„Dann wäre das also geklärt“, sagte Corran und versuchte, Lotty näher an sich heranzuziehen.
Doch sie wehrte ihn ab. „Ich hätte gern … wenn wir nicht gerade … du weißt schon …“ Sie sprach immer leiser und verstummte schließlich ganz.
„Ich verstehe.“ Nur mit Mühe gelang es ihm, ein Schmunzeln zu unterdrücken.
„Also … in der übrigen Zeit bleibt alles wie gehabt. Ich möchte meiner Arbeit nachgehen wie bisher, und du sollst so mürrisch und unleidlich bleiben wie immer.“
„Wann wäre ich je so gewesen?“ Endlich lag sie in seinen Armen, und er widmete sich ausführlich ihrem zarten Hals.
„Ständig“, hauchte sie atemlos.
„Möchtest du, dass ich jetzt mürrisch bin?“
„Verschieb es auf später.“ Sie schmiegte sich in seine Arme. „Könntest du dich einfach verhalten wie bisher?“
„Einverstanden.“
Zu seiner Überraschung fiel es Corran zusehends schwerer, sein Versprechen zu halten. Ein langer milder Sommerabend folgte auch den nächsten, und er bemerkte, wie er schon während der Arbeit dem Feierabend entgegenfieberte, den er stets mit Lotty verbrachte. Seine Bemühungen, den Griesgram zu spielen, blieben ohne großen Erfolg.
Jeden Morgen ermahnte er sich aufs Neue, die Renovierung der Cottages nicht aus den Augen zu verlieren und nicht zu vergessen, dass sie bald abreisen würde. Dennoch lud er sie ein, ihn zu begleiten, wenn er bei seinen Schafen nach dem Rechten sah, die in den Bergen weideten. Gemeinsam unternahmen sie ausgiebige Spaziergänge, und wenn Lotty abends schon vor ihm ins Gutshaus zurückkehrte, freute er sich darauf, sie in der Küche vorzufinden, wo sie mit einer ihm unbegreiflichen Verbissenheit versuchte, perfekte Scones zu backen.
„Ich wünschte, ich hätte dir nie von meiner Vorliebe dafür erzählt“, meinte er eines Abends, als sie nach einem Blick in den Ofen die Schultern hängen ließ.
„Mrs McPherson hat bestimmt vergessen, mir eine wichtige Zutat zu nennen.“
Er schlang ihr die Arme um die Taille, zog sie an sich und küsste sie auf den Hals, was unweigerlich ein Lächeln auf ihre Lippen zauberte und ihre schlechte Laune vertrieb. Sogleich schmiegte sie sich an ihn und lud ihn mit eindeutigen Blicken ein, fortzufahren. Von Verstellung hielt sie nichts.
Ich liebe ihre Aufrichtigkeit und Gradlinigkeit, dachte Corran und zuckte gleich darauf erschrocken zusammen:
Liebe? Davon konnte keine Rede sein. Er mochte und bewunderte sie, mehr nicht.
„Was ist los?“
Jetzt erst bemerkte er, dass er sie losgelassen hatte. „Nichts. Ich würde es lediglich vorziehen, wenn du weniger Scones backen und dafür fleißiger anstreichen würdest“, erwiderte er schroffer als beabsichtigt.
„Die Farbe von heute muss erst trocknen“, rechtfertigte sich Lotty. Sie strich inzwischen das dritte Ferienhaus und machte rasche Fortschritte. „Morgen wird das Bad fertig. Da fällt mir ein … weißt du, welchen Tag wir morgen haben?“
„Donnerstag.“
Sie schnalzte ungeduldig mit der Zunge. „Und weiter?“
„Du hast doch nicht etwa Geburtstag?“
„Morgen vor genau einem Monat bin ich zu dir gekommen. Was sagst du jetzt?“
„Ich gebe zu, ich habe mich gründlich in dir geirrt. Genügt dir das?“
„Erinnere dich an unsere Wette: Es war abgemacht, dass du mich zum Essen ausführst, wenn ich gewinne.“
Mit ihrem unermüdlichen Einsatz hatte sie sich ein Dinner redlich verdient. „Gut, dann fahren wir am Samstag nach Fort William. Dort gibt es ein gutes Restaurant direkt am See.“
„Lass uns lieber morgen Abend zum Ceilidh im Mhoraigh Hotel gehen“, schlug Lotty vor, obwohl sie ahnte, dass er keine Lust hatte, den typisch schottischen Tanzabend zu besuchen.
