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Die Verlobungsfeier

Heute Abend gibt mein Vater ein großes Essen mit vielen Gästen. Er will allen mitteilen, dass er und Norma jetzt ein Paar sind.

Schon seit Tagen bereiten die beiden den Empfangssaal vor, der lange nicht mehr benutzt worden ist. Sie haben sogar einen Catering-Service samt Kellnern engagiert und Norma hat sich um die Dekoration gekümmert. Alles soll mittelalterlich aussehen und dafür hat sie einige Statuen, Standarten, Schilde und Waffen hervorgeholt. Und das Menü setzt sich aus Speisen zusammen, die für das Mittelalter typisch waren.

Metáfora hat sich ein neues Kleid gekauft und ich habe mir einen Smoking besorgt. Ehrlich gesagt, ich bin ein wenig nervös, aber ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Auf keinen Fall darf ich mich lächerlich machen! Ach ja, ich habe übrigens zum ersten Mal das Rasiermesser benutzt, das die beiden mir zum Geburtstag geschenkt haben.

Nach und nach treffen die Gäste ein. General Battaglia in seiner Galauniform war einer der Ersten, zusammen mit Leblanc, dem Schriftsteller, den Metáfora so toll findet. Danach sind einige Lehrer unserer Schule gekommen, die Norma eingeladen hat, und dann Del Hierro und noch viele andere. Insgesamt werden es wohl etwa fünfzig Personen sein.

Die Kellner sind gerade dabei, den Aperitif zu servieren. Adela ist auch schon im Saal, behält aber die beiden Wachmänner im Auge, die sich die eintreffenden Gäste genau ansehen.

Die Leute stehen in Grüppchen zusammen und plaudern, während ununterbrochen Getränke und Kanapees gereicht werden.

»Bist du aufgeregt?«, fragt mich Metáfora, die in ihrem neuen Kleid wunderschön aussieht. »Ich glaube, jetzt wird’s ernst.«

»Ja, sieht so aus. Obwohl sie sich ja erst mal nur verloben.«

»Wie fändest du es eigentlich, wenn die beiden heiraten würden?«

»Na ja, ich glaube, sie verstehen sich sehr gut. Und das ist doch das Wichtigste, oder?«

»Und wie gefällt dir die Aussicht, eine Stiefmutter zu bekommen?«

»Wenn sie nicht so ist wie die von Aschenputtel, dann bin ich einverstanden«, sage ich grinsend.

»Ich finde, sie sind ein schönes Paar. Ist dir eigentlich klar, dass wir dann Halbgeschwister wären?«

»Ist das was Schlimmes?«

»Nein, aber stell dir mal vor, wir würden mal heiraten wollen … Das wäre ein Dilemma …«

»Heiraten? Wir? Aber …«

»Hallo, Arturo!«

Es ist Cristóbal, der gerade mit seinen Eltern in den Saal gekommen ist.

»Hallo, Arturo, erinnerst du dich noch an mich?«, fragt sein Vater.

»Natürlich, Dr. Vistalegre! Guten Abend.«

»Du bist mir noch einen Besuch schuldig. Wir müssen uns unbedingt unterhalten, und vergiss nicht, dass du mir alles aufschreiben wolltest, was dir zu deinen Träumen einfällt.«

»Ja, natürlich, ich werde in den nächsten Tagen kommen. Aber ich habe noch fast nichts aufgeschrieben.«

»Ich möchte dich ja nicht bedrängen, Arturo, aber es wäre auch gut, wenn du einige Dinge über deine Kindheit notierst. So was kann sehr nützlich sein.«

Der Aperitif ist beendet. Wir setzen uns an den großen u-förmigen Tisch, der für diesen Abend gedeckt worden ist. Metáfora und ich sitzen am Kopfende neben meinem Vater und Norma.

Die Kellner servieren das Essen und die Gäste langen kräftig zu. Die Stimmung ist ausgezeichnet, alle scheinen sich bei uns wohlzufühlen. Schließlich wird der Nachtisch gebracht und zuletzt Kaffee und Champagner. Und dann steht mein Vater mit einem Glas in der Hand auf und bittet um Aufmerksamkeit.

»Liebe Freundinnen und Freunde! Zuallererst möchte ich euch danken, dass ihr an diesem für uns so besonderen Abend so zahlreich gekommen seid«, beginnt er. »Wir haben euch hergebeten, um euch mitzuteilen, dass Norma und ich nicht länger nur gute Freunde sind, sondern mehr. Wir möchten euch sagen, dass wir uns ineinander verliebt haben und möglicherweise, wenn alles so weitergeht, wie wir hoffen … nun, dass wir irgendwann heiraten werden.«

Alle klatschen Beifall.

