35
Ich laufe vor dem Sichtfenster im Kontrollraum auf und ab, während ich auf die unkenntliche, dicht zusammengedrängte Masse vor mir starre. Ganz gleich, in welche Richtung wir das U-Boot beidrehen lassen, der düstere Körper stellt sich uns wie eine Wand in den Weg.
»Was sind das für Wesen?«, frage ich.
Ari steht still und beobachtet das Hindernis. »Wir müssen vorankommen.« Sein Gesichtsausdruck ist hart, jeder Muskel in seinem Kiefer zum Zerreißen gespannt. »Wir müssen jetzt weiter oder wir verpassen die Öffnung des Moonpools.«
Er hat recht. »Oscar? Dranbleiben. Und weiterfahren.«
Die Kabul schiebt sich voran.
Jojo liegt in ihrem Bliss-Pod in einer Ecke des Raums. Ich wähle die Musikfunktion und stelle das Körbchen auf »Schaukelmodus«. Damit ist sie hoffentlich abgelenkt, was auch immer geschehen wird.
Als das U-Boot vorrückt, sind die Schatten besser zu erkennen.
Ari runzelt die Stirn. »Mantarochen. So viele auf einmal … und so organisiert.«
Die dichte Wand löst sich auf und die riesigen Rochen nähern sich dem U-Boot. Ihre breiten, flügelartigen Flossen lassen kaum noch Licht von den Solarkugeln auf der Oberfläche durchkommen. Die düsteren Kreaturen schwimmen bis zum Sichtfenster. Zu beiden Seiten ihrer breiten Köpfe sitzt je ein tintenfarbenes Auge.
»Die armen Tiere. Ich glaube, sie sind so zugerichtet worden, dass sie als getarnte Augen eingesetzt werden können.«
Ein Rochen öffnet sein Maul. Alle Rochen öffnen wie auf ein geheimes Kommando ihre Mäuler.
»Weg vom Fenster!«, brüllt Ari.
Ich stolpere, als er mich am Arm mit sich zieht. Die Sicht nach draußen verschwimmt.
Das Wasser flackert.
Ari reißt mich noch weiter zurück. »Oscar, treib sie auseinander! Sofort!«
»Nein, warte! Es ist nicht ihre Schuld. Wir können –«
Das U-Boot erzittert. Ich stehe wie erstarrt, während die Kreaturen alle mit weit geöffneten Mäulern in die Tiefe schweben.
»Oscar!«, schreit Ari wieder. Er stöhnt und rennt zu einem der Kontrollbildschirme. »Sie sind jetzt nur noch wie Maschinen!«, ruft er in meine Richtung. »Ferngesteuert, um uns den Weg zu versperren und anzugreifen. Wenn wir nichts unternehmen, sind wir dran.«
Ein hoher Pfeifton schrillt durch das Schiff: eine Warnung vor einem bevorstehenden Angriff.
»Oscar«, knurrt Ari und endlich erscheint der Navigator. »Wir haben ungebetene Gäste!«, teilt Ari ihm mit. »Verteidige die Kabul.«
Der Navigator flackert, wird unscharf und wieder scharf und es ist nicht zu verstehen, was er sagt.
Ein zweiter Alarm ertönt. Das U-Boot hebt sich. Ari flucht und übernimmt die Kontrolle der Feuerkraft. Ich übernehme das manuelle Steuer. Die Kabul feuert. Laserstrahlen peitschen durch die Tiefen und mehrere Rochen werden getroffen. Blut trübt das Wasser, als die Fische langsam außer Sichtweite sinken. Meine Hand fliegt an meine Kehle. Ich bin auf einmal in meinem immer wiederkehrenden Albtraum, in dem sich das Wasser vor mir in ein trostloses und verzweifeltes Rot färbt, und ich weiß, dass etwas wirklich Grauenvolles geschehen ist.
Das Schiff schwankt, als sie uns unter Beschuss nehmen, und ich reiße mich zusammen, damit ich mich darauf konzentrieren kann zu navigieren.
