Hamilton Pferderanch,
Baker Prairie, Oregon,
25. Oktober 1851
Ihre Blockhütte sah langsam wie ein richtiges Haus aus und nicht nur wie ein Haufen Mauern, die mitten in der Prärie aufragten.
Nora rieb sich mit beiden Händen den schmerzenden Rücken, während sie ihre Arbeit begutachtete.
Wie Luke gesagt hatte, war die Hütte einfach und klein. Sie maß höchstens fünf auf vier Meter, aber Nora fand sie wunderschön.
Nach und nach hatten sie dazugelernt und waren mit jedem Stamm schneller und besser geworden. Die Kerben der oberen Rundbalken, die sie mit Seilen und einer Rampe hochgezogen hatten, waren die reinsten Kunstwerke. Sie passten so perfekt auf die darunterliegenden Stämme, dass kaum eine Lücke dazwischen zurückgeblieben war.
Sie hatten einen ganzen Tag damit verbracht, die Öffnungen für die Tür, zwei Fenster und den Kamin aus den Wänden zu sägen. Das Anfertigen der Tür und Fensterläden musste warten. Luke hatte gesagt, sie werde später alle Zeit der Welt haben, um den Kamin zu bauen und eine Zeder in Bretter für die Tür und die Fensterrahmen zu spalten, aber im Moment war das Dach einfach wichtiger.
Luke hatte sich nicht einmal die Zeit nehmen wollen, die Trennwand einzubauen, die ihre Hütte in zwei winzige Räume unterteilen würde. Nora hatte sie dazu überredet, weil sie wusste, dass Luke sich ohne ein wenig Privatsphäre in ihrem Haus nicht wohlfühlen würde. Deshalb war es Nora der zusätzlichen Arbeit wert, selbst wenn es sie einen ganzen Tag kostete.
Die ganze Zeit über behielt Luke mit gerunzelter Stirn den Himmel im Auge.
Bisher hatten sie Glück gehabt. Vormittags lag meist Nebel über dem Tal, der bis zum Mittag anhielt, doch es hatte keinen nennenswerten Regen gegeben.
Aber nun, da der Oktober sich dem Ende neigte, konnte sich das jeden Moment ändern – und es war an Nora, dafür zu sorgen, dass Luke sich in ihrem Wettlauf gegen die Zeit nicht zu Tode schuftete.
Sie winkte Luke zu. Diese saß rittlings hoch oben auf der Mauer und schwang die Axt, um den letzten Teil der Giebel-Enden anzubringen. »Luke! Essen!«
Luke hielt kaum inne. Immer wieder schlug sie mit der Axt auf dieselbe Stelle, bis eine perfekt geformte Kerbe entstand. »Lass mich das noch schnell zu Ende –«
»Nein, Luke. Du brauchst eine Pause. Jetzt.«
Seufzend schwang Luke die Axt ein letztes Mal, sodass sie in dem überhängenden Ende eines Stammes stecken blieb, und kletterte dann herunter.
Amy lief auf sie zu und brachte ihr eine Feldflasche mit Wasser.
»Danke, Schatz.« Luke zerzauste die Locken des Mädchens, bevor sie mehrere große Schlucke nahm. Sie ließ sich neben dem Feuer nieder und streckte ihre Füße mit den abgewetzten Stiefeln von sich. In Windeseile verschlang sie den Reis, den Speck und die Bohnen, die Nora auf ihren Blechteller häufte, ohne sich darüber zu beschweren, dass sie jeden Tag das Gleiche essen musste.
Nora nahm sich vor, Luke aus getrockneten Apfelringen einen Kuchen zu backen, sobald der Schornstein und der Kamin fertig waren. Aber zuerst mussten sie das Dach und die Hütte fertigstellen. »Was kann ich tun, um dir zu helfen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich auf die Wände klettern kann, aber wenn es sonst etwas gibt …«
»Ja, gibt es – falls es dir nichts ausmacht, dir die Hände schmutzig zu machen.«
»Du weißt, dass mir das nichts ausmacht.« Nora hielt ihre Hände in die Höhe. Asche vom Feuer klebte an ihren schwieligen Handflächen. »Was soll ich tun?«
»Du kannst mit dem Verfugen anfangen, während ich mich um das Dach kümmere.«
»Ähm …« Nora hatte keine Ahnung, was das bedeutete.
Grinsend holte Luke zwei Eimer und einen Spaten aus dem Wagen. »Ich zeige es euch. Komm mit, Amy. Du kannst auch helfen.«
Amy sprang auf und rannte hinter ihr her, als hätte Luke gesagt, sie würden in den Zirkus gehen, um sich die Elefanten anzusehen. Sie hüpfte den ganzen Weg zum Bach, der um den Fuß eines Hügels herumfloss.
Luke reichte ihr einen der Eimer. »Amy, du sammelst kleine Steine, Holzstücke und Baumrinde. Nimm auch etwas Moos.«
Eifrig nickte Amy und begann, Steine und Moos in ihren Eimer zu werfen.
Luke stach den Spaten in den Boden und füllte den zweiten Eimer zur Hälfte mit dem roten Lehm, den es in der Nähe des Baches gab. Dann fügte sie eine Schaufel Sand und ein wenig Wasser hinzu. Auf dem Rückweg zur Hütte sammelte sie Zedernrinde und etwas getrockneten Kuhdung und warf beides ebenfalls in den Eimer.
