Kapitel 42

 

»Das ist eine Exfiltration mit höchster Priorität«, erklärte Kimball Becher und reichte ihm eine MP7. »Sie begeben sich in allergrößte Gefahr, um diese Mission zu erfüllen. Und die Person, die sie versuchen, von hier wegzuschaffen, scheint darüber nicht allzu erfreut zu sein.«

Becher überprüfte seine Waffe, obwohl er mit der Mechanik einige Schwierigkeiten hatte, weil die Gelenke seiner Hand aufgrund seines Alters ihren Dienst nicht mehr so effizient erfüllten wie früher. Aber er würde imstande sein, die Waffe im Notfall zu bedienen.

»Ich nehme an, Sie haben einen Plan«, merkte Becher in einem Ton an, der mehr nach einer Feststellung als nach einer Frage klang.

»Ja und nein«, antwortete Kimball.

»Ja und nein?«

»Da draußen wartet noch ein zweiter Hubschrauber. Ich darf ihnen nicht gestatten, diesen zu besteigen. Außerdem muss ich nach vorn in den Führerstand, um die Behörden zu verständigen. Wahrscheinlich haben wir noch immer keinen Handyempfang. Aber ich nehme an, dass sie über Satellitenverbindung verfügen.«

»Kimball, wir sind in der Unterzahl und ihnen unterlegen.«

»Es sind noch vier Gegner übrig.«

»Ist das alles?«, fragte Becher mit einer Spur Sarkasmus.

»Sie sind ein Vatikanritter«, erklärte ihm Kimball. »Sie waren schon öfter in einer solchen Lage.«

Becher nickte zustimmend.

»Wer immer das auch ist, den sie aus diesem Zug schaffen wollen, muss offenbar sehr wichtig sein«, fuhr Kimball fort. »Das, was sich in seinem Besitz befand, wurde sehr vorsichtig einem der Gegner übergeben. Irgendeine Art von chemischem Element. Wenn es sich bei ihnen um eine Terrorgruppe oder eine militärische Einheit einer uns feindlich gegenüberstehenden Regierung handelt, müssen wir tun, was in unserer Macht steht, um diese Operation aufzuhalten. Sie sind ein großes Risiko eingegangen, diesen Coup in dem kurzen Zeitfenster in dem Funkloch zwischen den Bergen durchzuführen, und das auch noch mit Hubschraubern.«

»Es werden noch mehr Menschen sterben, Kimball.«

»Nicht, wenn ich es verhindern kann.«

»Was haben Sie denn vor? Der Zug verlässt den Tunnel. Sie sagten doch selbst, dass der zweite Hubschrauber bereits auf sie warten wird.«

»Das wird er. Aber das bedeutet noch nicht, dass sie ihre Operation weiter durchführen können.« Kimball hob seine MP7.

»Ich werde tun, was ich kann, um die Stellung zu halten«, versicherte Becher. »Aber ich habe nur die Munition, die sich in diesem Magazin befindet. Sie werden gut ausgerüstet sein, da bin ich sicher.«

»Sie müssen das nicht tun«, sagte Kimball vorurteilsfrei. »Ich verstehe Ihr Dilemma. Ich verstehe, dass Sie ein friedliches Ende finden wollen und habe nichts dagegen … aber ich muss das tun. Hier soll ein Mann gegen seinen Willen entführt werden. Und er ist womöglich im Besitz einer Massenvernichtungswaffe, die nun in die Hände von Menschen mit feindlichen Absichten fällt. Ich kann nicht einfach nur dasitzen und zuschauen.«

Becher bedachte Kimball mit einem schwachen Lächeln. »Lassen Sie mich Ihnen das Folgende sagen«, begann er. »Es kommt im Leben eines jeden von uns der Moment, Kimball, an dem wir die Wahl treffen müssen, Heiliger oder Sünder zu sein. Aber vielleicht müssen einige von uns Heiliger und Sünder zugleich sein, um das zu tun, was getan werden muss. Und manchmal ist Gewalt das einzige notwendige Übel, um am Ende für das Gute zu sorgen. Sie sind ein Ritter des Vatikan, Kimball, auf Ihrer ganz eigenen Reise – richtig, falsch, oder irgendetwas dazwischen. Folgen Sie dem Pfad, der Ihnen richtig erscheint. Vielleicht werden Sie ja bereits von der Hand der Vorsehung geführt.«

»Oder«, entgegnete Kimball, »es ist einfach nur meine Natur.«

Daraufhin schien eine unausgesprochene Wahrheit den Abstand zwischen ihnen zu überqueren, ein wortloser Bund zwischen zwei Männern, die einander so ähnlich waren, dass sie sich nur über Blickkontakt austauschen konnten.

… ich töte Menschen. Das ist es, was ich kann. Das ist es, worin ich gut bin …

Becher nickte. »Ich verstehe«, antwortete er tonlos.

Und dann war Kimball aus dem Abteil gehuscht, war wie ein Geist verschwunden.

Becher sah auf seine Waffe hinunter und ahnte in diesem Moment, dass ihn die Stunde der Wahrheit schneller ereilen würde, als er gehofft hatte.

Er betete für das Licht.

Aber er rechnete mit der Dunkelheit.