Wenige Stunden später im St. Christopher Medical Center in West Whiard
Cey saß am Bett ihres Bruders und hielt schweigend seine Hand. Er, Three und Zoe waren von Lee derart medizinisch versorgt und stabilisiert worden, dass der Transport hierher möglich gewesen war. Jetzt lagen Sahim und Zoe bewusstlos in jeweils einem blütenweißen Krankenhausbett im gleichen Zimmer und jede Menge Überwachungsgeräte, an die die beiden angeschlossen waren, gaben fortlaufend schrille Pieptöne ab, die unfassbar an Ceys ohnehin schon extrem angespannten Nerven zerrten.
Lee hatte sie bereits mehrfach aufgefordert sich endlich auszuruhen. Und die Sonne stand auch durchaus noch am Himmel, aber wo bitte sollte sie in diesem Gebäude Ruhe finden? Im Zimmer direkt gegenüber befand sich der Graf, derzeit ebenfalls wieder ohne Bewusstsein. Und direkt daneben hatten die Seday Three untergebracht. In einem weiteren Zimmer lag Nina, die von Zachriel so bestialisch vergewaltigt worden war.
Ceys Augen brannten, als ihr Blick über das blasse Gesicht ihres Bruders huschte, über die hässlichen Würgemale an seinem Hals.
»Es ist vorbei«, sagte Zane leise, der in der offenen Zimmertür lehnte. »Er wird niemals wieder jemanden verletzen können, der uns wichtig ist.«
Cey nickte, ohne Sahims Hand loszulassen. Ein unsichtbares Gewicht in Form eines Gebirges bröckelte und jeder Atemzug kam Cey ein klein wenig freier und leichter vor als der vorherige. Trotzdem, die Geschehnisse waren allesamt noch viel zu frisch und es würde noch eine geraume Weile dauern, ehe wirklich jeder Part von ihr jenen Sieg realisierte, den ihr Verstand zumindest schon in Teilen erfasst hatte. Und solange nicht jeder ihrer Geschwister und jedes Mitglied aus Xyens Team diesem vermaledeiten Krankenhaus den Rücken zukehren konnte, würde bei ihr ohnehin keine Feierstimmung aufkommen.
Außerdem gab es da bereits ein neues Gewicht, das auf ihr lastete … Ceys Gedanken wanderten unweigerlich zurück nach Ägypten, bevor sie sich innerlich schüttelte und sich rasch wieder auf das Hier und Jetzt konzentrierte.
Zane fuhr unruhig seine J’ajal-Krallen aus und klackerte mit ihnen auf dem Türrahmen herum. Tiefe Schatten zeichneten sich unter den Augen des jungen Mannes ab, denn besonders viel Schlaf hatte er in der letzten Zeit nicht gefunden. Die verhasste Umgebung und die Sorge um seine Geschwister, dazu noch die Selbstvorwürfe, weil er bei ihrem Kampf in Washington nicht mit dabei hatte sein können – all das setzte Zane ganz schön zu, wie Cey aus dem Bewusstsein ihres Bruders erfahren hatte.
Nathan schob sich an Zane vorbei und betrat den Raum. Seine Hände waren bandagiert und auch in seinem Gesicht ließen sich problemlos etliche Kratzer und Schürfwunden finden. Doch er lächelte kurz, bevor er mit mahnender Stimme sagte: »Lee überlegt bereits ernsthaft, euch einfach in ein Bett oder wahlweise einen Schrank zu stopfen, solltet ihr euch nicht bald freiwillig hinlegen.« Sein Blick richtete sich auf Zane. »Gilt explizit auch für dich, falls du dich aus irgendeinem Grunde nicht angesprochen gefühlt hast.«
»Vergiss es!« Zane starrte Nathan herausfordernd an, doch die Strenge war schon längst wieder aus dessen Miene gewichen. Er zuckte lediglich mit den Schultern und ließ sich in einen Sessel neben dem Fenster fallen. »Okay.« Und dann ergänzte er seufzend: »Ich schaffe es auch nicht mich hinlegen. Wir sollten uns aber irgendeine Beschäftigung suchen, um nicht durchzudrehen.«
»Mhm«, murmelte Cey. Sie verspürte jedoch keine Lust auf eines der Spiele, die Nathan vorschlug, und auch nicht auf einen Spaziergang oder sonst etwas.