Tatsächlich wartete er sofort mit einer Ausrede auf. „Die Küche dort ist einfach grässlich.“
„Aus Essen machst du dir ohnehin nichts.“
„Wenn ich dafür bezahlen muss, schon.“
„Dann nehmen wir hier einen Imbiss, ehe wir losgehen. Ich möchte zu gern tanzen.“
Nachdenklich strich sich Corran mit der Hand über das Gesicht. „Würdest du nicht lieber elegant dinieren?“
„Bestimmt nicht!“
Die letzten Wochen waren für Lotty eine Offenbarung gewesen. Sie hatte unzählige neue Seiten an sich entdeckt, fühlte sich lebendig wie nie zuvor und steckte voller Energie und Lebenslust. Die wichtigste neue Erfahrung war gewesen, mit Corran zu schlafen. Beim Sex fühlte sie sich herrlich wild und verwegen und vergaß alles ringsum, insbesondere, dass sie eine Prinzessin war. Einen zusätzlichen Reiz stellte es für sie dar, dass sich die Spielregeln änderten, sobald die Schlafzimmertür hinter ihnen ins Schloss fiel. Nach einem normalen Arbeitstag genoss sie seine intimen Berührungen, den Geschmack seines Mundes, die Aufregung und Leidenschaft, die hell zwischen ihnen aufloderte, umso mehr.
Mit dem Morgen kehrte dann jeweils die Vernunft wieder, und sie rief sich ins Bewusstsein, dass sie Schottland und ihn verlassen musste. Sie musste nach Montluce zurückkehren, und Corran blieb allein zurück. Dieser Gedanke behagte ihr gar nicht. So wenig ihm seine Einsamkeit auch auszumachen schien, sie beabsichtigte, Kontakt zwischen ihm und den Dorfbewohnern herzustellen. Seit ihrem letzten Besuch im Dorfladen von Mhoraigh wusste sie auch, wie sie das anstellen konnte:
„Mrs McPherson hat mir von dem Ceilidh erzählt. Alle gehen hin, es wird bestimmt lustig.“
„Nicht, wenn ich mitkomme. Die Leute können mich nicht ausstehen, wie du weißt.“
„Weil sie dich nicht kennen. Sie haben sich ein verzerrtes Bild von dir gemacht, und du hast dich nie bemüht, es gerade zu rücken. Ich verstehe nicht, wieso du ihnen nicht deine Situation erklärst. Zeig ihnen, wie du wirklich bist.“
„Sie halten mich für einen unfreundlichen Außenseiter, und genau das bin ich.“
„Du gehörst hierher, das beweist du jeden Tag aufs Neue.“
„Davon wirst du sie nie überzeugen.“
„Wenn sie sehen könnten, was du hier tust, und wüssten, wie du für dein Land empfindest, würden sie es glauben.“
„Das ist mir egal. Sie haben kein Interesse an mir, umgekehrt gilt dasselbe. Daran ändert auch der Ceilidh nichts.“
„Ich habe mich so darauf gefreut!“
„Dann geh mit Mrs McPherson hin, ihr seid ja neuerdings dicke Freundinnen.“
„Es wäre viel schöner, wenn du mich begleiten würdest.“
„Mein Wetteinsatz war ein Abendessen.“
Doch so sehr er sich auch sträubte, Lotty gab nicht nach. „Ein Abend im Hotel kommt dich wesentlich billiger.“
„Ich tanze nicht.“
„Gib dir einen Ruck. Schließlich hast du eine Wette verloren.“
Er bedachte sie mit einem wütenden Blick, doch als sie sich auch dadurch nicht einschüchtern ließ, lenkte er seufzend ein: „Einverstanden. Aber gib nicht mir die Schuld, wenn der Abend in einem Fiasko endet.“
„Du trägst ja keinen Kilt“, stellte Lotty enttäuscht fest, als sie Corran erblickte. In einem dunklen T-Shirt zu einer schwarzen Jeans wirkt er eine Spur bedrohlich, zumal er obendrein eine finstere Miene zur Schau trug.
