Kapitel 12

Zehn Personen, ohne die Betriebssysteme nicht denkbar sind

Edsger W. Dijkstra (1930–2002)

Edsger Dijkstra ist einer der frühesten Betriebssystem-Pioniere. Er war ein Universaltalent und entwickelte unter anderem das Betriebssystem »THE«, einen Compiler für die Programmiersprache »Algol 60« und einen Algorithmus zur Bestimmung des kürzesten Weges in einem Graphen. Sein Aufsatz »Go To Statement Considered Harmful« [6] ist wahrscheinlich Bestandteil jeder Einführungsveranstaltung zur strukturierten Programmierung.

Die Betriebssystem-Community verdankt ihm sehr viele frühe Überlegungen zur Synchronisation paralleler Aktivitäten. Dazu zählen der Dekker-Dijkstra-Algorithmus zum dezentralen Management kritischer Abschnitte [5] (diesen haben wir im Kapitel 7 »Synchronisation: Warten auf Godot« aus Komplexitätsgründen nicht behandelt), Semaphore (diese haben Sie kennengelernt) und das Problem der dinierenden Philosophen, das Sie in jedem Lehrbuch für Betriebssysteme finden.

Bill Gates (* 1955)

Als einer der Gründer der Microsoft Corporation (der andere ist Paul Allen) hatte Bill Gates herausragenden Einfluss auf die Entwicklung des kommerziellen Betriebssystem-Marktes.

Ihm gelang das Kunststück, ein technisch völlig unterlegenes Betriebssystem namens MS-DOS als Standard für den neu geschaffenen IBM PC zu etablieren und später den grafischen Aufsatz Windows 3.1/95 gegen Mitbewerber wie OS/2 oder diverse UNIX-Systeme durchzusetzen. Die dabei eingesetzten Mittel waren nicht immer ethisch einwandfrei (so äußerte Gates' Nachfolger als CEO im Jahre 2001: »Linux is a cancer that attaches itself in an intellectual property sense to everything it touches«), aber der wirtschaftliche Erfolg gab ihm recht. Das später entwickelte Windows NT und dessen Folgeversionen sind auch keinesfalls mehr als technisch unterlegen anzusehen und, bis heute ist Windows das am weitesten verbreitete Desktop-Betriebssystem.

Steve Jobs (1955–2011)

Innovator, Visionär, äußerst erfolgreicher Unternehmer – die Titulierungen für Steve Jobs sind vielfältig. Zusammen mit Steve Wozniak gründete er Apple Computer und entwickelte zunächst Home-Computer. Der Apple Macintosh mit seiner grafischen Bedienoberfläche markierte den Übergang zur Vermarktung professioneller Computer. Nach einem Intermezzo des von ihm ebenfalls gegründeten NeXT, Inc. kauft Apple diese Firma, und damit ist Jobs wieder bei Apple. Dort verhilft er der kränkelnden Firma zu neuem Glanz. Unter seiner Ägide entstehen eine Reihe äußerst erfolgreicher digitaler Lifestyle-Geräte wie tragbare MP3-Player, Tablet-Computer und nicht zuletzt das erste Smartphone »iPhone«.

Leslie Lamport (* 1941)

Wie Edsger Dijkstra ist Leslie Lamport ein Universaltalent. Ihm verdankt die Theorie besonders der verteilten Betriebssysteme jede Menge Verfahren, Algorithmen und Lösungen. Er schuf mit den sogenannten logischen (oder auch lamportschen) Uhren eine einfache Abstraktion der Zeit in verteilten Systemen und darauf aufbauend Verfahren, um konsistent den Zustand eines verteilten Systems zu sichern (Snapshot). Er ist Urheber des Bäckerei-Algorithmus, eines weiteren Verfahrens zur Synchronisation von Prozessen.

Er erkannte als Erster, dass es in verteilten Systemen sehr schwer zu detektierende (»byzantinische«) Fehlerzustände gibt, und gab den ersten Algorithmus zu deren Detektion an. Weitere Beiträge leistete er auf dem Gebiet der Kryptografie und der temporalen Logik. Für dieses eindrucksvolle Lebenswerk erhielt er unter anderem den Turing Award, also die höchste Auszeichnung, die ein Informatiker erlangen kann. Das in der Wissenschaftswelt sehr weit verbreitete Textsatzsystem LATE X, mit dem nicht zuletzt dieses Büchlein erstellt wurde, stammt ebenfalls von Leslie Lamport.

Jochen Liedtke (1953–2001)

Jochen Liedtke ist unter den hier aufgeführten Persönlichkeiten möglicherweise die unbekannteste, was auch daran liegen könnte, dass er viel zu früh verstorben ist. Seine Beiträge liegen vor allem auf dem Gebiet der Mikrokerne, aber auch der Computerarchitektur. So ist er der Urheber des persistenten Systems L3 und der L4-Microkernel-Familie. Er bewies, dass die verhältnismäßig schlechte Leistung früher Microkernel größtenteils auf eine ineffiziente Implementierung der IPC zurückzuführen war, und entwickelte mit L4 den ersten Mikrokern der dies vermied.