Die Stimme des blonden Sedays rückte für sie mehr und mehr in den Hintergrund, was aber auch bedeutete, dass das Piepsen der medizinischen Geräte wieder stärker an Ceys Ohren drang. Und die zum Glück gleichmäßigen Atemgeräusche von Zoe und Sahim. Das Klackern von Zanes Krallen auf dem Türrahmen hatte ebenfalls wieder eingesetzt und Cey biss sich auf die Lippe, um ihren Bruder nicht anzuraunzen, er solle das bitte sein lassen. Sie war ihm so unendlich dankbar, dass er über den Grafen gewacht hatte, als sie selbst so weit weg gewesen war.
Als sie durch die Tür jemanden zielstrebig den Gang hinablaufen sah und ein lautes Fluchen einsetzte, sprang sie auf. »Nikara!«
Der Dämonenanführer hatte im Gegensatz zu ihr selbst bislang weder sein Schwert abgelegt noch sich von Dreck und Blut aus dem Kampf gegen Zachriel gesäubert. Seine Augen wirkten wie finstere, bodenlose Krater und das Lächeln in seinen Mundwinkeln konnte einen frösteln lassen.
Jay, der sich Nikara in den Weg gestellt hatte, machte keineswegs einen eingeschüchterten Eindruck, besonders geduldig schien er jedoch auch nicht mehr zu sein.
»Du erschreckst die Ärzte und das Pflegepersonal! Wenn du dich nicht endlich zusammenreißt, schmeiße ich dich höchstpersönlich aus dem Krankenhaus!«
»Versuche es doch!« Nikaras Lächeln wurde eine Spur breiter und noch eisiger.
Vielleicht hätte Xyen die Situation mit ein paar nachdrücklichen Worten entspannen können, doch der war auf Befehl von Tajyno hin immer noch mit Landon und einigen anderen Seday in Washington, um endlose Gespräche über die Ereignisse in der Metrorail-Station zu führen. Mason Kibera, der Vorsitzende des Committe of Global Security, war inzwischen ebenfalls in der Hauptstadt eingetroffen und verlangte umfassend über jede Kleinigkeit aufgeklärt zu werden.
Jay sah stirnrunzelnd in Richtung der Tür, die diesen Teil des Stockwerks als Privatbereich kennzeichnete und ausschließlich autorisiertem Personal Zugang verschaffte. Er überlegte wohl, wie er Nikara am besten ohne großes Gerangel nach draußen befördern konnte, aber Cey hielt es für unwahrscheinlich, dass ihrem Trainer das gelang.
Statt weniger toste offenkundig von Sekunde zu Sekunde mehr Adrenalin durch Nikaras Adern und das Einzige, was gegen diesen inneren Drang helfen würde, war sich zu bewegen, oder, noch besser, zu kämpfen, das wusste Cey aus eigener Erfahrung. Zu schade, dass menschliche Krankenhäuser nicht über J’ajal-geeignete, extra gesicherte und uneinsehbare Auspower-Räume verfügten.
Noch bevor Cey etwas zu ihrem dämonischen Freund sagen konnte, trat Ten mit einer Pflegerin in blauer Kluft durch die Tür. Die beiden liefen den Gang entlang und die brünette Menschenfrau musterte Nikara unbehaglich, bevor sie rasch im Zimmer des Grafen verschwand, um dort wohl irgendein Medikament nachzufüllen.
Cey spürte, dass sich Kaiden und Lee ebenfalls gerade beim Grafen aufhielten. Tiefe Besorgnis wallte in ihr auf, doch Ten, der neben ihrer kleinen Gruppe stehen geblieben war, beruhigte sie sogleich mit einem sanften Blick.
»Alles okay. Es sind nur ein paar Routinedinge zu erledigen.« Seine Miene wurde ernster. »Es ist trotzdem unfassbar wichtig, dass sich alle hier auf ihren Job konzentrieren können. Keiner der Ärzte oder der Pfleger, die von Kaiden und Lee hinzugezogen worden sind, hat je unnötige Fragen gestellt oder sich auf irgendeine andere Art und Weise problematisch verhalten. Wir müssen aber nicht zwangsläufig versuchen herauszufinden, wo ihre Grenzen liegen, oder?« Bei seinem letzten Satz hatte er sich wie beiläufig in Nikaras Richtung gewandt.
»Ich tue niemandem etwas!«, behauptete dieser und rieb über einen blutigen Fleck auf seinem Shirt, der dadurch nicht im Geringsten kleiner wurde.
Offenbar lag Jay eine sehr zynische Erwiderung auf der Zunge, doch Cey war schneller. Tens Worte hatten ihr etwas verdeutlicht, Worte jenes Mannes, der nun schon ungewöhnlich lange den gleichen Namen trug, weil seine Aufgabe nach wie vor die gleiche war. Alles zu tun, was notwendig war, damit es dem Grafen besser ging. Und jetzt auch Sahim, Zoe und Three. Am liebsten wäre Cey wieder zurück zu ihren Geschwistern geeilt, hätte sich erneut an Sahims Bett niedergelassen und später dann am Bett des Grafen. Aber das hätte lediglich ihr selbst geholfen und nicht ihren Brüdern.