„Erwarte nicht zu viel vom Ceilidh! Das ist ein schlichter Tanzabend, kein formeller Ball. Niemand macht sich dafür besonders chic.“
Erschrocken sah sie an sich herab. „Habe ich es übertrieben?“
Mit einer Mischung aus Zuneigung und Verzweiflung betrachtete er sie. Ihr gelbes Etuikleid wirkte schlicht, doch der einfache Schnitt und das exquisite Material ließen das Designermodell erkennen. Dazu trug sie Pumps und als einzigen Schmuck Perlenohrstecker.
„Eindeutig. Du könntest zu einer Cocktailparty in Paris gehen.“
„Soll ich mich umziehen?“
„Nein.“ Das Problem war nicht nur, was sie trug, sondern wie sie es tat. Allein ihre selbstbewusste aufrechte Haltung verlieh ihr ein elegantes Flair. „Du wirkst fehl am Platz, was immer du anhast. Gehen wir und bringen es hinter uns.“
Die Band stimmte gerade die Instrumente, als sie den Speiseraum des Hotels betraten, der zum Tanzsaal umfunktioniert worden war. Schlagartig verstummten alle Gespräche. Für einen Moment waren nur noch das Kratzen der Geige und leise Akkordeontöne zu hören.
Als Corran sich umblickte, entdeckte er ausschließlich feindselige Gesichter. Das hatte er geahnt. Im Nachhinein bedauerte er seine Nachgiebigkeit – nicht um seinet-, sondern um ihretwillen. Beschützend legte er Lotty den Arm um die Schultern, bereit umzukehren, ehe man sie dazu aufforderte.
Doch wieder einmal überraschte sie ihn. Von der frostigen Atmosphäre unbeeindruckt, die ihnen entgegenschlug, ging sie lächelnd in den Saal hinein. Ehe er begriff, was vor sich ging, plauderte sie unbefangen mit Leuten, die sie von ihren Besuchen im Dorfladen kannte, ließ sich anderen Gästen vorstellen und brachte das Eis zum Schmelzen. Innerhalb kürzester Zeit herrschte im Saal wieder Partystimmung.
Verwirrt und tief beeindruckt beobachtete er, wie sie die Dorfbewohner für sich einnahm. Schon nach wenigen Minuten forderte Rab Donald, ein enger Freund seines Halbbruders, sie zum Tanz auf.
Die Band eröffnete das Fest mit einem Tusch, und bald wirbelten die Paare übers Parkett. Obwohl sich die Tänzer dicht an dicht drängten, war es unmöglich, Lotty in ihrem gelben Kleid zu übersehen. Neben dem grobschlächtigen Rab wirkte sie noch zierlicher und eleganter als sonst.
„Was für eine nette junge Frau“, meinte Mrs McPherson, die sich zu Corran gesellte.
„Das ist sie wirklich“, pflichtete er ihr bei. „Nur kochen kann sie nicht.“
„Wie kommt sie mit den Scones zurecht?“
„Die werden von Mal zu Mal ungenießbarer.“
„Also deshalb fragt sie mich ständig, ob ich nicht eine unverzichtbare Zutat vergessen habe!“
Corran war dankbar für die Gesellschaft der ehemaligen Köchin seines Vaters – die anderen Festbesucher schlugen weiterhin einen großen Bogen um ihn. Leider fiel es ihm dennoch schwer, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Rab hielt Lotty für seinen Geschmack viel zu fest im Arm. Es fehlte nicht viel, und er wäre aufgestanden, hätte sich einen Weg durch die Menge gebahnt und sie ihm entrissen.
Erst nach einer gefühlten Ewigkeit endete der Tanz, und die Anspannung fiel von ihm ab. Jetzt gab es für Rab keinen Vorwand mehr, Lotty zu berühren. Doch schon wurde sie von einem anderen Mann zum Tanz geführt, dem Besitzer des Hotels, der aus seiner Abneigung gegen Corran nie einen Hehl gemacht hatte.