Nora folgte ihr. Sie wusste noch immer nicht, was sie mit dieser merkwürdigen Mischung anfangen würden.
Es dauerte nicht lange, bis Amy angerannt kam und dabei mehrere Steine und Holzstücke aus ihrem Eimer verlor.
Nora tat, als würde sie es nicht bemerken. »Gut gemacht, Süße. Du bist bestimmt die beste Holz- und Steinesammlerin in ganz Oregon.«
Amys Brust schwellte vor Stolz.
Lächelnd nahm Nora einen Stein aus Amys Eimer. »Was machen wir nun damit?«
»Du stopfst Steine und Holzstücke in die Lücken zwischen den Stämmen und schmierst dann das Lehmgemisch in die Fugen, um die Hütte gegen Ungeziefer, Wind und Regen abzudichten.« Luke zeigte es ihnen und schob flache Steine und Holzplatten zwischen die beiden untersten Balken.
Amy half eifrig, stopfte die Steine aber nicht fest genug in die Lücken.
Nora wusste, dass sie später, wenn Amy gerade nicht hinsah, an einigen Stellen nachbessern musste. Aber das machte Amy wieder wett, indem sie mit ihren kleinen Händen selbst die schmalsten Lücken erreichen konnte.
Als keinerlei Steine und Holzstücke mehr in die Spalte passten, drückten sie Moos in die verbleibenden Zwischenräume.
»Jetzt fügen wir die Lehmfüllung als äußere Schicht hinzu, um sämtliche Fugen zu versiegeln.« Luke nickte auf ihren Eimer hinab. »Aber zuerst müssen wir alles richtig gut durchmischen.«
Nora starrte auf das klebrige Zeug in Lukes Eimer. Ganz oben befand sich der getrocknete Kuhmist.
»Was ist?« Lachend stupste Luke sie an. »Die Fasern im Kuhmist sorgen dafür, dass der Lehm besser zusammenhält. Und er macht eine schöne Haut – obwohl deine natürlich schon schön genug ist.«
»Lügner.« Früher war Nora stolz auf ihre weiche, makellose Haut gewesen, doch jetzt war sie genauso stolz auf jede einzelne Schwiele. Sie fuhr mit der Hand über Lukes Unterarm, um sie ihre Hornhaut spüren zu lassen, was sofort einen wohligen Schauder auslöste. Dann krempelte sie die Ärmel ihres Kleides hoch und steckte ihre Hände in den Eimer.
Luke tat es ihr gleich, und gemeinsam kneteten und mischten sie Lehm, Sand und Pflanzenfasern.
Immer wieder kamen ihre Finger im Eimer in Kontakt und der feuchte Lehm machte jede Berührung zu einer sinnlichen Erfahrung. Schnell streiften sich ihre Finger nicht mehr nur zufällig.
In der vergangenen Woche war das bei ihrer gemeinsamen Arbeit ziemlich oft passiert. Immer wenn sie Luke ein Werkzeug reichte oder sie gemeinsam ein ausgeschnittenes Stück Holz aus der Wand hoben, berührten sich ihre Hände und verweilten aneinander. Luke hatte ihr oft eine Hand auf den Rücken gelegt, während sie anhand eines Steins, der an einer Schnur baumelte, kontrollierten, ob Tür- und Fensteröffnungen gerade waren. Beim Essen lehnte sich Nora häufig an Lukes Schulter.
Früher hatte Nora solche kleinen, liebevollen Berührungen nicht gekannt. In ihrer Familie hatte es so etwas nicht gegeben. Einige ihrer Kunden hatten sie auf sanfte Weise berührt, aber immer nur im Rahmen des Geschlechtsakts, nie aus Liebe, ohne Hintergedanken.
Vielleicht war das der Grund, warum sie diese kleinen Zuneigungsbekundungen jetzt aufsaugte wie ein trockener Schwamm. Sie konnte nur mit Mühe ein wohliges Seufzen zurückhalten, als Luke mit dem Daumen winzige Kreise auf ihrer lehmverschmierten Handfläche beschrieb.
Tief sahen sie einander in die Augen.
»Mama! Papa!« Amy stand neben ihrem Eimer, beide Hände in die Hüften gestemmt. »Nicht trödeln!«
Nora lachte los, als sie die Worte hörte, die sie auf der Reise nach Westen oft zu ihrer Tochter gesagt hatte.
Eine tiefe Röte überzog Lukes Haut vom obersten Hemdknopf bis hinauf zum Haaransatz. Schnell ließ sie Noras Hände los, knetete etwas Lehmmischung zu einer langen Rolle und drückte sie in die verbleibende Spalte zwischen den Rundbalken. Dann strich sie eine weitere Handvoll Dichtungsmaterial über die Fuge und versiegelte sie. »Gut. Ich sollte mich jetzt lieber wieder ums Dach kümmern.« Sie ging zum Bach, vermutlich um sich die Hände zu waschen – oder um sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen.
»Nimm eine Feldflasche mit, damit du da oben nicht überhitzt«, rief Nora ihr nach.
Luke murmelte etwas, was klang wie: »Hier unten ist die Gefahr größer, dass das passiert.«
Nora unterdrückte ein Grinsen und machte sich daran, die Fugen abzudichten.