VI.

Montag, 26. Februar

1.

In fluides Dunkel gehüllt, liegt Maria Cristina schlaflos unter ihrer Bettdecke. Sie hat nur momentweise geschlafen, ist immer wieder hochgeschreckt, als wäre jemand im Haus, sie meinte Schritte im Flur zu hören, das Knarren einer sich öffnenden Tür, und stellte sich vor, es wäre Nicola Sarti, der gekommen wäre, um sich an ihr zu rächen.

Sie knipst die Nachttischlampe an. Wie gern würde sie sich mit Schlafmitteln betäuben, aber das geht nicht, sie wartet auf eine Mail von der Raupe. Sie checkt das Handy.

Da ist sie:

Liebe M. C.,

ich warte an der Raststätte Magliano dei Marsi bei Km 81.6 an der A25 auf dich. Acht Uhr morgens. Vor der Damen-Außentoilette. Komm allein.

Um acht? Das ist noch vier Stunden hin. Wo ist diese Raststätte? Sie sucht auf Google Maps. In den Abruzzen. Mehr als drei Autostunden entfernt. Sie stürzt ins Bad, putzt sich hastig die Zähne, schminkt sich schnell, doch als sie entscheiden muss, was sie anzieht, hält sie abrupt inne. In was würde die Raupe sie sehen wollen? Sie versucht es mit Hosen und einem dicken Pulli, nein, besser ein figurbetontes, knielanges, dunkelrotes Kleid mit Rollkragen, das ihre Taille zur Geltung bringt, dazu hohe schwarze Stiefel. Eine Perlenkette, keine Ohrringe.

Das nächste Problem ist das Auto. Der Defender ist zu alt, sonst ist nur noch der Mercedes des Fahrers da. Sie öffnet die Tür zu dessen Zimmer, der Mann liegt zusammengerollt unter der Decke und schläft, das Gesicht zur Wand. »Entschuldige, Davide. Ich brauche die Autoschlüssel«, flüstert sie auf der Schwelle.

Der Fahrer dreht sich um. Kneift verwirrt die Lider zusammen und blinzelt sie im Halbdunkel an. »Wo … Wo fahren wir hin? Was ist los?«

»Nichts. Ich fahre allein. Schlaf weiter. Ich sage der Security Bescheid. Du fährst mit dem Defender zurück nach Rom, aber du musst das Kühlwasser kontrollieren. Nimm Pippo mit, den kleinen Hund mit der kranken Pfote, und bring ihn zum Tierarzt. Wir sehen uns zu Hause. Wo sind die Schlüssel?«

Er deutet zu seiner Jacke. »Ich verstehe nicht. Bringe ich den Hund wieder mit hierher?«

»Nein. Nach Rom.« Maria Cristina angelt nach dem Schlüsselbund. »Danke. Schlaf gut, bis dann.« Sie schlüpft aus dem Zimmer.

Der Fahrer starrt auf die geschlossene Tür, ihr Parfum hängt noch in der Luft, es riecht gut, nicht zu süß, er würde es gern seiner Freundin Monica schenken, traut sich aber nicht, Signora Mascagni nach dem Namen zu fragen, außerdem ist es bestimmt schweineteuer. Als sein Blick auf die über den Stuhl geworfenen Hosen und Unterhosen und die atmungsaktiven Schuhe neben den stinkigen Socken fällt, lässt er seinen Kopf resigniert in die Kissen sinken.

2.

Das ist mal ein Auto. Der beheizte Ledersitz schmiegt sich wie eine zweite Haut an ihre Hüften. Maria Cristinas Nacken lehnt an der Kopfstütze, mit ausgestreckten Armen hält sie das Lenkrad. Das digitale Armaturenbrett weist ihr den Weg zur Raupe. Aus der Stereoanlage erklingen Beethovens Klaviersonaten. Die Innentemperatur beträgt dreiundzwanzig Grad, die Außentemperatur neun. Die Autobahn ist leer, das einzige, worauf man achtgeben muss, sind die Radarfallen.

Allein über die Autobahn zu rasen, gibt ihr etwas, das sie selbst nicht recht benennen kann, Euphorie, Lebendigkeit, Energie, als stecke sie mitten in einem Abenteuer.

Sie setzt den Blinker und überholt eine lange Lasterkolonne.

»Ruf Caterina Gamberini an«, befiehlt sie dem Handy.

Es klingelt lange, dann ertönt die überraschte Stimme der Assistentin. »Maria Cristina! Was gibt’s?«

»Ich wollte mit dir reden.«

»Wie spät ist es?«

»Zwanzig vor sieben.«

»Was ist passiert?«

»Domenico hat gesagt, du wolltest eine Aussprache mit mir.«

»Jetzt? Um diese Zeit?«

»Passt es dir nicht?«

Caterina ist verunsichert. »Ach was! Völlig okay, aber ich war echt sauer.«

»Schon gut. Aber du sollst wissen, dass mir das, was ich neulich Abend auf dem Klo gehört habe, die Augen geöffnet hat. Und ich bin froh, dass du so ehrlich warst. Du hast gesagt, ich sei unfähig, unbedarft. Oberflächlich. Du hättest dich gut mit meiner Mutter verstanden. Sie hat immer gesagt, der Herrgott habe mir einen schönen Körper gegeben, aber Mineralwasser hineingegossen.«

»Warte …«, versucht Caterina sie zu unterbrechen.

»Lass mich ausreden. Du solltest wissen, dass dumme Menschen genauso leiden wie kluge. Zumindest ist das mein Eindruck. Dich so über mich reden zu hören, hat mich ein bisschen umgehauen.«

»Maria Cristina, bitte …«

»Lass mich ausreden. Du hast gesagt, ich sei einsam und hätte keine Freunde außer Luciano. Aber dieses Faktotum, wie du ihn nennst, ist der liebste und treueste Mensch der Welt. Du und ich haben in den letzten zwei Jahren jeden Tag miteinander verbracht, und in meiner Dämlichkeit hatte ich geglaubt, du wärst eine Freundin, stattdessen habe ich erfahren, dass ich dir leidtue. Es stimmt, ich bin oberflächlich, ich liebe elegante Klamotten, Schmuck, schöne Häuser und bequeme Autos. Ich bin unter oberflächlichen Genussmenschen geboren, die mir sonst nichts beigebracht haben. Du kannst noch hinzufügen, dass ich kaum ein Buch gelesen habe und ungebildet bin.«

»Bitte …«, jammert Caterina und versucht, zu Wort zu kommen.

»Ich habe angerufen, um dir zu sagen, dass ich zur Raupe fahre und du der Security Bescheid sagen musst. Ich habe Davides Mercedes genommen.«

»Die Raupe? Ich verstehe nicht ganz.«

»Ich fahre zu ihm, um ihn zu treffen.«

»Ich verstehe nicht.«

»Ich habe eine Verabredung mit ihm.«

»Ich verstehe nicht, was das heißen soll.«

»Hör auf zu sagen, ich verstehe nicht, Caterina. Von Angesicht zu Angesicht. Ich treffe ihn.«

»Also, du kannst ihn anfassen?«

»Ja, wenn er mich lässt.«

»Und was macht ihr?«

»Plaudern.«

»Und wo?«

»Kann ich dir nicht sagen. Ah, ich wollte dich auch bitten, bei Amelianna im Atelier vorbeizugehen und die Kleider für das Interview abzuholen. Und kauf in der sizilianischen Braterei an der Piazza dei Giuochi Delfici Panelle für Irene. Und hak nach, ob Davide den Hund zum Tierarzt gebracht hat.«

»Ist gut.«

»Danke. Ach, eine Sache noch, auf der Toilette hast du auch gesagt, ich wüsste, dass mein Mann Affären hat, würde es mir aber niemals eingestehen. Doch eigentlich weiß ich das gar nicht. Und du? Hat er welche?«

»Was?«

»Affären. Lüg mich besser nicht an.«

»Nein … Ich weiß nicht … Ich schwöre … Ich schwöre bei …«, stammelt die Assistentin.

»Nicht schwören, bitte. Ciao.«

Das schwarze Band der Autobahn führt stetig bergan in den Apennin, durch karge Hügel, steinige Täler und nackte Berge, und entrollt sich über die weiten Bögen der leeren Autobahnbrücken. Eine dunkle Brille schützt Maria Cristina vor der Sonne, die trübe zwischen den Anhöhen auftaucht. Darüber, noch im Schatten, die vom Schnee gestreiften Gipfel.

Gleich nach dem Telefonat mit Caterina hat sie Domenico angerufen, er ist nicht rangegangen, also hat sie eine Sprachnachricht geschickt und noch einmal wiederholt, sie würde zur Raupe fahren, um sich auf das morgige Interview vorzubereiten, und komme nach Rom zurück, sobald sie fertig sei.

Im Radio singt Bryan Ferry More Than This. Maria Cristina stellt lauter, der alte Song von Roxy Music durchschlägt ihre Rüstung wie eine Pistolenkugel und zerbirst in Lebenssplitter, die Busfahrten mit der Leichtathletikmannschaft, die Partys mit Alessio im Penthouse, die Pariser Modenschauen für Valentino, die Flugreisen nach New York unter dem Walkman-Kopfhörer.

More Than This.

Mehr als das hier. Sie muss die Kraft finden, sich zu ändern, den Tiefschlägen standzuhalten, das Leben leichter zu nehmen. Blaue Flecke haben noch niemanden umgebracht.

3.

In der Haltezone des Rastplatzes stoppt Maria Cristina den Wagen. Sie mustert sich im Rückspiegel, frischt Lippenstift und Rouge auf, setzt sich die Wollmütze und die Sonnenbrille auf und verlässt ihren warmen Kokon. Draußen weht ein eisiger Wind, sie greift nach der Daunenjacke und will hineinschlüpfen, als eine Böe sie ihr aus der Hand reißt und durch die Luft wirbelt. Sie hechtet hinterher und versucht sie festzuhalten, doch die Jacke trudelt wie ein freches Gespenst über den Asphalt. Maria Cristina macht einen windhundartigen Satz nach vorn, nagelt die Jacke mit dem Fuß fest und will sich gerade danach bücken, als hinter ihr eine dröhnende Hupe ertönt, die eines Dampfboots würdig wäre. Maria Cristina entfährt ein kleiner Schrei, hinter ihr ist die riesige Schnauze eines feuerroten LKW aufgetaucht, darin ein Fahrer mit langen blonden Haaren, die Faust gereckt wie ein Torschütze. Er rollt seitlich an sie heran und lässt das Fenster herunter: »Hey! Du bist’n Unesco-Weltkulturerbe.«

Maria Cristina zwinkert ihm zu. »Danke, Hübscher.«

Der Fahrer revanchiert sich mit einem weiteren Tuten und macht sich samt Anhänger, auf dessen Rückseite ein Bild von Francesco Totti prangt, wieder auf den Weg zur Autobahn.

Mit einem Schmunzeln und in der Hoffnung, dass die Raupe die Szene mitbekommen hat, betritt die Frau des Premiers die Bar. Drinnen ist keine Menschenseele, abgesehen von einem schmächtigen Barmann mit akkurat gestutztem Bärtchen, der auf ein Handy neben der Kasse stiert. Die Brötchenvitrine ist halb leer, nur noch vertrocknete Pizza-Margherita-Dreiecke und ein Gourmet-Sandwich, das wie ein kaputter Schuh über einem betagten Mozzarella klafft. Auf dem Fernsehbildschirm über den Tischen erhascht sie für einen kurzen Moment ihren Mann, der hinter einem Rednerpult steht. Sie bestellt einen Malzkaffee-Cappuccino mit Sojamilch und ein Vollkorncroissant. Der Barmann glotzt sie an, und sie senkt den Kopf und rührt in der Tasse herum.

Sie geht zur Toilette hinter den Zapfsäulen. Pinkelt und schaudert vor Kälte. Auf dem Weg hinaus vermeidet sie es, in den Spiegel zu schauen.

Das Wort Anspannung trifft das, was Maria Cristina empfindet, nicht ganz. Es ist eher ein quälender Drang, das zehrende Bedürfnis, zu beichten und eine objektive Einschätzung zu erhalten, die dieser Geschichte einen Sinn zu geben vermag.

Mit pochendem Herzen tigert sie verstohlen vor der Damentoilette auf und ab. Wo bleibt die Raupe? Woran wird sie ihn erkennen? Ihr ist, als würde sie jemand aus der Ferne beobachten. Doch außer ein paar Autos, die auf der Autobahn entlangrasen, und dem Tankwart, der in seinem Kabuff neben einem Heizstrahler hockt, ist niemand zu sehen.

Wie in einem Spionagefilm erhält sie ein Zeichen. Die Nachricht von einer unbekannten Nummer.

Komm zur Rückseite der Bar. Auf dem hinteren Parkplatz steht ein Camper. Die Tür ist offen. Tritt ein.

Maria Cristina lässt jede Vorsicht fahren und rennt hinter die Tankstelle, neben einem erfrorenen Beet steht ein langes, klappriges braunes Wohnmobil mit weißer Seitenaufschrift, Malibu 490, die Fenster sind mit schwarzgrün karierten Gardinen verhängt, die Scheiben der Fahrerkabine verdunkelt. Der Motor läuft, der Auspuff spuckt weiße Rauchwolken aus.

In vier Sätzen überquert Maria Cristina die Fußgängerinsel des Parkplatzes, öffnet die Wohnwagentür und steigt ein, sie kann die Tür kaum schließen, da stürzt eine Hundemeute auf sie zu und springt bellend und schwanzwedelnd an ihr hoch. Es müssen sechs oder sieben sein, ein buntes Durcheinander aller Rassen und Kaliber, viele sind alt, ein paar ergraute Möpse tragen karierte Mäntelchen mit Pelzkragen, die Schlappohren eines honigfarbenen Cockers sehen aus wie dreckige Putzlappen, auf dem Tisch sitzt ein Pekinese mit einem Trichter um den Hals, und ein riesiger Rottweiler mit räudiger Schnauze, dessen blinde Augen an grüne Weintrauben erinnern, liegt auf einer kleinen Couch. Der fröhlichste ist ein fetter, dreibeiniger Dalmatiner.

Maria Cristina streichelt sie und versucht sie zu beruhigen. »Ist ja gut … Ist ja gut … Brave Hunde.« Außer den Tieren scheint niemand da zu sein. Eine Trennwand schirmt die Fahrerkabine ab. Am anderen Ende, im hinteren Teil des Campers, befindet sich ein ungemachtes Doppelbett. Auf einem langen Bord drei Bildschirme, Computer, Kabel, eine Schachtel voller Handys, Lautsprecher und ein rot beleuchtetes Terrarium mit einer um einen Ast gewundenen Schlange.

Maria Cristina späht in das winzige Bad, es ist leer, sie nähert sich der Tür zur Fahrerkabine, versucht sie zu öffnen, abgeschlossen.

»Ist hier jemand?«, ruft sie laut, als das Wohnmobil sich in Bewegung setzt. Schwankend versucht sie sich festzuhalten, die Hunde sind wie durch Zauberhand verstummt.

Das ist eine Falle.

Sie stürzt zur Tür, packt die Klinke. Blockiert. Sie fährt herum, klammert sich an den Möbeln fest, an der Decke hängt eine Kamera, sie rudert mit den Armen, um auf sich aufmerksam zu machen. »Anhalten! Anhalten! Wo fahren wir hin?«

Die Hunde kläffen wieder los. Der Rottweiler auf der Couch jault. Der heisere Pekinese winselt gedehnt.

Der Camper beschleunigt, der Fußboden und alles andere vibriert und quietscht, das Geschirr klappert. Durch die Gardinen und zerkratzten Scheiben erkennt Maria Cristina, dass sie den Parkplatz verlassen und auf die Autobahn fahren.

»Aus!«, tönt eine männliche Stimme überlaut. Die Hunde gehorchen. »Hier spricht die Raupe.«

Zitternd dreht sich die Frau des Premiers um, die Stimme schallt aus einem Lautsprecher auf der Arbeitsfläche.

»Setz dich. Ich bringe dich an einen sicheren Ort.«

Doch sie bleibt stehen, die Arme zwischen zwei Wände gestemmt, und atmet scharf ein und aus, während ihr das Herz gegen das Brustbein hämmert.