»Und so wollen wir unser Glas erheben und auf unser und euer Glück trinken! Wir haben euch eingeladen, weil wir euch schätzen und unser Glück mit euch teilen möchten«, fügt er hinzu.

Mehr Beifall.

»Und wenn alles gut geht, werden wir uns bald wieder hier treffen, um unsere Hochzeit zu feiern. Zum Wohl!«

Noch mehr Beifall.

General Battaglia erhebt sich mit seinem Glas in der Hand und bittet ums Wort.

»Ich möchte der Erste sein, der dem neuen Paar Glück wünscht! Ihnen beiden alles Gute! Auf eine glückliche Zukunft!«

»Vielen Dank, General«, sagen mein Vater und Norma gleichzeitig.

»Ich möchte mich den Glückwünschen anschließen!«, ruft Stromber, der jetzt ebenfalls aufgestanden ist. »Meine besten Wünsche für die Zukunft! Ich hoffe, dass euer Traum in Erfüllung geht!«

Immer mehr wünschen den beiden alles Gute. Nur Sombra hält sich im Hintergrund. Ich finde, er sieht besorgt aus. Ich fürchte, er ist immer noch sauer darüber, dass Battaglia auch im zweiten Keller war. Aber wenn die Schwarze Armee tatsächlich nie existiert hat, dann verstehe ich nicht, was er gegen die Nachforschungen des Generals hat.

Wenn es die Armee nicht gegeben hat, kann man auch keine Spuren von ihr finden.

Die Gäste stehen vom Tisch auf und bilden wieder kleine Grüppchen, während die Kellner herumgehen und Getränke servieren. Ich gehe auf General Battaglia zu.

»Vielen Dank für Ihren Trinkspruch, General. Er hat mir sehr gefallen.«

»Dann wird dir noch mehr gefallen, dass ich Beweise für die Existenz der Schwarzen Armee gefunden habe«, antwortet er euphorisch. »Es war ein hartes Stück Arbeit, und glaube mir, bald werde ich den Namen des Oberbefehlshabers herausgefunden haben.«

»Aber, General, das ist ja eine tolle Neuigkeit!«, ruft Metáfora, die das Gespräch mit angehört hat. »Das heißt also, Ihre Theorie war richtig!«

»So ist es, endlich habe ich stichhaltige Beweise! Und das alles dank der Unterstützung der Stiftung Adragón und ihrem Leiter und Besitzer, Don Arturo Adragón. Ich bin sehr glücklich.«

»Und was für Beweise haben Sie gefunden, General?«, frage ich.

»Die werde ich euch bald vorlegen. Ich werde alle Indizien, und das sind nicht wenige, öffentlich bekannt geben. Ich werde beweisen, dass es eine mächtige Armee gegeben hat, die außergewöhnliche Heldentaten vollbracht hat, unter anderem die, ein Reich geschaffen zu haben.«

»Das war wohl eher andersherum: Ein Reich hat eine Armee geschaffen, oder?«

»Nein, mein Junge. Du hast schon richtig verstanden: Die Schwarze Armee hat ein Reich geschaffen!«

»Aber das ist doch unmöglich. Das hat es in der Geschichte noch nie gegeben.«

»Wir werden sehen, wir werden sehen«, sagt der General und lässt uns stehen.

Ich sehe, dass mein Vater mit Stromber und Del Hierro spricht. Er sieht sehr besorgt aus.

»Komm, Metáfora, lass uns mal hören, was mein Vater mit denen zu besprechen hat.«

Wir schleichen uns vorsichtig an.

»Dann ist das also nicht rückgängig zu machen?«, fragt mein Vater gerade.

»Tut mir leid, Señor Adragón«, erklärt Del Hierro. »Aber die Situation ist schwieriger geworden. Sie haben sich um die Nutzungsrechte für neue Museumsstücke bemüht und das würde Geld kosten. Allerdings waren Sie nicht in der Lage, Ihre Schulden zu tilgen, die inzwischen noch angewachsen sind. Uns bleibt nichts anderes übrig, wir müssen aktiv werden.«

»Was kann ich tun?«

»Nichts. Sie werden mit mir verhandeln müssen, wenn Sie nicht wollen, dass wir die Pfändung beantragen.«

Metáfora und ich schleichen uns wieder davon. Wir haben genug gehört.

»Du, Arturo, lass uns Señor Leblanc begrüßen«, schlägt Metáfora vor. »Ich möchte ihn fragen, ob er gerade an einem neuen Buch schreibt. Das interessiert mich sehr.«

»Ja, gut, gehen wir zu ihm.«

* * *

Ich bin schon längst eingeschlafen, als jemand an meine Tür klopft. Ich stehe auf, um nachzusehen, wer mich um vier Uhr morgens besuchen will.

