Kap

22

Im Gang wirft Ari mir einen Blick über die Schulter zu. »Hast du den Moonpool gesichert? Zu der Zeit hatte ich keine Befehlsrechte. Hast du die Klappe verschlossen?«

Meine Augen weiten sich. »Oh mein Gott. Deathstar, der Mechaniker, er … er hat mir gesagt, dass ich es noch sichern muss. Das hab ich total vergessen! Oscar, ist die Klappe des Moonpools noch nicht verschlossen? Kannst du das machen?« Ich halte inne, lehne mich gegen die Wand und keuche. Es ist zu heiß und mein Puls hämmert rasend schnell. Wie habe ich bloß vergessen können, mich darum zu kümmern? Was habe ich angerichtet?

Oscar nickt. »Aber selbstverständlich, meine Liebe. Darf ich daran erinnern, dass dieses U-Boot mit den allerneuesten Fernsicherheitsanwendungen ausgestattet worden ist? Also, man könnte –«

»Bitte sofort die Moonpooltür verschließen, Oscar!«

»Wie Sie wünschen.« Der Navigator verbeugt sich. »Die Klappe ist nun verschlossen.«

»Und warum sind wir langsamer geworden?«

»Die Schiffsschraube, meine Liebe, mit ihr scheint etwas nicht in Ordnung zu sein. Sie funktioniert zwar noch, aber der Antrieb hat merklich nachgelassen.«

»Oscar, wenn wir uns weiter verlangsamen, lass es mich wissen, und versuche herauszufinden, was genau mit der Schiffsschraube nicht stimmt. Und du kannst das U-Boot nach Lebenszeichen absuchen, oder? Führe bitte einen Scan durch.«

Der Navigator neigt den Kopf. »Ich habe insgesamt fünf verschiedene Herztöne an Bord festgestellt. Zwei ohne Genehmigung.«

Oh mein Gott! Ich taumle rückwärts und Ari fängt mich auf. Zwei von ihnen. Hier an Bord. Die Wände des Gangs scheinen auf mich zuzukommen. Nein! Ich schüttle den Kopf.

Irgendwo unter uns ist ein Geräusch zu hören.

Ari dreht sich zu mir um. »Bleib hier oben.« Mit einem Blick bittet er mich, nicht mit ihm zu streiten. »Schließ dich ein, bis ich dir sage, dass alles in Ordnung ist.«

»Nein.«

Er flucht kopfschüttelnd, greift nach dem Messer, das er an seiner Hüfte trägt, und hält es vor sich.

»Oscar«, flüstere ich. »Lässt sich genau bestimmen, wo sich die beiden nicht gemeldeten Herzschläge an Bord befinden?«

Er neigt bestätigend den Kopf. »Die beiden ungebetenen Gäste befinden sich im Maschinenraum, meine Liebe.«

Aris Miene wird düster. »Schließ dich mit Jojo in den Salon ein. Und nimm das mit.« Er schiebt mir das Messer zu. »Ich habe andere Waffen.«

»Das Messer kannst du behalten. Ich habe meinen Schirm. Wie willst du ganz alleine gegen sie ankommen? Es ist unmöglich –«

»Geht jetzt! Bitte!«

Während er auf die Treppe zuläuft, renne ich zurück in den Salon und verschließe die Tür hinter mir. Ich zittere am ganzen Körper. Jojo winselt und vergräbt ihre Nase in meiner Handfläche.

»Es ist alles in Ordnung, meine Süße. Alles wird gut, du wirst schon sehen.«

Mein Hals schmerzt, als würde dort ein riesiger Stein feststecken. Ich greife nach dem Schirm. Ein krachendes Geräusch lässt mich aufspringen. Ich laufe zur Tür und presse mein Ohr gegen das Holz. Was ist da los? Ich winke den Navigator für ein Update herbei.

