Kap

14

»Das gibt’s doch wohl nicht! Er hat tatsächlich jemanden wie dich zu mir an Bord gelassen«, sage ich und zeige auf Ari. »Ich fasse es nicht, dass Opa mir so was antut. Ich dachte, er hätte dich weggeschickt …«

Aris Blick flackert und er verschränkt die Arme vor der Brust. »Jemanden wie mich?«, fragt er herausfordernd, seine Stimme ist tief und heiser.

Wir sind nach wie vor im Kontrollraum und unser Gespräch dreht sich im Kreis darüber, dass mein Großvater ihn am Tag zuvor an Bord des U-Boots geschmuggelt hat. Ari ist die Sicherheitsmaßnahme, auf die mein Großvater besteht. Oh, wie ich mein zu schnell gegebenes Versprechen jetzt bereue! Und wegen der Nicht-Kommunikations-Regel habe ich überhaupt keine Möglichkeit, mich bei irgendjemandem darüber auszulassen. Zurückfahren kommt auch nicht infrage – das wäre ja, als würde ich darum betteln, dass die Behörden auf mich aufmerksam werden.

Aris Augen verengen sich, während er auf eine Antwort wartet. Er fährt sich mit der Hand durch sein langes dunkles Haar. Um seinen Hals hängt eine schmale, perlenbesetzte Lederkette und an seiner Hüfte ein Messer. Wozu braucht man ein Messer? Ich schaudere. Was glaubt er, wird uns hier draußen begegnen? Er trägt ein schwarzes Oberteil und eine lässige Hose. Hör auf, ihn anzustarren.

»Ja, jemanden wie dich«, sage ich. Ich fühle mich unwohl in seiner Gegenwart, aber merke selbst, dass es fies klingt. Allerdings ist er nun mal auch nicht Theo …

Er sieht mich finster an und ein Muskel neben seinem Mund zuckt. »Ich habe Gideon Abraham versprochen, dass ich dich beschützen werde.« Er sagt das voller Überzeugung und mit Bedacht.

»Nur, dass ich sehr gut auf mich selbst aufpassen kann.« Ich versuche, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Ich sitze mit ihm hier in diesem U-Boot fest. Das lässt sich nicht leugnen. Jojo springt schwanzwedelnd um seine Beine. Die kleine Verräterin. »Jojo! Komm her, Süße.« Nach mehreren Aufforderungen läuft sie schließlich zu mir. Ich spähe zu Ari hinüber, während ich sie auf den Arm nehme. »Was hast du mit meinem Hund angestellt?«

Er zieht seine dichten dunklen Augenbrauen hoch und einer seiner Mundwinkel hebt sich ein wenig. Mit seinen bernsteinfarbenen Augen sieht er mich an und zwinkert kurz. Er macht sich über mich lustig, der Blödmann. »Jojo und ich haben uns schon sehr gut kennengelernt. Sie liebt diese Leckerlis.«

Zieht er mich wirklich mit meinem eigenen Haustier auf? Schluss jetzt! Ich schreite durch den Raum und versuche, einen Ausweg aus der Situation zu finden, aber mir fällt nichts ein. Als ich aufsehe, merke ich, dass der blinde Passagier mich misstrauisch beobachtet. Er hat sich an Bord meines Schiffs versteckt und jetzt bin ich die Verdächtige?

Ich schließe die Augen. »Du hast mich also verfolgt, um mich davor zu ›beschützen‹, dass andere mich verfolgen? Hast du nichts Besseres zu tun?«

Seine Kiefermuskeln verkrampfen sich. Mir fällt ein, was Großvater mir über Aris Situation erzählt hat, und es tut mir leid, ihm vorgeworfen zu haben, er hätte nichts anderes vor. Wenn er nur hier ist, weil sein Vater das wollte, dann muss es die Hölle sein, dass er hier unerwünscht ist.

Trotzdem, warum musste mein Großvater einen komplett Fremden bitten, mich zu begleiten? Und dann noch einen, der mich zur Weißglut bringt … Oh mein Gott, die Zwillinge – sie haben es gewusst! Deshalb sind sie so merkwürdig gewesen, als ich an Bord kam, und konnten mir kaum in die Augen schauen. Und Theo hat es mir wahrscheinlich gerade sagen wollen, als Tabby ihn davon abgehalten hat. Ich stöhne auf. Mein Großvater muss ihnen kurz zuvor erzählt haben, was er getan hat. Sie hätten mich warnen sollen!

Ari schlendert jetzt durch den Raum, seine Bewegungen sind leicht und fließend. Alles an ihm wirkt stark. Seine Gestalt, seine Schultern, seine Arme, seine Hände. Ganz anders als seine Augen. Faszinierend hell und ständig auf der Hut. Oh mein Gott, hör auf, ihn anzustarren.

Ich richte mich auf. »Das solltest du nicht tun«, sage ich, als er eine Skala abliest.