»Hast du verstanden?«, fragt die Raupe. »Ich kann dich hören, wenn du sprichst.«

Maria Cristina nickt. »Ist gut.«

»Tut mir leid, wenn du einen Schreck gekriegt hast …«

»Nicht doch.«

»In den Küchenschränken sind Ingwerkekse, eigens von mir gebacken. Aber pass mit den Hunden auf, die sind ganz verrückt danach.«

»Nein, danke. Ich habe gerade erst gefrühstückt.«

»Dann Musik.«

Sophisticated Lady erklingt, gesungen von einer jazzigen Frauenstimme. Liegt in der Wahl des Stückes eine gewisse Ironie?, fragt sich die Frau des Premiers und blickt sich nach einem Sitzplatz um. Jedes Kissen ist von einem Hund besetzt, der sie anglotzt, also hockt sie sich auf die Sofakante neben den Rottweiler. Der Pekinese mit dem Trichter springt auf ihren Schoß und schleckt ihre Hände ab.

Trotz der in jede verfügbare Ritze gestopften Haufen von Büchern, CDs, VHS-Kassetten und ausrangiertem Elektroschrott ist der Camper recht ordentlich, auch wenn alles, von den Kissen bis zu den Gardinen, mit Hundehaaren bedeckt ist und es nach Hund und Trockenfutter stinkt. Maria Cristina schiebt die Gardinen zur Seite und versucht auszumachen, wo er sie hinbringt. Nach wenigen Kilometern nimmt das Fahrzeug die erste Ausfahrt und fährt auf einer Straße parallel zur Autobahn weiter. Sie passieren Fabriken, Lagerhallen, Parkflächen, Autoschrottplätze, Fliesengroßhändler, Möbel- und Sanitärgeschäfte. Die Straße wird kurviger und führt zwischen Bäumen bergan. Nach ein paar Minuten bremst der Camper ab. Das Ticktack des Blinkers. Sie halten an.

Die Hunde werden wach, springen auf und drängeln sich schwanzwedelnd vor der Tür.

Durch das Fenster kann Maria Cristina einen Mann mit einem schwarzen Motorradhelm auf dem Kopf erkennen, der ein Tor aufschließt, und die während der Fahrt in Schach gehaltene Angst explodiert und flutet ihren Verstand mit ungeahnten Angstvisionen. Die Aufforderung, sie solle allein kommen. Die blockierten Türen. Die Lautsprecherstimme. Der Helm. Und wenn dieser Mann nicht die Raupe ist? Er könnte ein Irrer sein, ein Serienmörder. Nicola Sarti. Eine Entführung. Die Roten Brigaden. Aldo Moro.

Sie holt ihr Handy heraus. Kein Netz.

Blöde Kuh, du hast der Raupe doch an seine Mailadresse geschrieben, jetzt krieg dich ein, funkt Diana Brinzaglia dazwischen, aber nicht einmal ihre ehemalige Schulkameradin kann sie beruhigen.

Vergeblich versucht sie, ein Fenster aufzuschieben. Während das Wohnmobil das Tor passiert und die Hunde zu winseln beginnen, hechtet sie zu einem Messerklotz, der neben dem Spülbecken steht. Der Motor geht aus.

Maria Cristina ist von Natur aus ängstlich, nachts lässt sie die Fensterläden schließen und schaltet die Alarmanlage ein, der Mannschaftswagen der Carabinieri vor der Haustür beruhigt sie, aber jetzt empfindet sie etwas anderes, ihr Verstand ist wie gelähmt, eine Totenstarre hat sich ihres Körpers bemächtigt, und ihr ist, als hätte sie ihn verlassen, als schwebte sie wie ein gefangener Geist durch den Camper. Mechanisch streichelt sie den Dalmatiner, der als Einziger bei ihr geblieben ist.

Die Tür öffnet sich zum Blau des Himmels, und die Meute stürzt jaulend hinaus.

Maria Cristina schnappt sich ein Messer, während der Mann mit dem Helm hereinkommt und grüßend die Hand hebt. Wer immer er ist, er ist dünn, fast mager, trägt ein graphitfarbenes Flanellhemd mit Stehkragen, eine kurze schwarze Jacke und eine von einem Gucci-Gürtel gehaltene braune Nadelstreifenhose. Dazu schwarze, dicksohlige Turnschuhe ohne Schnürsenkel. Wenn er die Raupe ist, hat er keinerlei Ähnlichkeit mit dem Foto des Fettsacks im ZZ-Top-T-Shirt, das im Netz herumschwirrt.

»Komm nicht näher.« Maria Cristina richtet das Messer auf ihn. »Zeig mir, wer du bist.«

»Amelianna hat mir geschrieben, dass du dich für das Interview morgen für eine schwarze Hose mit hohem Bund und einen ärmellosen grauen Rollkragenpulli entschieden hast«, sagt der Mann und nimmt die Hände hoch. »Finde ich gut, ist angemessen elegant. Ah, übrigens, die Haare gefallen mir.«

Er ist die Raupe, niemand sonst weiß diese Dinge. Maria Cristina legt die Klinge beiseite und merkt, dass sie nicht geatmet hat, seit der Mann die Rostlaube betreten hat. »Oh Gott, hatte ich eine Angst. Erfreut, dich kennenzulernen.« Sie streicht sich das Haar zurecht. »Gefallen sie dir wirklich?«

»Ja. Total Neunziger. Du hast sie dir zwar schneiden lassen, ohne mir Bescheid zu sagen, aber na ja … Verzeih meinen Aufzug, aber meine Identität muss geheim bleiben.« Er hält ihr die Hand hin, Maria Cristina drückt sie und versucht, durch das Visier etwas von seinem Gesicht zu erhaschen.

»Hier sind wir sicher.« Die Raupe setzt sich ihr gegenüber. »Die Bäume ringsum schirmen uns von den Satelliten ab. Wir können nicht abgehört werden, der Camper ist ein faradayscher Käfig. Die Hunde beschützen uns. Und jetzt erzähl mir alles.«

Maria Cristina fährt sich mit den Händen übers Gesicht. Sie braucht einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen.

Dann beginnt sie bei dem Abend im Ruderklub und der Begegnung mit Nicola Sarti, erzählt von dem scheinbar zufälligen Treffen am nächsten Tag, von den Massagen, den Fotos von Alessio, dem Video und schließlich vom gestrigen Mittagessen und dem Debakel, das sie angerichtet hat. »Dann habe ich noch diesen Kassenbon von einem Fischgeschäft in Civitavecchia und nicht aus Mazara del Vallo gefunden. Und nun bin ich hier bei dir, um zu begreifen, ob ich Nicola Sarti für eine Bedrohung halten muss.«

»Ich kenne Nicola Sarti.«

»Wirklich?«

»Vor einem Jahr ist er bei einer Tagung für junge Unternehmer aufgetreten, organisiert vom Ministerrat. Er hat einen Vortrag über die Kunst gehalten, sich inspirieren zu lassen, ohne abzukupfern. Ist alles online.«

»Davon wusste ich gar nichts. Und welchen Eindruck hat er auf dich gemacht?«

»Wie einer, der sein Handwerk versteht und gerne raushängen lässt, wie erfolgreich er im Leben ist. Während des Vortrages hat er ständig von Enthusiasmus geredet.« Er verstummt, knetet sich den Hals und sagt: »Aber ich muss das Video sehen.«

»Welches Video?«

»Deins.«

Maria Cristina dreht sich zum Fenster um und blickt in den sich eintrübenden Himmel. »Muss das sein?«

»Ja, wenn ich dir eine Antwort geben soll, muss ich es sehen.«

»Das ist mir echt peinlich«, sagt Maria Cristina mit zusammengebissenen Zähnen.

»Kann ich mir vorstellen, aber keine Sorge, ich bin asexuell. Ein menschlicher Geschlechtsakt erregt mich kein bisschen.«

»Ah.« Maria Cristina holt das Handy hervor, sucht das Video heraus und gibt es ihm. »Hier.«

Die Raupe hält es sich mit beiden Händen vors Visier. »Nein, so sehe ich nichts. Ich muss den Helm abnehmen. Ich schaue es mir im Schlafzimmer an, wenn du nichts dagegen hast. Wie lang ist es?«

»Achtunddreißig Minuten.«

»Sieh mal an!«

»Ich weiß. Es ist endlos. Du kannst auch vorspulen. Aber, entschuldige, du musst es dir in meiner Anwesenheit angucken. Ich traue dir nicht. Du könntest es kopieren.«

»Leuchtet mir ein.« Die Raupe wendet ihr den Rücken zu, schiebt das Visier hoch und startet das Video.

Er hat es von Anfang bis Ende gesehen. Es waren die zermürbendsten achtunddreißig Minuten ihres Lebens, und weil Maria Cristina den Film auswendig kennt, hat sie jedes Keuchen und jedes Wort vorhergesehen, zunächst peinlich berührt, dann zunehmend gelangweilt, und als Nicola Sarti mit einem lauten Stoßgebet Gott sei Dank endlich kommt, ist ihr ein Seufzer der Erleichterung entfahren.

Die Raupe klappt das Visier herunter, dreht sich wieder um und gibt ihr das Handy zurück.

»Und?« Sie ist ungeduldig. »Was meinst du?« Wie gern würde sie diesem Darth Vader ins Gesicht sehen.

Die Raupe räuspert sich. »Tatsächlich ein bisschen zu lang und ein bisschen dunkel. Die Einstellung ist nicht besonders gelungen. Die Bildqualität entspricht der Zeit, ist also eindeutig mies. Es gibt große Momente, aber alles in allem ist es ziemlich öde.«

Maria Cristina wird rot. »Ich habe nicht gefragt, wie du es findest. Ich wollte wissen, können wir es sperren, wenn er es veröffentlicht? Und vor allem, hast du eine Ahnung, wieso er es mir geschickt hat?«

»Sperren glaube ich nicht. Es gibt immer eine zeitliche Lücke zwischen dem Onlinestellen und dem Eingreifen der Cyberpolizei, in der Zwischenzeit vervielfältigt sich das Video unkontrolliert wie ein Virus. Das ist eine Atombombe. Ich habe noch nie ein längeres und detaillierteres Promi-Pornovideo gesehen. Und weil es sich um die Frau des italienischen Premiers und obendrein um die schönste Frau der Welt handelt – immerhin hast du mehr Follower als Selena Gomez –, ist das Potential für weltweite Klicks praktisch unbegrenzt.« Die Raupe wird ganz hibbelig. »Wir reden von Milliarden Aufrufen an einem Tag. Das knallt richtig.«

Ein ironisches Lächeln kräuselt Maria Cristinas Lippen.

»Danke, wie herrlich …«

»Das Video dokumentiert einen Geschlechtsakt zwischen einvernehmlichen Erwachsenen. Es handelt sich weder um Vergewaltigung, noch hat man den Eindruck von erzwungenem Sex. Du bist nicht gefesselt oder in Handschellen, man nimmt keine Bedrohung wahr.« Die Raupe macht eine Pause. »Es sieht einfach aus, als hättet ihr Spaß. Wenn er es ohne deine Einwilligung verbreiten würde, beginge er natürlich eine Straftat.«

Sie hebt die Hand. »Moment, warte kurz, man sieht, dass wir getrunken haben, und er könnte mir K.-o.-Tropfen gegeben haben …«

»Nein. K.-o.-Tropfen machen einen benommen, fast bewusstlos, man wird zu einer Art Kartoffelsack. Aber du machst nicht den Eindruck, als wäre mit dir was nicht in Ordnung. Okay, du bist vielleicht ein bisschen beschwipst, aber du handelst aus freiem Willen. Außerdem war diese Art Droge damals noch nicht verbreitet. Sag mal, war dein Orgasmus echt?«, fragt er in einem Ton, in dem ein Apotheker nach der Krankenkassenkarte fragt.

Sie schaut ihn fassungslos an. »Dein Ernst?«

Mit diesem beschissenen Taucherhelm auf dem Kopf ist unmöglich zu sagen, ob die Raupe sich heimlich über sie lustig macht.

Maria Cristina schluckt einen Kloß hinunter. »Ja. Ich glaube, schon. Wenn ich es jetzt so sehe, würde ich sagen, ja.«

»Eben, er wirkt nicht gespielt. Und auch darüber werden sich die Leute den Kopf zerbrechen und versuchen herauszufinden, ob er echt ist oder vorgetäuscht.«

»Die Leute werden sich nicht den Kopf zerbrechen, weil sie ihn nicht zu Gesicht bekommen.«

»Ja, klar. War nur so ein Gedanke.«

Maria Cristina wird wütend, Hitze schießt ihr in die Wangen und Ohren. »Ich habe keinen Porno gedreht. Ich hatte einfach nur Sex mit einem Typen, mit dem ich eine Woche zusammen war.«

»Vor einer Kamera. Man spürt, dass ihr es beide wollt. Als du ihm am Anfang einen bläst, wirfst du einen Blick in die Kamera, den man …« Zum ersten Mal fehlen der Raupe die Worte. »Begehrlich nennen könnte. Es gibt eine ganze Reihe von Übergängen und Konstruktionen, die man eher aus Profipornos denn aus Amateurpornos kennt. Für die damalige Zeit ist Sarti richtig innovativ, vor zwanzig Jahren waren noch Pornos mit Handlung angesagt. Aber hier sehen wir den Initiationsritus einer Anfängerin, die zwischen Scham und Unverfrorenheit schwankt.«

Maria Cristina versucht ruhig zu bleiben. »Entschuldige, warst du nicht asexuell?«

»Ja. Aber Pornografie ist ein sehr präziser Gradmesser für gesellschaftliche Veränderungen. Und die interessieren mich. Dein Video würde ich ein Casting nennen.«

»Willst du mir damit sagen, dass das nicht sein erstes war?«

Die Raupe zuckt die Schultern. »Weiß ich nicht. Das Video ist im Stil der frühen Filme von Rocco Siffredi gedreht, als die subjektive Handkamera noch nicht zum Einsatz kam, die, wie du bestimmt weißt, alles verändert hat …«

Maria Cristina springt auf. »Jetzt reicht’s, Scheiße noch mal! Soll das ein Witz sein? Ich bin nicht hergekommen, um mir anzuhören, wie das Video in der Geschichte des Pornos einzuordnen ist. Ich will nur wissen, ob ich mir Sorgen machen muss. Das sollst du mir sagen. Sonst nichts.«

Der dreibeinige Dalmatiner kommt hechelnd und schwanzwedelnd herein, drängt sich an sein Herrchen und lässt sich den Kopf kraulen. »Brav, Simba. Ist ja gut …« Die Raupe wendet sich wieder Maria Cristina zu. »Deinen Schilderungen nach hat Nicola Sarti nichts von dir verlangt. Hätte er etwas gewollt, hätte er einen Weg gefunden, es dir zu verklickern.« Simba, dem die Streicheleinheiten nicht reichen, reckt den Hals, um sich das Kinn kraulen zu lassen. »Ich glaube, er hat das Video als Köder benutzt. Und es hat funktioniert, du hast ihn kontaktiert und dich mit ihm getroffen.«

Maria Cristina setzt sich wieder. »Ich weiß. Ich hatte meine Panik nicht im Griff. Aber was will er?«

»Eine sexuelle Beziehung, würde ich sagen. Würde er auf eine romantische Beziehung aus sein, hätte er wahrscheinlich eher auf die Freundschaft mit deinem Bruder gesetzt. Das Video ist der Schachzug eines Menschen, der keine Zeit verlieren will.«

»Ich bin verheiratet.«

»Das ist für ihn kein Hindernis. Die politische Frage, die die Italiener wirklich in Wallung versetzt, ist die, ob die Eheleute Mascagni sich wirklich lieben oder nur Theater spielen. Achtundsiebzig Prozent der Bevölkerung glauben, dein Mann habe eine Geliebte, aber nur siebzehn Prozent glauben, du hättest einen Liebhaber. Sie halten dich für treu und betrogen.«

»Ach, wie schön, schlimmer geht’s nimmer. Kann schon sein, dass Domenico eine Geliebte hat, aber, entschuldige …« Maria Cristina schüttelt den Kopf. »Wie soll unsere Ehe nur Theater sein? Ich habe uns eine Tochter geschenkt. Wir sind seit zehn Jahren zusammen. Das ist absurd.«

»Die Leute haben einen Riecher, die wittern die unüberbrückbare Kluft zwischen euch. Ihr haltet Händchen, aber eure Körpersprache drückt Unbehagen aus.«

Maria Cristina dehnt nachdenklich den Hals. »Glaubst du, Nicola Sarti hat es irgendjemandem gezeigt?«