Dennis Ritchie (1941–2011)

Dennis Ritchie entwickelte und implementierte zusammen mit Ken Thompson die erste Version von UNIX, wofür beiden 1983 der Turing Award verliehen wurde.

Sein zweiter gewichtiger Beitrag in der Informatik ist die Programmiersprache C, die er zusammen mit Brian Kernighan entwickelte und deren »Feuertaufe« gewissermaßen die Implementierung von UNIX wurde. Das zusammen mit seinem Koautor Kernighan veröffentlichte Buch »The C Programming Language« gilt auch heute noch als klassische Lektüre. In späteren Jahren leitete er die Entwicklung von Plan 9, einem Betriebssystem, das als Weiterentwicklung von UNIX gilt und nach einem ziemlich schlechten Film benannt wurde.

Richard Stallman (* 1953)

Richard Stallman ist Schöpfer des GNU-Projektes, dessen Ziel die Schaffung eines freien Betriebssystems ist und war. Da der eigentliche Kernel bis heute nicht komplettiert ist, entschloss man sich, stattdessen den Linux-Kernel zu nutzen. GNU hat jedoch eine Vielzahl wichtiger Werkzeuge und Hilfsprogramme entwickelt, wie die Gnu Compiler Collection (gcc), die bash-Shell, grep und den Bootloader GRUB, die typische Linux-Distributionen einsetzen. Ein solches System muss dann konsequenterweise »GNU/Linux« genannt werden, worauf Richard Stallman einigen Wert legt.

Zu seinen Verdiensten gehört des Weiteren der wirklich tolle Editor GNU emacs, auf den der Autor dieses Büchleins bedingungslos vertraut.

Stallman schuf ebenfalls die wichtigste Open-Source-Lizenz, die GNU General Public License (GPL). »Aufweichungen« der GPL hinsichtlich der Vereinbarkeit mit kommerzieller (»non-free«) Software steht Stallman ausgesprochen kritisch gegenüber, was mehrfach zu hitzigen Diskussionen in der Fachwelt führte.

Andrew S. Tanenbaum (* 1944)

Andrew Tanenbaum ist einer der bekanntesten Betriebssystem-Wissenschaftler. Ihm verdanken wir unter anderem Minix, ein UNIX, das ursprünglich als Betriebssystem für die Lehre konzipiert wurde. Linux Torvalds wiederum nutzte Minix als Entwicklungssystem für Linux und baute dessen Dateisystem in die ersten Linux-Versionen ein.

Des Weiteren schuf Tanenbaum das verteilte Betriebssystem Amoeba, das mehrere Rechner zu einem aus Nutzersicht homogenen System integriert. Tanenbaum ist außerdem Autor mehrerer klassischer Lehrbücher zu Betriebssystemen, Netzwerken und Computerarchitektur. Wie Jochen Liedtke ist er ein Mikrokern-Enthusiast – in der bei Linus Torvalds erwähnten Debatte stellte er die Behauptung auf, Linux sei (bezogen auf seine Architektur) obsolet, was für einigen Aufruhr sorgte, und die spätestens heute als widerlegt angesehen werden kann.

Ken Thompson (* 1943)

Ken Thompson ist einer der beiden Väter von UNIX, das er Anfang der 1970er-Jahre an den Bell Labs entwickelte. Für die Implementierung von UNIX und seine generellen Beiträge zur Theorie von Betriebssystemen erhielt er zusammen mit Dennis Ritchie 1983 den Turing Award. Seine Beiträge zur Informatik sind sehr vielfältig; so hat er sich ausgiebig mit der Entwicklung von Schachprogrammen beschäftigt. Sein Rechner Belle gewann 1980 die WM für Schachcomputer. In späteren Jahren entwickelte er zusammen mit Kollegen die Programmiersprache Go. Er ist auch verantwortlich für das heute weitverbreitete Unicode-Kodierungsschema UTF-8.

Linus Torvalds (* 1969)

Linus Torvalds bereicherte die Welt mit dem wohl wichtigsten freien Betriebssystem: Linux. Ursprünglich war es nur als Programmierübung geplant; Torvalds wollte die Architektur des Intel 80386 erlernen. Nach wie vor koordiniert er die Kernelentwicklung.

Berühmt-berüchtigt sind seine meist sehr deutlich formulierten Kritiken schlechten Codes sowie sein in der Usenet-Newsgroup comp.os.minix ausgetragener Streit mit Andrew Tanenbaum die Nützlichkeit des Mikrokern-Konzeptes betreffend.

Da ihm etablierte Werkzeuge für die Quellcode-Versionsverwaltung wie cvs und subversion nicht zusagten, schrieb er kurzerhand sein eigenes (namens git), das innerhalb kürzester Zeit zum beliebtesten Werkzeug dieser Art avancierte.