„Einen Liter Milch, bitte, und dazu diese Kekse.“ Corran vermied es, Mrs McPherson direkt anzusehen. Er zog die Anonymität des Supermarkts in Fort William vor, doch wann immer er durchs Dorf fuhr, folgte er Lottys Anregung, den dortigen Laden zu unterstützen. Das hatte unweigerlich zur Folge, dass die Inhaberin ihm den neuesten Klatsch über die Prinzessin von Montluce erzählte, den die Hochglanzmagazine zu bieten hatten.
Die Dorfbewohner waren natürlich fasziniert, dass eine Prinzessin unter ihnen gelebt hatte. Einige von ihnen behaupteten, sie von Anfang an für etwas Besonderes gehalten zu haben. So war es auch Corran ergangen, die Wahrheit über sie hatte er dennoch nie auch nur im Entferntesten geahnt.
Dieselben Nachbarn, die ihn früher gemieden hatten, brachten ihm heute Mitgefühl entgegen. In ihren Augen war er der Frosch, der sich seine Chance bei der Prinzessin entgehen ließ. Auch Betty kümmerte sich freundlich um ihn, versorgte ihn mit selbst zubereiteten Mahlzeiten und berichtete ihm von den Partys, die Lotty besucht und von den wunderschönen Kleidern, die sie getragen hatte.
Das ihm entgegengebrachte Mitleid zu ertragen, fiel ihm schwer. Noch schlimmer war es für ihn jedoch, abends in ein leeres Haus zurückzukehren, ein Haus ohne Lotty.
Er versuchte, seinen Kummer mit Arbeit zu betäuben, doch nichts war mehr wie zuvor. Das merkten auch die Hunde. Pookie war nur noch ein Häuflein Elend, sogar Meg warf ihm tadelnde Blicke zu. „Es ist besser so“, erklärte er den beiden immer wieder, als könnten sie es verstehen, doch selbst in seinen Ohren klangen die Worte schal.
Wenn man der Presse Glauben schenken durfte, ging es zumindest Lotty gut. Offenbar hatte sie sich rasch wieder in ihr altes Leben eingefunden und genoss die Partys, interessanten Menschen und die vielfältigen Gelegenheiten, ihre eleganten Kleider auszuführen.
Dass sie auch in Mhoraigh glücklich gewesen war, wusste Corran genau. Dennoch hatte sie nicht ein einziges Mal erwähnt, dass sie sich wünschte, bleiben zu können.
Und wieso auch? Eines Tages war er der Versuchung erlegen, hatte im Internet recherchiert und dabei einiges über ihr Leben erfahren. Die Prinzessin galt als allseits beliebt, war nicht vom Hauch eines Skandals überschattet – und verfügte über ein unvorstellbares Vermögen. Was hatte dagegen ein Mann wie er, ein einfacher Farmer, der ums Überleben kämpfte, ihr schon zu bieten?
Während Mrs McPherson die Preise in der Kasse addierte, sah Corran aus dem Fenster. Der erste Schnee der Saison fiel aus bleigrauen Wolken. Es wäre klug, sich mit Vorräten einzudecken, bevor der Weg ins Dorf unpassierbar wurde.
Ehe er jedoch seine Bestellung erweitern konnte, fragte Betty: „Haben Sie schon die neuesten Fotos von unserer Prinzessin gesehen?“
„Nein. Ich brauche zusätzlich noch …“
„Schauen Sie her!“, unterbrach sie ihn und zog die neueste Ausgabe des Glitz-Magazins von dem Stapel auf ihrer Verkaufstheke herunter. Auf der Titelseite, über einem Bild von Philippe und Lottys Freundin, stand: „Königliche Hochzeit am Wochenende!“
„Sehr hübsch“, meinte er. „Könnte ich bitte …“
„Und hier ist unser Mädchen.“ Mrs McPherson schlug zielstrebig eine Seite auf. „Ich finde, sie sieht ein wenig blass aus.“ Sie warf Corran einen wachsamen Blick zu, doch er bemerkte es nicht.
Er hatte nur noch Augen für das Bild. Tatsächlich wirkte Lotty ein wenig bleich, dennoch fand er sie wunderschön. Neben ihr stand ein schmächtiger Mann im Smoking. Der Untertitel lautete: „Charlotte und Kristof: Die nächste Hochzeit?“
Auf einem anderen Foto war sie allein abgebildet. Der Untertitel lautete: „Charlottes Bäuchlein: Ist die Prinzessin schwanger?“
Ungläubig hob er die Zeitschrift näher an die Augen, um besser sehen zu können. Tatsächlich zeichnete sich unter dem Kleid ein kleiner Bauch ab. Aber war das möglich? Seit ihrer Abreise waren dreieinhalb Monate vergangen – ab welchem Zeitpunkt zeigte sich eine Schwangerschaft?
