Sissis lacht übers ganze Gesicht – zum einen, weil die Kundgebung erfolgreich verlaufen, zum anderen, weil er mit Dervisoglous Einsatz zufrieden ist.

Wir sitzen im Kafenion in der Ajias-Sonis-Straße. Der Treffpunkt war meine Idee, um Familienmitgliedern aus dem Weg zu gehen, die allzu gern die Ohren spitzen. Danach, so einigten wir uns, wollen wir gemeinsam den kleinen Lambros besuchen.

»Er hat nicht den geringsten Verdacht erregt«, erzählt mir Sissis. »Er ist zusammen mit anderen Teilnehmern gekommen und hat die Kundgebung auch genau so wieder verlassen. Ich habe mir vor Verwunderung die Augen gerieben und mich gefragt: Was, gibt es auch solche Bullen?« Als ihm bewusst wird, dass er das Wort »Bulle« verwendet hat, rechtfertigt er sich eilig. »Tut mir leid, dass ich ›Bulle‹ gesagt habe. Ist mir so rausgerutscht!«, sagt er mit einem Lächeln.

»Das kratzt mich wenig. Wir hören es so oft, dass wir uns daran gewöhnt haben. Ein Wunder, dass wir es selbst noch nicht übernommen haben.«

»Jedenfalls wollte ich dir danken. Du hast eine ausgezeichnete Wahl getroffen«, meint er.

Ich stehe auf, da wir alles Übrige auch im Beisein der

Wir nehmen mein Auto und stehen kurz darauf vor Katerinas Wohnung.

Fanis öffnet uns, mit Lambros auf dem Arm, die Tür. Adriani ist am Kochen. Katerina sitzt mit Mania und Uli im Wohnzimmer. Unser Eintreffen löst zwar keine Euphorie aus, aber immerhin drücken meine Tochter und Mania uns beiden einen Kuss auf die Wange. Uli begrüßt uns mit seinem klassischen Händedruck.

Ich lasse Sissis den Vortritt, damit er als Erster mit dem kleinen Lambros schäkern kann, und wende mich an Uli. »Wie geht es deinem Vater?«

»Viel besser. Zum Glück ist er an einen tollen Kardiologen geraten, der das Schlimmste verhindert hat.« Ein listiges Lächeln stiehlt sich auf seine Lippen. »Er ist auch ein netter Mensch, wir haben uns ein wenig angefreundet.«

»Die Deutschen sind gute Mediziner«, kommentiere ich als echter Grieche, der stets eine Meinung hat, auch wenn sie auf Unwissen gründet.

»Der Arzt war kein Deutscher, sondern Grieche. Er heißt Dimakis und ist in Deutschland sehr bekannt.«

»Dimakis ist ein hervorragender Kardiologe«, bestätigt Fanis. »Ich habe ihn im Zuge meiner Facharztausbildung kennengelernt. Er war Oberarzt, ist dann nach Deutschland gegangen und hat sich dort einen Namen gemacht.«

Während die beiden weiterplaudern, gehe ich zu meinem Enkelsohn. Jetzt hält ihn Katerina auf dem Arm, während Mania ihm Grimassen schneidet. Sobald er mich erblickt, beginnt er zu lachen und mit den Ärmchen zu winken.

»Das kommt davon, weil er seinen Opa viel seltener sieht. Dich hat er ja jeden Tag vor sich«, erklärt ihr Katerina. Danach sagt sie zu ihrem Sohn: »Los, mein Junge, jetzt gibt’s das Fläschchen, und dann ab ins Bettchen!«

Wir setzen uns alle zusammen ins Wohnzimmer und halten ein Pläuschchen, solange Katerina das Kind schlafen legt.

»Wie ist die Kundgebung gelaufen, Herr Lambros?«, will Mania von Sissis wissen.

»Viel besser als erwartet. Es waren nicht nur Griechen dabei, sondern auch eine Gruppe aus ehemaligen Ostblockländern wie Bulgarien, Albanien und Rumänien. Und auch der Afrikaner, den uns Katerina vermittelt hat, konnte seine Landsleute zum Kommen überreden. Aber die eigentliche Überraschung kam aus einer ganz anderen Ecke.«

»Und woher?«, fragt Mania.

»Es kamen an die fünfzig Mittelständler, denen es früher gutging. Sie haben uns erklärt, dass sie jetzt auch arm sind und sich der Bewegung anschließen wollen.«

»Welcher Bewegung?«, fragt Uli, der durch seinen Aufenthalt in Deutschland den Anschluss verpasst hat.

Nachdem Sissis ihn kurz auf den letzten Stand gebracht hat, erwidert Uli lachend: »Auf Deutsche könnt ihr bei euren Kundgebungen nicht zählen.«

»Man hat uns aber auf die italienische Sardinen-Bewegung hingewiesen«, meint Sissis.

»Davon habe ich auch gelesen«, bekräftigt Mania.

»Wieso denn? Es gibt doch auch die Gelbjacken in Frankreich!«, hält ihm Mania entgegen.