Draußen wird uns der Weg nach wie vor von einer riesigen Wand versperrt. »Ich fahre ein Stückchen zurück!«, rufe ich und steuere ein paar Meter rückwärts.
Ari gibt mehrere Befehle hintereinander in das Bedienfeld ein, dreht sich dann zum Wasser um und beobachtet die Auswirkungen. Bevor die Rochen die Möglichkeit haben, das U-Boot einzuholen, ist ein dumpfer Knall zu hören, der sich von der Kabul aus im Wasser ausbreitet.
Ich sehe nach draußen und schlage mir die Hand vor den Mund.
Das Wasser um uns herum kräuselt sich. Die Tiere stehen wie erstarrt auf der Stelle und dann – oh mein Gott – implodieren sie. Ich schreie auf. Alles, was von den Rochen übrig bleibt, ist zerfetztes Fleisch und zerstörte Technik, die sich in den nachfolgenden Fluten verteilen. Die Wellen kommen zurück und treffen die Kabul. Ich schüttle mich und richte meine Konzentration auf den Bildschirm, während das Schiff wieder schwankt.
Oscar erscheint neben mir. »Ich denke, ich bin wieder im Dienst, meine Liebe. Ich wage zu behaupten, dass ich völlig durcheinander gewesen bin. Ein kurzer Aussetzer, aber nun ist alles behoben.«
Ich zittere am ganzen Körper. »Oscar, überprüfe das Schiff auf Schäden.«
Das U-Boot ist in Ordnung und alle Systeme funktionieren wieder reibungslos. Wir bewegen uns weiter durch die umhertreibenden Trümmer. Ich starre auf die Körperteile überall im Wasser und trauere um die Kreaturen, die sie einst gewesen sind. Ich schaue nach Jojo. Sie schläft zum Glück tief und fest.
Das U-Boot beschleunigt und pflügt durch die Wellen. Weiter und weiter, immer näher zu meinem Vater. Aus dem Augenwinkel nehme ich draußen eine Bewegung wahr. Ich sehe hoch.
»Oscar, eine Drohne! Und noch eine! Über uns und rechts von uns.«
»Betrachten Sie es als erledigt, meine Liebe.«
Die langen, gespenstisch anmutenden Maschinen kommen nun in Sicht. Keine Fenster, keine Bullaugen. Sie gleiten mühelos durchs Wasser. Eine von ihnen neigt sich plötzlich nach unten und rast auf unser U-Boot zu. Ich trete einen Schritt zurück. Die Drohne explodiert in einem Feuerball. Oscar kümmert sich auf dieselbe Weise auch um die zweite Drohne.
Das Wasser steht nun in Flammen, ein sich drehendes Kaleidoskop aus Feuer, Metall und Trümmern.
Das U-Boot schiebt sich hindurch und weiter voran.
Ich runzle die Stirn, als ich hinausschaue. Die Fenster … sie scheinen sich zu bewegen. Ich sehe genauer hin. Als würde sich das Acryl an manchen Stellen verziehen und verbiegen. Ein unbehagliches Gefühl beschleicht mich. Was ist das? Etwas draußen im Wasser? Aber dort ist nichts zu erkennen.
»Oscar? Ich glaube, das musst du dir anschauen.«
»Äußerst gerissene Bots, meine Liebe. Sie sind in der Lage, sich überall anzupassen. Inspiriert von der Tarnfähigkeit gewisser Meeresbewohner. Höchst hinterhältige Widersacher.«
Im Raum ertönt ein Piepton. »Oscar, das ist der Sauerstoffalarm!«
»Ja, meine Liebe, wir müssen rasch handeln. Sie zielen darauf ab, unsere Systeme einzufrieren, indem sie darauf zugreifen und sie verschlüsseln. Ihr erster Angriffspunkt ist meist die Beeinträchtigung des Sauerstoffgehalts und es scheint, als hätten sie bereits damit begonnen. Wir können sie nur auslöschen, wenn sie sich vom Schiff gelöst haben.«
»Ari, du solltest die Klimaanlagensteuerung auch manuell überprüfen, nur um sicherzugehen«, sage ich. »Für den Fall, dass Oscar einen weiteren Aussetzer hat.«
Ari eilt hinaus in den Maschinenraum.