Augenblicklich verfinsterte sich seine Miene wieder. Nur unter Aufbietung aller Kräfte gelang es ihm, seine volle Aufmerksamkeit auf Betty McPherson zu richten.
„Ich verstehe nicht, wieso sie sich dermaßen auf die verdammten Scones versteift.“
Betty lächelte. „Weil sie Ihnen eine Freude bereiten will.“
Einen Moment schwiegen beiden, und als die Geige zu einer beliebten Volksweise ansetzte, fragte er: „Würden Sie mir die Ehre erweisen, Mrs McPherson?“
„Nennen Sie mich Betty. Und ja, gern.“
Der Tanz erforderte zahlreiche Partnerwechsel, und so stand Corran bald Lotty gegenüber. Sie reichte ihm die Hände, um sich von ihm im Kreis herumwirbeln zu lassen, und lächelte ihn so glücklich an, dass ihm das Herz förmlich aufging. Am liebsten hätte er sie nie wieder losgelassen.
Sie genoss den Abend in vollen Zügen, und ihre Freude färbte auf ihn ab. Während sie keinen Tanz verpasste, hielt er sich im Hintergrund und ließ sie gewähren. Erst jetzt erkannte er, wie selbstsüchtig er sich in den letzten Wochen verhalten hatte. Er hatte sie ganz für sich beansprucht, und das war ihr durchaus recht gewesen. Auf Dauer würde sie sich jedoch nach abwechslungsreicherer Gesellschaft sehnen, nach Partys und anderen Attraktionen – Dinge, die er ihr nicht bieten konnte.
Vielleicht war sie sich dessen bewusst und bestand aus diesem Grund auf einer baldigen Abreise. Es ist das Beste, wenn sie geht, versuchte er sich selbst einzureden.
An diesem Abend beschränkte er sich darauf, ihr zuzusehen, wie sie mit anderen Männern tanzte, und gönnte ihr das Vergnügen aus ganzem Herzen. Doch als der Bandleader den letzten Tanz ankündigte, eine langsame Nummer, zog er sie rasch auf die Tanzfläche, ehe ein anderer ihm zuvorkommen konnte.
Endlich durfte er sie im Arm halten – und das nutzte er gebührend aus. Er legte ihr die Hand auf den Rücken. Durch den zarten Stoff hindurch spürte er die Wärme ihres Körpers. Wie weich und samtig sich die Haut in ihrem Nacken anfühlte, wie verlockend ihr Parfüm roch, das sie jeden Tag auftrug! Dieser Duft würde ihm fehlen, wenn sie fort war – und das war nicht das einzige.
Ihm gefiel, wie sie ihr Haar mit einem Schal vor Schmutz schützte, ohne dabei lächerlich auszusehen. Auch ihr ausgeprägter Sinn für Stil war ihm nicht entgangen, und sie hatte ihn bereits auf das Haus übertragen. Seit sie seine Haushälterin war, wirkten die Räume viel freundlicher und heller. Womit sie diesen Effekt erzielte, wusste er allerdings nicht. Lediglich die hübschen Wildblumensträuße, die sie mit Begeisterung band, waren ihm aufgefallen. Sogar die Küche wirkte gemütlich wie nie zuvor, und er liebte es, Lotty abends dort anzutreffen.
Und dann die gemeinsamen Nächte: Sie gab sich ihm hin mit einer unbeschreiblichen Leidenschaft. Allein der Gedanke genügte, ihn zu erregen.
Oh ja, er würde sie vermissen – und ihr Abschied rückte mit jedem Tag näher.
Es ist besser so, sagte er sich zum wiederholten Mal. Sie war nicht die richtige Frau für ihn. Was er brauchte, war eine bodenständige, starke Gefährtin, kein ätherisches, anmutiges Wesen.
Dennoch neigte er den Kopf und küsste ihr Haar. Sogleich schmiegte sie sich fester an ihn. Ihm wurde schwindlig, und er dachte nicht länger nach über ihre Abreise, das Dorf und die Feindseligkeit, die ihm unterschwellig immer noch entgegenschlug. Er vergaß alles bis auf die Frau in seinen Armen – die nicht die Richtige für ihn war und sich doch so richtig anfühlte.
