Kapitel 50

 

Nachdem Agent Jean Pierre die Fotos und Daten von Bauer mit einem zusätzlichen Hinweis übermittelt bekommen hatte, dass es sich bei der Gruppierung in der Tat um Männer aus Nordkorea handelte, wurden die verschlüsselten Informationen zumindest zu einem großen Teil dechiffriert und ergaben, dass die Nordkoreaner Ásbjörn Bosshart als hochrangiges Ziel auserkoren und beabsichtigt hatten, ihn während eines Funklochs in einer Gebirgsregion zu entführen. Ein enormes Wagnis. Zwei Hubschrauber mit einer Crew aus sechs Spezialsoldaten hätten die Operation durchführen sollen. Wenn sie Bosshart in ihre Gewalt gebracht hatten, sollten die Helikopter ein Lager westlich der österreichischen Grenze anfliegen, wo sich weitere Geheimsoldaten um seinen verdeckten Weitertransport in weniger gefährliche Länder kümmern sollten.

Parallel dazu sollte eine zweite Operation durchgeführt werden, die Entführung von Emily und Nann Bosshart. Sie hätten als Spielbälle in diesem Coup eingesetzt werden und Ásbjörn Bossharts Kooperation sicherstellen sollen, ein Plan, der sich als erfolgreich erwiesen hatte. Es gab außerdem Hinweise darauf, dass man Nann Bosshart recht zügig aus der Gleichung entfernen wollte, sobald sie keinen wirklichen Nutzen mehr darstellte und eher zu einer Last für die gesamte Unternehmung werden würde.

Diesen Teil kannten sie bereits, dass sie ihre Leiche in dem Lagerhaus in Zürich gefunden hatten. Neu für sie war der Entführungsversuch im Gebirge. Allerdings fanden sich keine Informationen über den Ausgang der geplanten Entführung Ásbjörn Bossharts zusammen mit den Partikeln, weshalb immer noch die Frage im Raum stand, ob er sich an Bord des Zuges befand oder nicht.

Die letzte Information, die sich als belastende für die nordkoreanische Regierung herausstellen sollte, betraf den beabsichtigten Einsatzzweck der Partikel. Das nordkoreanische Regime sah vor, diese zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu verwenden.

Ein solches Vorhaben würde unweigerlich Sanktionen der Völkergemeinschaft gegenüber Nordkorea nach sich ziehen.

Aber es blieb die alles entscheidende Frage, die bedrohlich über ihnen schwebte: Befand sich Ásbjörn Bosshart noch an Bord dieses Zuges, oder war es ihnen gelungen, ihn zu entführen? Und was hatte es mit diesem Mann auf sich, von dem der SIV in den höchsten Tönen gesprochen hatte? Dieser Vatikanritter, der angeblich in der Lage wäre, die Situation unter Kontrolle zu bringen?

Jean Pierre telefonierte sofort mit Pater Auciello.

»Wir haben die gleichen Informationen von Andolf Bauer erhalten«, informierte ihn Auciello. »Wir wissen nichts Näheres über die Exfiltration. Wenn sie Bosshart innerhalb des Funklochs entführten, werden sie längst verschwunden sein, bevor der Zug wieder Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen kann.«

»Ganz genau«, antwortete Pierre. »Die Frage ist nun: Waren sie erfolgreich? Befinden sich nun Ásbjörn Bosshart und möglicherweise eine Massenvernichtungswaffe in den Händen der Nordkoreaner?«

»Schwer zu sagen, da sich der Zug immer noch in dem Funkloch befindet, für mindestens weitere … wie lange noch, dreißig Minuten?«

»Mindestens. Da wir mittlerweile die Einmischung der Nordkoreaner beweisen können, habe ich die Einsatzzentrale in Italien informiert, welche die Aeronautica Milatare ausgesandt hat, um unbekannte Flugzeuge oder Hubschrauber abzufangen. Aber meine Frage ist folgende: Was ist mit Ihrem Mann an Bord? Ihrem Vatikanritter?«

»Die Vatikanritter handeln in jeder Situation nach einem strikten Code. Einer davon sieht den Schutz der Bürger des Vatikan vor. Davon abgesehen wird Kimball Hayden auch unabhängig ihrer Staatsbürgerschaft jeden Menschen beschützen, der sich nicht selbst beschützen kann. Wenn er sieht, dass eine Person in Gefahr ist, wird er entsprechend handeln.«

Jean Pierre sah auf die Uhr. »Wenn der Zug pünktlich ist«, sagte er, »wird er, wie Sie bereits andeuteten, noch weitere dreißig Minuten keine Verbindung zu uns herstellen können. Das ist eine lange Zeit.«

»Vertrauen Sie mir. Wenn Kimball Hayden eingegriffen haben sollte und noch am Leben ist, wird er sich melden.«

»Ich hoffe, Sie haben damit recht, Pater Auciello. Denn wenn nicht, wenn sich Ásbjörn Bosshart nicht mehr an Bord des Zuges befindet und mögliche Fluggeräte weder per Satellit noch von der Aeronautica Milatare aufgespürt werden können, könnte sich Nordkorea über Nacht zu einer Bedrohung für die gesamte Welt entwickeln.«

»Nun, Agent Pierre, ich schätze, wir werden unsere Antwort darauf in der nächsten halben Stunde bekommen.«

Pierre nickte, obwohl er wusste, dass ihn Pater Auciello am anderen Ende der Leitung nicht sehen konnte. »Ja, das werden wir.«

Das werden wir.