Die Quellen innerer Kraft

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Gespräch mit Pater Anselm Grün

Ausgesprochen gerne sind wir schon mehrfach im Kloster Münster­schwarz­ach in der Nähe von Würz­­burg zu Gast gewesen. Es waren Tage der Rekreation, Zeiten, die unsere Kräfte erneuert haben.

Dort in Münsterschwarzach ist auch Pater Anselm Grün zu Hause, zu der Zeit mit der her­ausfordernden Aufgabe des Cellerars des Klosters beauftragt. In der Wirtschaft würde man sagen, er war der Finanzvorstand der Firma. Nebenbei schrieb Pater Anselm Bücher, die ein Millionenpublikum erreichten, hielt Vorträge, war Referent in Seminaren und Seelsorger für Suchende. Ich habe mich immer gefragt, wie schafft der Mann dieses Pensum und wie ist er als Person, jenseits seiner weisen Bücher.

Inzwischen habe ich ihn mehrfach erlebt. Die für mich beeindruckendste Begegnung bleibt die, als er in unserer kleinen Gruppe von Diakonen einen einstündigen Vortrag in den Räumen des Klosters hielt. Pater Anselm kam mit bestimmten Schritten in den Raum. Wir wussten, er kam unmittelbar aus der Verwaltung, heraus aus finanziellen Planungen und Telefonkonferenzen des Vormittags. Man spürte, dass er einen straffen Zeitplan hatte und seine Gedanken beansprucht waren. Dann setzte er sich sehr bewusst auf den Stuhl, den wir dem Referenten in unserem Kreis frei gehalten hatten, und schloss ohne ein Wort zu sagen die Augen.

Es wurde automatisch ruhig in der Runde. Gespräche verstummten. Nach einigen Momenten der stillen Konzentration öffnete Pater Anselm die Augen, begrüßte uns freundlich und begann ohne Manuskript, frei und inhaltlich ausgesprochen fokussiert zu sprechen. Nach fünfzig Minuten beendete er seine Rede, beantwortete persönliche Rückfragen und verließ ohne Eile, aber pünktlich auf die Minute den Raum, um dem Ruf der Glocken zum Mittagsgebet zu folgen.

Niemals davor und danach habe ich jemanden erlebt, der so kompetent und glaubwürdig mit seiner Zeit und seinen Worten umging. Man spürte und sah, dass dieser Mann seine Quellen der Kraft kannte und nutzte. Deshalb wollten wir Pater Anselm für ein Interview gewinnen. Unsere Anfrage kam für ihn sehr kurzfristig und zeitlich nicht gerade gelegen, unmittelbar nach seinem Urlaub. Dass er sich die Zeit für dieses Interview genommen hat, freut uns ganz besonders. Mögen die Antworten für Sie nicht nur interessant sein, sondern als Inspiration und Kraftquelle dienen.

Pater Anselm, Sie sind gerade aus dem Urlaub zurück. Braucht ein Mönch Auszeit vom Kloster?

Auch ein Mönch braucht eine Auszeit. Der klösterliche Rhythmus tut mir gut. Aber ich kann es auch genießen, im Urlaub mal einen anderen Rhythmus zu leben, länger zu schlafen, einfach Zeit zu haben zum Wandern und zum Lesen.

Ganz persönlich gefragt, wo erholen Sie sich in Ihrem Urlaub am liebsten und welche Rolle spielt die Natur dabei?

Mein Urlaub sieht immer so aus, dass ich eine Woche mit meinen Geschwistern in die Alpen zum Wandern gehe. Die anderen beiden Wochen bin ich bei einem Bruder und einer Schwester von mir. Auch dort wandere ich viel oder fahre mit dem Rad durch die Gegend. Die Natur ist mir sehr wichtig. Sie tut mir gut. Sie ist für mich eine Kraftquelle. Und ich genieße es, die Schönheit einer Landschaft anzuschauen und in mich eindringen zu lassen. Da habe ich den Eindruck, dass die Landschaft heilsam ist für mich. Ich sitze einfach da und schaue auf die Berge, auf den See. Das schenkt mir eine tiefe Ruhe und inneren Frieden.