»Vielleicht, aber ganz sicher hat er es nicht ins Netz gestellt, das hätte ich mitgekriegt. Was hätte er auch davon? Als er dir begegnet ist, warst du allein und nicht abgeneigt, da hat er sich gute Chancen ausgerechnet. Welches ehrgeizigere Ziel könnte sich ein Weiberheld setzen, als mit der Frau eines Premierministers in die Kiste zu steigen, die obendrein noch eine der schönsten Frauen der Welt ist? Nimm noch die Neugier hinzu, herauszufinden, wie du jetzt, als Milf, im Bett so bist … Nein, der will nur spielen. Ich würde sagen, du kannst beruhigt sein.«

Maria Cristina stützt die Ellenbogen auf das Tischchen. »Können vor Lachen … Ich schiebe eine solche Paranoia, dass ich nicht mehr schlafen kann, male mir aus, es würde eine größere Verschwörung dahinterstecken, irgendetwas Bedeutenderes, als eine sexy Mutter ins Bett zu kriegen.«

Die Raupe zieht die Dose mit den Keksen aus einem Hängeschrank. »Das Problem ist, dass du das Wächtermurmeltier bist.« Er stellt die Dose auf den Tisch. »Murmeltiere leben in Gruppen, und sobald sie eine Gefahr wittern, verstecken sie sich in ihren Bauen. Die Wächter haben die Aufgabe zu pfeifen, sobald sich eine Bedrohung nähert. Wie sie ausgewählt werden, bleibt ein Geheimnis, aber Zoologen haben herausgefunden, dass es besonders wachsame Tiere sind, in ihrem Blut ist der Gehalt des Stresshormons Cortison höher. Bei der winzigsten Regung, der kleinsten Veränderung in ihrer Umgebung schlagen sie Alarm. Diese Exemplare schlafen weniger und treten deshalb auch früher ab, aber für das Überleben der Gruppe sind sie unerlässlich. Bei den Menschen ist es letztlich genauso. Ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung verbringt sein Dasein damit, den Horizont abzusuchen. Das sind Leute mit einer genetischen Unverträglichkeit, sich vorschreiben zu lassen, was wahr ist und was nicht. Auf der Suche nach dunklen Gefahren und Verschwörungen entwerfen sie eine Gegenerzählung, die jedes Ereignis, das für alle anderen als gesellschaftliches Bindemittel funktioniert, infrage stellt. Sie zweifeln an jedem, der Einfluss auf ihr Leben hat, und am Wahrheitsgehalt bekannter Tatsachen. Deshalb ist die Erde eine Scheibe, die Mondlandung hat es nicht gegeben, die Twin Towers wurden von Aliens zerstört, Impfstoffe verwandeln Kinder in Roboter und so weiter. Aber diese Paranoiker haben die bedeutende Rolle, die Bevölkerung wachzuhalten, sie nicht blind in die Gefahr laufen zu lassen. Sie sind die Verrückten, die nicht an das Trojanische Pferd glauben und die emsigen, pflichttreuen Ameisen warnen. Und du bist, genau wie ich, ein Wächtermurmeltier.«

Maria Cristina deutet auf den Helm. »Nimmst du den deshalb nicht ab? Fürchtest du, magnetische Strahlen könnten dein Hirn verbrutzeln?«

»Nein. Ich versuche, anonym zu bleiben. Um dir mein Gesicht zu zeigen, müsste ich mir sicher sein, dass ich dir trauen kann.«

Maria Cristina öffnet die Dose, nimmt sich einen Keks und beißt hinein. »Aber ich habe dir mein Video gezeigt, du solltest mir vertrauen.«

»Ich werde dir vertrauen, wenn du mir vertraust.« Die durch den Helm ohnehin gedämpfte Stimme wird noch leiser. »Während ich mir das Video angesehen habe, ist mir etwas klargeworden.« Er streckt die Hand aus und ergreift Maria Cristinas Handgelenk. »Hör zu. Dein Mann wird die nächste Wahl verlieren. Er hat Mühe, Verbündete zu finden, Sanvoisin, Imbelloni, arme Schweine, gekauft mit ein paar mickrigen Wählerstimmen, aber gesiegt hat die Rechte. Theoretisch gibt es nur einen Weg, noch einmal zu gewinnen, und der bist du.«

Maria Cristina lacht kurz auf und zieht die Hand zurück. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass mein Interview das Schicksal der Regierung ändern kann?«

»Das Interview nicht. Aber das Video schon.«

»Wie meinst du das?«

»Hör zu.« Die Raupe setzt sich neben sie, nimmt wieder ihre Hand, der Helm ist nur wenige Zentimeter entfernt. Maria Cristina presst sich gegen die Schaumstofflehne, durch das Visier ist das Profil einer schmalen, geraden Nase zu erahnen.

»Wenn wir dein Video im richtigen Moment in die Welt schicken, zwei Wochen vor der Wahl, haben wir gewonnen. Das gebe ich dir schriftlich.«

Die Worte des Social-Media-Managers treffen sie so heftig, als hätte er ihr eine runtergehauen, der stinkende Camper scheint zu schwanken, doch sie lässt sich nichts anmerken.

Die Raupe ist richtig angefixt. »Ich weiß, das klingt abgedreht, aber das ist es nicht. Dein Video ist der perfekte Mediensturm. Niemand wird ihn ignorieren können. Du hast das dritte Geheimnis von Fatima in deinem Handy, einen Meteoriten, der die Erdachse verschieben kann, alles stünde wieder auf Los, all die heuchlerischen Ziele, fadenscheinigen Programme und Wahllügen wären vergessen, denn das ist die Wahrheit: Die nackte, schamlos zur Schau gestellte Wahrheit des Fleisches siegt immer über die Lüge.« Er deutet auf das Handy. »Ich wage mir gar nicht auszumalen, was für eine unglaubliche Wirkung die Verbreitung hätte.«

Maria Cristina schnappt sich das Telefon und presst es sich an die Brust. Sie will aufstehen, doch es ist, als steckten ihre Füße in Zement und als würden in ihren Waden hunderttausende Ameisen kribbeln.

»Die von deinem Mann gemachten Fehler wären mit einem Fingerschnipp vergessen. Eine globale Wirkung mit Überschallgeschwindigkeit, in sechs Stunden hätte man die ganze Welt und erzielte mehr Aufrufe als jedes andere je von Menschenhand gemachte Video. Werbegrundsätze, Kommunikationsstrategien, Wahlkampf – alles für die Tonne. Boom!« Die Raupe springt auf wie ein jäh erleuchteter Prophet. Die Sonnenstrahlen, die so staubgesättigt durch die Dachluke sickern, dass man sie fast anfassen kann, verleihen ihm eine mythische Aura. »Mein Gott, Maria Cristina, stell dir das vor … Sämtliche Widersacher vernichtet, und du gehst als Opferlamm daraus hervor. Du, Madonna unendlicher Schönheit, stille Ehefrau, liebende Mutter, vergewaltigt und erpresst vom Teufel, in ihrer Intimität öffentlich zur Schau gestellt wie eine Heilige beim Martyrium. Du würdest dich gar nicht retten können vor Liebe, die alle Wunden heilt. Wir hätten die gesamte weibliche Wählerschaft auf unserer Seite, dann käme noch das große LGBTQ-Volk dazu und schließlich die zwischen Schuldgefühlen und Geilheit zerrissenen Männer. Wir haben gewonnen.«

Maria Cristina lächelt. Nickt zustimmend: richtig, klar, keine Frage, sicher.

»Sie würden nicht wählen, um ein politisches Lager zu unterstützen, sondern als Wiedergutmachung, um dir ihre Zuneigung zu zeigen.« Die Raupe breitet die Arme aus. »Weder eine verstaubte Ideologie aus dem zwanzigsten Jahrhundert würde sie zur Wahl bewegen noch ein widergekäutes Regierungsprogramm, Steuernachlass, Genehmigungsverfahren zum Einbau eines Klofensters, gesenkte Verbrauchsabgaben. Sie würden aus Liebe wählen.«

Mit einem athletischen Satz, der ihre Hochsprünge in Helsinki in den Schatten stellt, schnellt Maria Cristina mit gereckten Beinen aus dem Camper des Grauens.

»Nein. Warte. Du verstehst nicht.« Die Raupe streckt eine Hand aus, will ihr nachhechten, knallt mit dem Helm gegen die untere Kante des Hängeschranks und geht so heftig zu Boden, dass die ganze Schrottkiste wackelt. Halb benommen rappelt er sich hoch und fällt stolpernd aus der Tür. »Hör mir zu. Bitte. Du bist die nächste Premierministerin. Du bist die erste weibliche Ministerpräsidentin. Tu es für die Frauen …«, brüllt er ihr nach.

Wenn der großartige Lucio Battisti sich schon fragte, wie eine Klippe das Meer aufhalten kann, braucht man sich die Frage, wie eine Raupe eine Gazelle aufhält, wohl nicht mehr zu stellen. Da ist sie also, unsere Heldin, und sprintet mit langen Sätzen durch Salat-, Karden- und Zichorienbeete, während die Hunde kläffend um sie herumwetzen.

»Warte! Schau mich an! Maria Cristina, schau mich an!«, brüllt der Social-Media-Manager.

Im Laufen blickt sie flüchtig zurück, er kniet ohne Helm auf der Lichtung, zu weit weg, als dass man sein Gesicht erkennen könnte. Mit gesenktem Kopf hält Maria Cristina auf das Tor zu, ist mit abwechselnd ausholenden Armen und Beinen bereits auf der Straße und spurtet weiter. An Puste fehlt es ihr nicht.

Die Straße verliert sich in einem fahlen Nadelwald. Maria Cristina läuft nicht mehr, sie marschiert, die Hände in den Hüften. Jenseits einer Lichtung ist die mehrere Kilometer entfernte Autobahn zu sehen, wie ein Billardstock liegt sie im trüben Tal. Wie soll sie zum Auto auf dem Rastplatz zurückkehren? Auf dem Handy erscheint ein Empfangsbalken. Sie bleibt stehen. Ratlos, wen sie anrufen soll. Den Fahrer, Caterina, die Carabinieriwache im nächsten Dorf? Wie lange wird Luciano bis hierher brauchen? Zwei, drei Stunden. Sie wird sich irgendwo verstecken und auf ihn warten.

Sie ruft ihn an, aber das Faktotum antwortet nicht. Sie versucht es noch einmal. Immer wieder. Und dann, endlich: »Cri.«

»Luciano! Ein Glück. Du musst mich abholen. Ich bin in der Nähe von … Keine Ahnung. Sobald ich kann, schicke ich dir meinen Standort. Unweit von Avezzano, irgendwo in den Abruzzen. Beeil dich. Lass alles stehen und liegen.«

»Cri, ich kann nicht …«, sagt er matt. »Ich hatte ein Problem …«

»Was? Was ist passiert?«

»Nichts Schlimmes. Aber ich kann nicht kommen.«

»Wo bist du?«

»Im Krankenhaus.«

Maria Cristinas Stimme zittert. »Im Krankenhaus? Wieso?«

»Es ist was mit dem Herzen. Ich werde heute operiert. Aber nichts Ernstes.«

»Wie, nichts Ernstes?«

»Ganz ruhig, Cri. Der Arzt sagt, ich komme durch.«

»Bist du allein?«

»Ja.«

»Und deine Frau?«

»Ist nicht hier.«

»Wann kommt sie?«

»Sie kommt nicht. Aber keine Sorge. Echt.«

»Schick mir deinen Standort. Ich hole das Auto und komme zu dir.«

»Nein. Nicht nötig«, bemüht er sich halbherzig.

»Keine Diskussion. Schick mir deinen Standort.« Maria Cristina beendet das Gespräch und läuft wieder los.

Hinter ihr ein Geräusch. Sie dreht sich um, in der Kurve taucht ein mit Baumstämmen beladener Lastwagen auf. Mit rudernden Armen stellt sie sich auf die Straße. »Anhalten! Es ist ein Notfall!«

»Jetzt höre ich gerade Lolita von Nabokov, der hat aber auf Englisch geschrieben«, erzählt der Lastwagenfahrer. »Mit den großen Russen bin ich durch, da wäre noch Bulgakow, aber Der Meister und Margarita hat mich ein bisschen enttäuscht. Alle sagen, das sei ein Meisterwerk, aber ich finde das nicht.«

»Die Russen … Dostojewski …«, sagt Maria Cristina, die Augen auf die Straße geheftet, die Hand an den Türgriff geklammert, die südlich eingefärbten Worte des Brummifahrers vage in den Ohren. Wenigstens ist er nett und hat sich angeboten, einen zwanzig Kilometer langen Umweg zu fahren und sie bis zur Raststätte zu bringen. Wundersamerweise hat er sie nicht erkannt, obwohl sie ihre Sonnenbrille im Wohnmobil des Wahnsinnigen vergessen hat. Vielleicht ist er ein Außerirdischer mit einem Faible für terrestrische Literatur. Tatsächlich sieht sein Gesicht zusammengestückelt aus, eine Collage aus Augen, Nase, Mund und Kinn. Auch der dünne dunkelblaue Pulli mit dem Rundhalsausschnitt, aus dem ein hellblauer Hemdkragen hervorschaut, ist völlig nichtssagend.

Der Fahrer dreht sein riesiges Lenkrad, schwenkt auf die Telepass-Spur und passiert die Mautstation.

»Was halten Sie von Conrad?«

Maria Cristina seufzt. »Großartig.«

»Der war Pole. Und hat auf Englisch geschrieben. Genau wie Nabokov.«

»Zwei Genies«, entgegnet Maria Cristina mit dem Fitzelchen Verstand, mit dem sie noch anwesend ist.

»Beide Slawen. Die Slawen tun sich mit Fremdsprachen leichter. Die aus dem Osten sind gut mit Sprachen, die Schwarzen können tanzen, die Brasilianer Fußball spielen. So heißt es zumindest. Klischees, aber manchmal treffen sie zu.«

»Stimmt«, befindet sie.

Das Krankenhaus, in dem Luciano liegt, ist in der Nähe von Pomezia, an der Südküste Latiums. Die Santa-Patrizia-Klinik. Auf den Fotos im Internet sieht sie hübsch aus. Wie ist er bloß dort gelandet? Vielleicht, weil er häufig in Nonnenklostern und bei alten Damen mit sanierungsbedürftigen Häusern am Meer zu tun hat.

»Haben Sie was dagegen, wenn ich wieder Lolita anmache?« Der Fahrer schaut sie an. »Es sind noch rund zehn Kilometer.«

»Nein, gar nicht.«

Der Fahrer schaltet die Autoanlage ein, und eine ruhige, tiefe Stimme erfüllt die Fahrerkabine.

»Bei meinen hygienischen Beziehungen zu Frauen ging ich fortan praktisch, ironisch und bündig vor. Als Student in London und Paris genügten mir bezahlte Damen. Mein Studium …«

Auf dem Handy berechnet Maria Cristina die Fahrzeit. Wenn es keinen Verkehr gibt, sind es bis zur Klinik rund zwei Stunden.

Der Laster hält auf dem Parkplatz.

»Da sind wir«, sagt der Fahrer.

»Das ist wahnsinnig nett von Ihnen. Tausend Dank. Sie haben mich gerettet.«

Der Mann überkreuzt die Finger. »Ich hoffe von ganzem Herzen, dass Ihr Freund wieder gesund wird.«

»Hoffen wir’s«, sagt sie und unterdrückt den Impuls, ihm einen Kuss zu geben.

Er richtet den Zeigefinger auf sie und runzelt die Stirn. »Entschuldigung, aber Sie erinnern mich an jemanden …«

Maria Cristina lächelt und nickt. Wie soll sie ihm bloß erklären, warum die Frau des Premiers allein im Wald unterwegs war?

»Sind Sie zufällig die Cousine von Maurizio Tonini, dem Reifenhändler in Portonaccio? Diese Schönheit, Tamara, die bei der Regionalverwaltung arbeitet?«

Ein Wunder. »Nein. Die bin ich nicht.« Sie durchzuckt der Gedanke, ihm ein Trinkgeld zu geben, nein, das könnte ihn kränken. Sie gibt sich einen Ruck. »Darf ich ihnen einen Kuss geben?«

Die Züge des Brummifahrers setzen sich zu einem sympathischen, freundlichen Gesicht zusammen. »Sicher doch.«

Nicht einen. Zwei Schmatzer auf die Wangen.

»Hals und Beinbruch. Ihnen und Ihrem Freund«, wünscht ihr der Unbekannte und fährt sich mit den Fingerspitzen übers Gesicht.

»Wird schon«, erwidert Maria Cristina und steigt aus dem Laster.

4.