Das Wasser kräuselt sich und ein paar Sekunden später ist der Blick durch die Fenster wieder klar. »Sie sind weg, Oscar!«
»Nicht ganz, meine Liebe. Sie sind nun im Wasser und beobachten uns. Sie bleiben im Verborgenen, aber sind noch da – wie Sie sehen werden.«
Das Wasser scheint zu erzittern. Die Impulse kommen von einem Punkt, von dem aus die Wellen in alle Richtungen gesendet werden. Und dann sind die Bots wieder da und schaukeln in der unruhigen Strömung. Ich keuche.
Das Wasser ist erfüllt von einer ganzen Armee kleiner transparenter mechanischer Apparate. Jeder einzelne nicht größer als die Hand eines Erwachsenen. Das Herzstück jedes Geräts ist ein etwa faustgroßes Technologiepaket. Die Bots schwirren wie verrückt um das U-Boot herum, sie schießen hin und her, tauchen hoch und runter, in dem verzweifelten Versuch, dem Schiff Schaden zuzufügen. Der Alarm hält weiterhin an.
Laserstrahlen blitzen auf, die Kabul greift die Bots an. Die Bots wackeln und drehen sich wild in den Wellen. Einige fallen aus, aber es bleiben noch zu viele übrig. Sie formieren sich neu und kommen wieder auf das U-Boot zu.
»Die Sauerstoffwerte an Bord sind beeinträchtigt, meine Liebe. Die Bots müssen zerstört werden, damit die Verbindung, die sie zu den Geräten der Kabul aufgebaut haben, getrennt wird.«
»Schalte sie aus, Oscar.« Ich stehe still und halte den Atem an.
Ich beobachte, wie unser Schiff eine Salve von Schüssen loslässt, die zwischen den Bots explodieren. Bei der Explosion bildet sich eine dunkle, trübe Substanz. Sobald sie mit den Bots in Berührung kommt, löst sich ihre geleeartige Hülle auf und der technische Kern wird zerstört. Die Bots wirbeln herum. Kleine Drähte ragen aus ihnen heraus. Einer nach dem anderen wird funktionsunfähig.
Schließlich ist das Wasser wieder klar und der Alarm verstummt.
Ich schlinge die Arme um meinen Oberkörper. »Oscar, überprüfe den Sauerstoffwert des U-Boots.«
»Alles in Ordnung«, sagt Ari, der gerade aus dem Maschinenraum zurückkommt und sich schnell wieder an das Bedienfeld stellt. »Die Verbindung ist nicht lange genug aufrechterhalten worden, um bleibende Schäden zu verursachen.«
Puh. Die Kabul pflügt weiter durchs Wasser.
»Oscar, wie weit ist es noch?«
»Etwa eine Seemeile, bis wir unser Ziel erreicht haben, meine Liebe.«
Je näher wir herankommen, umso mehr Hindernisse versperren uns den Weg.
Bots, getarnt als ein Fischschwarm, greifen uns plötzlich an und bespritzen das Sichtfenster mit einer öligen Flüssigkeit. Es dauert eine Weile, bevor sich die Fenster der Kabul selbst gereinigt haben. Weitere Drohnen tauchen auf. Sie setzen eine Substanz frei, die das umliegende Wasser trüb und undurchsichtig werden lässt.
»Wärmebildkamera, Oscar! Und erledige die Drohnen!«, rufe ich. »Und immer weiterfahren. Wie weit noch?«
»Eine halbe Seemeile, bis wir beim Gefängnis sind, meine Liebe.«
Eine halbe Seemeile. Und der nächstgelegene Militärstützpunkt ist über 50 Seemeilen entfernt. Selbst wenn die Gefängnisleitung jetzt einen Ausbruchsversuch vermutet und zu dem Schluss kommt, dass ihre eigenen Sicherheitsvorkehrungen nicht ausreichen, müssten wir genug Zeit haben, unseren Plan durchzuziehen und abzuhauen, bevor Verstärkung eintrifft. Eine halbe Seemeile und dann kann Ari in das Tauchboot steigen und meinen Vater dort herausholen.