Sie schreiben in ihrem Buch »Schönheit« über die Spiritualität der Lebensfreude und laden zu einer kontemplativen Betrachtung der Natur ein. Wie können Menschen in ihrem schnelllebigen Alltag wieder zu diesem »offenen Herzen« und dem »staunenden« Betrachten der Natur finden?

Die Natur kann man nicht wie einen Event kurz genießen. Es braucht Zeit. Der erste Weg ist einfach das Wandern. Im Gehen kann man sich freigehen von den Sorgen und Problemen des Alltags, man kann die innere Unruhe langsam loslassen. Und dann ist es wichtig, einfach innezuhalten, die Natur auf sich wirken zu lassen. Wenn ich innehalte, finde ich in meinem Innern Halt. Und ich spüre eine innere Verbundenheit mit der Natur. Was in der Natur ist, das ist auch in mir. In der Natur fühle ich mich geborgen und getragen. Ich werde nicht bewertet. Und so lehrt mich die Natur, mich selbst und die Menschen nicht zu bewerten, sondern einfach sein zu lassen, so wie dieser See einfach da ist, seit Jahrtausenden.

Haben Sie selbst ein Ritual in Ihrem Alltag, bei dem die Natur eine Rolle spielt?

Ich gehe am Sonntag gerne in unserer Bachallee spazieren. Dann genieße ich die Ruhe und Schönheit der Bäume. Während der Woche muss ich immer einige Wege durch das Gelände gehen. Dann nehme ich bewusst die Natur wahr, je nach der Jahreszeit. In jeder Jahreszeit wirkt die Natur anders auf mich. Und ich lasse mich dann innerlich auf die Jahreszeit und ihre Qualität ein.

Viele Menschen geben bei Befragungen an, dass sie Gott in der Natur finden. Warum sollten sie in eine Kirche gehen?

Die Natur ist ein wichtiger Ort der Gottesbegegnung. Aber ebenso ist die Kunst ein wichtiger Ort der Gottesbegegnung. Die Kirche ist einmal ein Kunstwerk, das mir guttut. Aber wir feiern in der Kirche auch Liturgie. Und das führt zu einer anderen Art der Gottesbegegnung.

Ich begegne Gott in seinem Wort. Und ich erfahre Gott auch in der Geborgenheit einer Gemeinschaft, die wie ich auf der Suche nach dem Geheimnis ist. Die Kirche ist ein heiliger Ort. Heilig ist das, was der Welt entzogen ist, worüber die Welt keinen Zutritt hat. Nur das Heilige vermag wirklich zu heilen. Daher ist es heilsam für uns, wenn wir uns eine heilige Zeit in der Kirche gönnen und den heiligen Raum der Kirche wahrnehmen, der uns zum heiligen Ort auf dem Grund unserer Seele führt. Dort in diesem heiligen Raum auf dem Grund meiner Seele bin ich frei von allem äußeren Lärm. Da bin ich heil und ganz. Da kann niemand mich verletzen.

Welche drei Impulse können Sie aus Ihrer reichen seelsorgerischen Erfahrung heraus für ein kraftvolles Leben geben?

1. Bewerten Sie sich selbst nicht. Lassen Sie sich einfach sein, so wie die Natur einfach da ist.

2. Halten Sie sich so, wie Sie sind, Gott hin und fühlen Sie sich bedingungslos angenommen.

3. Vertrauen Sie darauf, dass Gott aus allem, was Sie in die Hand genommen haben, was Ihnen mehr oder weniger gelungen ist, Segen entstehen lässt. Und bitten Sie Gott darum, dass er das Werk Ihrer Hände segnet und dass sein Segen Sie einhüllt wie ein schützender Mantel.

Pater Anselm Grün, wir fragen mal provokant, ist Ihr Nachname auch ein Motto?

Für mich ist mein Name wichtig. Grün ist für mich die Farbe der Hoffnung und Zuversicht. Hildegard von Bingen spricht von der Viriditas, der Grünkraft, die alles durchdringt und belebt. So vertraue ich darauf, dass ich von meiner Familiengeschichte her eine innere Kraft mitbekommen habe, die mein Leben immer wieder neu zum Blühen bringt.

Pater Anselm Grün ist Benediktinermönch, Seelsorger, spiritueller Berater für Manager und gefragter Autor. Pater Anselm lebt und arbeitet im Kloster Münsterschwarzach bei Würzburg.

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