Zielort Santa-Patrizia-Klinik. Das Navi gibt eine gute halbe Stunde an, aber die Autoschlange nimmt kein Ende. Die Sonne am wolkenlosen Himmel beginnt allmählich zu sinken, ein paar Zirruswolken kauern blendend weiß auf dem Horizont.

Maria Cristina fährt gesittet auf der rechten Spur, in Gedanken zwischen dem irren Verstand der Raupe und Lucianos krankem Herzen.

Irene ruft an.

»Schätzchen.«

»Mama.«

»Ist die Schule vorbei?«

»Ja. Ich bin gerade auf dem Heimweg. Und wo bist du?«

»Ich fahre zu Onkel Luciano. Er liegt im Krankenhaus. Er hat was am Herzen.«

»Geht es ihm schlecht?«

»Ja.«

»Stirbt er?«

»Nein. Ach was! Nein, auf keinen Fall.«

»Der Arme. Das tut mir total leid. Kann ich ihn besuchen kommen?«

»Heute nicht. In den nächsten Tagen fahre ich mit dir hin.«

»Ok. Wann kommst du wieder?«

»Sobald ich weiß, wie es ihm geht.«

»Hör mal, Mama, wäre es okay, wenn ich bei Oma Maria übernachte?«

»In Ordnung. Aber denk an deine Schularbeiten. Abgemacht?«

»Ja. Oma hat mir ein Geschenk gekauft, ein perfektes Aquarium.«

»Was soll das heißen?«

»Dass man nichts machen muss. In einer Glaskugel sind winzig kleine Krebse, die Algen fressen, man muss es nur in die Sonne stellen. Die brauchen gar nichts, verstehst du?«

»Verstehe. Und was brauchst du, mein Krebschen?«

Irene überlegt kurz. »Dich.«

»Und ich dich. Ich bin bald wieder da. Verstanden?«

Die schrägstehende Sonne blendet, und Maria Cristina schließt die Augen, während ihr Herz fast birst vor Mutterliebe, die so groß ist, so überwältigend und unverzichtbar, dass ihre Brust sie in diesem Augenblick nicht zu fassen vermag. Sie durchströmt sie ohne Hindernisse und Barrieren, ohne Abgründe, Sorgen oder Konflikte, reinste Liebe, die sie in den Knochen spürt, im Blut, in Irenes glattem Haar, in den drolligen Wünschen ihrer kleinen Biologin, die jede Aufmerksamkeit und jede Zuwendung verdient, um vor diesem Dasein voller Abgründe und Gefahren geschützt zu sein.

»Mama, ich habe mir überlegt, sobald du kannst, müssen wir verreisen. Wir schauen uns die Leguane und die Riesenschildkröten an. Die leben ganz weit weg auf einer Insel, aber mit dem Flugzeug braucht man gar nicht lang, einmal schlafen, und man ist da.« Irene legt so viel Begeisterung wie möglich in ihren Vorschlag.

»Na schön. Aber im Augenblick geht das nicht, weißt du. Zumindest nicht, solange Papa Präsident ist. Danach fahren wir, wohin du willst. Das verspreche ich dir.«

»Wann ist er damit fertig?«

Die Stimme des Navis teilt ihr mit, dass sie ihr Ziel erreicht hat.

»Bald. Hör mal, Liebling, jetzt muss ich Schluss machen. Wir reden später weiter. Grüß mir Oma. Hab dich lieb«, sagt Maria Cristina und setzt den Blinker.

»Ich dich auch. Grüß mir Onkel Luciano.«

Auf der anderen Straßenseite, eingerahmt von zwei Zypressen, steht ein graues Tor, das mit einem großen schmiedeeisernen Bogen mit dem Schriftzug »Santa-Patrizia-Klinik« überspannt ist.

Maria Cristina folgt einer Allee, die zur Klinik hinaufführt, und hält vor einem modernen Bau im Lloyd-Wright-Stil. Gläserne Quader, Pavillons und Wetterdächer aus Stahlbeton, umgeben von einem japanischen Garten mit wenigen Pflanzen, die sich nach den Launen des Gärtners verrenken. Neben dem Eingang ruht ein rechteckiges Becken, dunkles Wasser über kiesigem Grund.

Ehe sie aus dem Wagen steigt, zieht sie den Lippenstift nach. Ihr Kleid ist voller Hundehaare, zwecklos, sie abzuklopfen, sie bringt sich halbwegs in Ordnung, durchschreitet die vor ihr aufgleitende Glastür und betritt den Empfangsbereich. Der Raum ist leer, die Wände sind mit hellen Holzleisten vertäfelt, die sich vom dunklen Zementboden abheben. Auf einer Seite reihen sich giftgrüne Sessel mit Stahlfüßen. Hinten, im Halbdunkel, schimmert ein beleuchteter Tresen, dahinter zwei Sekretärinnen, die aussehen wie Zwillinge, blaue Kleidung, straff im Nacken zusammengebundenes Haar.

Sie geht auf eine der beiden zu, die am PC beschäftigt ist, und fragt nach Luciano Vasile.

Die junge, blonde, wie ein Pfefferkäse mit Leberflecken übersäte Frau schaut sie an, ohne zu antworten. Sie hat sie erkannt und ist hin und her gerissen zwischen Professionalität und Verblüffung, einen echten Promi vor sich zu haben. Ihre Pupillen sind reglos wie der Pfeil einer PC-Maus beim Systemneustart. Die Verblüffung siegt. Die junge Frau fährt sich mit der Zunge über die Lippen. »Sind Sie Maria Cristina Mascagni, die Frau des Premiers?«

»Ja. Das bin ich. Guten Tag.«

»Guten Tag. Es ist eine riesige Freude, Sie bei uns zu haben.« Vergeblich versucht sie ihre Empfindung in Worte zu fassen und fragt stattdessen, ob sie netterweise noch einmal wiederholen könne, nach wem sie sucht.

»Luciano Vasile.«

Die Sekretärin schaut in ihren Computer. »Da haben wir ihn. Zweiter Stock. Zimmer sechsunddreißig. Gerade wird er untersucht, aber er sollte bald wieder da sein. Ich glaube, ein Angehöriger ist bei ihm.«

»Ah, gut.« Zum Glück ist seine Frau gekommen. »Ich möchte mit dem Arzt sprechen, der sich um Signor Vasile kümmert«, sagt sie im Befehlston.

Die junge Frau erschaudert wie eine Binse im Wind. »Natürlich, Signora. Sofort. Professor Guidoni operiert gerade, aber sobald er fertig ist, schicke ich ihn zu Ihnen. Wenn Sie nichts dagegen haben, kommt ein Assistent zu Ihnen und setzt Sie über alles ins Bild.«

»Bestens.« Mit knatternden Absätzen steuert Maria Cristina auf den Fahrstuhl zu.

Hinter den aufgleitenden Aufzugtüren liegt ein langer, menschenleerer Flur. Kein Geräusch ist zu hören, Zimmer reihen sich zu beiden Seiten im Halbdunkel aneinander und enden vor einer Glasfront, durch die sich die Sonne zeigt. Was macht Luciano in einer so luxuriösen Klinik? Die Situation hat etwas Enthobenes und Unwirkliches. Maria Cristina folgt den Zimmernummern, ganz hinten, im Gegenlicht, ist die unscharfe Silhouette eines Mannes zu erkennen, der mit einer Schulter an der Wand neben der Sechsunddreißig lehnt und in sein Handy spricht. Als er sie kommen hört, dreht er sich um.

Nicola Sarti.

Maria Cristina ist dermaßen überrascht und unfähig, diesem Anblick einen Sinn zu geben, dass sie für einen Wimpernschlag glaubt, er könnte ein Doppelgänger sein. Es gibt keine logische Erklärung für Nicola Sartis Anwesenheit an diesem Ort. Mit einem Fragezeichen in den Augen steht sie da und bringt kein Wort heraus.

Reglos sehen die beiden sich an.

»Entschuldige. Ich rufe dich zurück. Ich rufe dich später zurück«, sagt Nicola Sarti ins Telefon und legt auf. »Ciao, Maria Cristina.«

»Und …?«, haucht sie tonlos und deutet auf das Zimmer.

»Nicht da. Er ist beim Ultraschall.«

Es ist wirklich Nicola Sarti.

»Er hatte einen Infarkt. Aber jetzt geht es ihm besser. In Kürze wird er operiert. Professor Guidoni ist ein Genie, er hat meinen Vater gerettet. Also mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.«

Maria Cristina kann es nicht fassen.

»Moment. Ich erklär’s dir. Lass uns reingehen.« Nicola Sarti öffnet die Zimmertür und lässt sie eintreten.

»Als ich heute Morgen aus dem Resort komme, versperrt mir ein Panda die Straße. Stoßstange an Stoßstange. Ich habe nicht sofort begriffen, was los ist, ich dachte, es gibt ein Problem, ein Unfall, jemand braucht Hilfe. Also steige ich aus, und der andere steigt auch aus und fragt mich, ob ich Nicola Sarti bin. Ich sage ja, und der fängt an, mich wie ein Irrer anzuschreien und mir Beleidigungen an den Kopf zu werfen. Ich sage, er soll sich beruhigen. Aber der denkt gar nicht daran und bedroht mich. Ich bringe dich um. Wag es ja nicht. Mistkerl. Einen Moment lang dachte ich, es wäre ein ehemaliger Angestellter von mir, den ich rausgeschmissen habe. Ich frage ihn, was ich ihm getan habe. Aber der stürzt auf mich zu, und ich sehe, dass er einen Schraubenschlüssel in der Hand hat. Du musst Cri in Ruhe lassen, wiederholt er immer wieder. Ich schlage dir den Schädel ein. Cri? Welche Cri? Mir war nicht sofort klar, dass du gemeint bist. Er stürzt sich wieder auf mich. Als er das nächste Mal Anlauf nimmt, weiche ich aus und mache mir seine Behäbigkeit zunutze, um ihn unschädlich zu machen, ich gebe ihm von hinten einen kleinen Schubser, er landet kopfüber im Graben neben dem Tor, wo gerade Glasfaserkabel verlegt werden, und liegt im nächsten Moment unten in den Brombeeren. Das alles hat vielleicht dreißig Sekunden gedauert.« Nicola Sarti holt Luft, kratzt sich den Bart und zieht ungläubig die Schultern hoch.

Maria Cristina setzt sich mit weichen Knien aufs Bett. »Und dann?«

»Ich beuge mich über den Graben. Im Gestrüpp war nichts zu sehen. Ich rufe nach ihm. Nichts. Was, wenn er tot ist, sage ich mir. Also klettere ich runter, kämpfe mich durch die Brombeeren und finde ihn ganz unten, zusammengekrümmt neben den Telefonleitungen. Den Kopf im Matsch. Ich rufe ihn, he, he, sage ich, er sieht aus wie tot. Scheiße, ich habe ihn umgebracht, sage ich mir. Ich zerre an seinen Hosen und versuche ihn umzudrehen, aber er rührt sich nicht, er ist dick, ich packe ihn am Arm und ziehe, und er macht die Augen auf und beißt mich mit einem Schrei in die Hand. Schau.« Er zeigt ihr seine Hand, auf deren Rücken ein Pflaster klebt.

»Ich fasse es nicht, ich fasse es nicht«, sagt Maria Cristina immer wieder. »Und was ist dann passiert?«

»Ich habe ihm einen Tritt verpasst.«

»Nein!«, Maria Cristina schlägt sich die Hand vor den Mund.

»Oh, doch.« Nicola Sarti breitet die Arme aus. »Er hat das Bewusstsein verloren. Also bin ich wieder rauf zur Straße, steige ins Auto und versuche die Polizei anzurufen. Da sehe ich, wie der Wahnsinnige wieder auftaucht, sich eine Hand in die Seite drückt und zu seinem Auto humpelt. Dann bricht er zusammen. Ich renne hin und stelle fest, dass es ihm schlecht geht, er kann den Arm nicht bewegen, atmet schwer. Infarkt. Keine Zeit, um auf den Krankenwagen zu warten. Ich hocke mich auf ihn und fange an, mit durchgedrückten Armen sein Herz zu massieren, ich habe dreißig Mal gepumpt und zwei Mund-zu-Mund-Beatmungen gemacht. Dann habe ich ihn ins Auto geladen und hierhergebracht. Sie haben gleich seine Herzenzyme untersucht. Ein Glück, dass die gleich zur Stelle waren.«

Maria Cristina ist sprachlos. »Du hast ihm das Leben gerettet.«

»Sieht so aus. Später ging es ihm zum Glück schon besser. Ich habe ihn gefragt, wer er ist, und er hat mir erzählt, dass er Luciano heißt und für dich arbeitet, du seist wie eine Schwester für ihn, und er hat mich angefleht, das Video nicht ins Netz zu stellen.«

Maria Cristina vergräbt das Gesicht in den Händen und krümmt sich zusammen. Sie hat nur das eine, übermächtige Verlangen, die blaue Auslegewage vom Boden zu reißen, sich bis ins Erdinnere zu graben und dort, im lodernden Kern, wie ein Streichholz zu verglühen. Stattdessen richtet sie sich auf, nimmt seine Hand, blickt ihn mit schmalen Lippen an und flüstert: »Es tut mir wahnsinnig leid, Nicola. Ich bin untröstlich, fassungslos. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es mir geht, wie schlecht ich mich fühle.«

»Was hast du denn damit zu tun?«

»Es ist meine Schuld. Ich hätte es ihm nicht erzählen dürfen. Das war ein Fehler. Aber ich schwöre dir, dich aufzusuchen war seine Idee, er hat den Verstand verloren. Ich schwöre es dir bei meiner Tochter. Glaubst du mir?«

»Ja. Wenn du mir eine Lektion hättest erteilen wollen, hättest du dir einen fieseren Kerl gesucht«, sagt er spöttisch.

»Luciano liebt mich. Er wollte mir helfen. Ich habe ihm gesagt, ich würde mir Sorgen machen. Ich bitte dich um Verzeihung und danke dir, dass du ihn gerettet hast. Er ist ein schwacher, kranker Mann, aber er ist wie ein Bruder für mich.« Maria Cristina geht vor Nicola Sarti auf die Knie. »Vergib mir. Vergib Luciano. Und vergiss uns. So, wie ich dich im Restaurant behandelt habe, und nach diesem Ärger hast du jedes Recht, mich zu hassen. Wir werden für immer aus deinem Leben verschwinden. Ich bitte dich nur, ihn nicht anzuzeigen, bitte, Nicola.« Sie fängt stumm an zu weinen.

Nicola Sarti nimmt ihre Hand.

»Nicht doch. Steh auf. Lass das, bitte. Mir ist klar, dass Luciano ein guter Mensch ist, er hat es aus Liebe zu dir getan, und zum Glück konnten wir ihn retten.«

»Da sind wir wieder. Darf man hereinkommen?« Aus dem Flur erklingt eine Stimme mit ciociarischem Einschlag. »Wir sind zurück.«

Maria Cristina versucht sich zusammenzureißen.

Die von zwei Krankenpflegern geschobene Liege rollt ins Zimmer. Auf ihr liegt Luciano. Er trägt einen rosa Kittel, hat einen Tropf im Arm, seine dicken, unbehaarten Beine schimmern wie Silikon. Sein linkes Auge ist zugeschwollen.

Mit einer gekonnten Bewegung wuchten ihn die beiden Pfleger aufs Bett und decken ihn zu. »Gleich kommt der Doktor. Jetzt ruhen Sie sich aus«, sagt der eine, ein hagerer Kerl mit Knebelbart, im zupackenden Ton eines Menschen, der sich mit Kranken auskennt. »Wenn irgendetwas ist, klingeln Sie.« Der andere, ein muskulöser junger Araber, hat Maria Cristina erkannt und kann die Augen nicht von ihr losreißen. Die beiden verabschieden sich und gehen tuschelnd davon.

Nicola Sarti stellt sich zu Luciano. »Hast du gesehen, wer hier ist? Cri ist gekommen. Freust du dich? Sie war sofort da.« Er spricht begütigend wie mit einem Kind.

Das Faktotum nickt, schaut zu Maria Cristina hinüber und lächelt. Entweder ist er nicht ganz bei sich oder gelähmt vor Scham.

»Er ist müde, und sie haben ihn mit Medikamenten vollgepumpt«, sagt Nicola Sarti zu ihr und wendet sich wieder an den Infarktpatienten. »Ich gehe jetzt. Ich habe mit Professor Guidoni gesprochen, der dich operieren wird. Er ist ein hervorragender Arzt und er sagt, das ist ein simpler Routineeingriff, er ist ganz entspannt. In ein paar Tagen schicken sie dich nach Hause. Du musst dir gar keine Sorgen machen.« Mit einer Handbewegung deutet er auf das Zimmer. »Und das hier lässt du meine Sorge sein. Verstanden?«

Wie ein einäugiger Seeteufel lächelt Luciano seinen Retter an.