»Meine Liebe, im Maschinenraum sind nun drei Herzschläge zu verzeichnen. Zwei sind unangemeldet, der dritte gehört Mr Ari.«

Ich hätte bei ihm bleiben müssen. Niemand kann eine Begegnung mit zwei Anthropoiden überleben. Ich entriegele die Tür und ziehe sie einen Spaltbreit auf, den Schirm schützend vor mich gerichtet. Es gelingt mir nicht, meine zitternden Hände ruhig zu halten, und die Geräusche machen alles nur noch schlimmer. Ein wütend klingender, gedämpfter Wortwechsel, gefolgt von Geschrei.

Ich schleiche den Gang entlang, indem ich mich zwinge, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Jojo ist nicht davon abzubringen, mir zu folgen, ganz gleich, wie sehr ich auch versuche, sie so leise wie möglich mit irgendwelchen Gesten in den Salon zurückzuscheuchen. Vom unteren Deck her dringen undeutliche Laute nach oben. Ich husche die Treppe hinunter.

Endlich kann ich einzelne Wörter verstehen.

»Und was ist mit unseren Toten?«, schreit eine Stimme.

Mehr gedämpftes Gemurmel – Ari.

Eine Frauenstimme ruft laut: »Du irrst dich. Wir werden sie rächen!«

Dann Krachen und Scheppern, gefolgt von Stöhnen und Schreien. Oh Gott …

Leise gehe ich weiter und bete, dass das Zittern in meinen Beinen endlich aufhört.

Es gelingt mir nicht, die unzähligen Sendungen und all die schrecklichen Bilder, die ich jemals in den Nachrichten gesehen habe, aus dem Kopf zu bekommen. Das willkürliche Gemetzel, das diese Spezies angerichtet hat.

Die Tür zum Maschinenraum gleitet auf. Mein Herzschlag hämmert mir in den Ohren, als ich hineinschlüpfe. Drückende Hitze schlägt mir aus dem Raum entgegen. Ich zucke bei jedem Geräusch zusammen, während ich mich an den Tanks entlangschleiche.

Erstickte Töne sind zu hören, Stöhnen und Knurren. Kampfgeräusche. Ich bewege mich vorsichtig darauf zu. Der Schirm in meiner Hand wackelt – wie soll ich richtig zielen, solange ich das Zittern meiner Hände nicht unter Kontrolle kriege? Da vorne ist jemand. Ari.

Meine Augen weiten sich. Er kämpft mit einem der Anthropoiden. Aris T-Shirt ist zerfetzt, seine Brust und die Schultern sind übersät von tiefen Wunden und blutverschmiert. Stöhnen erfüllt die Luft. Jeder Hieb verursacht mir Übelkeit. Aus dem Augenwinkel nehme ich etwas auf dem Boden rechts von mir wahr. Ich erstarre.

Es ist eines von ihnen.

Es liegt röchelnd da und versucht, sich zu bewegen. Es ist ein Er und Aris Messer steckt in seinem Hals. Oh Gott. Meine Hand fliegt zu meinem Mund – mein Schrei erstirbt in meiner Kehle. Ich ziehe den Kopf ein, atme flach und schnell. Denk nach! Aber ich kann nicht aufhören, es anzustarren. Ein echter Anthropoid, keine drei Meter von mir entfernt.

Es sieht so menschlich aus. Außer, dass es kein Mensch ist. Eine der bösartigsten Kreaturen, die jemals auf der Erde existiert haben, befindet sich genau vor mir.

Das Biest ist unglaublich stark. Trotz des Messers in seinem Hals will es einfach nicht sterben. Jojo winselt, die Ohren aufgestellt. Weiß das Hündchen Bescheid? Vermutet es auch, dass es sich hier um einen Hochstapler handelt?

Konzentrier dich! Ich wende mich ab, um Jojo hochzuheben. Sie ist verschwunden. Oh nein, bitte nicht. Der Raum ist erfüllt von lautem Klirren. Wo ist Jojo?

Ich spähe um die Ecke, den Schirm nach vorn gerichtet. Der Kampf dauert an, Fäuste fliegen durch die Luft, es geht alles viel zu schnell und ich kann das Biest nicht ins Visier nehmen. Und selbst wenn es mir gelänge, könnte ich den Taser nicht einsetzen – er würde Ari ebenfalls treffen.