Wenn alles gut geht.
Aus dem Nichts tauchen riesige mechanische Geräte auf. Fast so groß wie kleine Tauchboote, versuchen sie, mithilfe von Wellengeneratoren unser Schiff aufzuhalten. Mir dreht sich der Magen um. Die Kabul schwankt und wackelt, aber arbeitet sich weiter durch das turbulente Wasser voran.
Ari wirft einen Blick auf die Dateien, die vor dem Sichtfenster schweben. »Wir haben die Hälfte ihrer Abwehrmaßnahmen hinter uns.«
Ich schüttle den Kopf, während ich auf den Bildschirm tippe und den Status von Motor, Schraube und Feuerkraft überprüfe, nur um sicherzugehen. Werden wir es schaffen?
»Eine viertel Seemeile noch, meine Liebe«, verkündet Oscar.
»Gut, sorge einfach dafür, dass wir weiterfahren, Oscar.«
Ich laufe vor dem Sichtfenster auf und ab. Was geht im Gefängnis vor sich? Hat Bias Insider schon für die Ablenkung gesorgt? Sie schien ziemlich zuversichtlich zu sein, dass es ihrem Kontakt gelingen würde. Bei ihren vorherigen Versuchen haben sie erst einen schweren Gebäudeschaden und danach einen technischen Totalausfall vorgetäuscht. Keine der beiden Aktionen hat für eine ausreichende Ablenkung gesorgt und wäre auch nicht noch einmal infrage gekommen. Bias Leute müssen jetzt zuerst die vielen Sicherheitsvorkehrungen überwinden.
Für dieses Mal habe ich einen ausgewachsenen Aufstand vorgeschlagen. Es muss im Inneren so chaotisch wie möglich zugehen.
Das Wasser vor uns sieht klar aus – im Moment. Das Fahrzeug schiebt sich durch die Strömung, die immer unruhiger wird. Und dann verdunkelt sich das Meer.
Sie sind ganz plötzlich in der Ferne aufgetaucht und rücken nun drohend näher. Eine Gruppe von riesigen Walen. Dann sinken seltsame Quallen von oben herab und steigen zugleich aus der Tiefe empor. Ich schreie auf und kneife die Augen zusammen. Die Kreaturen verhalten sich vollkommen regungslos. Ihre Tentakel und Schirme pulsieren, ihr klinisch weißes Licht erhellt das Wasser.
Ari kommt zum Sichtfenster geeilt. »Bots.«
»Woher weißt du das?«
»Ich bin schon mein ganzes Leben lang vielen getarnten Bots begegnet. Diese Dinger hier sind nie lebendig gewesen.«
Ich verziehe das Gesicht. Die Schatten im Hintergrund werden größer, als die »Wale« noch näher kommen. Die »Quallen« schweben jetzt direkt vor uns.
Ich schüttle den Kopf. Es gibt so vieles, was ich gar nicht gewusst habe in meinem sicheren Leben in London.
»Ähm, Oscar? Ich glaube, wir müssen uns beeilen.« Ich wische meine Handflächen trocken, während ich meinen Blick auf die Besucher gerichtet halte. »Sie sehen nicht gerade freundlich aus.«
Die »Wale« stellen sich als riesige dunkle Tauchboote heraus, die bis ins kleinste Detail so gestaltet sind, dass sie den Tieren ähneln. Ein schmaler Schlitz am Bug der Schiffe, genau dort, wo das Maul eines Wals sitzen würde, ist ihr Sichtfenster. Sie eröffnen das Feuer auf uns, goldgelb flimmernde Kugeln rasen durch das Wasser direkt auf uns zu. Die »Quallen« kommen jetzt noch näher. Das Feuer der Kabul trifft frontal auf das ihre und die zerstörerischen Kräfte explodieren, als sie aufeinanderprallen.
Wohin ich auch schaue, flackert und lodert die Strömung leuchtend hell, Rauch und Funken wirbeln in alle Richtungen, bevor sie vom Wasser erstickt werden. Das U-Boot erzittert.
