Hamilton Pferderanch,
Baker Prairie, Oregon,
18. Oktober 1851
»Grundgütiger, der sieht aus wie mein jüngster Bruder, als er sich zum ersten Mal rasiert hat.« Nora deutete auf den allerersten Stamm, den sie entrindet hatte. »Legen wir ihn ganz nach unten, wo ihn niemand sehen kann.«
Der Rundbalken war leicht von den anderen zu unterscheiden, deren Rinde Nora anschließend entfernt hatte. Die Oberfläche war uneben und wies kleine Kerben auf, während alle übrigen völlig glatt waren.
Luke hatte recht gehabt – Nora war schnell besser als Luke im Entrinden geworden. Zuletzt war die Rinde in langen, gleichmäßigen Stücken zu Boden gefallen. Nora hatte sich in einer eleganten Bewegung hin- und hergewiegt, während sie das Zugmesser zu sich heran zog, wie ein Ruderer, den Luke einmal auf einem Fluss beobachtet hatte.
»Nein«, sagte Luke. »Die Stämme, die nach unten kommen, müssen die dicksten, geradesten Bäume sein und ich habe sie bereits auf einer Seite abgeflacht. Außerdem hätte ich den hier gern dort, wo ich ihn jederzeit sehen kann.« Sie tätschelte das Holz, das Nora mit dem Zugmesser verunstaltet hatte. »Nur für den Fall, dass ich jemals unser Versprechen vergesse, alle Aufgaben gleichberechtigt zu verteilen.«
Sie lächelten einander an und hoben dann, ohne ein weiteres Wort zu wechseln, den untersten Balken auf die flachen Steine, die das Fundament der Blockhütte bildeten.
Nora stöhnte unter seinem Gewicht leise auf, doch ihre Arme zitterten nicht.
Luke war unglaublich froh, dass sie sich für Zedernholz entschieden hatte, weil es leichter war als einige der anderen Holzarten. Sie würden eine Menge Stämme heben müssen, bevor die Hütte fertig war.
Als die beiden Balken an den Längsseiten angebracht waren, hoben sie einen Stamm an einer der kürzeren Seiten der Hütte an und legten ihn auf die Enden der unteren Hölzer.
»Wie verbinden wir die Stämme?«, fragte Nora. »Mit Nägeln?«
»Nein. Nägel sind zu teuer. Ich habe gerade genug gekauft, um das Dach zu decken. Wir werden die Wandbalken an den Ecken mit Kerben verbinden.« Luke maß aus, wo die erste Kerbe hinkommen sollte, markierte die Stelle mit ihrem Messer und schlug dann mit der Axt eine große, halbrunde Vertiefung. Vor einigen Jahren hatte sie beim Bau einer neuen Baracke in Fort Leavenworth geholfen, doch es war schwieriger, als sie es in Erinnerung hatte.
Es schien ewig zu dauern, bis die Kerbe genau auf die Rundung des darunterliegenden Stammes passte. Mindestens ein Dutzend Mal mussten sie den oberen Rundbalken wieder hochheben und umdrehen, damit sie noch etwas mehr Holz wegnehmen konnte. Dann probierten sie erneut, ob es jetzt passte.
Für die Kerbe am anderen Ende benötigten sie fast genauso lange. Als sie den Stamm schließlich an seinen Platz rollten, waren die Vertiefungen ein wenig grob und unregelmäßig. »Mist«, murmelte Luke.
Nora legte ihre Hand sanft auf Lukes Finger, die die Axt umklammerten. »Es ist doch trotzdem stabil, oder?«
Mit der freien Hand rüttelte Luke am oberen Balken. Er rührte sich nicht vom Fleck. »Ja. Der wird halten. Aber schön ist es nicht gerade.«
»Na und? Es wird unserer Hütte Charakter verleihen, genau wie der Stamm, den ich massakriert habe.«
Luke betrachtete die ungleichmäßigen Kerben, dann Noras verunstalteten Stamm. Vielleicht hatte Nora recht. Außerdem würde sie hoffentlich gelernt haben, perfekte Kerben zu schlagen, ehe sie zu den Balken auf Augenhöhe kamen.
Mit einem entschlossenen Nicken wandte sie sich dem nächsten Baumstamm zu. Nachdem sie ihn in Position gehievt hatten, hob sie die Axt an, hielt dann aber inne. Sie hatte versprochen, die Arbeit untereinander aufzuteilen, doch jetzt schaute Nora bloß zu und hielt den Stamm fest. Sollte sie …? Sie nagte an ihrer Lippe. Die Axt war frisch geschliffen und scharf. Wenn Nora abrutschte …
Aber Nora hatte gesagt, sie wolle lernen, eine Hütte zu bauen, und das konnte sie nicht, solange Luke sie nie etwas tun ließ.