Ari ist gerade über das Ungeheuer gebeugt, als es dem Vieh gelingt, ihn wegzustoßen, und er mit rudernden Armen nach hinten taumelt.

Jojo bellt irgendwo in meinem Rücken.

Ari lenkt seinen Blick in unsere Richtung und entdeckt mich. »Nein! Lauf zurück in den Salon, Leyla!«

Zu spät.

Der Anthropoid reckt den Hals und sieht mich. Seine stechenden blauen Augen leuchten auf, als sein Blick auf mich fällt. Ich weiche zurück.

Er kommt mit großen Schritten auf mich zu. Oh mein Gott.

Ich schreie auf.

Ein erschöpft aussehender Ari will noch einmal nachsetzen. Aber als er an der röchelnden Gestalt auf dem Boden vorbeikommt, streckt diese eine blutige Hand aus und umschließt Aris Knöchel mit erstaunlich festem Griff. Ari brüllt mir zu wegzurennen, gerade als das Biest ihn nach unten zieht, die Augen weit aufgerissen, die Nasenflügel gebläht. Beide bäumen sich wieder auf, gehen aufeinander los und stürzen zusammen aus dem Maschinenraum hinaus in den Gang.

Ich laufe los und kauere mich hinter einen riesigen Kupfertank, das Bild von Aris verletztem, blutverschmiertem Körper noch im Kopf.

Wo hat sich das andere Monster versteckt? Wo ist Jojo? Soll ich weglaufen? Ich zittere wieder am ganzen Körper, meine Hände, Arme, Beine – alles versagt mir auf einmal den Dienst. Ich wische die feuchten Handflächen an meinem Morgenmantel ab. Ich muss meinen Schirm fest im Griff haben. Eine Bewegung zu meiner Linken fällt mir ins Auge.

Der Anthropoid. Er kommt auf mich zu.

Jojo macht einen verzweifelten Satz zu der anderen Seite des Maschinenraums. »Nein! Komm zurück, Jojo! Bleib hinter mir.«

Ich zeige mit der Spitze des Schirms auf das Monster. Es duckt sich hinter einen Tank und rennt dann auf die verängstigte Jojo zu. Es ist unglaublich schnell, packt sich das Hündchen und dreht sich schwer atmend um. Ich schreie auf. Die Frau muss etwa 30 sein. Ein dünnes hageres Gesicht und sandfarbene Haare. Sie … Es hat hohe, schmale Wangenknochen, lange Arme und dünne Finger. Es ist tropfnass. Seine Augen … Kalt und leuchtend wie sie sind, kommen sie mir auf einmal vertraut vor, als der frostige Blick der Frau sich in meinen bohrt. Wo habe ich solche Augen schon einmal gesehen? Ein so eiskalter Blick und doch habe ich das Gefühl, als würde ich lebendig verbrannt. So viel Hass.

Es schlingt seine Hände um Jojo und ich bemerke, dass ihm ein Finger fehlt. Es muss derselbe Anthropoid sein, der auch bei dem Angriff auf Brighton Pier dabei war und den die Kameras aufgezeichnet haben.

Jojo. Sie zittert in seinen Händen. Ich schlucke, um meine trockene Kehle anzufeuchten. Doch es wird nur noch schlimmer. Und die Angst … die Angst droht in mir aufzusteigen und mich weit nach unten zu ziehen.

Ich umklammere meinen Unterleib. »L…lassen Sie sie los. Ich bitte Sie. Tun Sie Jojo nicht weh.«

Es schreit, ein langer, wütender Aufschrei, wendet sich dann zu mir und sagt: »Warum ist unser Schmerz für euch nicht genauso wichtig? Warum sollen wir leiden – und dabei zuschauen, wie unsere Liebsten in Stücke gerissen werden – und ihr nicht? WARUM?« Es brüllt wieder.

Eiskalte Übelkeit durchströmt mich. Und ich kann nicht wegsehen.

Ich kann nicht wegsehen, denn neben der bestialischen Brutalität, der Abscheu und Wut, dem Blutdurst und der ganzen Raserei sehe ich noch etwas anderes.

