Mit ausgreifenden Schritten machte Brooke sich auf den Weg zu seinem alten College, marschierte über die Great Bridge und durch das dahinter liegende Bridgetown, in dem die Lichter der Geschäfte von vereisten Straßen reflektiert wurden. Die Dunkelheit hatte das zögerliche Tauwetter eingefroren. Im Schatten des Turms von St. John’s bog er in das alte Ghetto ab. Hier in den schmalen Gassen war kein Schnee mehr zu sehen, aber die vormals feuchten Steine waren nun mit Eis überzogen, auf dem seine Budapester keinen Halt fanden. Er musste beide Hände einsetzen, um zwischen den eng beisammenstehenden Wänden Halt zu finden. Am Michaelhouse musste er nicht erst seinen Siegelring einsetzen, um das übliche Klopfsignal zu geben, denn die Tür stand offen. Studenten stürzten herein, eilten zu den offenen Kaminen und ihrem Abendessen.
Doric, der dabei war, einen Besucher einzutragen, musste seinen Dienst gerade erst angetreten haben, denn er trug noch den schwarzen Mantel und die Melone, die ihm das College zur Verfügung gestellt hatte. Ohne ein Wort ging Brooke an ihm vorbei und in den getäfelten Raum hinter dem Schalter, wo er sich, außer Sichtweite, gleich neben den glühenden Kohlen vor den Kamin setzte. Dieser Raum, den er als Student bewundert hatte, glänzte mit der verwitterten, polierten Patina einer Schiffskajüte. Das Nebeneinander des rührigen Geschehens am Schalter im Vorraum und der Ruhe in diesem versteckten Schlupfloch hatte etwas zutiefst Behagliches an sich.
Als der Besucher abgefertigt war, gesellte sich der Pförtner zu ihm.
»Unter Null, aber der Fluss ist frei von Eis«, sagte Doric, nahm die Melone ab und hängte sie behutsam an einen Messinghaken, ließ den Mantel jedoch an. Vor dem Feuer führte er eine Art stationären Marsch auf, hob abwechselnd seine Füße um ein oder zwei Zoll und stellte sie wieder ab. Brooke nahm an, dass er sich diese Gewohnheit zugelegt hatte, als er in kalten Nächten in Kapstadt oder Transvaal Wache gestanden hatte.
»Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte Brooke. »Kennen Sie den Nachtpförtner von St. John’s?«
Er kannte nicht nur ihn, sondern auch die School of Pythagoras.
»Die vermieten, Mister Brooke, und das macht reichlich Ärger. Das sagt jedenfalls Griffiths – das ist mein Kollege. Schimpft ständig, der Mann, weil die Bewohner in der einen Woche nicht bezahlen und in der nächsten auf und davon sind. Was wirklich eine Schande ist, sagt er, weil einer der Stipendiaten, ein Historiker, darauf beharrt, dass dies das älteste Haus in der Grafschaft sei – von der Stadt gar nicht zu reden. Älter als die Universität, Mister Brooke.« Doric legte eine kurze Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen. »Das war auch nie eine Schule und hat nichts mit Pythagoras zu tun.«
Dorics Finger flatterten. »Er sagt, die Familie, die es erbaut hat, hat es einem College in Oxford verkauft, ausgerechnet. Die haben dann ihre Studenten zur Klausur dort hingeschickt. Vielleicht waren einige davon Mathematiker, das könnte es erklären.«
Das war eine lange Rede, und Doric wirkte regelrecht erschöpft. Also schüttelte er den Mantel ab und nahm auf einem Stuhl Platz, der auf der Seite stand und ihm erlaubte, den Eingangsbereich im Auge zu behalten. Wieder kam Bewegung in seine Füße, beinahe, als säße er an den Pedalen der College-Orgel.
»Mir geht es um den derzeitigen Bewohner«, sagte Brooke. »Tun Sie mir einen Gefallen, Doric. Rufen Sie diesen Griffiths an und sagen Sie ihm, ein Constable wird die Schlüssel abholen. Ich muss eine Durchsuchung vornehmen und eine Wache aufstellen. Instruieren Sie ihn, er soll das für sich behalten.«
Am Ende ging Brooke aber selbst hin, außerstande, seine Neugier zu bezwingen. Der Pförtner übergab ihm mit einem knappen Nicken den Schlüssel, nachdem Doric ihn telefonisch vorgewarnt hatte. Gemäß den Unterlagen war der derzeitige Bewohner ein Bauer namens Jackson, der eine Adresse in den Fens in der Nähe von Chatteris angegeben hatte. Brooke bahnte sich einen Weg durch die alten Höfe des Colleges und über die Seufzerbrücke zu den viktorianischen Gebäuden. Hinter ihnen lag die alte Scheune. Von dort schweifte der Blick über ein ausgedehntes Feld, auf dem etliche Schneemänner standen, zwei davon angetan mit Collegeschals. Allesamt gefroren, aber bereits ein wenig in sich zusammengesackt, warteten sie darauf, dass am nächsten Tag erneut Tauwetter einsetzte.
Die Tür war einen halben Fuß dick und hing an gut geölten Angeln, der Schlüssel ließ sich mühelos im Schloss drehen.
Im Inneren war es feucht, und der Geruch von Benzin lag in der Luft. Ein dreirädriger Transporter stand auf Stroh. Schmelzwasser von Schnee und Eis tropfte von ihm herab. Der Laderaum war, soweit er es durch die Glasscheibe der Hecktür erkennen konnte, leer. Er zog einen Handschuh aus und legte die Hand auf die Motorhaube: eiskalt. Die mittelalterlichen Mauern hielten alle Geräusche der Stadt ab, aber er konnte Mäuse in den Wänden und möglicherweise noch etwas Größeres in einem Haufen alter Säcke in einer Ecke hören.
Er dachte an PC Collins: Hatte er die Reifenspuren auf der Silver Street Bridge entdeckt und war ihnen hierher gefolgt? Hatte Smith ihm aufgelauert? Brooke durchsuchte die drei Räume im Erdgeschoss, fand aber keinerlei Spuren. An beiden Enden des Gebäudes führten Leitern zu Speichern. Einer enthielt Feuerholz, der andere war leer bis auf ein paar zu einem Schlafsack zusammengerollte Pferdedecken. Eine einzelne Schieferplatte war zum Aschenbecher umfunktioniert worden und voller Kippen. An der hinteren Wand lehnte das gerahmte Schwarz-Weiß-Bild einer glücklichen Familie, das er über Smiths Kellerofen in St. Alban’s hatte hängen sehen.
Brooke blickte auf. Er würde eine Wache in einem nicht gekennzeichneten Wagen am oberen Ende der Straße postieren müssen. Sollte Smith zurückkehren, hatten sie ihren Mann.