Maria Cristina steht mit verschränkten Armen daneben, irritiert, die beiden miteinander plaudern zu sehen.

Nicola Sarti blickt auf seine Rolex. »Entschuldige, Luciano, aber ich muss leider los. Ich erkundige mich nach dir. Es wird alles gut.« Winkend verlässt er das Zimmer, gefolgt von Maria Cristina, die sich ihm in den Weg stellt. »Nicola, kommt gar nicht in die Tüte, ich zahle für Luciano. Auf keinen Fall. Ich weigere mich, er hat dich sogar in die Hand gebissen, nein, kommt gar nicht infrage …«

Er legt sich den Zeigefinger an die Nasenspitze und unterbricht sie. »Maria Cristina, hör zu. Ich habe das schon geregelt. Ich kenne die Klinik, da gibt’s gar kein Problem. Du bleibst bei Luciano, er wirkt verängstigt. Mach ihm klar, dass es nichts Schlimmes ist, aber dass er seine Lebensgewohnheiten ändern muss. Ich gehe jetzt. Ciao.« Mit einer flüchtigen, beschließenden Geste legt er ihr die Hand auf die Schulter.

Maria Cristina lässt ihn nicht vorbei. »Ich stehe für den Rest meines Lebens in deiner Schuld. Das weißt du. Und verzeih mir für alles. Ich bin ein Miststück.«

»Du bist kein Miststück.« Ohne ein weiteres Wort schiebt sich Nicola Sarti an ihr vorbei und geht mit eiligen Schritten in Richtung Aufzug davon, den Blick auf das Handy gerichtet und ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie steht in der Tür und sieht ihm nach, bis er verschwunden ist.

Im kalten Leichenschauhauslicht liegt Luciano Vasile rücklings da, die Arme an den Seiten, den Hals vom Kissen verdreht. Trüge er ein Schildchen um den großen Zeh, könnte man ihn für eine Leiche halten, doch zum Glück atmet er tief und regelmäßig, ein Lebenszeichen.

Maria Cristina tritt behutsam ans Bett, sie will ihn nicht wecken.

Doch er ist wach und mustert sie mit seinem unversehrten, blutunterlaufenen Auge.

»Brauchst du etwas? Ein bisschen Wasser? Ich weiß nicht, ob du was trinken darfst.« Maria Cristina hält die Flasche hoch. »Ist dir kalt? Es gibt noch eine Decke.«

Er schüttelt den Kopf. Offenbar hat man ihm ein Beruhigungsmittel gegeben, er wirkt benommen.

Maria Cristina setzt sich auf die Bettkante und streichelt ihm die Stirn. »Was hast du bloß angestellt? Kannst du mir das mal verraten?«

Luciano mustert sie, ihm fehlen die Worte, oder vielleicht hat er zu viele, er zuckt mit den Schultern, kneift den Mund zusammen und saugt die Lippen ein. Das unversehrte Auge wird feucht, und eine Träne rinnt ihm an der Nase herab. »Tut mir leid.«

»Das macht doch nichts. Ich weiß doch, dass du mich beschützen wolltest, aber ist dir klar, dass du hättest sterben können?«

»Wäre besser gewesen.«

»Spinnst du? Es ist nichts Schlimmes passiert. Jetzt wirst du operiert, und alles ist wieder gut. Hast du gesehen, was für ein schönes Krankenhaus? Und der Arzt ist gut.«

Er reißt den Mund auf, und Maria Cristina befürchtet schon eine Herzattacke, doch er weint stumm.

»Nicht doch …« Maria Cristina streicht ihm das noch immer schlammverkrustete Haar zurecht. »Nicht doch, Luciano. Hör auf, bitte.« Sie nimmt seine Pranke, streichelt einen verstümmelten Finger, wendet den Kopf und starrt in die Zimmerecken und durch das Fenster auf eine in grüne Plastikplane eingepackte Palme. Sie atmet durch, doch es hilft nicht, und wedelt sich mit der Hand Luft zu, um die Tränen zurückzudrängen.

»Nein, Cri. Nein. Nicht weinen«, nuschelt Luciano leise. »Ich bin ein Volltrottel. Du hast recht. Aber ich habe es nicht mehr ertragen, dich so zu sehen. Du hast es nur mir erzählt. Stimmt’s?«

Sie nickt.

»Von da an konnte ich an nichts anderes mehr denken.« Rotz läuft ihm aus der Nase und mischt sich mit den Tränen und der Jodtinktur. »Ich wollte ihn umbringen, ihm den Schädel einschlagen. Und hätte er sich nicht verteidigt, hätte ich es getan. Dann hätte ich mich der Polizei gestellt. Der Knast war mir egal.«

»Luciano, bist du irre? Das ist doch keine Lösung.« Maria Cristina ist am Boden zerstört. Dieses nie erwachsen gewordene Kind war kurz davor, für sie zum Mörder zu werden. Er hätte dreißig Jahre gekriegt, sie darf gar nicht daran denken.

Er drückt ihre Hand und stammelt zwischen den Schluchzern unverständliches Zeug.

Maria Cristina zieht die Nase hoch. »Ich habe dich nicht verstanden.«

»Ich liebe dich.«

Sie küsst seine Hand. »Ich dich auch.«

»Nein. Im Ernst. Wie ein Mann eine Frau liebt. Seit wir Kinder waren. Auf dem Moped, du und ich. Ich wusste, dass du für mich unerreichbar warst und die Tage mit dir rar und kostbar waren. Ich wusste, dass du ein Stern warst und ich …«

»Moment, wir sind Geschwister. Du bist Onkel Luciano. So ist das doch …« Maria Cristina ist sprachlos, immer wieder fährt sie sich mit den Fingern durchs Haar.

»Ich weiß, du hast recht, aber was soll ich machen, wenn ich krank von dir bin? Ich fing an, bei Onkel Franco zu arbeiten, weil ich es nicht mehr ertragen habe, dich zu sehen. Ich bin jedes Mal gestorben. Ich bin in den Norden gezogen, um dich zu vergessen, und habe es nicht geschafft. Du warst überall. In der Werbung, in den Zeitungen, in meinem Kopf.«

»Und was ist mit deiner Frau?«

»Wir haben uns vor drei Jahren getrennt. Sie hatte einen anderen, aber das war mir egal. Ich war froh, als sie weg war. Denn ich hatte wieder angefangen, dich zu sehen, und das reichte mir.«

»Sie hat dich verlassen? Warum hast du mir das nicht gesagt?«

»Was hätte ich denn sagen sollen?«, fragt er halb verschwollen, sein eines kleines Auge funkelt wie ein Lichtlein in finsterer Nacht.

Maria Cristina wischt sich die Tränen weg.

»Ich ziehe die Pullis, Hemden und schönen Jacken, die du mir schenkst, nie an, weil ich sie nicht ruinieren will«, fährt Luciano mit vor Schmerz verkniffenen Zügen fort. »Ich hebe sie in Tüten auf. Ich hätte dir niemals gesagt, dass ich dich liebe, ich schwöre, aber jetzt bin ich kurz vor einer Herz-OP. Falls ich sterbe, weißt du es wenigstens.«

Eine Woge von Zärtlichkeit erfasst Maria Cristina, sie beugt sich über den massigen Kerl, packt ihn mit einer Hand bei seinem krausen Schopf und mit der anderen beim Ohr, als wollte sie es abreißen. »Du stirbst nicht …«, flüstert sie. »Du stirbst nicht, du blöder Schwachkopf, du blöder.« Sie fährt ihm mit den Fingerspitzen über den stachligen Bart, streichelt seinen Hals. »Du lebst und basta. Hast du verstanden? Ich kümmere mich um dich.«

»Gib mir einen richtigen Kuss. Nur einen.«

Maria Cristina schluckt. »Was?«

»Einen richtigen. Auf den Mund.« Er streicht sich über die Lippen. »Ich muss ihn spüren, bevor ich sterbe.«

»Aber du stirbst doch nicht, Luciano. Hör auf damit.«

»Das ist nicht gesagt. Ich flehe dich an, nur einen.«

Maria Cristina verdreht die Augen, fasst sich an die Stirn, als müsste sie einen Pony zur Seite schieben. Sie beugt sich vor, der Jodgeruch sticht in der Nase, drückt ihre Lippen auf Lucianos und zieht sie hastig zurück, ehe er seine öffnen kann. »Geschafft«, entschlüpft es ihr, als es Gott sei’s gepfiffen an der Tür klopft.

Auf dem Flur stehen Ärzte, Anästhesisten, Assistenten, Vanucci, der Eigentümer der Klinik und Regattakumpel von Nino Sarti, der extra aus Latina gekommen ist, die Krankenschwestern, die siamesischen Zwillinge vom Empfang. Sie haben eine Flasche Champagner dabei. Ein Fingerbreit, nur ein Fingerbreit für Maria Cristina Palma, die Frau des Premiers, die schönste Frau der Welt, die leibhaftig in ihrer Klinik ist, welch eine Überraschung, welch eine Freude. Es ist eine Ehre, ein einmaliges Privileg. Fotos, dürfen wir? Nicht für die sozialen Medien. Lange Erklärungen zu der hohen Professionalität, mit der die Privatklinik betrieben wird. Professor Ninni Guidoni, ein Lulatsch mit spitzem Bärtchen über dem lippenlosen Mund, dem eigenwilligen Tick, sich dauernd den Jackenkragen zurechtzurücken, und catanesischem Zungenschlag, erläutert ihr den Eingriff, der an Signor Vasiles Herz durchgeführt wird. Wir verwenden neueste, nicht invasive, nanotechnologische Techniken, gehen durch seinen Arm rein, ein Spaziergang, Science-Fiction im Vergleich zu vor ein paar Jahren. Und Presidente Mascagni? Es wäre schön, ihn hier begrüßen zu dürfen, und sei es nur, um ihm süditalienische Wirklichkeiten zu zeigen, die es mit der ganzen Welt aufnehmen können und mehr Wertschätzung verdienten. Denn diese Leier über den Süden kann man doch wirklich nicht mehr hören …

Maria Cristina, geschwollene Augen, zerlaufene Schmin-ke, eine Stoffpuppe, um die sich alle reißen, lächelt, drückt Hände, nickt, ist freundlich, zugewandt, aufmerksam, aber dann bittet sie um Verzeihung, sie möchte vor dem Eingriff noch bei Luciano sein.

»Erlauben Sie?«

»Sicher.«

Sie kehrt ins Krankenzimmer zurück.

Luciano liegt auf der Seite, den Rücken zur Tür.

Maria Cristina umrundet das Bett. »Entschuldige, die haben mich einfach nicht gehen lassen …« Sie setzt sich neben ihn.

»Hör mal, Cri, ich muss dir was sagen.« Das Faktotum schluckt. »Ich glaube nicht, dass Nicola Sarti dich erpressen will. Wäre er nicht gewesen, wäre ich jetzt tot. Er ist ein anständiger Kerl.«

Luciano ist unter dem Messer. Die Operation mag zwar, wie Guidini meinte, ein Spaziergang sein, doch der Professor sagte auch, dass sie langwierig sei und er womöglich noch eine Nacht auf der Intensivstation werde verbringen müssen.

Maria Cristina liegt auf dem Bett, sie hat sich die Schuhe ausgezogen und würde gern für fünf Minuten schlafen, doch in dieser unnatürlichen Stille schlägt ihr Verstand aus wie ein Wildpferd. Um ein wenig Ruhe zu finden, bräuchte es das Nirwana des Diazepam, das sie nicht bei sich hat. Sie traut sich nicht, die Schwestern danach zu fragen.

Diana Brinzaglia hat beschlossen, ein bisschen mit ihr zu plaudern. Sie trägt einen fuchsiafarbenen Body und hat es sich mit einer Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger im Sessel bequem gemacht.

Also, fangen wir mal damit an, dass Luciano, der überzeugt ist, auf dem OP-Tisch zu sterben, dir seine Liebe gestanden und sogar einen Kuss verlangt und dir fast die Zunge in den Hals gesteckt hat. Du hast überrascht getan, aber das kaufe ich dir nicht ab. Du hast es immer gewusst und fröhlich drauf geschissen, es sogar ausgenutzt. Du hast ihn losgeschickt, um dir Schminke und Marsriegel im Einkaufszentrum zu klauen, er stand Schmiere, wenn du dir Geld aus Omas Tasche genommen hast, und du hast dich auf seiner Ciao rumkutschieren lassen. Heute benutzt du ihn als Elektriker und Vertrauten, um dich hinterher schlecht zu fühlen, und gerade wäre der Irre fast im Knast gelandet oder am Infarkt krepiert, um dich zu verteidigen. Dann erfahren wir, dass der gefährliche Nicola Sarti kein Erpresser ist, sondern ein großherziger Mensch, der Luciano das Leben gerettet und ihn nicht angezeigt hat (stell dir vor, er hätte es getan, und die ganze Story wäre aufgeflogen). Natürlich glaubt er, du hättest Luciano losgeschickt, damit er ihn verprügelt, und er hat ein für alle Mal begriffen, wie tief deine innere Verzweiflung und Einsamkeit ist. Er hat dich nicht mal Bohnenstange genannt. Wenn er dich nicht hasst, dann verachtet er dich. Du hast ihn für immer verloren.

Maria Cristina windet sich auf dem Bett wie eine ins Schleppnetz gegangene Makrele.

Obendrein hast du morgen Nachmittag das Interview mit der Reitner. Und du siehst zum Kotzen aus. Du hast dir nicht überlegt, was du sagen willst, du hast das Memorandum nicht gelesen, du hast keine Maske aufgelegt, du hast das Outfit nicht anprobiert.

»Na bitte«, schließt Maria Cristina und setzt sich auf.

Der Himmel ist violett, die aseptische Stille dieser seltsamen Klinik gibt ihr das Gefühl, auf einem fernen, unbewohnten Planeten zu sein. Sie weiß nicht, was sie tun soll, soll sie auf Luciano warten oder nach Hause fahren und nach dem Interview wiederkommen?

Sie ruft ihren Mann an, der sofort rangeht. »Ich habe eine Abstimmung in der Kammer, es geht jetzt los und dauert bis in die Nacht. Mach schnell.«

Sie erzählt ihm von Luciano, ohne die Umstände zu erwähnen.

Er hört kaum zu und ist nicht sonderlich getroffen. »Wen wundert’s, bei dem, was der sich reinstopft«, kommentiert er im römischen Tonfall, den er im Parlament anschlägt.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

»Komm nach Hause. Morgen hast du das Interview. Du musst dich ausruhen. Das ist wichtig, Maria Cristina. Jedenfalls habe ich mit der Reitner gesprochen.«

Maria Cristina setzt sich auf. »Wieso das?«

»Ich habe ihr klargemacht, dass sie einpacken kann, wenn sie Scheiße baut. Sie hat mir versichert, dass sie dich nichts Politisches fragen und dich nicht in Schwierigkeiten bringen wird.«

Ein spitzer Stachel bohrt sich in Maria Cristinas Nacken und schiebt sich bis in den Gaumen. »Du konntest es nicht lassen. Du musstest unbedingt raushängen lassen, dass du der Boss bist, mein Herrchen, und ich dein Schoßhund. Es ist einfach stärker als du. Dass sie mir ihr Wort gegeben hat, hat dir wohl nicht gereicht! Ich ertrage dich nicht mehr, Domenico.« Am liebsten würde sie schreien, ihn fertigmachen, aber ihr fehlt die Kraft.

»Komm schon, jetzt werd nicht sauer. Du wirst es mir noch danken. Ich wollte doch nur, dass du dich ein bisschen zurücklehnen kannst. Wir alle zählen auf dieses Interview. Hat die Raupe dir wenigstens geholfen?«

»Ja. Ciao.«

»Ich rufe dich nachher an, wenn ich kann.« Dann, flüsternd, als könnte ihn jemand hören: »Imbelloni und die anderen haben mich schön in die Pfanne gehauen. Bis später. Küsse.«

Maria Cristina legt auf, lässt das Telefon aufs Bett fallen, starrt den großen Zeh an, der dunkel durch den Strumpf schimmert. Sie zieht ihn aus. Nimmt den Nagel zwischen Daumen und Zeigefinger und zieht. Der Nagel löst sich, doch ein dünner Hautfetzen hält ihn am Nagelbett fest, sie zieht fester, beißt die Zähne zusammen, zerrt daran herum, bis sie die dunkle, gebogene Nagelplatte in der Hand hat. Dort, wo das letzte Häutchen gerissen ist, quillt ein Blutstropfen hervor.