Ich glaube, es ist Schmerz.

Ich verstehe es nicht, aber es ist da. Und ich kann nicht aufhören, meinen Kopf zu schütteln darüber, wie schrecklich das hier alles ist. Ich schluchze auf, als es Jojo in seiner Hand betrachtet, dann weit ausholt und das Hündchen durch die Luft schleudert.

Jojo fliegt durch den Raum und knallt gegen ein silbernes Ventil an einem der Tanks. Sie jault kaum hörbar auf, als sie auf dem Boden aufschlägt und zuckend liegen bleibt. Das weiße Fell ihres Köpfchens färbt sich schnell rot. Nein, nein, nein, nein.

Ich wimmere und weiche stolpernd zurück, während ich ihren Namen rufe. Der Schirm rutscht mir aus der Hand. Jojo liegt einfach nur da. Bevor ich mein Gleichgewicht wiedergefunden habe, ist das Biest schon bei mir und packt mich. Der ganze Raum dreht sich. Und ich spüre nur noch Schmerz.

Hände schlagen auf mich ein, auf meine Brust, meine Schultern, meinen Rücken. Ich keuche, kämpfe um Atem. Meine Lunge versagt. Nervenbahnen explodieren. Meine Glieder scheinen mir nicht mehr zu gehören, weigern sich, mir zu gehorchen. Ich ducke mich und rolle mich zu einer Kugel auf dem Boden zusammen, wimmere und flehe es an aufzuhören.

Einen Augenblick lang glaube ich, dass ich erhört werde.

Nur für einen Augenblick flackert etwas Unerwartetes in seinen Augen auf, während sein Gesicht über meinem schwebt … Etwas wie Bedauern.

Aber dann kommt die Wut wieder zurück, fegt jeden Anflug von Mitgefühl weg und es packt meinen Kopf und schlägt ihn auf den Boden.

Eine Welle des Schmerzes überrollt mich. Überall. Dumpfer Schmerz pulsiert in meinen Adern, ein scharfer, stechender Schmerz rast meine Wirbelsäule hinab und heißer, brennender Schmerz zuckt durch meinen ganzen Körper. Ich atme flach und hektisch. Nicht ohnmächtig werden.

Wenn mein Herz noch schneller und lauter schlägt, springt es mir aus der Brust. Mein Morgenmantel ist schweißnass. Der Anthropoid tritt immer wieder mit dem Fuß auf meine Hand und ich höre, wie sie mehrfach bricht. Ein seltsames Geräusch kommt über meine Lippen und wird gedämpft, als ich den Kopf in meiner Armbeuge vergrabe. Es ist zu viel. Schweiß brennt auf meinem Gesicht. Ich kann dem Blick seiner abscheulichen Augen nicht entfliehen, ganz gleich, wohin ich auch schaue. Der erstickende Geruch von heißem Metall vernebelt mir die Sinne, der Raum scheint zu schrumpfen.

Meine Finger hängen schlaff und leblos herab. »Ich flehe Sie an, aufhören, bitte.«

Es schüttelt den Kopf. »Niemals«, stößt es hervor und zeigt seine Zähne. »Von nun an rächen wir jeden Einzelnen unserer Toten.«

»S…Sie … k…können … Sie können uns nicht einfach angreifen und erwarten, dass wir nicht zurückschlagen. Sie haben so viele von uns verletzt. Ihr t…terrorisiert uns. So können wir nicht leben.« Ich schluchze auf.

»LÜGEN!«, schreit es.

Blut läuft mir die Stirn hinunter und über meine Wange. Ein rostiger Geschmack ist in meinem Mund, warm und bitter. Der Schirm … Ich kann ihn nicht erreichen. Ich schnappe nach Luft.

»Oscar«, flüstere ich in meine Achselhöhle, während ich zusammengerollt liegen bleibe. Ich weiß nicht, was ich erwarte, aber ich bin verzweifelt. »Oscar.« Wahrscheinlich ist es nicht laut oder deutlich genug.

