»Oh, verdammte Hacke …« Dieser gezischte Fluch kam von Callan. Der pechschwarze Riese trug ein langes Seil bei sich und stand in einer Tür, die früher wohl ebenfalls in diesen Raum geführt hatte. Er starrte zu Cey auf dem Vorsprung, in die Tiefe und wieder zurück.
Nikara trat neben ihn, sah ebenfalls zu Cey, sagte jedoch kein einziges Wort. Auch nicht, als sie nun kurzerhand ihr Schwert zurück in die Scheide an ihrem Gürtel schob und in die Grube sprang. Geschickt rollte sie sich über den harten Untergrund ab, um sich nicht zu verletzen.
»Aber was … wer … wie …?« Nathan blickte von der toten J’ajal in seinen Armen auf und der Schmerz in seinen Augen war für Cey kaum zu ertragen.
Sie kauerte sich neben ihren bewusstlosen Bruder, dem Lee mit gerunzelter Stirn eine Hand auf die Brust gelegt hatte, während er gleichzeitig Sahims Puls fühlte. Die Würgemale am Hals ihres Bruders sahen furchtbar aus und Cey konnte auch allerlei andere Verletzungen erkennen. Für eine einzelne Sekunde hielt der Seday-Arzt in seinem Tun inne, um Cey knapp zu mustern, seine Priorität war aber klar auf seinen Patienten statt auf irgendwelche Fragen gerichtet.
»Zachriel als Klon von Astan. Ein Klon von Landon. Und jetzt einer von dir«, murmelte Jay und rieb sich über die Stirn.
»Wir sagen Kopie. Oder Spiegelbild«, verbesserte Esclados automatisch, die Augen weit aufgerissen, als hätte er vielleicht schon eine Vermutung gehabt, wäre sich aber nicht ganz sicher gewesen. Mit einem Schlag verschwanden sämtliche Cey-Präsenzen in ihrer Umgebung.
»Ich war noch nie so froh, einen enthaupteten Kerl zu sehen«, verkündete Six und stieß mit dem Fuß prüfend gegen Zachriels Torso, als befürchtete er, dieser könnte sich doch wieder erheben.
»Unglaublich.« Landons Aufmerksamkeit galt eindeutig Jay oder wohl eher dem, was dieser zuvor gesagt hatte. »Klone? Ein Klon von mir? Das erklärt einige seltsame Begebenheiten in der Academy in der letzten Zeit!«
»Spiegelbild«, korrigierte Esclados erneut, bevor er es kopfschüttelnd aufgab.
»Und wer von euch war … ist denn die Richtige?« In Eights Stimme schwang etwas mit, das Cey nicht deuten konnte.
Sie sah in die Runde und meinte plötzlich in allen Mienen Kritik und stumme Vorwürfe zu lesen. Weil sie niemanden eingeweiht hatte. Weil sie nicht verhindert hatte, dass die andere starb. Ihr wurde entsetzlich kalt. Bis ein warmes, goldenes Licht in ihr aufflammte und eine Hand sich sanft auf ihre Schulter senkte.
»Die Einsatzbesprechung erfolgt später«, sagte Xyen in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Sein Daumen fuhr sachte Ceys Schlüsselbein entlang.
Er sandte seine Emotionen an sie aus und Cey wurde einmal mehr bewusst, wie sehr sie sich daran gewöhnt und wie sehr sie es vermisst hatte. Diese einmalige Mischung, die so typisch für Xyen war. Zuneigung. Optimismus. Stärke. Besorgnis, Wut und Trauer existierten ebenfalls, aber sie überschatteten nicht alles andere.
