»Ein Priester«, kommentierte Kwan Ma, während eine Rauchsäule aus dem Lauf seiner Waffe aufstieg. Nachdem er den Behälter in dem leeren Abteil gegenüber Bossharts Abteil verstaut hatte, hatten er und Yeong Che begonnen, die Waggons zu durchkämmen. In den meisten Abteilen hatten sich die Passagiere ängstlich zusammengedrängt. Aber als sie die Tür zu diesem Abteil aufgezogen hatten, hatten sie einen Mann mit einem geistlichen Kragen erblickt, der eine MP7 auf sie gerichtet hatte, was Che und Ma dazu veranlasst hatte, gleichzeitig ihre Gewehre abzufeuern. Die Kugeln waren in den Oberkörper des alten Mannes eingeschlagen, bevor dieser auch nur eine Kugel abgeben konnte.
Während der Geruch von Schießpulver noch schwer in der Luft hing, griff Ma nach der MP7 in Bechers Händen und untersuchte sie. »Das ist Paes Waffe«, sagte er.
»Bist du sicher?«
Ma nickte. »Sie trägt sein Zeichen.«
Che trat in das Abteil und musterte den toten Mann. »Er ist zu alt, um Pae ausschalten zu können«, stellte er fest. »Demnach muss es noch jemand anderen geben – jemand, der ihm die Waffe gegeben hat.«
»Sobong wird noch vermisst«, sagte Ma. »Was bedeutet, dass wer immer auch mit diesem Mann hier zusammenarbeitete«, dabei deutete er mit der Mündung seiner Waffe auf Becher, »nun auch im Besitz von Sobongs MP7 ist.«
Che betrachtete Becher und versuchte, sich einen Reim auf das alles zu machen. »Ein Priester«, erklärte er in einem Tonfall, dem seine Verwunderung anzuhören war. »Mit einer Waffe.« Dann sah er das Symbol des Vatikan, die beiden überkreuzten Schlüssel unter der päpstlichen Krone, welches auf sein Revers gestickt war und ihm verriet, dass dieser Mann ein direkter Abgesandter der Vatikanstadt sein musste. Auf der Brusttasche seines geistlichen Hemdes aber befand sich ein weiteres Symbol – ein blaues Wappenschild mit einem silbernen Tatzenkreuz, das von zwei heraldischen Löwen gestützt wurde.
Kwan Ma konnte das Symbol nicht einordnen, Yeong Che hingegen schon, da er eines der höchsten Ämter innerhalb des Büros 35 begleitete. Es war seine Pflicht, dieses Symbol zu kennen.
»Ein Ritter des Vatikan«, sagte Che schließlich. Und dann wurde ihm plötzlich alles klar. Pae und Sobong, die vermisst wurden; die beiden abgestürzten Hubschrauber. »Natürlich«, sagte er leise und wie zu sich selbst.
»Was meinst du?«, fragte Ma.
Che deutete mithilfe der Mündung seiner Waffe auf das Logo auf Bechers Brusttasche. »Dieses Wappen gehört zu einer Eliteeinheit, die im Vatikan stationiert ist. Sie sind besser bekannt als die ›Ritter des Vatikan‹, eine Spezialeinheit, die zum Schutz der Schwachen eingesetzt wurde. Sie gehören zweifellos zu den besten der Welt.«
Ma betrachtete Becher. »Dieser Mann war beinahe neunzig Jahre alt. Er sieht für mich nicht wie ein Krieger aus.«
»Einmal ein Vatikanritter … immer ein Vatikanritter. Diesem Wappen dient man sein Leben lang. Dieser Mann …«, sagte er und stieß Becher mit dem Lauf seiner MP7 an, »war kein Krieger, aber höchstwahrscheinlich in Begleitung eines solchen, in Anbetracht der Größe des Abteils. Und wenn das der Fall ist, ist er immer noch da draußen und tut das, was die Ritter des Vatikan am besten können.«
»Und das wäre?«, fragte Ma.
»Sie jagen Menschen.«
Ma warf Becher einen Blick zu. Er schien davon wenig beeindruckt. »Wir sind zu viert«, sagte er schließlich.
»Die Vatikanritter sind nur formlose Schatten, selbst bei Tag. Ich habe Soldaten gehört, die beteuerten, lieber mit bloßen Händen gegen einen Tiger antreten zu wollen als gegen einen Vatikanritter mit allen Waffen, die sie tragen können.«
»Besser als wir?«, bohrte Ma nach, der wusste, dass ein solches Eingeständnis bei ihrer Rückkehr nach Nordkorea Folgen haben würde.
Aber Che, der es eigentlich besser wusste, log ihn an. »Nein«, sagte er, obwohl seine Stimme etwas an Überzeugung vermissen ließ. »Sie sind nicht besser als wir.«
»Und das werden sie auch niemals sein«, sagte Ma. »Also lass uns den Spieß herumdrehen und den Jäger zum Gejagten machen!«
Che nickte, und Ma lief voraus.