»Erledigt«, sagt sie bebend vor Schmerz. »Siehst du? War doch gar nicht so schlimm.« Sie humpelt ins Bad, wirft den Fußnagel ins Klo, schließt den Deckel, umwickelt den Zeh mit Toilettenpapier und schreibt an Nicola Sarti.

MARIA CRISTINA

Lieber Nicola, entschuldige, wenn ich störe, aber ich wollte dich auf den neuesten Stand bringen, Luciano wird gerade operiert. Sobald ich Neuigkeiten habe, sage ich dir Bescheid.

Danke noch mal. Du weißt nicht, wie sehr ich deine Diskretion und Großzügigkeit zu schätzen weiß. Ich war so blöd. Ich weiß nicht, was mich geritten hat. Verzeih mir, wenn du kannst.

Sie kratzt sich nervös im Nacken, dreht eine Pirouette und fügt hinzu:

Ich fahre nach Rom zurück, bist du im Resort?

Vielleicht komme ich bei dir vorbei. Was meinst du?

(die Bohnenstange) 🙂🙏

Sie drückt Senden.

Dann zieht sie sich wieder an, verlässt das Zimmer und geht zu den Aufzügen. Nach zwanzig Metern kommt die Antwort:

NICOLA SARTI

Komm zum Abendessen. Heute Abend teste ich das Menü des neuen brasilianischen Küchenchefs. Wenn du müde bist, gebe ich dir eine Suite, aber wenn du nach Rom zurückwillst und keine Lust hast, selbst zu fahren, finde ich jemanden, der dich bringt. Bis später.

Kopflos rennt Maria Cristina ins Zimmer sechsunddreißig zurück, stößt die Badezimmertür auf, klammert sich ans Waschbecken, schaut in den Spiegel und schreibt:

MARIA CRISTINA

Ich komme. 🙂

NICOLA SARTI

Hier der Standort.

Maria Cristina sieht auf der Karte nach.

Zwanzig Autominuten.

»Ok«, sagt sie sich und stößt so viel Luft aus, dass man einen Heißluftballon damit füllen könnte. Welch ein Segen. Nicola Sarti hasst sie nicht, er ist nicht sauer auf sie, sonst würde er sie nicht zum Abendessen einladen. Jetzt, da die Angst vor Erpressung nicht mehr da ist, ist auch der Stein auf ihrer Brust verschwunden, aber ihr Magen ist zugeschnürt wie bei einem Backfisch vor dem ersten Date.

Sie wäscht sich die Achseln und putzt sich mit der Zahnbürste aus dem Gratis-Waschbeutel für Patienten die Zähne. Na bitte, schon besser.

Sie hat die Zwillinge am Empfang gefragt, ob um diese Zeit noch ein Bekleidungsgeschäft und ein Friseur geöffnet haben, um sich ein bisschen auf Vordermann zu bringen.

»Nein, Signora, tut mir leid«, lautete die bedauernde Antwort.

Auf dem Weg stößt sie auf ein Blumenlädchen und kauft einen Strauß puderfarbene Rosen. An der Kreuzung mit der Pontina hält sie an einem Kleiderstand. Die arabischen Verkäufer kochen sich gerade ein würziges Essen, das ihren Appetit weckt. Das letzte, was ihr Magen gesehen hat, war das Ingwerplätzchen der Raupe. Sie kauft sechs schlichte weiße Unterhosen für sechs Euro und eine schwarze Strumpfhose. Dann entdeckt sie ein paar auf Bügeln hängende Kleidchen. Stretchstoff. Einheitsgröße. V-Ausschnitt. Fünfundzwanzig Euro. Es gibt ein komplett schwarzes, bestimmt die beste Wahl, aber sie entscheidet sich für ein flaschengrünes mit Muster, das an Schlangenhaut erinnert. Perfekt. Sie inspiziert das Schuhangebot. Sie muss den Zeh befreien, der säuisch wehtut. Sandalen mit Zehn-Zentimeter-Absatz. Goldfarben.

Was für eine Befriedigung, ein neuer Look für achtzig Euro.

Sie fährt wieder los. Je weiter die Entfernung zum Resort auf dem Monitor schrumpft, desto kürzer wird ihr Atem, sie öffnet das Fenster, umklammert das Lenkrad, als könnte es ihr aus den schwitzigen Händen gleiten. Sie stoppt in einer vermüllten Haltebucht an der Bundesstraße, vergammelte Matratzen, Haufen von Bauschutt und kaputten Kacheln.

Links fegen die Scheinwerfer der Autos über die Straße, rechts, Richtung Meer, klammert sich eine flimmernde Spur Tageslicht an den Horizont.

Im Schutz der dunklen Scheiben zieht Maria Cristina sich um wie eine Prostituierte, die sich für die Nachtschicht fertig macht. Weg mit der alten Strumpfhose, weg mit den Stiefeln, sie wirft alles nach hinten. Das Schlangenkleid sitzt wie eine zweite Haut, sie rückt die Titten zurecht, wechselt die Unterhosen, schlüpft in Strumpfhosen und Sandalen, öffnet die Tasche, streicht sich das Haar mit ein bisschen Handcreme zurück und fährt mit quietschenden Reifen los.

5.

Die Einfahrt zum Resort Le Cupole ist ein offenes Holztor ohne Hinweise und Schilder, auf dem Boden steht eine gelbe Kerze, die mit dichten Rauchspiralen vor sich hin flackert.

Die Frau des Premiers fährt daran vorbei und folgt einer sandigen Piste, die auf das von einem niedrigen, in Dunkelheit getauchten Dünenstreifen versteckte Meer zuführt. Links und rechts gleitet sumpfiges Flachland vorbei, in dem sich das Gelb des Schilfs mit dem Grün der Sumpfpflanzen mischt und im Hellblau zarter kleiner Blumen und im Purpur niedriger, fleischiger, dornenbesetzter Sträucher zergeht, die das letzte Tageslicht verschlucken. Die Ebene ist mit fransigen, trüben Tümpeln übersät, und in der Ferne, auf den blauvioletten Streifen gemalt, der zu Füßen der Nacht erglüht, heben sich die dunklen Silhouetten weidender Rinder ab.

Das Sträßchen endet auf einem sandigen, von einem grauen Bretterzaun eingefassten Vorplatz. Vier Autos parken dort, ein Fiat, ein Porsche, Nicola Sartis schwarzer Pick-up und ein weißer Kleinbus. Ein Reiher hockt auf einem Pfosten, aschgraues Gefieder, weißer Hals, spitzer gelber Schnabel. Kaum öffnet Maria Cristina die Wagentür, schwingt sich der Vogel in die Luft. Der Wind schmeckt nach Meersalz, Algen und nassem Holz und bläst ihr eisig um den Hals. Sie fühlt sich unwohl. Das neue Kleid ist zu eng und elastisch und kriecht die Schenkel bis zum Hintern hoch, und die schwarzen Strumpfhosen, die den nagellosen Zeh kaschieren sollen, sehen beschissen aus zu den Sandalen.

Mit dem Rosenstrauß im Arm folgt sie einem Pfad, der sich zwischen den Dünen dahinschlängelt, die Absätze versinken im Sand, eisige Böen umwirbeln ihre Beine. Statt nach Resort sieht es hier eher nach einem außersaisonal geschlossenen Strandbad aus. Sie umrundet einen kleinen Hügel, zwei in die Erde gesteckte Fackeln weisen den Weg. Im letzten Streifen Tageslicht, das wie ein vergessener Brautschleier über dem Horizont schwebt, gleichen die Sanddünen einer phosphoreszierenden Mondlandschaft.

Maria Cristina stapft entschlossen weiter und denkt an die heruntergerissenen Kilometer, den Sonnenaufgang über den kargen Bergen der Abruzzen, den Irren mit dem Helm, den Kuss für Luciano und jetzt, mit dem Fummel eines Klamottenstands am Leib, ist sie zu einem Mann unterwegs, den sie kein bisschen durchschaut hat.

Das Hotel ist so tief in der mediterranen Macchia versteckt, dass sie Mühe hat, es auszumachen. Ein Halbrund aus acht Kuppeln (daher also der Name), die mit Sand, Mastixsträuchern und Wolfsmilch bepflanzt und durch transparente Tunnel miteinander verbunden sind. Einige sind noch nicht fertig und erinnern an große Schildkrötenpanzer, mit Glasfronten anstelle der Löcher für Beine und Kopf.

Maria Cristina steuert auf die einzige beleuchtete Kuppel zu, die auf den Strand hinausgeht. Das Innere besteht aus einem einzigen Raum, in dem die Lobby und der Restaurantbereich untergebracht sind. Geschwungene Balken aus hellem Holz, die an Rippen erinnern, kreuzen sich unter der gewölbten Decke und bilden eine Art Brustkorb. Die Architektur hat etwas Organisches. Gedämpfte, monotone Elektromusik liegt in der Luft. Maria Cristinas Sandalen klacken über den kardinalroten Epoxidboden. Der untere Teil des Gebäudes ist wie eine Kunstgalerie durch unsichtbare Punktstrahler beleuchtet. Sie malen Lichtpfützen in das stoffliche Dunkel, in dem sich der Empfangstresen und auf der gegenüberliegenden Seite die Bar mit Möbeln aus Stahl und Holz abzeichnen. Es herrscht eine traumähnliche Atmosphäre. Maria Cristina würde sich nicht wundern, unter den Füßen das Vibrieren photonischer Triebwerke zu spüren und jenseits der Glasfront Alpha Centauri auftauchen zu sehen.

»Herzlich Willkommen.« Captain Sarti taucht in Uniform aus dem Dunkel auf. 501-Jeans, Puma-Sneakers, verwaschen grünes Benetton-Poloshirt. Die übliche Zigarette im Mund, die üblichen Armbändchen am Handgelenk.

»Da bin ich. Entschuldige die Verspätung«, sagt sie außer Atem und hält ihm die Blumen hin. »Für dich.«

Er nimmt die Zigarette aus dem Mund und riecht an den Rosen. »Danke. Die sind wunderschön. Und wofür?« Er drückt ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

»Wie, wofür? Ich werde dir ewig dankbar sein. Dass Luciano nicht tot ist, ist allein dein Verdienst. Und tu nicht so, als wäre nichts. Du hast ihm sogar eine Herzdruckmassage gegeben.« Maria Cristina umrundet ihn, die Hände auf der Brust. »Und mit dieser Erpressungsgeschichte habe ich den Vogel abgeschossen. Ich bin total neben der Spur. Ich habe alles falsch verstanden. Seit dem Video bin ich völlig begriffsstutzig. Mein Hirn hat den Geist aufgegeben. Entschuldige.«

Er macht eine wegwerfende Handbewegung. »Hör zu. Du und ich schließen jetzt einen Pakt. Wir reden nicht mehr vom Video, von Luciano, von deinem schlechten Gewissen, und hör auf, mir zu danken. Wir fangen noch einmal bei null an und genießen den Abend.«

»Na schön, aber ich glaube nicht, dass ich das kann. Ich fühle mich so mies, dass ich mich jede Viertelstunde entschuldigen werde wie eine Kuckucksuhr.«

»Versuch es.«

»Ich versuch’s«, sagt Maria Cristina lächelnd und breitet die Arme aus. »Was hältst du von meinem neuen Look? Hundert Prozent Pontina.«

Nicola Sartis Blick wandert über Maria Cristinas Körper, die eine aufrechte Haltung annimmt, wie in der Schule, wenn die Lehrerin den Schulkittel inspiziert hat. »Gefällt mir. Und die Sandalen mit den Strumpfhosen sind perfekt.«

Maria Cristina ist hochzufrieden. »An einem Klamottenstand gekauft.«

Nicola Sarti macht eine auffordernde Geste. »Komm. Stellen wir die Blumen ins Wasser.«

»Was für ein Wahnsinnsort, Nicola.« Maria Cristina folgt ihm und legt Bewunderung in die Stimme. »Du meintest, es würde mir gefallen, aber so etwas habe ich nicht erwartet. Wunderschön. Es ist, als wäre man …«

»In einem Raumschiff.«

»Genau.«

Er beschleunigt den Schritt. »Heute Abend musst du mir helfen, wir testen den Küchenchef João.«

»Klar, gern.« Mit Trippelschritten holt sie ihn auf ihren goldenen Stelzen ein. »Ich hoffe, ich bin dem gewachsen, ich ernähre mich von Ziegenkäse und grünem Salat. Ah, aber ich kann Pizza backen.«

Sie sitzen auf niedrigen runden Sofas, in denen man halb versinkt, den Strand direkt vor der Nase. In matten Kugeln brennen Kerzen, und diskrete Kellner in schwarzer Uniform haben Getränke und kleine Vorspeisen gebracht, die nicht sattmachen.

Seit einer halben Stunde tröpfelt eine Unterhaltung vor sich hin, der es an Schwung fehlt, um irgendwohin zu führen. Er redet, und sie hört zu, wirft Bemerkungen ein oder fragt nach, um Gesprächspausen zu vermeiden. Ein Gleitflug über gemeinsame Freunde und solche, die man unterwegs aus den Augen verloren hat, Orte, an denen sie waren, Immobilieninvestments in London und Paris. Nicola Sarti ist gerade dabei, sich eine Villa auf einer Kykladeninsel zu kaufen, und erklärt ihr, dass die Griechen, insbesondere die pelagischen, höhere Wesen sind, Kinder von Kronos und Poseidon, die die Zeit kennen und sie anders bemessen.

Maria Cristina schwitzt und hört kaum zu, sie ist noch immer nervös, nippt am Cocktail, den Chefkoch João gemixt hat, ein Mulatte mit blauen Augen, der von Kopf bis Fuß mit aztekischen Mustern tätowiert ist. Der Drink heißt Capeta, Teufel auf Portugiesisch, wie João auf Englisch erklärte, man trinkt ihn zu Karneval, er besteht aus Cachaça, Kondensmilch, Zimt, Honig und Guaraná. Das Zeug ist so zäh, dass unsere Heldin Mühe hat, es hinunterzuschlucken, wie Lackfarbe rinnt es über die Magenwände. Doch man muss dem Capeta zugutehalten, dass er seinen Job macht und die Anspannung lindert, schade nur, dass die Lider schwer werden wie Fallbeile.

Nicola Sarti schaut sie kaum an, raucht, eine Kippe folgt der nächsten, hin und wieder wirft er ihr ein pflichtschuldiges Lächeln zu. Man braucht sich nichts vorzumachen, etwas zwischen ihnen hat sich verändert. Da kann er ihr noch so sehr beteuern, er sei nicht sauer. Das Knistern aus dem Piccola Britannia ist verschwunden. In der staubigen kleinen Bar des Hotels hinter der Via dei Condotti hatte Maria Cristina eine erwachsene, kluge Version des schnöseligen Parioli-Bürschchens entdeckt, mit dem sie auf dem Dorfplatz in Stromboli rumgeknutscht hat. Er hatte die legendäre Lässigkeit des versnobten Typen aus Rom Nord nicht verloren. Jetzt ist er distanziert und freundlich, keine Frage, aber irgendetwas treibt ihn um, er rasselt Belanglosigkeiten herunter, die nur einen läppischen Teil seines Gehirns in Anspruch nehmen, und ist ansonsten mit seinem eigenen Kram beschäftigt. Außerdem schaut er ständig aufs Handy. Er wird Wichtigeres im Kopf haben als Maria Cristina, die, ehrlich gesagt, ein bisschen enttäuscht ist. Bestimmt hat er sie nur aus Höflichkeit hergebeten.

Sie nimmt seine Augen wahr, zwei kleine Lämpchen, die unter der ergrauten Strähne blitzen, die großen, nervösen Hände, die heisere Raucherstimme, die breiten Schultern.

