„Tom, steh auf!“
Tom stöhnte, seine Augen waren fest geschlossen. „Ich höre Stimmen. Wer spricht da? Ich muss dem Tod ganz nah sein.“
„Tom, steh auf.“ Die Stimme in Toms Ohren war streng, aber freundlich und klang vertraut.
„Tom, geliebter Sohn, steh auf.“
„Vater?“ Tom riss die Augen auf. Das schwache Abbild Taladons beugte sich über Tom. Toms Vater lächelte und auf einmal strömte Wärme durch Toms eiskalte Knochen.
„Hast du meine letzten Worte schon vergessen?“, fragte Taladon.
Toms Zunge bewegte sich langsam, in seinem trockenen Mund fühlte sie sich dick an. „Nein, Vater. Du sagtest: ‚Du musst die Mission zu Ende führen.‘“
Taladon nickte und griff nach der Schwertscheide an seiner Seite. Er zog ein geisterhaftes Schwert heraus und reichte es Tom.
„Ich kann nicht mehr kämpfen“, flüsterte Tom.
„Mit wem sprichst du, du Wurm?“, fragte Malvel und stapfte über das Kopfsteinpflaster näher.
„Nimm mein Schwert, Tom“, drängte Taladon. Seine Gestalt waberte. Schwach streckte Tom seine verletzte Hand aus und Taladon legte sein Schwert hinein. Sobald Toms Finger sich um den Griff schlossen, wurde das Schwert echt. Es war kalt und schwer und glänzte. Es übertrug eine unglaubliche Kraft in Toms Körper. Sein Kopf war wieder klar und sein Blick nicht länger getrübt.
„Die Mission geht weiter!“, sagte er.
Einen Moment lang sah er den Stolz in Taladons Augen. Dann verblasste dessen Gestalt. Tom sprang auf die Füße und hielt Taladons Schwert hoch. Das Mondlicht streifte die Klinge und es sah aus, als würde sie in Flammen stehen.
„Was ist das für eine Zauberei?“, fragte Malvel mit offenem Mund und wich zurück.
„Das ist keine Zauberei – das ist mein Schicksal!“, rief Tom. „Ich werde dich vernichten!“
Wieder umkreisten sie sich auf dem Platz. Malvel hielt in einer Hand Toms altes Schwert und in der anderen seinen Stab. Er griff mit dem Schwert an, doch Tom hob Taladons Waffe und blockte Malvels Hieb ab. Malvel sprang auf ihn zu und sein Umhang wirbelte um seinen Körper. Mit Schwert und Stab stach er gleichzeitig nach Tom. Wieder riss Tom Taladons Schwert hoch. Mit einem metallischen Krachen schlug er Malvel das Schwert aus der Hand. Es landete auf dem Kopfsteinpflaster und schlitterte in die Schatten.
Nun konzentrierte sich Malvel wieder auf seinen Stab. Er holte seitlich aus, um Tom die Füße wegzuziehen. Aber Tom sprang hoch in die Luft und ließ Taladons Schwert mit Schwung nach unten sausen. Die Klinge prallte mit solcher Wucht auf den Stab, dass Toms Schultern durchgerüttelt wurden, doch er hackte den Stab in zwei Teile.
Malvel fiel rückwärts auf das Pflaster. Tom stellte sich breitbeinig über ihn und hob das Schwert seines Vaters auf Schulterhöhe. Er packte es mit beiden Händen und richtete die Spitze auf Malvels Kehle.
„Mach dich zum Sterben bereit“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. Der böse Magier wand sich zwischen Toms Füßen, heulte und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
„Gnade, Gnade“, winselte er und biss sich auf die Lippe, bis sie blutete. „Tom, hab Erbarmen.“
„Still!“, schrie Tom. Er umklammerte Taladons Schwert mit beiden Händen. Gleich war alles vorbei – nie wieder würde er gegen seinen Erzfeind kämpfen müssen.
Die Schwertspitze zitterte. Malvel öffnete ein Auge.
Toms Wut legte sich plötzlich. „Sein Tod bringt meinen Vater nicht zurück“, begriff er.
Tom senkte seine Waffe. „Unzählige Male habe ich es mit dir aufgenommen“, sagte er. „Ich muss dich nicht töten, um zu wissen, dass ich ein Held bin. Ich werde das Schwert meines Vaters nicht mit Blut besudeln.“
Erstaunte Rufe hallten über den Platz. Tom hob den Kopf und sah, dass die Dorfbewohner leise aus ihren Häusern gekommen waren.
„Das ist mein Junge!“ Onkel Henrys stolzes Lächeln blitzte im Mondlicht.
Taladons Schwert und die Goldene Rüstung verschwanden. Sie hatten ihren Dienst getan.
„König Hugo wird über Malvels Schicksal bestimmen“, sagte Tom zu den Dorfbewohnern. „Bringt Seile, um ihn zu fesseln. Im Verließ des Palasts soll er auf seine Strafe warten.“
Die Menge teilte sich und ließ einen Mann mit einem Seil vor. Tom wollte es nehmen, aber plötzlich ertönte hinter ihm ein lautes Geräusch.
„Pass auf!“, schrie Tante Maria.
Tom wirbelte herum und Malvel stürzte sich auf ihn. In der erhobenen Hand hielt er einen Dolch, den er aus seinem Umhang gezogen hatte. In diesem Augenblick verdeckte ein riesiger Schatten das Mondlicht. Auf dem Dorfplatz herrschte tiefste Finsternis.