»Wir haben ein Problem!« Delta war hinter Callan und Nikara erschienen und er wirkte erschütterter, als Cey das von ihm kannte. Hastig erläuterte er, was in den letzten Minuten bei ihnen geschehen war. »Landon hat uns in einem Loch ganz ähnlich wie diesem entdeckt. Gleichzeitig sind Callan, Nathan und weitere Unterstützung aufgekreuzt. Sie haben einen alten Treppenaufgang der Metro-Station wieder freigelegt. Callan hat uns rausgeholfen, während die anderen sich aufgeteilt haben, um Zachriels Verbündete unschädlich zu machen. Es dürften inzwischen nicht mehr viele von ihnen übrig sein. Wir haben jedoch einen Raum mit Computerterminals gefunden. Offenbar hat Zachriel es irgendwie geschafft, sich Zugang zu einer streng geheimen und höchst innovativen Raketenbasis in der Nähe von El Salvador zu verschaffen. Und er hat eine dieser verfluchten Mistdinger gestartet.«
»Wie lange bis zum Einschlag?« Jays Blick, der kurz über Zachriels Leichnam glitt, bevor er sich auf Delta fokussierte, war mehr als unheilvoll.
»Two und Five sagen, weniger als zehn Minuten. Es gibt die Möglichkeit, einen Deaktivierungscode einzugeben, aber bislang hat keine Kombination funktioniert, die wir versucht haben.«
Warum Xyen gerade jetzt Zoe unglaublich intensiv betrachtete, verstand Cey nicht genau, aber sie stand sofort auf. »Ich will dieses Terminal sehen.« Sie marschierte in Richtung der betonglatten Wand. Als sie Nathan passierte, hielt sie kurz inne, bückte sich und streifte seine Hand. »Es tut mir leid«, flüsterte sie.
Sie wollte schon wieder weiter, aber Nathan hielt ihre Hand fest. »Ich komme mit!« Er schenkte ihr ein trauriges und gleichzeitig sehr entschlossenes Lächeln. Erst dann ließ er sie wieder los, bettete die andere Cey unendlich vorsichtig auf dem Boden und zupfte ihren Umhang zurecht, sodass dieser die schlimme Wunde in ihrer Brust verbarg.
Du bist nicht nur fünf Zentimeter größer gewesen als ich, sondern größer als wir alle!, dachte Cey und wandte schnell den Kopf ab, um nicht loszuheulen. Selbst nach seinem Tod sorgte Zachriel noch dafür, dass ihnen keinerlei Pause zum Durchatmen und Trauern blieb.
»Was?«, knurrte sie, als sie bemerkte, wie Landon fasziniert ihr Gesicht und ihre Hände begutachtete.
»Nichts. Du siehst lediglich sehr … sehr interessant -«
»Hoppla!«, unterbrach Esclados, der in diesem Moment gegen Landon stolperte und ihn damit fast zu Fall brachte. »Oje, ich glaube, mir ist schwindelig wegen diesen ganzen mentalen Anstrengungen.«
Das mochte durchaus stimmen, war aber gewiss nicht der Grund für Esclados Rempler gewesen. Cey musste lächeln, trat mit dem Absatz ihrer Schuhe bewusst auf eines dieser unzähligen, elenden Knicklichter und schnappte sich dann das Ende des Seils, das Callan bereits zu ihnen hinuntergelassen hatte.
Six, Eight, One und Lee blieben vorläufig bei Sahim, Three und Zoe zurück, während Nathan, Esclados, Xyen, Landon und Jay Cey folgten.
»Ich bleibe auch hier, falls doch noch jemand aus Zachriels Gefolgschaft aufkreuzt«, verkündete Callan mit grimmiger Miene. Ein paar Schweißtropfen glänzten auf seinem kahlen Schädel, sei es vom Halten des Seils oder aufgrund einer früheren Kraftanstrengung.
Dankbar nickte Cey ihm zu und Callan reichte Jay eine Pistole. »Hier. Für alle Fälle.«
»Dort drüben liegen noch mehr eurer Waffen.« Cey zeigte mit dem Daumen über den Abgrund und beschrieb Delta schnell den Weg durch Zachriels Schlafzimmer, damit er One und die anderen wieder angemessen ausgestatten konnte. »Und sieh bitte nach Nina!«, bat sie.