„Nicht schon wieder Scones!“
Lotty stand am Herd und sah skeptisch in den Backofen, doch als Corran eintrat, blickte sie auf, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Das geschah jedes Mal, wenn sie ihm begegnete – immer noch.
„Zur Abwechslung habe ich mich an Schokoladenkuchen herangewagt.“
Er stellte die Einkäufe auf dem Tisch ab, die er auf dem Rückweg von einem Termin im Dorfladen besorgt hatte.
Ein Mann mit Einkaufstüten hatte gewiss nichts Glamouröses oder Heroisches an sich, dennoch füllte er mit seiner überwältigenden Ausstrahlung den ganzen Raum aus.
Lotty stockte der Atem. Sie hatte erwartet, dass sie sich nach einiger Zeit daran gewöhnen würde, mit ihm zu schlafen, und dass ihr Verlangen nach ihm nachließ. Das Gegenteil war der Fall.
Immer noch verzehrte sie sich nach ihm und sehnte sich danach, ihn zu berühren. Er hatte ihre wilde Seite entfesselt und die leidenschaftliche Frau in ihr zum Vorschein gebracht, die jahrelang unter der Fassade der gehorsamen, pflichtbewussten Prinzessin im Dornröschenschlaf gelegen hatte.
Unwillkürlich musste sie an den vergangenen Nachmittag denken: Sie hatte den Küchenboden in einem der Cottages gestrichen. Als sie damit fertig gewesen war, war es zu spät gewesen, eine neue Aufgabe in Angriff zu nehmen. Also hatte sie sich in die Nachbarhütte begeben, um Corran, der dort arbeitete, ihre Hilfe anzubieten.
An der Tür zum Bad war sie stehen geblieben und hatte ihn beobachtet, wie er ein Brett zurechtsägte. In ausgebleichten Jeans und einem verschossenen, schweißfeuchten T-Shirt, sah er zum Anbeißen aus.
In diesem Moment bahnte sich die Sonne ihren Weg durch eine Lücke in den Wolken. Ein Lichtstrahl fiel direkt auf ihn und betonte sein markantes Kinn, auf dem sich bereits ein Bartschatten zeigte, seinen kräftigen Rücken und die muskulösen Arme. Unvermittelt wurde ihr heiß vor Verlangen. Sie war wie gelähmt, und das Atmen fiel ihr schwer. Also blieb sie einfach stehen und verschlang ihn förmlich mit Blicken.
Jetzt erst bemerkte Corran ihre Anwesenheit. Er sah auf und hielt mitten in der Bewegung inne, als er ihren hungrigen Blick registrierte. Behutsam legte er die Säge beiseite und richtete sich auf. „Du bist ein böses Mädchen.“ Seine Stimme klang tief und rau vor Leidenschaft.
„Ich habe kein Wort gesagt!“
„Das ist auch nicht nötig.“
Er schlenderte zu ihr hinüber und drängte sie sanft gegen die Wand. Dann platzierte er seine Hände neben ihrem Kopf, sodass sie zwischen seinem Körper und der Mauer gefangen war.
Vor Aufregung schlug ihr das Herz förmlich bis zum Hals. Sie streckte die Hände nach ihm aus und schob sie unter sein T-Shirt. Seine Haut fühlte sich wunderbar warm und fest an, die Muskeln an Brust und Bauch hart. Als er den Atem scharf einsog, lächelte sie zufrieden. „Soll ich jetzt vielleicht etwas sagen?“
„Nein.“ Er betrachtete sie durchdringend, und ihr wurde schwindlig vor Verlangen.
Und dann … dann!
Noch immer errötete Lotty, wenn sie auch nur daran dachte. Sie hatten sich einander leidenschaftlich hingegeben, wild und vorbehaltlos – und geradezu fahrlässig unvorsichtig.
„Wenn du das noch einmal tust, gib mir zuvor einen Tipp, damit ich mich vorbereiten kann“, stieß Corran hinterher atemlos hervor.
„Was tun?“, gab Lotty sich betont harmlos, obwohl auch sie krampfhaft nach Luft rang. Immer noch hielt sie ihn fest umschlungen und fühlte sich dabei ganz leicht und erfüllt.