»Oscar!«, schreit Ari. »Spreng sie weg!«
»Ich habe den Schutzschild aktiviert, Sir. Die Bots wollen in unsere Systeme eindringen und sie sind ziemlich hartnäckige Tracker. Der Schild sollte ausreichen, um sie uns vom Leib zu halten.«
Das Wasser kräuselt sich, als der digitale Schutzschild der Kabul hochfährt. Die Quallen schwimmen um das Fahrzeug herum und versuchen mit aller Kraft, einen Weg durch die Abwehr zu finden. Die walähnlichen U-Boote rücken näher. Und näher. Das Feuer der Kabul kontert weiterhin ihren Angriff. Das Wasser rund um das Sichtfenster leuchtet grell auf, als die Sprengkörper erneut aufeinanderprallen.
Zum Glück hat Theo die Verteidigungssysteme des Schiffs aufgerüstet!
Ich schnappe nach Luft, als mir weitere Bewegungen ins Auge fallen. »Da sind noch mehr!« Das U-Boot steht nun von zwei Seiten unter Beschuss. Die Kabul schlingert. Der Alarm ertönt. Ich schreie auf und stolpere zurück.
Alles, woran ich denken kann, ist, dass wir in einen tiefen Abgrund sinken werden und dass jede verfluchte Kreatur, vor der wir jemals gewarnt worden sind, aus den dunklen Tiefen hervorkommen wird, um sich an uns zu weiden.
Oscar flackert. »Ich bringe bedauerliche Kunde, meine Liebe. Wir sind in der Unterzahl. Die Kabul wird diesem Angriff nicht standhalten.«
Nein! Papa. Ich raffe mich auf. »Reiß dich zusammen, Oscar!«, schreie ich. »Wir müssen um unser Schiff kämpfen, verflucht noch mal!«
Noch ein Alarm. Das Schiff kippt abrupt nach vorn. Ari wird gegen das Fenster geschleudert. Jojos Bliss-Pod rutscht über den Boden.
Ari hält sich den Kopf und ringt nach Luft. Das U-Boot erbebt wieder.
»Los, geh!«, schreit Ari in meine Richtung. »Greif dir Jojo und verschwinde. Sie sind abgelenkt. Du kannst überleben, wenn du das Tauchboot nimmst. Raus hier!«
Ich zittere am ganzen Körper. Schwankend taumle ich zum Hauptbedienfeld. »Nein, lass uns probieren, hochzutauchen und –« Draußen hat etwas meine Aufmerksamkeit erregt und ich wende mich um. Kleine runde Fahrzeuge steigen aus der Tiefe empor und steuern auf das Chaos zu. Ich blinzle – sie kommen mir bekannt vor.
»Ari!«, rufe ich, gerade als die Kabul wieder wackelt. Ich halte mich an einem Schrankgriff fest, um nicht zu fallen. »Schau mal!«
Die kompakten Tauchboote eröffnen das Feuer auf die großen walähnlichen Schiffe. Sie bekämpfen sich gegenseitig.
»Oh mein Gott! Das sind die Schiffe aus Cambridge! Es sind Bias Leute!«
Ari rennt ebenfalls zum Hauptbedienfeld. Wir arbeiten beide an den Tragflügeln und der Schraube, um die Kabul wieder zu stabilisieren, während die Neuankömmlinge die Gefängnisfahrzeuge ablenken. Schließlich ist unser U-Boot wieder im Lot und das gefährliche Schwanken und der Alarm hören auf.
»Oscar!« Ari winkt ihn herbei.
Der Navigator erscheint. »Bitte nehmen Sie meine aufrichtige und demütige Entsch–«
»Etwas zurückfahren!«, schreit Ari ihm zu. »Wir sind direkt im Schussfeld! Alle Verteidigungssysteme hochfahren und mit allem angreifen, was wir haben!«
Das U-Boot dreht bei. Auf einmal herrscht überall Chaos. Die Strömung wird immer stärker und die Sicht ist eingeschränkt. Ich starre hinaus. Noch mehr Schiffe haben sich dem Kampf angeschlossen. Und es ist die Hölle.