Anschließend eilten sie los, mit Nikara an der Spitze. Die Dunkelheit in den Augen ihres Freundes gefiel Cey überhaupt nicht, aber sie sprach ihn nicht darauf an. An ihrem Ziel trat Nine gerade aus der Tür und scheuchte dabei einen menschlichen Söldner vor sich her, welcher hier wohl auf Zuflucht oder Unterstützung von seinen Kumpanen gehofft hatte. Er hielt die Hände hinter seinem Kopf verschränkt und hatte sich somit offenkundig bereits ergeben.
»Das war nicht clever, dich mit uns anzulegen!«, sagte Nine, seine Pistole drohend auf den Söldner gerichtet.
Ein hartes Lächeln blitzte in Nikaras Miene auf und seine Krallen schoben sich unter seinen Fingernägeln hervor. »Meiner!«, bestimmte er, drängte sich zwischen Nine und den Menschen und knallte diesen mit dem Rücken brutal gegen eine Wand. »Ich … ich will ins Gefängnis«, stammelte der Söldner, der unangenehm roch, als hätte er sich in die Hose gemacht.
»Träum weiter«, schnurrte Esclados.
»Wir müssen ihn nach dem Deaktivierungscode befragen«, herrschte Landon Nikara an, der genüsslich eine seiner Krallen in den Arm des wimmernden Söldners bohrte, bis Blut aus der Wunde sickerte.
»Er wird den Code nicht kennen.« Xyen wollte wohl zunächst selbst etwas zu Nikara sagen, gab dann jedoch Jay ein Zeichen. Und dieser erklärte, ohne mit der Wimper zu zucken: »Du erinnerst dich, Nikara? Minus tausend Punkte für jeden Söldner oder Verlorenen, den du nicht innerhalb von fünf Sekunden zu töten vermagst. Dein Ruf wird unter Euresgleichen für immer ruiniert sein. Vier. Drei.«
»Du spielst dieses Spiel überhaupt nicht mit und bestimmst auch keine scheiß Punkte«, zischte Nikara und bohrte die restlichen Krallen seiner Hand in den Arm des Mannes. Der Kerl stöhnte gequält auf und rief dann sogar nach der Polizei. Welche Ironie.
»Zwei«, zählte Jay derweil ungerührt weiter. »Eins.«
Nikara zischte erneut, doch noch bevor Jay Null sagen konnte, zerfetzte er dem Söldner die Kehle und stieß den verendenden Mann wütend von sich.
Cey hätte keinen Eid darauf geschworen, dass Jays Taktik aufging, nicht bei dem, was sie in den Augen des Dämonenanführers gesehen hatte. Jetzt ließ sie erleichtert den Griff ihres Schwertes los, um den sich unbewusst ihre Finger gekrampft hatten. Der Söldner hätte von ihr aus noch Millionen Jahre Höllenqualen erleiden können und es wäre ihr vollkommen egal gewesen. Aber ihr Freund war ihr ganz und gar nicht egal.
Seite an Seite betrat sie nun mit Nikara den Raum, während Landon sich mit kühler Stimme an Xyen wandte. »Das wird die längste Einsatznachbesprechung werden, die es jemals gab!«
Cey blendete Xyens Erwiderung aus und huschte stattdessen schleunigst zu Echo und Five, die fluchend auf einen Bildschirm starrten. Two saß an der Tastatur und tippte hektisch Buchstaben und Zahlen ein, jedoch ohne Erfolg.
»Garth City?« Cey bekam eine Gänsehaut am gesamten Körper, als sie erkannte, welche Stadt Zachriels Rakete ansteuerte. Sie wandte sich zu Xyen um, der mit den anderen ebenfalls eingetreten war.