Maria Cristina fragt sich, ob Nicola Sarti der Richtige für sie wäre. Er ist reich. Hat Erfolg. Schafft sich Dinge an und erfreut sich daran, im Gegensatz zu Domenico, der immer und überall leidet. Sicher, er müsste das Gesamtpaket nehmen. Sie, Irene und Luciano. Und einen Teil seines Vermögens in das Gut Bastoni investieren. Maria Cristina sieht schwarz. Männer in den Fünfzigern wie Nicola Sarti wollen junge Dinger, sie hat hunderttausend Kilometer auf dem Tacho, ist fast schrottplatzreif, und um der Erosion durch freie Radikale entgegenzuwirken, lässt sie sich kleine Spritzen setzen, die sie prall machen wie eine Puppe. Dazu, dass er sich eine durchgedrehte, möchtegern-junge Schabracke nebst Anhang und Mörder ins Haus holt, reicht das Zepter der Weltschönsten nicht aus. Während sie elementaren Kassensturz macht, späht Maria Cristina aus dem Augenwinkel auf die Schachtel Lucky Strike auf dem Tischchen. Sie vergeht danach, eine zu rauchen. Verdammt, seit zwanzig Jahren hat sie nicht mehr geraucht. Warum jetzt? Wenn sie sich entspannt, hört sie vielleicht auf zu schwitzen und kann versuchen, Nicola Sarti aus seiner Depression zu reißen, die ihn im Sofa verschwinden lässt.

Sie nimmt sich eine Krokette vom Vorspeisenteller. Sie ist schwer wie Osmium, trieft vor Fett, der weiße Reis der Füllung schmeckt nach Stärke.

»Wie schmeckt sie?«, fragt er.

»Gut.« Maria Cristina formt mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis.

»Mir kommt sie ein bisschen fettig vor …«

»Nein. Gar nicht.« Und um ihm zu zeigen, dass sie nicht lügt, nimmt sie noch einen Bissen, der zwischen Kehle und Speiseröhre hängenbleibt. Sie versucht ihn mit einem Tropfen Capeta hinunterzuspülen. Fehler. Der Drink wirkt wie Holzleim. Langsam wie eine Boa constrictor gelingt es ihr, den Bissen hinunterzuwürgen, die Anstrengung lässt die Augäpfel schwellen.

»Lass uns Weißwein trinken«, sagt Nicola Sarti. »Was Erfrischendes. Hast du Lust?«

Sie nimmt dankbar an, und eine einsame Schweißperle tritt ihr auf die Stirn.

Eine halbe Stunde später, die Reste eines Salats aus Mango, Spinat, Koriander und roten Kartoffeln auf dem Teller und eine ausreichende Menge Fiano di Avellino in den Adern, kann sich Maria Cristina endlich entspannen.

Die Fensterscheiben dämpfen das Dröhnen des aufgefrischten Windes, der über den Strand fegt und silbrige Schaumkronen auf die am Wassersaum brechenden Wellen setzt. Das gespenstische Licht des Mondes sickert durch die lockeren Maschen der bläulichen Wolken. Das tss tss tss der Schlagbesen eines flaumigen Jazztrios lullt sie ein. Sie muss sich zusammenreißen, um nicht zu gähnen. Gepriesen sei der Alkohol, gepriesen sei der Wein, gepriesen sei der Fiano di Avellino, so frisch und fein, reimt sie in Gedanken. Es gibt nichts Besseres, um den Performancedruck loszuwerden.

Inzwischen ist ihr klar, dass Nicola Sarti nicht auf sie sauer ist, sondern auf den Chefkoch. Die in Sardellensud marinierten und mit Dill karamellisierten Lammspieße haben ihm den Gnadenstoß versetzt. Jetzt diskutiert er mit ihm in der Küche. Maria Cristina hört sie bis hierher, in stets gefasstem, niemals ausfallendem Ton verklickert ihm der Hotelier, dass die Zutaten à la bitte de chien zusammengehauen sind.

Sie muss lachen, da summt eine Handynachricht. Professor Guidoni lässt sie wissen, dass Signor Vasile den Eingriff hervorragend überstanden hat. Ab morgen könne man ihn besuchen.

»Luciano geht es gut!«, ruft Maria Cristina freudig, als sie Nicola Sarti mit einer Flasche Whisky in der Hand zurückkommen sieht. »Ich hatte solche Angst.«

»Professor Guidoni ist nun mal fantastisch«, sagt er zufrieden und ein bisschen erleichtert. »Lass uns anstoßen.«

»Lass uns anstoßen.« Maria Cristina erhebt ihr Glas, und mit Gorgonenblick, der trotz der vielen gefahrenen Kilometer noch immer zu versteinern vermag, schaut sie Nicola Sarti tief in die Augen. »Auf uns«, sagt sie fröhlich und trinkt einen kleinen Schluck, der rauchig süßliche Geschmack lässt sie die Nase krausziehen. Hochprozentiges findet sie scheußlich, aber nicht heute Abend.

»Bedeutet Luciano dir so viel?«, fragt er.

»Sehr viel. Er war der Sohn der Hausangestellten meiner Großeltern in Olgiata. Er war wie ein Bruder, als Alessio auf dem Internat war. Stell dir vor, wir sind mit nur einem Tag Abstand zur Welt gekommen.«

Er leert sein Glas. »Er sieht aus wie dein Opa.«

»Ja, er ist ein bisschen verlebt«, überlegt Maria Cristina. »Und er hat eine Menge Probleme. Aber wenn du darüber hinwegkommst, dass er dich umbringen wollte, würdest du ihn mögen, glaube ich.«

»Er vergöttert dich. Das sieht man.«

Sie betrachtet die unergründlichen Tiefen der Kuppel. »Ja.«

Er schenkt sich nach. »Wie Alessio.«

Maria Cristina runzelt die Stirn. »Meinst du?«

»Ja. Er liebte und beschützte dich.« Dann, als wollte er es dabei belassen, wechselt er das Thema. »Bist du bereit? Das Interview ist morgen, richtig?«

»Ja. Morgen Nachmittag.«

»Bist du entspannt?«

Maria Cristina gesteht ihm, dass das Schicksal der Regierung an ihrem Fernsehauftritt zu hängen scheint. »Wenn die Rechte gewinnt, weißt du, wer daran schuld ist.«

»Du machst das bestimmt super. Wenn du nur ein Zehntel von dem erzählst, was du erlebt hast, hast du schon gewonnen.«

»Die Reitner will bestimmt alles über Alessio und Andrea wissen. Es fällt mir schwer, über sie zu sprechen.« Sie verstummt und mustert ihn.

Wie oft im Leben ist uns bewusst, der Wahrheit so nahe zu sein, dass wir nur die Hand ausstrecken, danach greifen und die Faust um sie schließen müssten wie um einen Schmetterling. Stattdessen weichen wir einen Schritt zurück, in der Gewissheit, dass sich zwischen den schillernden Flügeln das Grauen der verästelten Antennen, der Fliegenbeinchen, des Mückenrüssels verbirgt. Und wir tun gut daran. Andere Male schreit die Wahrheit, ruft nach uns und fleht uns an, ihr zuzuhören, den Dingen wieder einen Sinn, einem blinden Leben wieder Licht zu geben. Dann riskieren wir alles um ihretwillen. Jetzt, befreit von der Angst, Luciano zu verlieren, ohne das Video, das ihr wie ein Damoklesschwert über dem Kopf schwebt, und getragen von den Schwingen des Alkohols, fragt unsere kühne Heldin Nicola Sarti: »Wie ist Alessio gestorben?«

Später wird sie sich fragen, was sie in dem Moment, da sich die Situation endlich entspannt zu haben schien, zu dieser Frage trieb. Sie wird sich antworten, dass sie in ihr schwelte, seit sie ihm im Ruderklub begegnet war und ihn erkannt hatte.

Der Mann fällt aus allen Wolken, hebt das Kinn und rückt tiefer in den Sessel. »Weißt du das nicht?«

»Ich weiß das, was mein Großvater erzählt hat. Ich habe nie versucht, mehr herauszufinden. Aber jetzt will ich es wissen.«

Nicola Sarti zieht an seiner Zigarette und drückt sie energisch im Aschenbecher aus. »Er ist allein gestorben. Niemand weiß, was passiert ist. Als er tauchen ging, waren wir alle im Hafen, um die Vorräte aufzufüllen. Jemand von der Insel hatte ihm erzählt, in der Bucht, in der wir geankert hatten, würde sich in dreißig Metern Tiefe eine Höhle mit einem langen Stollen befinden, und er unternahm freie Tauchgänge, um danach zu suchen, kam aber nicht hinunter. Du weißt ja, wie er war, er ließ nicht locker. Er mietete sich Sauerstoffflaschen. Niemand kam darauf, ihn davon abzubringen, ihm zu sagen, er solle sich von einem Experten runterbringen lassen. In dem Alter hat man bekanntlich nur Scheiße im Kopf … Alessio ist nie wieder hochgekommen. In der Höhle war er nicht. Deine Großeltern sind gekommen. Sie waren am Boden zerstört, ich habe deine Großmutter vor meinen Augen welken sehen. Sie hat nicht mehr gesprochen. Dein Großvater hat sich um alles gekümmert, sogar die türkische Küstenwache samt Hubschrauber hat er mobilisiert. Die Insel liegt mitten im Mittelmeer, es gibt dort extrem starke Strömungen, er hätte sonst wohin gespült worden sein können. Es verging über eine Woche, bis seine Leiche geborgen wurde, man fand ihn fast hundert Meilen weit weg. Wir sind schier wahnsinnig geworden.« Während er die Bänder der Vergangenheit abspult, zündet er sich eine weitere Zigarette an.

»Und ich war nicht da.« Maria Cristina lächelt bitter. »Ich wette, das denkst du.«

Nicola Sarti schüttelt den Kopf. »Dein Großvater hat gesagt, er wolle dich nicht traumatisieren. Du hättest schon deine Mutter zu früh verloren. Und ich glaube, das war richtig von ihm.«

Maria Cristinas Glas ist leer. Suchend blickt sie sich nach einem Kellner um, der ihr nachschenken könnte. »Ich hätte dort sein sollen.«

»Ich habe dich ein paarmal angerufen, aber du bist nie rangegangen. Ich dachte, dir ginge es schlecht, und wäre gern bei dir gewesen.«

»Entschuldige. Ich hab’s einfach nicht gepackt«, beginnt sie mit allzu leiser Stimme, legt ein wenig nach, räuspert sich. »Mein Leben lang mache ich mir Vorwürfe, nicht dort gewesen zu sein. Ich war nicht mehr sechs, ich war zwanzig. Mit zwanzig ist man erwachsen. Aber es war einfach zu viel für mich. Und als mein Großvater mir riet, nicht hinzufahren, bin ich abgehauen. Ich habe mir diesen Scheißdreck eingeredet, dass man nicht anwesend sein muss, um die Toten zu beweinen, ich dachte, wenn ich die Leiche nicht sähe, wäre es, als wäre er noch da, mein Leben lang habe ich mir eingebildet, Alessio könnte plötzlich wieder auftauchen. In Wahrheit war ich zu schwach. Ich war …« Sie weiß nicht, wie sie fortfahren soll, starrt auf ihre Füße, schüttelt den Kopf. »Das werde ich für immer mit mir herumschleppen.«

Nicola Sarti erzählt weiter, den Blick in der Dunkelheit hinter der Fensterfront verloren. »Als der Leichnam überführt wurde, hat nur dein Großvater ihn identifiziert. Er war zu lange Zeit im Wasser gewesen. Dein Großmutter fand ihre Sprache wieder. Sie sagte, Alessio solle dortbleiben, auf dem Inselfriedhof. Es gibt da ein Kap oberhalb einer Bucht, ein windgeschützter Streifen Land, das Meer ringsum ist still und klar wie ein natürliches Schwimmbecken, der Grund ist felsig, die Grabsteine sind auf der Höhe des Wasserspiegels. Es ist der schönste Friedhof der Welt. Es gibt ein weiß getünchtes Kirchlein, und ist man frühmorgens dort, geht die Sonne direkt hinter den Gräbern auf. Das letzte Mal war ich vor zwei Jahren da, dort liegt Alessios Grab, ein Kapernbusch und ein bisschen Korn wachsen darauf. Es geht ihm gut.« Er nickt. »Wenn ich sterbe, will ich neben deinem Bruder begraben werden.«

Maria Cristina sieht ihn schweigend an, ehe sie fragt: »Moment, habe ich das richtig verstanden, du hast ihn dort besucht?«

»Ja. Jedes Mal, wenn ich in der Gegend bin, mache ich dort halt und sage ihm Hallo.«

»Das wusste ich nicht«, seufzt sie. Sie lächelt, würde gern noch etwas sagen, irgendeinen Blödsinn, um den Abgrund zu füllen, der sich unter ihren Füßen auftut. Sie versucht, Luft zu holen, reißt den Mund auf, eine Dornenschlinge schnürt ihr die Kehle zu. Ein Schauder rieselt von den Beinen in den Unterleib hinauf, durch die Arme und Handgelenke bis in die Finger. Als hätte ein Faustschlag sie in den Magen getroffen, krümmt sich Maria Cristina zusammen, zieht die Arme an den Körper und vergräbt das Gesicht mit einem heiseren Röcheln in den Händen.

»Maria Cristina …«, stammelt Nicola Sarti verdattert.

Sie weint haltlos, er blickt sich um, als suche er Hilfe oder als hoffe er, dass niemand sie sieht, dann steht er auf, geht zu ihr, setzt sich neben sie und legt ihr zögernd eine Hand auf die Schulter. »Nicht weinen … ich bitte dich.«

Sie schüttelt den Kopf und gesteht schluchzend: »Letzten Sommer war ich dort in der Nähe. Auf Kreta. Und ich bin nicht hingefahren. Jeden Tag habe ich mir gesagt, fahr hin, fahr hin. Aber jede Ausrede war recht, um es aufzuschieben. Und ich war nicht dort.« Ihr Weinen schlägt in ersticktes Japsen um, es ist, als würde sie ertrinken. »Er ist ganz allein gestorben.«

Nicola Sarti nimmt ihre Arme und zieht sie hoch wie eine Stoffpuppe: »Ist ja gut, beruhige dich, bitte. Lass uns rausgehen. Die frische Luft wird dir guttun.« Er schiebt ihr den Arm unter und führt sie wie eine Verletzte aus dem Hotel.

Die Lider geschlossen, als könnte sie sie nie wieder öffnen, lässt sich Maria Cristina durch Wind und Kälte führen, zerrüttet vor Schmerz und fassungslos ob der jähen, gleißenden Erkenntnis, nie einen Scheißdreck zu kapieren, von Menschen nicht die leiseste Ahnung zu haben, nur ein Korken zu sein, der auf den Wellen tanzt. Sie spürt seine Hände auf ihrem Körper, der Wind brennt im Gesicht, verschlägt ihr den Atem, zerzaust ihr Haar, die Kälte kriecht ihr die warmen Schenkel empor. Sie klammert sich an Nicola Sarti, als könnte der Sturm sie forttragen. Er presst sie an seine Brust, eine Hand schützend in ihrem Nacken.

»Ich bringe dich zu Alessio«, flüstert er ihr im Tosen der Brandung zu.

Maria Cristina blinzelt, vor ihr liegt der Strand, die wenigen, tränenverschleierten Lichter der Küste blenden sie. Sie fragt: »Wer bist du? Was findest du an mir?«

»Du musst mir vertrauen.«

Ein Lächeln erscheint auf Maria Cristinas Lippen, mit einem Finger berührt sie sein Kinn, fährt ihm über die Lippen, als wollte sie sie nachzeichnen, streicht mit der Fingerspitze über die Kontur seiner Zähne, über den Mundwinkel, die raue Wange und das Ohrläppchen, vergräbt die Finger in seinem Haar, packt es, wickelt es sich um die Hand wie Zügel oder ein Kletterseil, küsst ihn.

Beinahe ängstlich durchqueren zwei stille schwarze Gestalten Hand in Hand den gläsernen Tunnel, den in der Macchia verborgene Außenstrahler erhellen.

Halb durchgefroren und vom Fiano di Avellino berauscht, hat Maria Cristina das Gefühl, als gehörten die Beine, die sie Schritt für Schritt über den Zementboden tragen, nicht ihr. Sie spürt das warme Blut, das Nicola Sartis Hand in der ihren durchströmt. Etwas Unumgängliches, Unaufschiebbares, Andächtiges liegt in diesem stummen Gang zum Schlafzimmer. Sie muss mit ihm schlafen, fühlt es wie einen urinnersten Drang. Vielleicht ergibt diese ganze Geschichte dann einen Sinn.

Vor einer geschlossenen Tür bleibt Nicola Sarti stehen. »Da sind wir.« Er drückt die Klinke und öffnet. »Es ist noch nicht fertig eingerichtet. Aber Handtücher und alles andere liegen für dich bereit.«

»Danke.« Ohne seine Hand loszulassen, lehnt sich Maria Cristina gegen den Türrahmen. »Und wo schläfst du?«

»In der anderen Kuppel«, antwortet er. Sein Adamsapfel zuckt wie ein Igel unter einer Bettdecke.

