Brenda fiel resigniert auf das Sofa und schaltete den Fernseher ein. Sie zappte durch die Kanäle, war aber schnell genervt von dem Müll, der einem im öffentlichen Fernsehen aufgetischt wurde. Für Netflix oder anderes Pay-TV fehlte ihr aber das Geld. Sie schnappte sich ihr Handy mit dem gesprungenen Display und scrollte durch den Facebook- und Instagramfeed. Immer auf der Suche nach einem aufbauenden Zitat oder nach ein paar Likes mehr auf ihrem letzten Instagram-Post. Aber vergeblich. All das Social-Media-Zeugs zog sie nur noch weiter runter. Böse Kommentare unter ihren Posts stürzten sie tagelang in eine kleine Depression. Mehr und mehr bekam sie das Gefühl, dass alle ein cooleres, glücklicheres und erfolgreicheres Leben führten. Egal, ob in den Dokusoaps im Fernsehen, den Klatschgeschichten über Promis auf TMZ oder den gefilterten und geschönten Bildern auf Instagram: Alle lächelten, alle waren scheißglücklich, alle hatten alles, was sie wollten. Nur sie nicht, verfickt noch mal. Brenda wollte gerade das Handy zur Seite legen, als es zu klingeln begann. Ihre Mutter war dran.
„Hallo, mein Schatz, wie geht es dir?“
Ihre Mutter klang supersüß, aber Brenda wusste, dass das schnell umschlagen konnte.
„Mir geht’s gut, Mom, ich bin nur ein wenig müde.“
„Du musst dir endlich einen anderen Job suchen, damit du dich wieder mehr auf dein Studium konzentrieren kannst. Werd doch endlich erwachsen“, klang sie fast schon flehend.
Das ging schnell dieses Mal. Brenda wusste schon, was jetzt noch kommen würde. Jetzt würde sicher die „Als ich in deinem Alter war, sah mein Leben ganz anders aus. So wie es sich eben gehört“
-Rede kommen. Und tatsächlich. Wort für Wort.
„Mom, du weißt doch, dass ich nicht wie du mit 20 heiraten, Kinder bekommen und den Rest meines Lebens Wäsche waschen und bügeln wollte“, konterte Brenda wissend, dass sie damit ihre Mutter treffen würde.
„Du hast ja ein schönes Bild von mir. Ist denn dein Leben so viel besser und spannender? Du wohnst in einer WG, schuftest in einem Coffeeshop, bekommst dein Studium nicht auf die Reihe und bist seit Ewigkeiten Single.“
„Mom, bitte. Ich hatte einen Scheißtag, musst du jetzt auch noch in offenen Wunden herumstochern?“
„Den Kopf in den Sand stecken, kannst du. Einfach nicht darüber reden und die Probleme lösen sich von selbst, nicht wahr? Ich weiß gar nicht, vom wem du diese Denkweise hast. Von mir und deinem Vater sicher nicht.“
Pause. Brenda wusste nicht recht, was sie sagen sollte, denn ihre Mutter hatte in allen Punkten absolut recht. Schuldig im Sinne der Anklage. Nur wenn man ihrer Mutter die Gesprächsführung überließ, dann kam man vom Regen in die Traufe.
„Wie geht’s eigentlich Cynthia? Die führt wenigstens eine glückliche Beziehung.“
„Mom, ich habe es dir doch schon so oft erzählt. Cynthia hat schon vor Monaten ihr Studium über den Haufen geworfen und hat sich gemeinsam mit ihrem Freund einer lukrativeren Tätigkeit zugewandt.“
„Was meinst du denn damit?“
„Cynthia und ihr Freund verkaufen Drogen, Mom.“
„Ach was, du siehst zu viele Filme. Ich kenne Cynthia. Das passt doch gar nicht zu ihr. Du bist doch nur neidisch.“
Die wenigen Male, die Brenda ihre Mitbewohnerin in den letzten Wochen zu Gesicht bekommen hatte, war sie high gewesen. Cynthia hatte immerzu gefaselt, wie toll der Stoff war, den sie verkauften. Der beste der Stadt. „Komm schon, Brenda, nur einmal. Lass uns zu dritt high werden. Das wird das geilste Erlebnis, das du dir vorstellen kannst.“ Cynthias Freund Archie hatte bei dieser Ansage von einem Ohr bis zum anderen gegrinst und Brenda war bei dem Gedanken daran fast ihr Mittagessen wieder hochgekommen. Cynthia hatte sich unglaublich verändert, seit sie mit ihr vor ein paar Jahren zusammengezogen war.
„Ihr wart doch mal so gute Freundinnen. Und Cynthia ist ein so ruhiges, fleißiges Mädchen.“
„Fleißig? Sie studiert nicht mehr, schläft den halben Tag und treibt die ganze Nacht weiß Gott was.“
„Das glaube ich nicht. Die Cynthia, die ich noch von früher kenne, hat für ihr Jurastudium gelebt, nur darum hat sich ihre ganze Welt gedreht. Wenn jemand einen schlechten Einfluss hat, dann du auf sie.“
Brenda wurde jetzt wirklich sauer. Es war immer das Gleiche. Ihre Mutter ergriff stets nur für andere Menschen Partei. Sie war nie auf der Seite ihrer Tochter.
„Ja, Cynthia war meine beste Freundin, bis Archie kam. Alle in unserem Freundeskreis wissen, dass Archie ein Drogendealer ist. Aber Cynthia war das egal. Sie vergöttert ihn und ist ihm total verfallen. Das hat sie verändert.“
Zuerst hatte Brenda nur bemerkt, wie Cynthia hie und da nicht zu den Vorlesungen gegangen war, wenn sie früh morgens angesetzt waren. Dann wurde es aber immer augenscheinlicher: Cynthia würde ihr Studium an den Nagel hängen. Und Brenda wusste, dass es kein Happy End geben konnte.
„Ist ja auch egal.“
Wenn ihre Mutter nicht weiterwusste, dann kam immer dieser Satz.
„Und es geht auch nicht um Cynthia, sondern um dich. Aber das haben wir schon so oft durchgekaut. Du lernst einfach nicht aus deinen Fehlern.“
„Hast du mich eigentlich nur angerufen, um an mir herumzunörgeln?“
„Nein, ich wollte wissen, ob du uns am Wochenende besuchen kommst. Dein Vater hat einen neuen Grill gekauft und die halbe Nachbarschaft eingeladen. Wir würden uns freuen, wenn du auch kommst“, sie machte eine kurze Pause. „Und vielleicht lernst ja du jemanden kennen“, legte sie nach.
Brenda verdrehte die Augen. Sie war nach Miami gezogen, um nicht mehr mit den Leuten in Graceville auskommen zu müssen. Sie mochte diese kleinkarierte, heile Kleinstadt-Welt ganz und gar nicht. Das nördliche Florida hatte nichts von dem Glanz, den sie in Miami so liebte. Es fühlte sich fast wie im mittleren Westen an. Und ein Jauchetreter mit Farm, Kühen und Traktor war alles andere als ihr Traummann. Ihre Vorstellung ging in eine ganz andere Richtung.
Sie seufzte. „Ja, ich komme vorbei.“
„Dein Vater wird sich freuen, bis dann!“
„Lass Daddy …“, doch ihre Mutter hatte bereits aufgelegt. Brenda starrte ins Leere. Gab es eigentlich irgendeinen Menschen auf der Welt, der sich ganz allein für sie interessierte, ohne ständig auf ihr herumzuhacken?