»Lass mich mal«, forderte Nikara Two auf und beugte sich über die Tastatur, um seine Finger flink über die Tasten gleiten zu lassen. »Noch drei Minuten, dann bricht der Kontakt ab und die Rakete kann nicht mehr deaktiviert werden.«
»Es würde nichts bringen, die Stadt zu warnen«, verkündete Echo finster. »Eine Massenhysterie wäre das Einzige, was wir hervorrufen könnten.«
»Apropos Hysterie …« Nikara hielt kurz inne und verzog das Gesicht. »Cey, kümmere du dich bitte darum.«
Cey hatte in den letzten Sekunden ausschließlich zu Xyen gestarrt, weil sie das Gefühl nicht loswurde, dass er etwas wusste, was ihr entgangen war. Zachriel hatte Garth City ausgewählt, nicht Fallton oder Los Angeles oder irgendeine andere Stadt. Warum –
»Ihr hattet recht, ihr hattet recht, ihr hattet recht.« Eine überdrehte, lautlose Stimme erreichte Cey und sie verzog nun ebenfalls das Gesicht, während Tariel bereits weiterplapperte. »Nicht nur Getränke im Weißen Haus, Weißen Haus, sondern irgendwie auch hier in den Straßen, in den Straßen. Zombie-Menschen, Zombie-Menschen, haben welche gesehen, haben sie gesehen, gesehen, gesehen.«
Mentale Bilder erreichten Cey, wie Männer und Frauen, die sich zur Feier des Tages die Flagge der Staaten auf die Wangen gemalt hatten, abgehackt und wie ferngesteuert einen Gehsteig entlangstampften. Gleich darauf hüllte dichter Rauch die Gruppe ein, Rauch, der sehr speziellen Bomben entstammte, welche überall in Washington deponiert worden waren.
Zane hatte diese Bomben entwickelt, die mehrere Kammern enthielten und vollkommen simpel über einen Tastendruck am Handy und die entsprechende App gezündet werden konnten. Geschützt vor den Blicken aller übrigen Bürger, die nicht das Pech gehabt hatten, Zachriels Droge ausgesetzt gewesen zu sein, traten nun Wächter und Dämonen an die Menschen heran und verabreichten diesen Lees Gegenmittel. Ein Gegenmittel, das hoffentlich in ausreichend großen Mengen produziert worden war, wie Lee das mit einem Team von entsprechenden Ärzten und Wissenschaftlern beabsichtigt hatte.
»Okay, seid weiter wachsam«, bat Cey Tariel.
»Auch ein paar von denen, von denen, von denen.« Der aufgeregte Dämon machte Cey mit einem weiteren mentalen Bild auf zwei Männer aufmerksam, die sich unauffällig einige Blöcke entfernt unter eine Gruppe wartender Menschen an einer Bushaltestelle zu mischen versuchten. Weniger noch als ihr besonders attraktives Aussehen verrieten sich die beiden jedoch durch ihre katzenhaften Bewegungen – es waren trainierte Männer, die das Kämpfen gewohnt waren. J’ajal. Verlorene.
»Dürfen wir sie killen, ja, ja, ja? Oh, bitte, bitte, bitte!«
»Verdammt!« Wütend hieb Nikara mit der Faust auf die Tastatur und ließ sich von Nathan ablösen, der leise fluchend ebenfalls alles dafür gab, um die Rakete zu deaktivieren.
Cey ignorierte für einen Moment Tariels weiteres Gebettel. »Xyen, was habe ich verpasst?«, fragte sie rundheraus. »Wie können wir dieses Scheißding stoppen?«
»Ich kenne keine realisierbare Möglichkeit!« Xyen wich ihrem Blick nicht aus und in seinen Gefühlen lag große Entschlossenheit. Entschlossenheit – noch vor Angst oder Wut, dass in wenigen Augenblicken tausende von Menschen sterben und Garth City aufhören würde zu existieren.
Jay verlagerte unruhig das Gewicht von einem auf das andere Bein und sah sie im Gegensatz zu Xyen nicht an, sondern starrte lediglich finster auf den Bildschirm. Seine Kiefer mahlten aufeinander. Vor Frust und Zorn, weil Zachriel doch noch ein letzter verheerender Schlag gelingen würde oder weil er sich mit Gewalt von einer Bemerkung abhalten musste?
»Was wäre denn eine nicht realisierbare Möglichkeit?«, hakte Cey nach und ihre Augen verengten sich. Sahim würde sich ewig die Schuld geben, wenn seine und Zoes Heimat ausgelöscht würde. Nyim war nicht in Garth City, aber Zoes Familie. Und –
Cey wurde blass. »Zoe.« Sie schluckte, ihre Knie zitterten und Xyen kam rasch auf sie zu, um nach ihrem Ellenbogen zu greifen und sie zu stützen. »Was hat Zachriel gemacht?«, würgte Cey mühsam jene Frage hervor, von der sie genau wusste, sie wollte die Antwort gar nicht hören.
