KAPITEL VIERUNDZWANZIG

Todeskampf und eisiges Wasser hatten den Leichnam von Sean Flynn in seiner aufgerollten Selbstumarmung fixiert, doch im Licht von Dr. Comforts forensischem Labor hatten sich die Arme langsam gelöst wie fahles, fleischiges Frühlingslaub. Der Hinterkopf war rasiert worden, wodurch die grausige Wunde zum Vorschein gekommen war, die einen Schädelbruch verursacht hatte. Brooke musste unwillkürlich an eine Eierschale denken, aufgebrochen mit einem einzigen Schlag des silbernen Löffels.

Comfort, gereizt und ungewöhnlich forsch, war zu einem klaren Ergebnis gekommen. »Tödliche Gewalt, Brooke. Unbehandelt wäre er sowieso gestorben. Das Ertrinken kam dem zuvor, aber nur ein paar Minuten.« Er wischte sich Blut und Haare von den Händen. »Die Lunge ist gefüllt. Es gibt keinen Zweifel an der tatsächlichen Todesursache, aber wie ich schon sagte, es war nur eine Frage der Zeit. Der Schlag auf den Kopf wäre schlussendlich tödlich gewesen. Die Person, die ihn ausgeführt hat, trägt die ganze Verantwortung. Die eigentliche Tragödie ist, dass solche Menschen wahrscheinlich kaum eine Bürde darin sehen.«

Dr. Comfort hatte noch eine weitere Beobachtung zu bieten, auch wenn die theoretisch außerhalb seines Aufgabengebiets lag. Aber vielleicht war er auch nur erpicht darauf, sich von dem Leichnam abzuwenden.

»Die goldene Kanone, Brooke«, sagte er und zeigte auf die Plakette an der Jacke des Jungen, die zusammen mit seinen anderen Kleidungsstücken auf einem Seziertisch lag. »Er war zweifellos ein glühender Anhänger des Arsenal Football Clubs, aber das engt den Kreis der Verdächtigen kaum ein. Letztes Jahr haben sie Whyte zufolge den Titel in der First Division geholt.« Whyte war einer der »Autopsie-Diener«, die am hinteren Ende des Labors Position bezogen hatten, um das schwere Handwerkszeug zu schwingen. »Die Mannschaft ist international berühmt, sagte man mir. Tausende von Kindern müssen von ihrem Glanz geblendet worden sein. Vielleicht hat er davon geträumt, eines Tages selbst zu spielen.«

Er kehrte zu der Leiche zurück und benutzte einen langen Zeigestock aus Metall, um auf die Tintenzeichnung am Unterarm zu deuten.

»Und ein Galgenmännchen-Spiel haben wir auch noch. Ich frage mich, wann englische Kinder angefangen haben, das zu spielen. Vor einem Jahrhundert? Zwei, drei, fünf? Ist jedenfalls kein Wunder, dass er gewonnen hat. Das Schlüsselwort ist knifflig: A, Strich, C, H, Strich, A, Strich. Irgendeine Idee?«

Brooke schüttelte den Kopf. Er hatte wie all die anderen Kinder in der Schule Galgenmännchen gespielt, aber für ihn hatten die Bilder immer etwas Maliziöses gehabt. Auch hatte er die Spannung, die die Regeln auslösten – dass er ein Wort raten musste, indem er die diversen Buchstaben ausprobierte – als seltsam unangenehm empfunden. Wie sie alle hatte er getan, was auf der Hand lag, und es zuerst mit den Vokalen versucht. Jeder falsche Buchstabe fügte einen Strich zum Bild des Galgenmännchens hinzu, bis ihm zum Schluss mit einem einzigen Streich der Hals gebrochen wurde. Es war nur ein Spiel, ein symbolischer Tod, aber die Beklemmung hatte das für ihn nicht gelindert.

»Ich bezweifle, dass das relevant ist«, sagte er schließlich und wandte den Blick ab.

»Wie Sie wissen, Brooke, bin ich kein Verfechter der Todesstrafe«, sagte Comfort, während er in Vorbereitung auf die Sektion der Leiche ein Skalpell unter einem Wasserhahn reinigte. »Aber wenn Sie herausfinden, wer das getan hat, dann hätte ich gern ein Ticket für die erste Reihe vor dem Galgen. Andererseits ist das ein schneller Tod. Genickbruch …« Er schnalzte mit den Fingern. »Dieser Junge hat furchtbar gelitten, und ich denke, jemand sollte dafür bezahlen, meinen Sie nicht?«

Ein weiteres Fingerschnippen, und Comforts Diener rollten einen Werkzeugwagen herbei, auf dem Sägen, Messer und Waagen angeordnet waren.

Der Augenblick existenzieller Auslöschung war gekommen, und dafür hatte Brooke an diesem Abend nicht die Nerven.

Er wedelte mit einer Notiz. »Das hier hat unten beim Pförtner auf mich gewartet. Ich muss los. Wir haben oben auf Honey Hill einen der Fenier-Bombenleger gefunden – oder zumindest einen ihrer Sympathisanten. Edison ist vor Ort. Ich wurde gerufen, um die getroffenen Vorkehrungen zu inspizieren. Es wäre ein Verbrechen für sich, sollten wir den Mann entkommen lassen. Er könnte immerhin unser Mörder sein.« Er rückte seinen Hut zurecht. »Ich überlasse Sie Ihrer Arbeit, Doktor.«

Brooke flüchtete, ehe die Sägen ihr Werk begannen.

Auf der Schwelle blieb er stehen und zündete sich eine Zigarette an. Sie hatten von Anfang an gewusst, dass der Junge tot sein musste. Aber ohne einen Leichnam hatte das Opfer sich in einer Art irdischem Fegefeuer befunden. Nun war es zumindest daraus freigekommen, auch wenn die grausame Prüfung noch nicht beendet war. Die Autopsie war im Gang, anschließend würde der Körper zum Zweck der Identifikation wieder zusammengeflickt werden, und schließlich würde man ihn einlagern in einer von Comforts Stahlschubladen. Und dort würde er liegen, bis der Gerichtsmediziner die Leiche zum Begräbnis freigäbe; eine Verfügung, die ganz davon abhing, wann Brooke den Mörder des Jungen fand.