»Diese Franzosen … Was für Spielverderber!«, lautet Ulis Kommentar, der auf heitere Zustimmung stößt.

»Also bitte! Und ihr zeigt mit dem Finger auf uns und die Türken«, schaltet sich Fanis ein. »Deutsche und Franzosen sind nicht besser aufeinander zu sprechen. Nur verbergen sie es geschickter, während wir mit unserem südländischen Temperament immer mit der Tür ins Haus fallen.«

»Auf der Herfahrt musste ich Charitos jedenfalls recht geben«, wechselt Sissis das Thema.

»Inwiefern?«, wundere ich mich.

»Die Souf‌laki-Läden sind gut besucht. Es gibt kaum noch andere Esslokale. Wenn ich abends eine Runde spazieren gehe, sind sie proppenvoll. Auf der nächsten Kundgebung müssen wir wohl Souf‌laki als das neue Armenessen an die Teilnehmer verteilen.«

»Ihr könntet etwas anderes machen«, meint Adriani.

»Was denn?«

»Hast du nicht erwähnt, dass nicht nur Griechen, sondern auch Teilnehmer aus anderen Ländern kommen? Sagt doch jeder Gruppe, sie soll das bei ihnen typische Arme-Leute-Essen zubereiten und es dann verteilen. Nicht nur an die Demonstranten, sondern auch an die Passanten.«

In Momenten wie diesen macht mich Adriani sprachlos. Sissis springt begeistert auf.

»Eine großartige Idee! Bravo, Adriani!«, sagt er, geht auf sie zu und küsst sie.

Katerina hat ihren Sohn in den Schlaf gewiegt und stößt zu uns ins Wohnzimmer. »Léopold hat mich angerufen, Onkel Lambros. Er war ganz angetan«, sagt sie, sobald sie Platz genommen hat.

»Als sie um zwölf immer noch nicht aufgetaucht waren, dachte ich, die kommen nicht mehr. Aber dann, zu Beginn meiner Rede, sind sie doch noch eingetroffen.«

»Er war begeistert, wie gesagt. Er meinte, an der nächsten Veranstaltung würden noch mehr Leute teilnehmen. Wenn du ihn treffen willst, hast du jeden Sonntag bei dir im Viertel die Gelegenheit.«

Sissis blickt sie überrascht an. »Bei mir im Viertel? Wo?«

»In der Eptanissou-Straße gibt es eine katholische Kirche. Dort versammeln sie sich jeden Sonntag zur Messe.« Sie hält kurz inne, bevor sie fragt: »Von Salehs Leuten ist keiner gekommen?«

»Nein, sie hatten Angst. Das hat er mir ganz offen gesagt.«

»Verstehe, ich spreche noch mal mit ihm. Vielleicht getrauen sie sich beim nächsten Mal.«

Nachdem Mania den Tisch gedeckt hat, bringt Adriani das Essen. Sie hat Sardinen in Zitronensoße und Wildkräuterpitta gemacht.

»Frau Adriani, wie schaffst du es bloß, dich um deinen Enkel zu kümmern und gleichzeitig zwei Gerichte zuzubereiten? Da bleibt mir wirklich die Spucke weg«, sagt Fanis zu ihr.

Fanis macht eine Flasche Weißwein auf, während wir uns an den Tisch setzen. Wie immer kommt das Gespräch beim Essen fast zum Erliegen, da wir alle beherzt zugreifen – mich eingeschlossen, obwohl ich jeden Tag in den Genuss der Köstlichkeiten meiner Frau komme.

Wir verbringen den ganzen Abend in fröhlicher Stimmung und brechen gegen elf Uhr auf.

»Du hast dir die Bemerkung über die Souf‌laki nicht verkneifen können«, sage ich zu Adriani, als wir in den Seat steigen.

Sie wirft mir eins ihrer Sprichwörter an den Kopf. »Getroffene Hunde bellen.« Dann blickt sie mich an. »Aber eigentlich wollte ich damit sagen, dass man durch die jeweilige Landesküche die Armut des anderen besser versteht. An den Speisen kann man nicht nur den Reichtum, sondern auch die Armut eines Landes ablesen. Denkst du, ein armer Afrikaner kann sich gegrillte Spießchen leisten, um seinen Hunger zu stillen?«

Damit hat sie mich definitiv mundtot gemacht. Schweigend wie ein Klostermönch betrete ich mit ihr zusammen die Wohnung, und wir gehen sogleich ins Bett.

Als mich das Klingeln meines Handys aus dem Schlaf reißt, springe ich auf und eile ins Wohnzimmer, um Adriani nicht zu wecken, die schon leise protestiert. Bevor ich das Gespräch annehme, schaue ich auf die Uhr. Es ist ein Uhr nachts.

»Und dafür weckst du mich mitten in der Nacht? Weil im Exarchia-Viertel ein Toter liegt?«, frage ich ganz außer mir.

»Wenn’s kein chinesischer Unternehmer wäre, hätte ich Sie weiterschlafen lassen.«

Ich eile zurück ins Schlafzimmer und raffe meine Kleider zusammen.