Himmel, das war unglaublich schwer. Zögernd hielt sie Nora die Axt hin. »Willst du es versuchen?«
Nora schluckte deutlich hörbar. »Äh, gern.« Ihre Stimme klang piepsig, aber sie umklammerte die Axt mit entschlossenem Griff.
»Geh ein bisschen zurück. Wenn du daneben schlägst, willst du nicht dein Bein treffen. Stell die Füße schulterbreit auseinander und halte die Axt so.« Luke schob Noras Hände in die richtige Position. »Jetzt beugst du leicht die Knie und schwingst die Axt nach unten. Oh, und vermeide es möglichst, irgendwelche Aststümpfe zu treffen.«
Nora befolgte ihre Anweisungen. Die Axt traf mit einem dumpfen Geräusch auf den Stamm. Es war kein sonderlich kräftiger Schlag gewesen, aber zumindest hatte sie sich dabei nicht gefährdet. Ihr zweiter Schlag traf nicht dieselbe Stelle. Der dritte auch nicht. Anstatt die Kerbe zu vertiefen, entfernte er ein kleines Stück Holz an einer anderen Stelle. »Meine Güte, es ist schwer, die Axt zu kontrollieren.«
Luke versuchte, geduldig zuzusehen, anstatt ihr das Werkzeug aus der Hand zu nehmen. Vertrau ihr. Genau wie mit dem Zugmesser würde Nora bald besser mit der Axt umgehen können, wenn sie ihr etwas Zeit ließ.
Das Baby begann in der Wiege zu weinen.
»Mama!«, rief Amy, die daneben saß und eine Blockhütte aus Stöcken baute – oder, wie Luke sie kannte, vielleicht eher einen Pferdestall.
Bildete Luke sich das nur ein oder wirkte Nora tatsächlich erleichtert, als sie zu Nattie eilte, um nach ihr zu sehen? Luke war versucht, die Kerbe fertigzustellen, während Nora das Baby stillte. Stattdessen ging sie zur Quelle, um die Feldflasche aufzufüllen.
Als Nora zurückkam, hatte sie zwei von Lukes Werkzeugen dabei: einen gebogenen Meißel und einen Holzhammer.
Luke warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Als ich Nattie eben zurück in die Wiege gelegt habe, fiel mir wieder ein, dass du Hammer und Meißel benutzt hast, um den Stamm für die Wiege auszuhöhlen. Ich dachte, vielleicht könnten wir sie auch für die Kerben verwenden.«
Warum war sie nicht selbst auf diese Idee gekommen? »Ja, ich glaube schon. Versuch es.«
Nora setzte den Meißel am Holz an und versetzte seinem Ende einen sanften Schlag mit dem Hammer. Dann schlug sie erneut zu, diesmal fester.
Holzspäne flogen und dieses Mal war das fehlende Stück an der richtigen Stelle.
Luke nickte. Das schien für Nora die bessere Methode zu sein, auch wenn es länger dauerte als mit der Axt.
Nora holte zu einem weiteren Schlag aus und sah dann mit einem breiten Grinsen auf. »Weißt du, nur weil wir die gleiche Arbeit machen, heißt das nicht, dass wir sie auch auf die gleiche Weise erledigen müssen.«
»Stimmt.« Eine Welle der Bewunderung und Liebe durchflutete Luke. Sie beugte sich über den Stamm und küsste Nora. »Ich habe eine noch bessere Idee. Ich nehme das meiste Holz mit der Axt weg und dann machst du die Feinarbeit und formst die Kontur der Kerbe mit dem Meißel.«
»Oh, das könnte klappen. Wart’s nur ab. Bis wir mit der Hütte fertig sind, werden wir so gut sein, dass wir als Schreiner anheuern könnten!« Nora lachte. Es war ein unbeschwerter Laut, der Schwielen, Muskelkater und den nahenden Winter Lügen strafte.
In Lukes Ohren war dieser Klang lieblicher als der eines perfekt gestimmten Klaviers. »Ach, ich weiß nicht so recht. Ich kümmere mich lieber um Pferde als um Mauern.«
»Um Pferde und um Kinder«, fügte Nora hinzu.
Luke sah zu den beiden Mädchen. »Ja, das auch.« Sie verweilte noch einen Moment und gab Nora einen Kuss auf den Mundwinkel, dann griff sie erneut zur Axt. Sie hatten eine Hütte zu bauen.