»Wir gehen.« Sie gab Zane, der noch immer im Türrahmen lehnte und sie interessiert beobachtet hatte, einen Wink, und versetzte anschließend Nikara einen befehlenden Schubs.
»Ihr geht?« Das schien so gar nicht das zu sein, was Jay hatte hören wollen, denn augenblicklich zeigte sich Misstrauen in seinen Gesichtszügen. »Wohin?«
»Weg«, antwortete Cey knapp. »Und zwar ohne euch. Es ist wichtig. Sind in achtundvierzig Stunden oder so zurück.« Instinktiv berührte sie ihr Handgelenk, aber da sie ihren Ayaro-Reif bislang nicht wieder angelegt hatte, musste sie ihn auch nicht abstreifen.
»Bist du dir sicher …?«, erkundigte Zane sich lautlos und sehr, sehr gedehnt. Einerseits begrüßte er einen kleinen Ausflug durchaus, andererseits fand er es extrem befremdlich, Sahim und den Grafen bewusstlos in der Obhut der Menschen und Seday zurückzulassen, ohne dass ein Wächter anwesend war, um ihnen auf die Finger zu schauen.
»Kaiden und Lee muss niemand auf die Finger schauen«, kommentierte Cey die Gedanken, die sie aus dem Bewusstsein ihres Bruders aufgeschnappt hatte, und band dabei auch gleich Nikara in die lautlose Unterhaltung mit ein. »Ich vertraue ihnen! Und wenn unsere Anwesenheit momentan eher schadet … das will ich nicht! Versteht ihr?«
Zane nickte langsam und Nikara tat nach einigen Sekunden sogar noch weitaus mehr – er zog einen Dolch, der unter seiner Kleidung verborgen gewesen war, und drückte ihn Jay in die Hand.
»Für den Fall der Fälle, solltest du ihn brauchen. Ich bekomme ihn aber bei unserer Rückkehr gefälligst wieder zurück!«
Cey musste zwangläufig lächeln, während Jay so baff über diese Entschuldigungsgeste und den dadurch gewährten Respekt war, dass er immer noch um eine Antwort rang, als Nikara bereits mit schweren Schritten auf die Tür zumarschierte.
»Bis bald«, sagte Nathan an seiner Stelle leise, der Sahims Zimmer inzwischen verlassen hatte. »Ich gebe den anderen Bescheid, dass ihr was erledigen müsst.«
Auch Ten murmelte einen Abschiedsgruß und Cey nickte kurz ein letztes Mal in die Runde, bevor sie und Zane sich umwandten und Nikara folgten.
»Wehe, ihr fangt euch auch nur einen einzigen zusätzlichen Kratzer ein!«, rief ihnen Jay nun doch noch hinterher. »Und meldet euch, wenn was sein sollte. Ihr wisst, wir mögen diese Alleingänge nicht im Geringsten!«
Cey erwiderte nichts mehr.
Erst als sie das Krankenhausgebäude bereits ein gutes Stück hinter sich gelassen hatten, beendete Zane das Schweigen. »Und was genau machen wir jetzt?«
»Für Normalität sorgen.« Sie konnten die letzten Monate nicht einfach aus der Zeit streichen. Was sie tun konnten, war jedoch, die Macht und Schrecken eines furchtbaren Tyrannen noch weiter zu brechen, indem niemand mehr von einem geliebten und vertrauten Zuhause ferngehalten wurde. Ein Zuhause, das nun endlich, endlich wieder sicher war. »Wir bringen unsere Kinder zurück an die Schule.«
Zanes Augen leuchteten begeistert auf. »Bin dabei.«
Nikaras Augen leuchteten nicht auf, aber auch er bestätigte ohne zu zögern: »Bin dabei.«
Und somit stand ihr nächstes Ziel fest: Die Dämonenhochburg vor den Toren von Miami.
***
Einen halben Tag später an einem streng geheimen Ort
Cey hatte die Augen geschlossen und lauschte den Rufen, dem Schwatzen und Kichern in ihrer Nähe. Überall auf der Wiese schwirrten fröhliche Kinderstimmen durcheinander und man hörte das Trappeln von kleinen und großen Füßen, welche das Schulgebäude betraten und wieder verließen. Ihre Arme hatte Cey um einen Jungen geschlungen, der sich zunächst eng an sie gekuschelt hatte, sich jetzt allerdings zu winden begann.