»Cey, Cey, Cey«, brachte Tariel sich in Erinnerung und seine dauernden Wiederholungen raubten ihr den letzten Nerv.
»Entweder wir tippen in den nächsten sechzig Sekunden den Deaktivierungsschlüssel ein oder das war’s.« Five richtete sich bedrückt auf und Cey durchzuckte es.
»Den Schlüssel?«, wiederholte sie bedächtig.
Nikara blickte sie kurz irritiert an, aber dann kam ihm wohl eine Erkenntnis. »Wir müssen sieben Zeichen eingeben«, sagte er, mit einem Wechsel von Hoffnung und Zweifel in der Miene.
»Versuch es trotzdem!«, verlangte Cey eilig. Welche Chance blieb ihnen auch sonst noch?
»Cey, Cey, Cey«, jammerte Tariel und sie schloss kurz die Augen, bevor sie ihm ein knappes, mentales »Ja« übermittelte. »Aber gefährdet keine Unschuldigen und sorgt dafür, dass niemand sonst etwas mitbekommt!«
»Klaro.« Dieses Mal beschränkte sich Tariel auf ein einziges Wort und dann herrschte endlich Ruhe.
»Du tippst C-E-Y ein. Und vier Leerzeichen.« Nathan beobachtete gebannt, was Nikara tat, und dann hielten sie allesamt den Atem an.
»Funktioniert leider nicht«, sagte Echo leise.
»Dann andersherum.« Hastig versuchte Nikara es erst mit vier Leerzeichen, dann mit den Buchstaben C, E und Y.
»Wieder nicht.« Nathan fuhr sich frustriert durch seine Haare. »Noch zwanzig Sekunden.«
»Aber es muss funktionieren!« Cey hätte sich um ein Haar die Tastatur gekrallt, um sie gegen die Wand zu schleudern. Sie war keineswegs urplötzlich eingebildet geworden, konnte nach wie vor getrost darauf verzichten, im Mittelpunkt zu stehen. Doch nach Astan war auch Zachriel auf sie fixiert gewesen, hatte sie zu seiner erbittertsten Gegnerin gemacht. Und Thorn - okay, vielleicht drehte sie völlig durch, weil sie glaubte, er habe ihr womöglich einen versteckten Hinweis auf etwas gegeben, das er auf welchem Weg auch immer erfahren hatte. Sie war sich allerdings so sicher gewesen -
»Gott, sind wir dämlich.« Nathans Hände schnellten vor. C-E-Y, tippte er erneut ein. Und dann T-L-Y-N. Ceytlyn.
»Es … es hat geklappt.« Ungläubig starrten Two und Five noch für einen Moment den Bildschirm an, bevor sie triumphierend die Fäuste reckten. »Yes! Geschafft!«
»Noch acht Sekunden.« Nikara grinste breit. »Das war ja gar nicht mal sooo knapp.«
»Von wegen.« Jay seufzte lautstark und Ceys Beine fühlten sich immer noch zittrig an, also ließ sie sich nun einfach auf den Boden plumpsen.
»Shade hat mir gerade mitgeteilt, dass alle Bereiche inzwischen gesichert sind.« Landons Blick heftete sich auf Cey. »Nur der J’ajal, der wie ein Wikinger aussieht, ist wohl entkommen. Und das Kind. Vermutlich der Sohn von einem der Söldner, oder?«
Prompt setzte Ceys Herzschlag aus. Sie hatte keine Ahnung, was Landon von Tesfaye mitbekommen hatte, ob er ahnte, dass Tesfaye ein J’ajal-Kind war, welche es ja eigentlich gar nicht geben durfte. Und ob er ahnte, welche Verbindung zwischen Tesfaye und ihr bestand.
