Detective Sergeant Ralph Edison erschien um kurz nach halb neun an Brookes Bürotür, wie stets bewaffnet mit einem Becher Tee und einem Teller aus der Kantine des Spinning House. Ein Hauch von gebratenem Schinken, von dem mehrere Scheiben in ein weiches Brötchen gequetscht worden waren, war ihm vorausgeeilt. Der Geruch war fast eine Tortur, blieben doch nur noch wenige Tage, bis man ihnen eine Rationierung von Schweinefleisch zumuten würde. Das hypnotische Aroma mochte sich schon bald als ein Relikt der Vergangenheit erweisen. Edison nahm Platz, und die Hosenbeine seines alten Anzugs rutschten empor und gaben den Blick auf das Uhrenmuster seiner Socken frei.
Bei Kriegsausbruch waren Officers im Ruhestand in den aktiven Dienst zurückbeordert worden, um die klaffenden Löcher zu stopfen, die einberufene und freiwillige Soldaten hinterlassen hatten. Edison hatte dreißig Jahre lang der uniformierten Truppe angehört, aber Brooke brauchte einen Sergeant, und so war der Sechsundsechzigjährige gezwungen gewesen, einen Anzug aus zweiter Hand hervorzukramen. Trotz der Zivilkleidung vermittelte Edison allein durch seine natürliche, selbstsichere Autorität das Gefühl der alten Uniform; eine Art Aura polizeilicher Macht, selbst wenn deren Symbol ordentlich daheim in seinem Schrank hing, eingehüllt in einen Kleidersack aus Papier.
»Immer noch nichts Neues vom Fluss«, meldete Edison gemächlich, beinahe behäbig. »Natürlich sind die einzigen Neuigkeiten, mit denen wir rechnen können, schlechte Neuigkeiten.«
»Ja, allerdings, Sergeant. Aber wir brauchen diesen Leichnam. Wir haben sonst nichts. Keinen Namen, kein Motiv, keine Mordwaffe – selbst der Sack könnte uns eine Spur liefern. Das Problem ist: Wo steckt die Leiche? Ecken und Enden, Edison, wir müssen sie alle durchstöbern. Irgendwann taucht sie auf. Das tun sie immer. Aber vorerst müssen wir die Spur des Mörders aufnehmen. Noch heute.«
Edison nippte an seinem Tee. Brooke stellte sich oft vor, er könnte die Mechanismen in dem beständigen Geist seines Sergeants arbeiten hören, langsam, aber zuverlässig. Der Ruhestand hatte ihm Zeit für seinen Kleingarten versprochen. Selbst jetzt, mitten im Winter, schaute er auf dem Weg zum Revier regelmäßig dort vorbei. Der Erde an seinen Händen nach zu schließen, hatte er sogar den Spaten geschwungen, vielleicht zwischen den Beeten überwinternder Gemüsepflanzen Schnee geräumt.
»Familiendrama?«, fragte Edison schließlich.
Brooke schob einen Bogen Papier über den Schreibtisch. »Eines. Hier sind Name und Adresse notiert. Das Kind liegt mit einem gebrochenen Wangenknochen im Addenbrooke’s. Claire sagt, sein Vater hätte das schon früher gemacht. Ein Constable ist unterwegs, um ihn zu besuchen – können Sie sich vergewissern, dass das erledigt wird?«
Edison nickte.
»Ich habe die Hand des Kindes gesehen, Edison, so klar und deutlich, wie ich jetzt Sie sehe.«
Edison nickte erneut, als würde Brooke eine Bestätigung benötigen.
»Also gehen wir von einem Sack mit einem Kind aus. Wie alt? Drei, vier?« Edison streckte den Arm aus und ballte die Faust, als umfasse er das obere Ende eines Sacks. »Er ist nur wegen der Luft in seiner Lunge geschwommen. Er kämpft, aber er atmet, kommt hoch, um Luft zu schnappen – er hat es geschafft zu schreien. Und dann ist da das kalte Wasser. Er kann noch nicht lange im Fluss gewesen sein, Sir. Ich setze auf die Silver Street Bridge. Die ist wie weit entfernt? Fünfzig Yards stromaufwärts? Oder die Little Bridges bei Coe Fen – da gibt es drei. Einsam gelegen, weit abseits der Hauptstraße.«
»Überprüfen Sie die«, sagte Brooke. »Ich habe den jungen Collins letzte Nacht losgeschickt, damit er einen Blick auf die Silver Street wirft. Sehen Sie mal, ob er was entdeckt hat. Er hat die zweite Schicht, also wird er nach dem Mittagessen wieder hier sein. Der Schnee war tief und unberührt. Wenn der Sack dort ins Wasser geworfen wurde, muss es Spuren gegeben haben.«
»Wenn er etwas gefunden hätte, dann hätte er sich gemeldet«, wandte Edison ein.
»Vielleicht. Prüfen sie es nach. Inzwischen sollten wir uns um das Offensichtliche kümmern, Sergeant. Schulen, Waisenhäuser, Sozialfürsorge – alle, die etwas mit Kindern zu tun haben. Der Junge ist irgendwo verschwunden. Lassen Sie uns herausfinden, wie sein Name lautet.« Brooke warf einen Blick auf seine Armbanduhr und erhob sich. »Inzwischen werde ich im Top Office vorstellig.«
Innerhalb des Spinning House wusste jeder, was sich hinter dem Euphemismus »Top Office« verbarg. Detective Chief Inspector Carnegie-Brown herrschte mit einer stumpfen Autorität, wie sie typisch für Glasgower war, über das Borough. Ihr großer Adlerhorst von einem Dachbüro hatte in jener Zeit, in der dies noch ein Armenhaus gewesen war, dreißig gefallene Mädchen in eisernen Bettgestellen beherbergt. Sie hatte den Raum um eine spartanische Frische bereichert.
»Viel Glück, Sir«, sagte Edison und zog sich zurück.