Das Magazin in der Hand, starrte er eine Weile ins Leere und dachte fieberhaft nach. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Laden, ohne die Zeitschrift zu bezahlen, ganz zu schweigen von der Milch und den Keksen, die er auf der Theke vergaß.
Betty McPherson lächelte nachsichtig und räumte alles zurück an seinen Platz.
Im Palast herrschte fröhliches Treiben. Sämtliche Fenster waren hell erleuchtet, und im Ballsaal drängten sich Würdenträger aus ganz Montluce, adlige Gäste und Prominente, die zur Hochzeit von Prinz Philippe und Caroline Cartwright am nächsten Tag geladen waren.
Lotty hatte sich unter die Menschenmenge gemischt und versuchte, so viele Gäste wie möglich persönlich zu begrüßen. Dem festlichen Anlass entsprechend trug sie ein schulterfreies Ballkleid aus kostbarer roter Seide. Ihr Dekolleté zierte ein antikes Collier aus Rubinen und Diamanten, das dazu passende Diadem schmückte ihr Haar. Obwohl der raffinierte Schnitt ihrer Robe von ihrem kleinen Bauch ablenkte, kaschierte sie ihn zusätzlich mit einer Chiffonstola. Dieses Fest fand zu Ehren des Brautpaars statt, sie wollte keinerlei Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Glücklicherweise waren die Gäste zu höflich, um ihr offen auf den Bauch zu starren, obwohl sie sich vermutlich fragten, ob die Gerüchte über ihre Schwangerschaft zutrafen.
Ihre Großmutter über die Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen, war Lotty schwerer gefallen als erwartet. Die Nachricht hatte die Königinwitwe tief erschüttert. Sie wollte nicht akzeptieren, dass ihre Enkelin das Kind allein aufzog. Jetzt plante sie, sie mit Conte Kristof zu verheiraten.
„Er weiß, wie solche Dinge gehandhabt werden, und wird das Kind wie sein eigenes lieben“, hatte sie ihrer Enkelin versichert, die davon allerdings nichts wissen wollte.
Am entgegengesetzten Ende des großen Saals entdeckte Lotty das glückliche Brautpaar, ins Gespräch mit Bekannten vertieft. Sie freute sich für die beiden, doch wenn sie sah, wie sie zärtliche Berührungen oder amüsierte Blicke tauschten, empfand sie ihre Einsamkeit umso schmerzlicher.
Corran fehlte ihr unendlich. Die Sehnsucht nach ihm bereitete ihr immer wieder körperliche Schmerzen. Für einen Moment hielt sie den Atem an und schloss die Augen.
„Hoheit, kann ich etwas für Sie tun?“
„Danke. Mir geht es gut.“ Rasch schlug sie die Augen wieder auf und begann eine belanglose Unterhaltung mit ihrem Gegenüber.
Da sie mit dem Rücken zur Tür stand, nahm sie den Tumult, der dort entbrannte, nicht sofort wahr. Erst als ihr Gesprächspartner mitten im Satz abbrach, wandte sie sich um – und erstarrte:
Sie sah, vor Überraschung wie gelähmt, wie Corran versuchte, sich an einer Reihe von Lakaien vorbei einen Weg in den Ballsaal zu bahnen. Schließlich gelang es ihm, und er eilte in die Mitte des Raums und sah sich suchend um. Dass er trotz Smoking und Fliege in der prächtigen Umgebung vollkommen fehl am Platz wirkte, lag in erster Linie an seiner grimmigen Miene.
Als er sie entdeckte, blitzte es in seinen Augen kurz auf, und er steuerte direkt auf sie zu. Gleichzeitig näherten sich ihm von allen Seiten Sicherheitsbeamte. Schlagartig verstummten ringsum alle Gespräche.
Jetzt erst erwachte Lotty aus ihrer Starre. Sie musste etwas unternehmen, ehe die Situation aus dem Ruder lief.
Rasch trat sie einen Schritt vor und bedeutete dem Wachpersonal, Corran ungestört zu ihr vorzulassen.
„Da bist du ja“, begrüßte er sie.