»Der Sohn eines Söldners, genau«, bestätigte Xyen mit fester Stimme und auch Nathan, Jay, Two, Nine, Five, Echo und Nikara fiel fast zeitgleich wieder ein, wo sie das Kind zum ersten Mal gesehen hatten.
»Muss zu dem Kerl mit den Pickeln gehört haben.«
»Ja, genau, der, den Jay erledigt hat.«
»Der mit den Segelohren, jep, ich erinnere mich ebenfalls. Schnell wie der Wind ist der Kleine weggewitscht und dann haben wir ihn erst wieder bei Zachriel gesehen.«
»In diesem seltsamen Neonlicht. Kennt ihr Lees Theorie, dadurch können nicht nur Gewebsverletzungen sichtbar gemacht werden? Sondern dass auch weitere irrwitzige Phänomene auftreten, wenn sich das Licht zum Beispiel irgendwo spiegelt oder bricht?«
Voller Dankbarkeit blickte Cey in die Runde. Landon musterte inzwischen Xyen mit erhobenen Augenbrauen, der zurücksah, ohne zu blinzeln. Schließlich schnaubte Landon und wandte sich ab. »Eine seeehr lange Einsatzbesprechung«, murmelte er und verschwand.
Dafür betrat nun Callan den Raum. »Tajyno hat sich gemeldet«, sagte er. »Es hat einen Anschlag auf den Präsidenten gegeben. Zachriel hat anscheinend einen der Mitarbeiter des Secret Services umgedreht. Ging aber noch mal alles gut, Four und Seven waren rechtzeitig zur Stelle. Vorsichtshalber haben sie auch alle Getränke erneut durchgecheckt und konnten tatsächlich Zachriels Droge ausfindig machen. Der Präsident hat nach Mason Kiberas eindringlicher Mahnung jetzt doch entschieden, sämtliche Feieraktivitäten in und um das Weiße Haus herum abzusagen. Er wird auch gleich eine Warnung an die Bevölkerung herausgeben, dass sich in den nächsten vierundzwanzig Stunden möglichst jeder aufgrund der Gefahr von Terroranschlägen zu Hause aufhalten soll. Und er wird streng die Missetäter kritisieren, die derzeit überall in Washington Rauchböller werfen. Welche zwar an sich harmlos sind, aber dennoch einigen Leute bereits einen solchen Schrecken eingejagt haben, dass diese Personen vorsorglich ins Krankenhaus zur ärztlichen Überwachung gebracht werden mussten.«
Nette Geschichte, die zumindest irgendeine Erklärung für jene Menschen bot, denen Tariel und die anderen aktuell das Gegenmittel einflößten. Cey hoffte inständig, für etwaige nicht beseitigte Leichen von Verlorenen oder Söldnern würde der Präsident nicht noch eine weitere fiktive Geschichte zum Besten geben müssen.
»Nikara? Sag ihnen, sie sollen Thorn und Tesfaye in Ruhe lassen, falls sie die beiden irgendwo sehen.« Cey warf ihrem Freund einen bittenden Blick zu. Sie fühlte sich zu müde, um sich selbst erneut Tariels Geplapper zu stellen.
Der Dämonenanführer nickte und Cey erhob sich trotz der dumpfen Mattigkeit, die sich immer stärker in ihren Gliedern und in ihrem Inneren ausbreitete. »Ich will zu Sahim«, sagte sie leise und Xyen und Jay machten sofort Platz, um sie durchzulassen.
Sie hatten gewonnen - Zachriel war tot, Garth City gerettet. Jetzt war es an der Zeit herauszufinden, wie hoch genau der Preis für diesen Sieg gewesen war. Und was es sie noch weiterhin kosten würde …
»Cey, Kleines«, setzte Echo zu einer sanften Bemerkung an und blickte von ihr auffordernd zu Xyen. Doch sie schüttelte stumm den Kopf. Vielleicht würde sie Xyen, Nathan, Jay, Lee, ihren Brüdern oder sonst jemandem irgendwann verraten, wie dieser letzte Satz von EvolutionGenius’ Anweisungen lautete. Aber ganz sicher würde sie das nicht jetzt tun. Mit einem raschen Schritt trat sie aus der Tür.