typen, den man mag, auf einer Party zurückzuziehen, ohne davon auszugehen …
«Jax, sie hat ihm auf die Füße gekotzt.»
«Na und?»
«Sah sie für dich allen Ernstes so aus, als hätte sie Spaß gehabt?»
«Wie man halt so aussieht, wenn man gerade kotzen musste.»
«Das glaub ich jetzt nicht – wir reden hier von deinem Waldmädchen!»
«Ja, genau das tun wir! Und hast du mir nicht erzählt, dass ich mir Gedanken darüber machen sollte, ob Haven wirklich was von mir will oder ob ich nicht nur zufällig der Erste war, der vorbeikam? Hast du? Ja, hast du!»
Cayden öffnet den Mund – und schließt ihn wieder.
«Also komm mir jetzt nicht so. Und hör verdammte Scheiße noch mal auf, sie so zu nennen!» Cayden anzubrüllen fühlt sich so gut an, wie es mich weiter in Rage bringt. «Sie ist sich übrigens selbst nicht sicher, ob sie sich nicht so verhalten hat, als hätte sie Bock darauf gehabt. Vielleicht weiß sie selbst nicht so genau, ob sie es nicht mal mit einem anderen versuchen wollte.»
«Jax. Du hast sie gerade gesehen. Und du hast diesen Typen gesehen. Ihr ging’s einfach nur beschissen, und dieser Drecksack konnte sich gar nicht schnell genug verziehen. Vielleicht war es blöd, dass sie mitgegangen ist, aber du hast doch gerade selbst gesagt, dass der Arsch deshalb keinen Freibrief hatte – sie hat nix falsch gemacht. Wir reden hier nicht von Stella, die sich in der Küche begrabbeln lässt. Und wir reden übrigens auch nicht von Lynn», fügt Cayden hinzu, und ich lasse mich an der Wand neben dem Flur hinunterrutschen, weil ich mich plötzlich fühle, als habe man mir die Füße weggetreten.
«An die denkst du doch, oder?», fährt Cayden fort. «An Lynn. Aber du weißt, dass das nicht vergleichbar ist. Auch wenn sie dir so wichtig war, wie dir jetzt Haven wichtig ist.»
Ich hab Kopfschmerzen. Kurz presse ich mir beide Handflächen gegen die Stirn, dann lasse ich meinen Kopf schwer gegen die Wand sacken. «Wieso hast du mit solchen Sachen eigentlich immer recht und bist gleichzeitig so ein gefühlloser Arsch?»
«Ich bin nicht gefühllos», erwidert Cayden. «Meinetwegen ein Arsch, aber nicht gefühllos. Ich lass das nur nicht raushängen. Wärst du in meiner Familie groß geworden, würdest du das auch nicht.»
Cayden redet nie über seine Familie. Niemals. Und über meine Familie reden wir genauso wenig. Unsere Freundschaft ruht auf einer spiegelglatten Oberfläche, und erst durch Haven hat das alles Risse bekommen. Es ist schwer, weiterhin unangreifbar zu bleiben, wenn es ganz offensichtlich etwas gibt, das einen so verletzlich macht.
Ich hole Luft.
«Frag mich jetzt bloß nicht nach meiner Familie.» Cayden lächelt sein gewohntes Cayden-Lächeln. Ein wenig spöttisch und von oben herab. «Überleg dir lieber, wie du das mit Haven wieder in Ordnung bringst.»