Kapitel 13

 

Das Bosshart-Anwesen
Genf, Schweiz

 

Als Andolf Bauer das Haus der Bossharts erreichte, war dieses bereits abgesperrt worden und es wimmelte von Polizeibeamten unterschiedlichster Bereiche, darunter auch Mitarbeiter von Interpol. Das Haus schien sauber, ohne irgendwelche Hinweise auf Gewaltanwendung oder ein gewaltsames Eindringen. Bossharts Frau und ihre Tochter waren nicht zuhause. Der Familienwagen aber stand noch in der Garage, und Ms. Bossharts persönliche Dinge wie ihre Handtasche oder ihr Ausweis fanden sich im Schlafzimmer, zusammen mit eintausendvierhundert Schweizer Franken, die in einem dekorativen Glas steckten.

Bauer durchquerte das Wohnzimmer, wo Tatortanalytiker bereits akribisch nach Fingerabdrücken suchten. In der Küche unterhielt sich ein Agent des Verbindungsbüros von Interpol namens Jean Pierre mit zwei anderen. Als Bauer die Unterhaltung unterbrach, gaben sie sich gegenseitig die Hände. Die beiden Agenten, mit denen Pierre gesprochen hatte, beschlossen, in anderen Bereichen des Hauses mit ihren Ermittlungen fortzufahren, und ließen Bauer und Pierre allein.

»Keine Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen«, erklärte Pierre. »Und der Wagen steht noch in der Garage.«

»Vielleicht hat Bosshart sie von einem Bekannten abholen lassen, was das Fehlen von Spuren eines Eindringens erklären würde«, überlegte Bauer.

»Stimmt. Aber wenn sie das zuvor geplant hatten, wieso sollten sie dann eintausendvierhundert Schweizer Franken zurücklassen? Man sollte meinen, dass sie lieber das Bargeld benutzen würden, anstelle einer Kreditkarte. Und man sollte ebenfalls meinen, dass Bosshart klug genug wäre, um keine Papierspur zu hinterlassen, die das Verwenden einer solchen Karte nach sich ziehen würde.«

»Wie sieht es mit den Konten aus?«

»Wurden nicht angerührt.«

»Und das Kind?«

»Sie war heute nicht in der Schule.«

Bauer schien darüber einen Augenblick lang nachzudenken. Das war kein Raub gewesen – nicht mit eintausendvierhundert Schweizer Franken, die einfach ungenutzt herumlagen. Und es gab keinerlei Hinweise auf einen Einbruch. Aber vielleicht hatte Ms. Bosshart auch einfach nur die Türen nicht verschlossen, was nicht ungewöhnlich gewesen wäre, galt die Gegend doch als eine der sichersten in ganz Genf. Auf der anderen Seite hätte Bosshart aber seine Familie auch in Eile geschnappt, das Geld in der Hatz vergessen und sie mithilfe von Komplizen an einen unbekannten Ort bringen können. Doch Bauer wusste, dass das Fehlen von Beweisen oft dazu führte, unzählige Theorien aufzustellen, von denen die wenigsten etwas mit der Realität zu tun hatten. Im Moment war er so schlau wie vorher, und keinen Schritt weiter.

»Dann haben wir also nichts, was uns weiterbringt?«, fragte Bauer.

»Nichts als Mutmaßungen«, antwortete Pierre. »Aber wir sind im Anfangsstadium, Andolf. Mein Team überprüft bereits die Aufnahmen der Überwachungskameras aus der Gegend, um zu sehen, was vielleicht vorgefallen ist. Bald wissen wir mehr.«

»Das Dumme ist nur, dass wir keine Zeit haben«, erwiderte Bauer. »Bosshart ist im Besitz einer verheerenden Substanz. Das wissen Sie, sonst hätte man auch nicht Interpol hinzugezogen.«

Pierre stimmte ihm zu. »Aber wir haben die Gesichtserkennungssoftware hinzugezogen.« Mithilfe der Aufnahmen aus dem CERN war Bossharts Konterfei in die Datenbanken überspielt worden, sodass sich das System nun mit seinen charakteristischen Gesichtszügen als Grundlage durch unzählige Aufnahmen mit erstaunlicher Geschwindigkeit arbeiten konnte. Aber Bosshart musste erst noch gefunden werden.

Dann sah Pierre aus dem Fenster. Die Gegend war gepflegt, mit säuberlich gemähten Rasenflächen, Zierschnitten und Blumenbeeten, die farbenfroh erblühten. Dem ganzen Stadtteil haftete das Siegel einer hochkarätigen Wohngegend voller Annehmlichkeiten an. Und Pierre kam nicht umhin, sich zu fragen, wieso ein Mann wie Bosshart all das für eine verdrehte Ideologie aufgegeben haben sollte. »Wenn er noch irgendwo da draußen ist«, sagte er schließlich, »werden wir ihn aufspüren. Bosshart kann uns nicht entkommen.«

»Die Welt ist groß«, widersprach Bauer. »Und wenn Bosshart gefunden wird und in Panik gerät, was dann? Was wird er mit den sechzehn Ampullen voller Antimaterie anstellen, die fünfmal verheerender als die Bombe auf Hiroshima sind? Oder, und viel wichtiger: Besitzt Bosshart überhaupt noch die Kontrolle über die Lage? Oder zwingt ihn jemand anderes zu seinem Handeln?«

So viele Fragen, so viele Theorien, und keine einzige Antwort, um ihre Ängste zu besänftigen. Nur eines stand fest: Die Ermittlungen waren zum Erliegen gekommen.