»Mom«, beschwerte sich Nyim in dem Moment, als sie ihre Augen wieder aufschlug. »Ich kann in meinem Alter nicht mehr stundenlang kuscheln!«
Ob er sich dabei auf sein fünfjähriges Aussehen oder sein wahres Alter von zehn bezog, ließ Nyim offen, er schielte jedoch auffällig zu Surani, die abwartend einen Ball auf ihrem Zeigefinger kreisen ließ.
»Na lauf schon«, sagte Cey lächelnd.
Aber Nyim machte lediglich einen einzigen Schritt, bevor er sich doch wieder zu ihr umwandte. Und bei der Traurigkeit, die sich nun in seinem Gesicht zeigte, spürte Cey einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen.
»Ich wünschte, Dad wäre auch hier.«
»Ich weiß. Ich ebenfalls.«
Surani versuchte ihren Freund sofort zu trösten. »Bestimmt siehst du ihn bald wieder. Es geht ihm doch schon viel besser, oder Cey?«
Ein klein wenig besser, wäre die korrekte Formulierung gewesen, aber Cey brachte es nicht fertig, den beiden Kindern das zu sagen. Ihr Blick glitt über den Ball, der nun vergessen im Gras lag, bis hin zu Kurtoko und Assadar, die gerade unter johlendem Beifall einen Schwertkampf mit Zane und Nikara gestartet hatten.
Die Klingen blitzten im Licht der Morgensonne auf und sausten mit akkurater Präzision durch die Luft, so schnell, dass es immer schwieriger wurde, den Bewegungen zu folgen. Klirrend trafen sie aufeinander und trennten sich wieder, dann begann ihr Tanz von vorne. Der freundschaftliche Kampf wurde immer härter, brutaler, zorniger. Wofür hauptsächlich Nikara verantwortlich war. Inzwischen bildete Zane gemeinsam mit Kurtoko und Assadar ein Team, dennoch hatten sie Mühe, Nikara im Zaum zu halten.
Ceys Puls beschleunigte sich und sie verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Just in dem Moment, in dem sie bereits befürchtete, sie müsse ihren dämonischen Freund mittels eines verzerrten, mentalen Pings zur Vernunft bringen, ließ Nikara abrupt das Schwert fallen und stapfte eilig davon, um durch ein Tor in der Schule zu verschwinden.
»Wahnsinn«, hauchte Surani beeindruckt, die wie alle Kids mit großen Augen das Spektakel verfolgt hatte.
»Ja.« Nyim legte den Kopf in den Nacken und blickte dann zu Cey auf. »Können deine Seday inzwischen auch so gut mit dem Schwert umgehen?«
»Nein«, antwortete Cey und sie war heilfroh, dass niemand aus Xyens Team den eben stattgefundenen Schlagabtausch mitbekommen hatte. Von den zahlreichen Regeln, die Jay zur Sicherheit aller aufgestellt hatte, war keine einzige befolgt worden.
»Mann, das tat gut.« Breit grinsend kam Zane auf sie zu, wobei er nachlässig eine fingerlange, oberflächliche Schnittwunde an seinem rechten Arm begutachtete. Er runzelte kurz die Stirn. »Jay wollte nur nicht, dass wir uns Kratzer holen, oder? Von sonstigen Verletzungen habe ich nichts gehört.«
Cey sparte sich eine Erwiderung. Vor allem deshalb, weil ihr soeben eine Idee kam, wie sie Nyim vielleicht noch ein wenig länger von seinen Sorgen um Sahim ablenken konnte.
»Niemand aus Xyens Team kämpft so gut mit dem Schwert wie wir. Aber einige von ihnen kämpfen mittlerweile recht passabel und wissen sogar, wo vorne und hinten ist.« Übertrieben tippte sie auf den Griff des Übungsschwerts, das Zane nach wie vor in der Hand hielt. Nyim und Surani kicherten.
»Ich denke also, es könnte in den Sommerferien eine Prüfung stattfinden. Und vielleicht schafft es ja Jay oder ein anderer, ein Zertifikat für die Beherrschung der Grundlagen im Schwertkampf zu erlangen. Allerdings …« Cey machte eine kurze Pause und tat so, als müsste sie überlegen. »Nein, ich glaube, das wird doch nichts.«
»Warum denn nicht?«, protestierte Nyim sogleich, dem die Vorstellung einer solchen Prüfung offenbar sehr gefiel.