„Mich so überfallen! Du weißt genau, was ich meine“, fuhr er fort, als sie anfing zu lachen. „Ich konnte dir ansehen, dass du gleich tot umfällst, wenn ich dich nicht auf der Stelle liebe.“
„Stimmt haargenau“, gab sie zu.
„Wir dürfen das nicht noch einmal tun. Das Risiko ist zu groß.“
„Du hast recht.“ Es war leichtsinnig gewesen, sich ohne Schutz zu lieben. Doch im tiefsten Inneren hatte Lotty es genossen, spontan zu handeln, und es hatte sie fasziniert, dass es in ihrer Macht stand, ihn alles ringsum vergessen zu lassen – bis auf das Feuer der Leidenschaft.
Ihr war es allerdings ähnlich ergangen. Sie hatte nicht einen Augenblick daran gedacht, dass sie eine Prinzessin war.
Errötend wandte Lotty sich wieder dem Herd zu und zog das Backblech heraus. „Auf dem Foto im Kochbuch sah er ganz anders aus“, meinte sie enttäuscht. Ihr Kuchen war zusammengefallen und wies eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Ziegelstein auf.
„Wir könnten Tee kochen und den Kuchen hineinstippen“, schlug Corran vor, während er die eingekaufte Milch im Kühlschrank verstaute.
„Gute Idee.“
Rasch setze Lotty den Kessel auf. Früher hatte sie sich nichts aus Tee gemacht, inzwischen trank sie ihn ständig, beispielsweise nachmittags während einer kurzen gemeinsamen Pause.
Die Renovierungsarbeiten an den Ferienhäusern waren ein gutes Stück vorangekommen. Wenn sie daran dachte, in welchem Zustand sie sich bei ihrer Ankunft befunden hatten, erfüllten sie Stolz und Genugtuung. Schmutz und Erschöpfung machten ihr nichts mehr aus, endlich durfte sie aktiv sein, statt anderen Aufgaben zuzuweisen. Sie empfand es als ungemein befriedigend zu sehen, wie sich die Cottages unter ihren Händen veränderten.
Wenn sie nachmittags mit Corran bei einer Tasse Tee auf der Schwelle einer der Ferienhäuschen saß, die Hunde zu ihren Füßen, war sie rundum glücklich – bis ihr einfiel, dass ihre Zeit hier ablief. Bald würde sie sich Gedanken über ihre Abreise machen müssen.
Sie fühlte sich hier so wohl, dass es ihr immer schwerer fiel, sich an ihr eigentliches Leben zu erinnern. Montluce schien mit jedem Tag in weitere Ferne zu rücken. Daher machte sie gelegentlich von Corrans Angebot Gebrauch, seinen Computer zu benutzen. Das hatte er ihr vorgeschlagen, nachdem sie ihm von ihrem Besuch im Internet-Café in Fort William erzählt hatte. Auf diese Weise konnte sie ihre E-Mails lesen, doch sie ertappte sich dabei, wie sie selbst diese Verbindung nach Hause immer seltener nutzte.
Von ihrer Großmutter hatte sie eine förmliche Nachricht erhalten, aus der sie herauslas, wie verletzt und verärgert die alte Dame war. Prompt empfand sie die Schuldgefühle, die auszulösen vermutlich Ziel des Schreibens gewesen war.
Caros Nachrichten dagegen las sie mit Freude. Es war interessant, das Leben im Palast aus Sicht ihrer Freundin zu betrachten, und aus der Ferne erkannte sie zum ersten Mal in vollem Ausmaß, wie absurd das höfische Protokoll war, dem sie sich jahrelang widerspruchslos unterworfen hatte. Sie war erleichtert, dass es Caro gut ging. Das Volk von Montluce schien sie ins Herz geschlossen zu haben. Über ihre Beziehung zu Philippe berichtete sie dagegen verdächtig wenig.