»Ah«, macht sie überrascht. »Schläfst du nicht bei mir?«

Nicola Sarti räuspert sich. »Besser nicht … Ich will nicht, dass du es hinterher bereust, nach allem, was passiert ist.«

Maria Cristina schnaubt und zieht ihn ins Zimmer. Mit einem Fuß schiebt sie die Tür zu.

Nicola Sarti berührt einen Sensor, gedämpftes Licht legt sich über die holzvertäfelten Wände und lässt die Decke im Dunkeln. Das schwarz bezogene King-Size-Bett steht inmitten einer sparsamen, mit edlen Blenden kaschierten Einrichtung.

Zögernd bleibt er an der Tür stehen. »Sicher?«

»Wenn du mich noch einmal fragst, schmeiße ich dich raus.« Sie küsst ihn heftig, drückt ihn fast an die Wand. Dann haucht sie ihm mit halb geschlossenen Augen ins Ohr: »Wir machen es, wie du willst.« Sie legt ihm die Hand auf den Hosenschlitz, schiebt die Finger in den Bund, in die Unterhose. »Alles.«

Nicola Sarti zieht den Bauch ein und weicht zurück. »Alles?«, fragt er leicht besorgt.

»Ja.«

Ohne sie aus den Augen zu lassen, löst er einen Kragenknopf, öffnet die Minibar und holt ein Wodkafläschchen heraus. Dann setzt er sich in den Sessel, streckt die Beine von sich und schraubt den Deckel ab. »Zieh dich aus.«

»Mach das Licht aus«, sagt Maria Cristina und deutet zum Schalter.

Nicola Sarti leert das halbe Fläschchen. »Hast du nicht gesagt, alles?«

»Alles«, bestätigt sie. »Aber im Dunkeln.«

Nicola Sarti lacht auf und räuspert sich. »Zieh dich aus und tu, was ich dir sage.«

Und halt mal die Klappe, sagt Diana Brinzaglia genervt. Mit diesem Volltrottel Mirco Tonik machst du Gymnastik bis zum Abwinken, und jetzt schämst du dich?

Maria Cristina greift den Saum ihres Kleides, zieht es sich über den Kopf und überlegt, dass sie bestimmt müffelt. Sie wirft es zu Boden und steht in Unterhosen, BH, Strumpfhosen und Sandalen da. Sie legt die Hände in die Hüften. »In Ordnung?«

»Nein.«

Maria Cristina schlüpft aus den Schuhen und der Strumpfhose. »Der Nagel ist mir ausgefallen.« Sie zeigt ihm den Zeh.

»Der wächst nach«, sagt er knapp. »Zieh die Sandalen wieder an.«

Murrend gehorcht sie.

»Die Unterhosen.«

Maria Cristina zieht sie aus, ohne ihn aus dem Blick zu lassen, dann grätscht sie leicht die Beine, spannt die Pobacken an und dankt Mirco für die Millionen Kniebeugen, die er sie hat machen lassen. »In Ordnung?«

»Und der BH?«

Sie schüttelt den Kopf und legt die Handflächen aneinander. »Den bitte nicht.«

»Wieso nicht?«

»Weil ich mir die Titten habe machen lassen und sie nicht mag.«

»Lass sehen«, befiehlt Nicola Sarti resolut.

Sie blickt zur Decke und fummelt den Verschluss auf, der BH fällt zu Boden. »Bitte. Sie sind zu rund, und die Brustwarzen sind immer steif. Du kannst es ruhig sagen, wenn sie dir nicht gefallen, ich bin nicht beleidigt. Schau.« Sie hebt die Arme und zeigt die depilierten Achseln. In der Mitte ist die feine Linie einer Narbe zu sehen. »Hier haben sie mir die Prothesen reingeschoben. Die hatten einen ganz schön langen Weg.«

Erzähl ihm doch auch vom Lifting, wo du schon dabei bist. Diana Brinzaglia ist fassungslos.

»Mir gefallen sie«, beteuert er.

»Glaub mir. Sobald du sie anfasst, magst du sie nicht mehr.« Maria Cristina streicht unzufrieden darüber. »Sie sind hart und ein bisschen kalt.«

Er steht auf und stellt sich vor sie hin. »Darf ich?«

Maria Cristina hebt die Arme. »Bitte.«

Nicola Sarti legt seine Hände darüber. »Die fühlen sich doch super an.«

»Findest du?«

»Finde ich.« Neugierig streicht er mit den Fingern über ihre Hüfte mit den Verbrennungen. »Spürst du das?«, fragt er.

»Nein.« Maria Cristina fährt sich mit der Zunge über die Lippen, beißt sich auf die Unterlippe. Holt tief Luft und küsst ihn. Er legt ihr die Hand in den Nacken, doch sie weicht zurück. »Eines muss ich dir noch sagen. Dann halte ich die Klappe. Ich schwöre.«

Ungläubig schüttelt er den Kopf. »Was gibt’s?«

»Ich habe seit fünf Jahren keinen Sex mehr gehabt.«

Nicola Sarti fällt die Kinnlade herunter. »Nein. Das glaube ich nicht. Du nimmst mich auf den Arm. Wie kann das sein? Dein Mann …«

»Er kann, keine Sorge.«

»Betrügt er dich?«

»Das ist okay.«

»Der muss völlig wahnsinnig sein. Wie heißt es so schön, Glück ist blind … Fünf Jahre?«

»Ich schwöre. Mit meinem Mann kriege ich es einfach nicht mehr hin. Und mit mir selbst auch nicht. Also …«

»Also?«

»Also …« Mit einem tiefen Seufzer überwindet die Frau des Premiers ihre Befangenheit. »Bin ich ein bisschen eingerostet, ich habe mir unser Video so oft angeschaut, und jetzt habe ich ein bisschen Angst, dass …«

Er schiebt ihr die Zunge in den Mund und schneidet ihr das Wort ab.

Bestimmt wollt ihr, liebe Leser und Leserinnen, nun wissen, ob es unserer Hauptfigur gelingt, den Rost abzuschütteln, Nicola Sartis Wünsche zu befriedigen und sich ein bisschen Spaß zu gönnen.

Doch leider müsst ihr euch gedulden, ich brauche noch ein paar Zeilen, um euch etwas zu erzählen, das mir persönlich passiert ist und das vielleicht verdeutlichen kann, wie die Frau des Premiers tickt.

Als Kind wollte ich unbedingt ein Baumhaus, ich las Micky Maus und liebte Tick, Trick und Track, die ein ebensolches Baumhaus besaßen. Mit der Beharrlichkeit renitenter Kinder bettelte ich die Schöpfer meiner Tage an, mir eines zu bauen. Es durfte auch ganz klein sein, ein Einzimmerhäuschen im Park Villa Ada oder auf dem Spielplatz vor dem Haus. Fairerweise sei gesagt, dass meine Eltern nie besonders gut im Selbermachen waren, sie nannten es Lassihnmachen und meinten damit Rino, genannt Baffo, den Alleskönner ihres Vertrauens, eine Art Luciano sozusagen, der sich um alles Handwerkliche kümmerte.

Eines Morgens, wir waren auf dem Land, eröffnete meine Mutter der verdatterten Familie in einem jähen Anflug von Elan, sie würde das Baumhaus bauen, allein, dann wäre ein für alle Mal Schluss mit meiner Quengelei. Ich sollte ihr zur Hand gehen und von unten alles Nötige anreichen. Die richtige Baumart dafür sei die Eiche, neben der Kastanie der schönste und majestätischste. Wir entschieden uns für ein dickes Exemplar mit niedrigen Ästen gleich hinter dem Laubengang. Sie kletterte auf die Leiter, und ich stand unten und reichte ihr Holz, Schrauben, Nägel und Hämmer hinauf.

Wegen des schlichten Entwurfs war die Sache schnell erledigt. Es war eher ein windschiefes Kabuff als ein Häuschen, zusammengezimmert aus Planken und Brettern, die auf die dicken, knorrigen Äste geschraubt waren, der ramponierte Mastkorb eines Segelschiffs, von dem aus ich das Dach unseres Hauses und ein Stück Rasen erspähen konnte. Ehrlich gesagt gab es dort oben wenig zu tun, zu zweit war es eng, man musste entweder stehen oder im Sitzen die Beine verschränken. Im folgenden Sommer war ich zu groß geworden, ich kletterte ein paarmal hinauf, und das war der Abgesang auf das Häuschen.

Seitdem sind fünfundvierzig Jahre vergangen, und wenn ich meine Eltern besuchen fahre, schaue ich stets bei meinem Häuschen auf der Eiche vorbei. Es ist noch immer da, an seinem Platz im Wald, immer grüner vom wuchernden Moos, eingesponnen in die Spitze der Flechten, von Efeu umrankt, ein paar Bretter sind runtergefallen, doch rätselhafterweise hält die Konstruktion stand. Ich sehe, wie die Vegetation wächst, sich verändert, die Brombeeren den Stamm umwuchern, bis sie dem gelegentlichen Eingreifen der Motorsense zum Opfer fallen, die Triebe der jungen Bäume sich recken, um ihren Platz unter dem Himmel zu finden, und die älteren absterben und ihre Äste verlieren.

Letzten Sommer, nach einem allzu üppigen Mittagessen, mit Wein in den Adern und den Zikaden im Ohr, während die Sonne das Land röstete, beschloss ich, einen kleinen Spaziergang durch den kühlen Wald zu machen, und stand plötzlich unter dem Häuschen. Nicht weit davon lehnte die Leiter, die der Bauer benutzt, um die Olivenbäume zu schneiden. Ich nahm sie und kraxelte mit ein wenig Mühe auf die Eiche. Ich hielt mich an den Ästen fest, kletterte über das Geländer, machte mich leicht und betrat das Häuschen. Der Fußboden knarrte, aber er hielt stand. Es gab wenig zu sehen, das Laub war gewachsen und hatte den Himmel verdrängt, ich wollte gerade wieder hinabsteigen, als mein Blick auf einen rosa Fleck in einer Ecke fiel. Ich schob Blätter, Eicheln und Erde beiseite und entdeckte ein Gummiferkel mit Skiern, Skistöcken, einem grünen Pulli und einer Pudelmütze in derselben Farbe. Es war all diese Jahre dortgeblieben, fast unversehrt, abgesehen von einem Loch am Hintern, aus dem ein Büschel synthetische Watte quoll, hineingeknabbert von irgendeinem Nagetier. Durch die Hitze, die Kälte, den Regen und den gelegentlichen Schnee war es rissig, verschossen und steif wie Pappe geworden. Ich drückte es, und es stieß eine Art Grunzen aus, das wie eine in das schwarze Loch meines Hippocampus hinabgelassene Sonde in mein Innerstes drang und auf einen von den Jahren verkalkten, von Psychopharmaka und Alkohol verkrusteten Krumen Erinnerung traf. Wie ich dort in meinem alten Häuschen stand, durchzuckte mich ein Kindheitsbild, wie ein Kloß im simmernden Wasser stieg das Gesicht eines hochgeschossenen kleinen Mädchens mit kurzen Haaren in mir auf, eine entfernte Cousine aus dem Norden, die ein paar Tage bei uns auf dem Land verbrachte. Wir waren acht oder neun, ich habe sie nie wieder gesehen oder von ihr gehört, Isabella vielleicht, ich war mir nicht einmal sicher, ob sie so hieß. Sie konnte das Geräusch des Skiferkels perfekt nachahmen, indem sie gleichzeitig durch Mund und Nase ein- und ausatmete. Und wir, meine Schwester und ich, waren hingerissen und hielten sie für ein Genie. Ich habe auf Facebook nach Isabella gesucht, heute lebt sie mit einem Ehemann und zwei wunderbaren Kindern in Boston. Die Macht des grunzenden Skiferkels.

Fertig. Ich habe das nur erzählt, um zu sagen, dass Maria Cristina, als Nicola Sarti ihr mit seinem schnodderig belustigten römischen Tonfall befiehlt, »tu, was ich dir sage«, eine in der Spardose der Erinnerung vergessene Hundert-Lire-Münze klimpern hört und zwischen den Nebelschwaden, die ihre Vergangenheit verhüllen, einen etwas größeren Ausschnitt von den Zeiten der Segelreise erhascht.

In den ersten Tagen auf See umwarb Nicola Maria Cristina auf die rüde Art unerfahrener Jungs. Er foppte und piesackte sie und versuchte sie mit Unterstützung der anderen zu provozieren. Das Spiel auf dem Boot bestand darin, Alessios kleine Schwester, die einzige Frau an Bord, durch den Kakao zu ziehen. Nicola war der Hartnäckigste von allen. Ständig machte er Witze und blöde Bemerkungen, die sie zunehmend nervten. Angeberische Schulterstöße, unangemessene Klapse auf den Hintern, ein auf den Bauch gelegter Krake, während sie schlief. Kaum ließ Maria Cristina sich an Deck blicken, schubste er sie ins Wasser, bis sie irgendwann die Nase voll hatte und einen Flunsch zog, worauf er mit übertriebener Freundlichkeit reagierte. Creme dich ein, sonst kriegst du einen Sonnenbrand. Ich habe dir ein Brötchen gemacht. Die beiden reagierten wie zwei Magneten, die sich entweder abstoßen oder anziehen. Maria Cristina brachte das aus der Fassung, und wenn er sich über sie lustig machte, rannte sie ihm nach, boxte auf ihn ein und versuchte, ihn unter Wasser zu drücken. Jedes Mal, wenn ihre Körper sich berührten, sprang ein sexueller Funke über und nahm ihnen den Atem. Das Verlangen, ihm nahe zu sein, trieb sie, die sonst um keinen Preis den Hintern hochbekam, zur Vulkanbesteigung auf Stromboli oder zu Wettkämpfen und Spielen, die in Gerangel mit zweideutigen Grabschereien ausarteten.

Wie eine Friedensvereinbarung zwischen zwei Duellanten hatte der berühmte Kuss in der Laurentiusnacht das Ende der Feindseligkeiten besiegelt und Körperkontakt zugelassen. Sie konnten sich anfassen, küssen, auf Schritt und Tritt aneinanderschmiegen und sich und dem Rest der Welt zeigen, dass sie ein Paar waren. Das Begehren legte sich nie, nicht einmal, wenn sie eng umschlungen schliefen, gefangen in einem Spiel aus Entdeckungen und mitunter peinlichen Experimenten, Gerüchen, Rülpsern, Albernheiten, Forderungen und Verweigerungen, Zärtlichkeiten und Gekitzel, Händchenhalten, schamlosen Knutschereien auf dem Dorfplatz und Sex in der glutheißen Kabine.

Eines Tages, vor Anker im Hafen, sie waren endlich allein und lagen nebeneinander in der Doppelkajüte, sagte Maria Cristina, sie habe Lust auf Pizza. »Komm schon, hol mir welche, bitte.«

»Nein. Viel zu heiß. Keine Lust«, antwortete er und blätterte in einem Buch von Stephen King.

»Bitte«, quengelte sie.

Er klappte den Roman zu. »Und was kriege ich dafür?«

»Ich wasch dir deine Klamotten.«

»Das reicht nicht.«

»Wie, das reicht nicht? Was willst du dann?«

Er strich über die Filmkamera auf dem Nachttisch. »Machen wir das Video?«

»Welches Video?« Maria Cristina wusste genau, was er meinte.

»Weißt du doch.«

Sie tippte sich mit dem Finger an die Schläfe. »Nix da. Spinnst du? Für eine Pizza …«

Seit Tagen schon hatten sie über die Idee diskutiert, einen Horrorfilm zu drehen, aus dem dann, sieh an, ein Porno geworden war.

»Ich bringe dir auch ein Bier mit. Und Eis. Drei Sorten. Mit Sahne.«

»Welche? Lass hören. Wenn du es errätst …« Sie setzte sich ein wenig auf und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

Nicola hob den Daumen. »Schokolade.«

»Okay.«

»Pistazie …« Er hob den Zeigefinger.

»Okay.«

Nicola zögerte, sah sie an, biss sich unsicher auf die Lippe. »Kaffee?«, riet er. »Nein, warte, Stracciatella.«

»Richtig! Maria Blasina ist dabei.«

Nicola streifte sich das T-Shirt über. »Ich bin gleich wieder da. Und du tust, was ich dir sage.«

Alles für drei Sorten Eis und eine Pizza.