Das Wasser ist voll von Drohnen, Tauchbooten und Robotern aller Art – viele von ihnen sind getarnt als Meerestiere. Die »Wale« feuern Raketen in alle Richtungen und die »Quallen« setzen sich an den Schiffen fest. Wohin ich auch schaue, flammen Laser auf. Die bemannten Tauchboote des Gefängnisses haben alle dieselbe raketenartige Form. Bias Leute sitzen in den kompakten runden U-Booten, die ich schon in Cambridge gesehen habe.
Ich kann meinen Blick kaum von der Szene abwenden. Es scheint so unwirklich. Wie diese Computerspiele, die in der Alten Welt so beliebt gewesen sind. Werden wir das überleben? Wir müssen einfach.
Das Signal für eine Kommunikationsanfrage ertönt. Während Ari und Oscar Ziele auswählen, nehme ich die Anfrage an. Es ist Charlie. Ich drehe die Lautstärke hoch und höre ihm zu, wobei ich einen Rundumscan unserer Umgebung durchführe.
»Bia wird dich umbringen!«, schreit er mir aus seinem U-Boot zu. »Du hast sie in eine sehr schwierige Lage gebracht. Wir sind noch nie so nah dran gewesen wie jetzt – weil ihr mit eurem U-Boot die meisten Feinde aus dem Weg geräumt habt –, aber es ist immer noch eine unmögliche Aufgabe. Du wirst da nicht lebend wieder rauskommen!«
»Ich gehe nicht ohne meinen Vater! Weißt du, ob die Tür schon offen ist?«
»Es wird nicht klappen, Leyla – nicht heute! Keiner kann da durchdringen. Auch dein Freund sollte es nicht versuchen. Es ist eine tödliche Falle! Sie spüren alles auf, hängen sich an alles, was sie finden können, und sprengen dich in tausend Stücke! Wir werden es noch einmal probieren, versprochen. Um Neptuns willen, verschwindet jetzt, verdammt noch mal, von hier!«
Er ist weg. Was? Nein, nein, nein. Mein Vater ist hier. Jetzt. Direkt unter uns. Vielleicht hält er es nicht mehr durch bis zu einem nächsten Mal! Und dann werden die vom Gefängnis auch noch besser vorbereitet sein. Ich bin nicht den ganzen Weg gekommen, um jetzt ohne ihn zu gehen! Nach alldem darf es nicht so enden. Das kann einfach nicht sein. Mein Herz sitzt in meinem Hals fest und meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich schnappe nach Luft.
Ich sehe Ari an; er ist damit beschäftigt, sowohl Angriff als auch Verteidigung zu überwachen. Charlies Worte klingen in meinem Kopf nach. Auch dein Freund sollte es nicht versuchen. Es ist eine tödliche Falle!
Es muss einen anderen Weg geben … Es muss einfach!
Denk nach, verdammt. Ich schaue nach draußen. Überall Tod und Zerstörung.
Mein wie rasend pochendes Herz setzt einen Schlag aus, als mir eine schreckliche und rücksichtslose Idee kommt. Eine unbekannte, wilde Welle, die ein wenig Hoffnung mit sich trägt. Eine solche Gelegenheit werde ich nie wieder erhalten. Da bin ich mir sicher.
Doch es ist das Unbekannte … Es ist alles falsch und schrecklich. Ich kann es nicht tun. Ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht.
Aber ich bin endlich so nah dran. Werde ich jetzt wirklich die Angst das Ruder übernehmen lassen? Meine Hände zittern und ich halte sie fest. Die Zeit läuft mir davon.
Ich räuspere mich und zwinge mich zu sprechen. »Bin nur … nur schnell was im Maschinenraum überprüfen!«, rufe ich.
Ari bemerkt es kaum, so beschäftigt ist er damit, zusammen mit Oscar die beste Lösung für eine Gruppe fischartiger Bots zu finden, die den Bug der Kabul umkreisen.
Ich springe schnell auf, blicke noch einmal über die Schulter und greife auf meinem Weg hinaus nach einer kleinen Tasche. Mein Herz klopft, als ich in Richtung Moonpool renne.