»Sombra! Was machst du denn hier um diese Zeit?«

»Kann ich mit dir reden?«

»Klar, komm rein … Was ist los? Warum bist du so aufgeregt?«

Er setzt sich auf die Bettkante und knetet nervös seine Hände. Er sieht mich nicht einmal an, so wie er es sonst immer tut. Es muss um etwas sehr Wichtiges gehen.

»Ich möchte dich um deine Hilfe bitten. Es gibt da ein großes Problem, das ich nicht alleine lösen kann.«

»Sag mir einfach, worum es geht. Du weißt, du kannst dich auf mich verlassen.«

»Alles ist aus dem Ruder gelaufen, ich habe die Kontrolle verloren. Tut mir leid.«

»Wovon sprichst du?«

»Vom General. Der Mann macht uns das Leben schwer. Die Stiftung ist in Gefahr. Wenn er herumerzählt, was er weiß, wird die Stiftung aufgelöst.«

Ich verstehe nicht, wovon er redet. Wieso sollte die Stiftung aufgelöst werden?

»Sombra, ich glaube, du übertreibst. Das kann nicht passieren. Die Stiftung wird niemals aufgelöst!«

»Der General sagt, er habe Indizien gefunden, die beweisen, dass die Schwarze Armee existiert hat! Bist du dir im Klaren darüber, was das bedeutet?«

»Nein, bin ich nicht. Du hast doch immer gesagt, dass diese Armee das Fantasieprodukt von Zeichnern und Schriftstellern ist und dass es sie nie gegeben hat.«

»Ja, natürlich … Aber jetzt kommt dieser General und behauptet das Gegenteil. Vielleicht kann er tatsächlich beweisen, dass … dass ich mich irre.«

»Und was wäre so schlimm daran? Was geht es uns an, ob die Armee irgendwann mal existiert hat oder nicht? Was haben wir damit zu tun?«

»Viel, Arturo. Verstehst du denn nicht? Wenn das öffentlich wird, rennen die uns die Bude ein! Alle Welt wird wissen wollen, was an alldem dran ist. Schwärme von Journalisten, Forschern, Historikern …«

»Sombra, es kommen doch jetzt schon alle möglichen Leute hierher, um sich zu informieren und zu forschen. Das bringt uns viel Geld ein. Wir nehmen Eintritt und eine Gebühr für das Recht zu forschen. So können wir vielleicht irgendwann unsere Schulden zurückzahlen.«

»Aber bis jetzt suchen die Leute nichts Konkretes. Sie forschen über das Leben im Mittelalter, über seine Geschichte, seine Könige … Das schadet keinem …«

»Ich kapiere nicht, worauf du hinauswillst. Was ist so gefährlich daran, wenn der General sagt, dass es im Mittelalter eine Armee gegeben hat, von der bisher keiner etwas wusste und deren Existenz von allen geleugnet wird. Was können Journalisten herausfinden, was wir nicht schon längst wissen?«

»Hör zu, Arturo … Wenn in der Stiftung Leute herumlaufen, die etwas suchen, dann werden sie es am Ende auch finden. Sie werden in die Bibliothek gehen, sie werden in die Keller hinabsteigen und alles durcheinanderbringen, und am Ende werden sie sich sämtliche Informationen holen, die wir hier haben … Und möglicherweise werden sie dabei auf gefährliche Dinge stoßen.«

»Ich verstehe dich nicht. Was haben wir zu verbergen? Was gibt es hier in der Stiftung, das nicht bekannt werden darf?«

»Niemand darf in die Tiefen der Stiftung vordringen! Wir müssen es verhindern, egal wie!«

»Verhindern? Was denn?«

»Dass der General an die Öffentlichkeit geht und aller Welt erzählt, was er gefunden hat! Wir müssen verhindern, dass bekannt wird, dass die Schwarze Armee existiert hat!«

»Dann stimmt es also? Es hat eine Schwarze Armee gegeben?«

»Das ist doch unwichtig. Was mir Sorgen macht, ist, dass die Leute das glauben. Man muss den General zum Schweigen bringen! Und du musst mir dabei helfen!«

»Hast du schon mit meinem Vater darüber gesprochen?«

»Dein Vater wird nicht auf mich hören. Er hat mit der ganzen Geschichte nichts zu tun.«

»Und ich? Ich hab was damit zu tun?«

Sombra zögert ein wenig, bevor er antwortet.

»Ja, Arturo, du hast etwas mit der Schwarzen Armee zu tun, und zwar eine ganze Menge.«

Ich bin sprachlos.