»Ihr habt mich gerufen, meine Liebe?«

Ja, verdammt noch mal. Ein Schluchzen erhebt sich in meiner Brust, seine Stimme ist wie ein Lichtstrahl in den finsteren Tiefen.

Die Augen des Anthropoiden treten aus ihren Höhlen hervor und sein Gesicht verzieht sich beim plötzlichen Klang der Stimme des Navigators hinter ihm. Es wendet sich zu Oscar um.

Es ist so schwer zu kriechen, wenn jeder Muskel im Körper einem den Dienst versagt. Und es scheint mir fast unmöglich, mich zu konzentrieren. Ich kann meinen Blick nicht vom Rücken des Monsters abwenden, während ich mich die kurze Strecke voranschiebe und endlich den Schirm erreiche.

Meine Hände zittern heftig, als ich mich zurücklehne, um zu zielen. Meine steifen Finger sind auch keine Hilfe. Ich denke an Theos Anweisungen. Jetzt. Ich drücke den Taser-Knopf.

Nichts.

Das Biest will Oscar packen, aber seine Hände greifen nur nach Luft.

Ich versuche es noch einmal. Der Knopf klemmt. Nein! Ich atme scharf ein. Großer Fehler.

Es dreht sich wieder zu mir um und kommt auf mich zu.

Ich beiße die Zähne zusammen und drücke immer wieder den Knopf. Komm schon! Und endlich lässt er sich bewegen. Ich ziele mit der Schirmspitze auf das Monster und presse erneut mit all meiner Kraft auf den winzigen grünen Knopf.

Ein dumpfer, summender Ton hallt durch den Raum. Das Biest erbebt. Sein ganzer Körper zuckt und krampft sich zusammen, während es mich mit großen Augen und offenem Mund anstarrt. Mit beiden Händen, um gegen das Zittern anzukämpfen, hebe ich den Schirm wieder an und schieße erneut. Wieder ist der Raum erfüllt von dem dumpfen, zischenden Geräusch. Ich halte den Knopf gedrückt. Schließlich, nur wenige Meter von mir entfernt, taumelt der Anthropoid zurück. Es stürzt und fällt mit dem Kopf auf ein Rohr, bevor er auf dem Boden aufschlägt. Zuckend bleibt es liegen.

Ich setze mich auf, schluchze und halte mir den Kopf. Ich krieche näher heran, ziele und versetze ihm wieder einen Stromstoß. Irgendwo in meinem Hinterkopf meldet sich leise der Verdacht, dass zu viele Stöße es töten könnten. Es ist mir egal. Das Zittern meiner Hände wird immer stärker; es hört einfach nicht auf. Endlich bewegt es sich nicht mehr.

Ich richte den Schirm auf sein Herz und verpasse ihm noch einen letzten Stoß.

Dann zwinge ich mich zu rufen: »Jojo?«

Das Hündchen gibt als Antwort einen Laut von sich, bleibt aber, wo es ist. Das einst strahlend weiße Fell ist rot gefleckt.

»Oh, Jojo …«

Ich schiebe mich zu ihr hinüber, wiege sie in den Armen und muss einen Aufschrei unterdrücken, als ich sie mit meinen verletzten Fingern streife und mir der Schmerz durch Mark und Bein geht. Ich halte mich an einem Rohr fest und ziehe mich daran hoch. Der ganze Raum dreht sich. Mein Kopf hämmert und mein Nacken schmerzt. Das Drehen lässt langsam nach und ich zwinge mich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Dort liegt der Anthropoid. Konzentrier dich! Es gelingt mir nicht, alles verschwimmt mir vor den Augen. Mein ganzer Körper, jeder Muskel scheint unbeweglich und starr geworden zu sein. Ich wende mich an den Navigator. Es ist so anstrengend, meine Stimme lauter als ein Flüstern werden zu lassen.

»Lebenszeichen, Oscar … Ist ein ungebetener Gast im Maschinenraum?«

»Das kann ich verneinen, meine Liebe. Nur der Herzschlag von Jojo und Ihnen, meine Liebe.«

Ein Schluchzen kommt aus meiner Kehle und meine Schultern sinken herab. Ich starre auf den toten Anthropoiden. Ich bin erleichtert.

