Die ganze Welt schien erschüttert zu werden, als der Waggon G von den Rotorblättern beinahe halbiert wurde. Eben noch war das Dach intakt gewesen – und nur eine Sekunde später frästen sich rotierende Klingen durch das Dach und die Seitenwände des Zuges. Chul Kae, der sich etwa in der Mitte des Waggons befand, wäre beinahe von den Rotorblättern erfasst worden. Als sich die Rotoren wieder zurückzogen, nahmen sie einen Teil des Daches mit sich, was allen Insassen einen freien Blick auf den einheitlich blauen Himmel bescherte. Klirrend kalte Luft fegte herein. Einige Augenblicke nach seinem Zurückweichen war die Explosion zu hören. Der Mil Mi-24 hatte seine letzte Mission geflogen.
Che und Ma sahen aus dem Fenster auf die brennenden Trümmer ihres Transportmittels hinunter. Das Zeitfenster zur Durchführung der Operation ›Herrschaft des Zepters‹ hatte sich unwiderruflich geschlossen. Nun gab es keine Möglichkeit mehr, vorzeitig den Zug verlassen zu können, keinen Weg, Bosshart nach Nordkorea zu bringen, wo man ihn über seine wissenschaftlichen Entdeckungen befragen konnte, und keinen Weg, die Antimaterie den Militärbehörden zu übergeben.
Yeong Che stand nun an einem Scheideweg. Er hatte seine Regierung enttäuscht. Der Preis für dieses Versagen bestand in einem Leben im Gefängnis, in einem Arbeitslager Seite an Seite mit Familienmitgliedern, deren einziges Verbrechen darin bestand, mit ihm blutsverwandt zu sein. Eine Blutlinie, die insgesamt als Versager angesehen wurde.
Che ließ sich etwas zurückfallen und spähte durch das Loch in der Decke, sah den blauen Himmel und spürte die kalte Luft, die ihm entgegenschlug und ihm für eine Sekunde den Atem nahm. Dann schloss er die Augen.
Ich werde nicht versagen , sagte er sich. Es gibt für alles eine Lösung.
Aber eines nach dem anderen.
Es befand sich eine Bedrohung an Bord dieses Zuges, jemand, der offenbar dazu imstande war, Mitglieder seines Teams auszuschalten und der wahrscheinlich auch der Auslöser dafür gewesen war, dass die Hubschrauber außer Gefecht gesetzt wurden. Als Soldat konnte er das spüren, und er wusste, dass sich ein trainierter Elitesoldat ganz in der Nähe befand, der es mit ihm aufnehmen konnte. Wenn sein Team also Erfolg haben sollte, mussten sie diese Gefahr beseitigen.
»Tang«, rief er. »Kehre in den Führerstand zurück und übernimm die Kontrolle über den Zug. Wir werden auf andere Kanäle ausweichen müssen, um die Behörden zu umgehen.«
Da erzählte ihm Tang von der Kontrollkonsole, und dass er eine Salve darauf abgefeuert hatte, welche sowohl das Kontrollsystem als auch die Navigation zerstört hatte. Der Zug fuhr nun von allein, ohne dass die Möglichkeit bestand, ihn zu steuern.
Nachdem Che ihn mit einer Reihe von Schimpfwörtern eingedeckt hatte, ließ er ihn stehen und dachte nach.
… Es gibt für alles eine Lösung …
… Es gibt für alles eine Lösung …
… Ich werde nicht versagen …
… Ich werde nicht versagen …
Und dann wirbelte er auf den Fersen herum und sah seine Teammitglieder an. »Tang, du läufst nach vorn und siehst nach, was sich noch kontrollieren lässt. Es muss ein Backup-Programm für den Zug geben, das in Fällen wie diesem in Kraft tritt. Finde es.«
Tang verbeugte sich, antwortete so leise etwas, dass Che es nicht hören konnte, und verschwand in Richtung Führerstand.
Che, der um innere Ruhe rang, schob Ásbjörn Bosshart in sein Abteil und zwang ihn, sich zu setzen. »Rühren Sie sich nicht vom Fleck«, herrschte er ihn an. »Wenn Sie es doch tun, werde ich Sie umbringen.«
Bosshart zuckte mit den Achseln. »Wo sollte ich denn schon hin?«
Che rammte die Tür zu und sah Ma an, der immer noch den Behälter in den Händen hielt. »Verstaue die Partikel an einem sicheren Ort«, befahl er seinem Kameraden. »Du, ich und Kae werden jetzt die Person aufspüren, die für das alles verantwortlich ist.«
»Es ist ein langer Zug«, gab Ma zu bedenken, »mit vielen Leuten. Wer immer es ist, wird sich unter ihnen verstecken. Das könnte schwierig werden.«
»Nicht unbedingt«, erwiderte Che und hielt sein Sturmgewehr in die Höhe. »Wir müssen die Verantwortlichen nur aus ihrem Loch treiben. Wenn er – oder sie – sehen, dass wir damit drohen, Unschuldige hinzurichten, werden sie sich zu erkennen geben.«
»Vielleicht? Aber was, wenn nicht?«
Ches Antwort war kurz und prägnant. »Dann werden wir sie alle umbringen«, sagte er. »Wenn es nötig sein sollte, werden wir jeden Einzelnen an Bord dieses Zuges umbringen.«