»Ich überprüfe nur den Motorstatus. Ich kann das U-Boot nicht befehligen, kein Grund zur Panik. Gideon konnte nur eine Sicherheitsfreigabe für den Zugang bewirken.«

Panik? Ernsthaft? Dieser Fremde sollte gar nicht hier sein, es ist mein Boot. »Ich habe keinen Grund, panisch zu werden. Ich bin nicht diejenige, die sich an Bord eines fremden Schiffs versteckt hat.«

Er hebt eine Augenbraue. »Versteckt? Du hättest mich früher entdecken können, wenn du aufmerksamer wärst.«

Verdammt! Oscar erscheint. Ari versteift sich und seine Hand bewegt sich schneller als ein Segelfisch zum Messer an seiner Hüfte, bevor er sie wieder sinken lässt.

Der Navigator neigt seinen Kopf in meine Richtung. »Wir nähern uns der Anlage, meine Liebe.«

Ich wende mich Ari zu. »Opa hat mir gesagt, dass du keine Wahl hast, dass du das alles nur für deinen Vater tust. Aber sobald wir in King’s Lynn ankommen, verlässt du mein U-Boot.«

»Hab ich kein Problem mit. Das hier ist wirklich der letzte Ort, an dem ich sein möchte. Meine Familie braucht mich auch.«

»Ich brauche dich jedenfalls nicht. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen. Wer versucht, mich daran zu hindern, meinen Vater zu finden, dem wird es leidtun, mir über den Weg gelaufen zu sein. Ich bin ja verdammt noch mal nicht kopflos aufgebrochen. Ich komme sehr gut allein klar.«

Seine Züge versteifen sich. »Du hast ja keine Ahnung.«

»Dann sag du es mir!«

»Ich weiß, wozu manche Leute fähig sind. Man kann sie nicht besiegen.« Seine Stimme klingt leise, aber entschlossen.

»Wen besiegen? Die Anthropoiden?«

Er hält meinen Blick fest.

»Vielleicht werde ich denen gar nicht begegnen«, fahre ich fort. »Aber wie dem auch sei, ich bin jedenfalls stärker, als ich aussehe.«

Er will noch etwas sagen, scheint dann aber seine Meinung zu ändern und schüttelt den Kopf. »Sie haben keine einzige menschliche Zelle in sich. Ich habe gesehen, wozu sie fähig sind – das willst du nicht wissen. Man kann mit ihnen nicht vernünftig reden.«

Seine Miene wird düster, als er innehält. Seine Hände ballen sich zu Fäusten, die bronzefarbene Haut seines Gesichts rötet sich. Ein Anflug von Wut flackert in seinen Augen auf, wie das Köcheln der Magma in den Vulkanen entlang der Meeresrücken. Er holt tief Luft, bevor er weiterspricht: »Ich habe meine Familie für das hier verlassen. Verstehst du das? Meine Familie. Nichts in meinem Leben ist mir wichtiger. Aber sie haben mir in dieser Sache keine Wahl gelassen – ich muss das für meinen Vater tun. Ich bleibe, bis du im Cottage von deinem Großvater angekommen bist, und dann ist der Fall für mich erledigt.«

Er dreht mir den Rücken zu und beschäftigt sich mit irgendetwas, als das Schiff abzusinken beginnt.

Ich greife nach Jojo und bemerke erst jetzt, dass über einem Spind eine Zielscheibe an der Wand angebracht ist. In ihrer Mitte stecken mehrere Messer. Was zum Teufel? Ich haste aus dem Kontrollraum hinaus. Selbst wenn mein Großvater ihm vollkommen vertraut, ist es merkwürdig, das Schiff mit jemandem teilen zu müssen, den ich verdammt noch mal kaum kenne.

Das Boot sinkt allmählich immer tiefer und tiefer. Urgh. Ich renne zurück zum Aussichtsfenster und schnappe nach Luft, um das leichte Gefühl der Übelkeit zu bekämpfen. Es ist ganz anders als die Bewegungen eines Tauchboots.

Bald kommt die riesige weiße Kuppel von Brighton Pier in Sicht. Lichter pulsieren und flackern und Schatten huschen durch die umliegenden tieferen Gewässer – in diesem Gebiet patrouillieren Sicherheitsboote. Die Anlage ist ein beliebtes Ziel für viele Familien, gerade zu Silvester, und daher auch ein beliebtes Ziel für die Anthropoiden.

Vorbei an den üblichen Anlegeplätzen finde ich an einer Seite des Gebäudes eine U-Boot-Luke, fahre die Brücke der Kabul ein paar Meter aus und docke an der Anlage an. Ich bin Tauchboote gewohnt, die direkt andocken können, und beim Anblick der Brücke zwischen meinem Schiff und dem Gebäude läuft mir ein Schauer über den Rücken. Wenn beim Überqueren etwas schiefgeht …

Draußen blitzen die Strahlen eines vorbeirauschenden Sicherheitsfahrzeugs auf. Wenn der Anti-Tracking-Schutz nicht so wichtig wäre, würde ich hier überhaupt nicht anhalten.

Aber mit der Gefahr im Nacken, dass Captain Sebastian jeden Moment bemerken könnte, dass ich weggefahren bin, muss ich sicherstellen, hier draußen so unsichtbar wie möglich zu bleiben.