Zanes Grinsen wurde noch breiter, er hatte längst verstanden, was Cey beabsichtigte. »Tja, Cey wird leider die Zeit fehlen, die Prüfung entsprechend vorzubereiten. Schließlich warten auf sie selbst noch ein Dutzend Prüfungen an ihrer heißgeliebten Academy!«
Cey widerstand dem Drang, ihrem vorlauten Bruder die Zunge rauszustrecken. Dass ihr selbst die Zeit fehlte, hatte Zane ja durchaus sagen können, aber die Erwähnung der Academy und ihres Unterrichts – er war ja schlimmer als Xyen.
»Wir können die Organisation gerne übernehmen.« Voller Eifer blickte Nyim zu Surani und diese nickte nachdrücklich. »Ja. Wir müssen schließlich auch Schwertkampfprüfungen ablegen. Wir schreiben genau auf, welche Abläufe bewältigt werden müssen, wie viele Punkte es dafür gibt und wie lange ein Kampf mindestens andauern muss.« Surani griff nach Zanes Schwert. »Darf ich?«
»Na sicher.« Zane überließ es ihr und schon ging es los. Surani und Nyim stellten sich einander gegenüber, machten jeweils einen Schritt und eine Drehung, schwangen das Schwert, steckten begeistert die Köpfe zusammen, um zu diskutieren, und führten dann anschließend die nächste Bewegung aus.
Cey beobachtete die beiden und ein warmes Gefühl breitete sich ihrem Innersten aus. Sie machte sich keine Sorgen, Nyim oder Surani könnten sich an dem Schwert verletzen, obwohl die Kids normalerweise mit kürzeren Klingen trainierten. Dennoch hatten sie auch bereits oft genug die schwereren Erwachsenenversionen geschwungen. Suranis Ball hatten sich inzwischen eine Handvoll anderer Kinder geschnappt und sie kickten ihn laut rufend durch das Gras.
Ein Anblick, wie man ihn gewiss auch in einer gewöhnlichen Menschenstadt oft genug sah. Aber diese Kinder waren und blieben nun mal etwas ganz Besonderes. Cey sah zurück zu Surani und Nyim und lächelte, erfüllt von tiefer Liebe.
»Mom?« Ihr außergewöhnlicher Sohn hielt kurz inne und wandte den Kopf in ihre Richtung. »Dad wird doch auch zur Schwertkampfprüfung deiner Seday kommen, nicht wahr?«
Noch ehe Cey darüber nachdenken konnte, welches Versprechen sie Nyim machen durfte und welches nicht, senkte sich Zanes Hand auf ihre Schulter.
»Um nichts in der Welt wird sich dein Dad diese Prüfung entgehen lassen!«, sagte er feierlich.
Nyim strahlte, mopste sich das Schwert von Surani und wirbelte damit herum. Und Cey lehnte ihren Kopf an die Schulter ihres Bruders und schloss erneut die Augen.
Sie verdrängte die Sehnsucht nach einem weiteren außergewöhnlichen Jungen, der nicht auf dieser Wiese spielte, verdrängte die Sehnsucht nach ihren Brüdern, die diesen einmaligen Moment hier verpassten.
»Hey«, murmelte Zane und schlang seine Arme um ihre Taille. »Nicht trübsinnig werden, Schwesterherz. Das wird schon alles wieder.«
Die Dunkelheit, die nach wie vor in Ceys Innerstem lauerte und sie unter Sorgen, Trauer und Schmerz zu begraben versuchte, hätte es eigentlich verhindern sollen. Doch das geschah nicht. Zunächst waren es nur Ceys Mundwinkel, die zuckten, dann begann ihr Körper zu beben, bis es schließlich vollständig aus ihr herausbrach – ein Lachen, das unaufhaltsam und weitaus befreiender war als alles, was sie in den letzten vierundzwanzig Stunden erlebt hatte.
»Das wird schon wieder?«, wiederholte Cey und wischte sich, immer noch lachend, eine Träne aus dem Augenwinkel. »Hast du das wirklich gerade gesagt?«
Zane, der noch vor nicht allzu langer Zeit sehr deutlich verkündet hatte, dass er weder ein halber noch ein viertel oder sonst was Seday war, zuckte mit den Schultern und bekräftigte dann erneut das Lieblingsmotto von Xyens Team. »Ja. Das wird schon wieder! Eigentlich sind sie gar nicht so blöd mit ihren Weisheiten … unsere Seday.«
Cey lächelte und schmiegte sich noch enger an ihren Bruder. Und als sie sich schließlich in eines der freien Gästezimmer der Schule zurückzogen, hatte Cey zumindest für diesen einen Morgen keinerlei Probleme mehr damit Ruhe zu finden. Sie schlief ein, kaum dass ihr Kopf das Kissen berührte.