Mit Jojo auf dem Arm öffne ich die Tür. Wieder dreht sich alles, bevor ich den Gang hinuntersehen kann. Und ich entdecke sie beide. Das Monster – keuchend und blutüberströmt – hat sich bedrohlich über Ari aufgebaut, drückt ihm mit beiden Händen die Kehle zu und presst ihn gegen die Wand. Ich bin wie gelähmt.

Es ist, als würde ich alles auf einem Bildschirm betrachten. Ari rutscht an der Wand hinunter und das Biest beugt sich dabei immer weiter über ihn. Und dann fasst Ari mit einer schnellen Bewegung nach oben und reißt das Messer aus dem Hals des Anthropoiden.

Ich weiß nicht, wie oft Ari auf die Kreatur einsticht.

Ich schaue nicht einmal weg.

Es ist alles so unwirklich. Das Messer fährt hinein und Blut kommt heraus. Immer und immer wieder.

Das bösartige Monster taumelt schließlich rückwärts. Es zuckt und seine Augen treten hervor.

Seine Gesichtsmuskulatur strafft sich. Es ringt röchelnd nach Atem, seine Hände krallen sich in die Luft, es klammert sich an seine künstliche Existenz mit allem, was es hat. Was weniger als nichts ist. Seine Züge verzerren sich und Blut spritzt und sickert überall hinaus. Es erinnert mich an einen kämpfenden Orca. Nur dass Orcas wahrscheinlich mehr Mitgefühl aufbringen können. Endlich sinken seine Hände herab, der Anthropoid sackt in sich zusammen und stürzt mit dem Gesicht voran zu Boden. Ein letztes Zucken läuft durch seinen Körper, dann liegt es ganz still da.

Ich kann nicht aufhören, den Kopf zu schütteln, und zittere am ganzen Körper. Ich atme zu schnell und zu unregelmäßig. Um das Monster herum breitet sich eine Blutlache auf dem Boden aus. Ich klammere mich an Jojo.

Ari steht da und sieht mit fassungslosem Gesichtsausdruck auf das Monster herab. Sein Körper ist übersät von Wunden und blutverschmiert. Sein Brustkorb hebt und senkt sich mühsam, jeder Atemzug wirkt angestrengt.

Als er mich bemerkt, öffnet sich sein Mund und sein Blick huscht zwischen Jojo und mir hin und her.

Ich habe die andere Bestie getötet, versuche ich zu erklären, aber die Worte kommen mir nicht über die Lippen. Und meine Rippen schmerzen schon beim Atmen, ans Sprechen will ich gar nicht denken. Ich schlucke und zeige hinter mich in den Maschinenraum. Seine Augen werden schmal.

»Geh«, drängt er mit kaum hörbarer Stimme. »Geh wieder nach oben. Schließ dich im Salon ein und versorge dich und Jojo. Bitte, Leyla«, sagt er, als ich mich nicht vom Fleck rühre.

Ich blinzle, bevor ich mich zur Treppe schleppe und darauf achte, nicht in die schnell größer werdende Blutlache zu treten.

Irgendwie gelange ich hinauf in den Salon, verriegle die Tür hinter mir und lehne mich dagegen.

In meinem Kopf trommelt es unaufhörlich, etwas schlägt dumpf von innen gegen meinen Schädel. Ich schließe die Augen in der Hoffnung, dass die Dinge klarer sein werden, wenn ich sie wieder öffne. Doch nein. In meinem Inneren breitet sich eine dunkle Leere aus. Ich schüttle mich. Richtig, der Medi-Bot für Jojo.

Ich mache mich auf den Weg zum Schrank, das winselnde Hündchen eng an mich gepresst. Oscar sagt etwas. Wovon redet er? Mir explodiert gleich der Kopf, so viel ist sicher. Wieder steigt die Leere in mir auf – jetzt unbezwingbar – und nimmt mich völlig ein.

Ich halte den Atem an, sacke in mich zusammen und falle zu Boden.