Gelegentlich träumte Lotty davon, dass ihre Freundin und ihr Cousin sich ineinander verliebten und heirateten. Wenn Caro die First Lady von Montluce wäre, könnte sie selbst tun, was immer sie wollte. Sei nicht so selbstsüchtig, schalt sie sich dann. Mit gutem Gewissen konnte sie ihrer unabhängigen, lebhaften Freundin nicht ein Leben am Königshof mit all seinen Beschränkungen wünschen. Zudem war es unvorstellbar, dass die traditionsbewusste Königinwitwe Caro jemals als Kronprinzessin akzeptieren würde.
Außerdem war da noch Philippe: Die Rückkehr nach Montluce war ihm schwergefallen. Er machte zwar gute Miene zum bösen Spiel, doch die Entfremdung zwischen seinem Vater und ihm war so groß, dass er nicht dauerhaft im Land bleiben würde.
Nein, die beiden hatten genug für sie getan. Sie musste nach Hause zurückzukehren – aber noch nicht sofort.
„Oh, beinahe hätte ich es vergessen: Mrs McPherson hat mir ein Geschenk für dich mitgegeben.“ Aus einer der Einkaufstüten zog Corran ein Klatschmagazin hervor.
„Wirklich?“ Lotty stellte zwei Tassen Tee auf den Tisch und griff neugierig nach der Zeitschrift – der neuesten Ausgabe des Glitz-Magazins.
„Ich habe keine Ahnung, wieso sie glaubt, so etwas könnte dir gefallen. In dem Blatt geht es anscheinend nur um Klatsch über irgendwelche Prominente. Wen interessiert das schon?“
„Leute wie mich, die gern am Leben anderer Anteil nehmen.“ Früher hatte auch sie gelegentlich durch das eine oder andere Magazin geblättert. Rasch überflog sie die Seiten. „Außerdem enthält es wichtige Informationen über Schuhe, Mode und Make-up. Nicht jeder begeistert sich ausschließlich für Zuchtprogramme für Hochlandrinder.“
„Manchmal vergesse ich, dass du dich für so etwas interessierst“, meinte er verdrießlich.
„Und ich frage mich, wieso Mrs McPherson mir ausgerechnet die Glitz schickt.“
Er zuckte die Achseln. „Sie hat irgendetwas von Montluce erwähnt. Anscheinend weiß sie mehr über dich als ich – und sie hat dich ins Herz geschlossen. Ich musste mir einen stundenlangen Vortrag über Scones anhören und wie sehr die Dorfbewohner dich mögen.“
„Jedenfalls war es nett von ihr, an mich zu denken.“
„Na ja. Letztendlich fühlte ich mich dann doch verpflichtet, die Zeitschrift zu bezahlen. Vermutlich ist das eine bewährte Verkaufsstrategie von ihr: Sie redet mir Schuldgefühle ein, weil ich nicht daran gedacht habe, dir eine Aufmerksamkeit mitzubringen.“
„Also ist das Geschenk von dir?“
„Kann man es so nennen, wenn ich zum Kauf erpresst wurde?“
„Trotzdem: vielen Dank.“ Lächelnd legte sie das Magazin auf den Tisch und befeuchtete zum Umblättern einen Finger. „Es stellt auf jeden Fall eine nette Abwechslung dar.“
Corran blieb an die Küchentheke gelehnt stehen und betrachtete sie über den Rand seiner Tasse hinweg, während sie fasziniert die Seiten wendete. Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, und unvermittelte empfand er eine tiefe Sehnsucht nach etwas, das er nicht zu benennen vermochte.
Betty McPherson hatte ihm tatsächlich ein schlechtes Gewissen verursacht. Er hatte einfach nicht bedacht, dass Lotty Klatsch und Tratsch oder Shoppingtouren vermissen könnte. Dabei war sie ganz offensichtlich in Wohlstand aufgewachsen, umgeben von schönen Dingen. Früher oder später würde sie sich nach besser sortierten Geschäften und eleganten Boutiquen sehnen und abends etwas unternehmen wollen, auch wenn sie sich bislang nicht beklagte. Schließlich lebte sie noch nicht lange hier. Dabei kam es ihm vor, als wäre sie schon immer bei ihm gewesen. Wie sein Leben vor ihrer Ankunft verlaufen war, wusste er kaum noch, und wenn er versuchte, sich eine Zukunft ohne sie vorzustellen, sah er nichts – außer einer entsetzlichen Leere.