Für einen Moment wurde Lotty schwarz vor Augen. Sie wusste nicht, ob sie sich in seine Arme werfen oder wütend auf ihn einschlagen sollte. In ihr tobten widerstreitende Gefühle: Wut, Freude und Verwirrung. Gleichzeitig war sie durchdrungen von der wunderbaren Erkenntnis, dass er tatsächlich vor ihr stand. Er war gekommen – nichts anderes zählte.
Ich falle jetzt nicht in Ohnmacht, rief sie sich energisch zur Ordnung. In ihrer Nervosität zog sie die Enden ihrer Stola so stramm, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie durfte dem Brautpaar nicht den Abend verderben, indem sie alle Aufmerksamkeit auf sich zog.
Irgendwie brachte sie die Kraft auf zu lächeln. „Was machst du hier?“
„Ist es wahr?“
Natürlich wusste sie genau, wovon er sprach. „Darüber kann ich nicht hier und jetzt reden.“ Ehe sie mehr sagen konnte, eilten Caro und Philippe ihr zu Hilfe.
„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Philippe.
„Ja“, sagte Lotty automatisch, während Corran im selben Moment verneinte.
Er ergriff ihr Handgelenk. „Nein, nichts ist in Ordnung“, wiederholte er an Philippe gewandt. „Ich will diese Party nicht sprengen, deswegen gehe ich jetzt mit Lotty irgendwohin, wo wir uns ungestört unterhalten können.“
Als Philippe drohend einen Schritt nach vorn tat, hielt Caro ihn zurück, die die ganze Zeit über Lotty fest im Auge behalten hatte. „Sie müssen Corran sein! Wie gut, dass Sie endlich hier sind.“
Ganz automatisch setzte Lotty zu einer Vorstellung an. „Corran, das ist …“
„Die Formalitäten können wir später erledigen“, unterbrach er sie. „Zunächst einmal müssen wir beide miteinander sprechen. Draußen.“
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und zog Lotty am Handgelenk hinter sich her zur Tür. Dort wurde er jedoch ein weiteres Mal aufgehalten, diesmal von der Königinwitwe.
Lottys Großmutter war eine zierliche alte Dame und gleichzeitig eine beeindruckende Persönlichkeit. Sie bedachte Corran mit einem stechenden Blick. Dabei wirkte sie furchteinflößender als alle Sicherheitsbeamten zusammen, die an ihrer Seite standen.
„Lassen Sie meine Enkelin los!“, befahl sie ihm in schneidendem Tonfall. „Wissen Sie überhaupt, wer sie ist?“
Corran blieb stehen, ohne jedoch ihre Hand loszulassen. „Allerdings.“
„Das ist Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Charlotte.“
„Für mich ist sie einfach nur Lotty.“
„Wie können Sie es wagen! Welchen Ton erlauben Sie sich meiner Enkelin gegenüber?“, herrschte sie ihn zornig an.
„Vermutlich kenne ich sie wesentlich besser als Sie.“
„Unverschämtheit!“
„Glauben Sie mir, ich habe recht. Sie haben doch keine Ahnung, wer sie wirklich ist: Sie wissen nicht, wie sie aussieht, wenn sie sich konzentriert, wie dickköpfig sie sein und wie hart sie arbeiten kann, wie sie sich rekelt, wenn sie müde ist, und wie sehr es ihr auf die Laune schlägt, wenn ihr die Scones missraten.“
Der Königinwitwe hatte es die Sprache verschlagen, also fuhr er fort: „Sehen Sie? Ich kenne Lotty viel besser als Sie. Ich weiß, dass sie Kaffee liebt und dass sie mir eine Standpauke verpasst, wenn ich vergesse, mir die Stiefel abzuputzen, dass sie beim Abspülen lächelt und wie ungern sie nach dem Anstreichen die Pinsel auswäscht.“
Er warf Lotty einen eindringlichen Blick zu. In diesem Moment hätten sie ebenso gut allein sein können, in dem Saal voller Menschen, die die Ereignisse gespannt verfolgten.
„Die süße, aufrichtige und lustige Lotty, die mich glücklich macht und mich nur deshalb verlassen hat, weil ich zu dumm war, ihr meine Gefühle zu offenbaren, haben Sie nie kennengelernt.“
Erneut wandte er sich an die Königinwitwe. „Sie sehen nur die Prinzessin – ich kenne die Frau.“
Er warf einen Blick auf die Bodyguards, dann fuhr er fort: „Ich muss dringend einige private Worte mit ihr wechseln. Wären Sie daher so freundlich, Ihre Wachen zurückzuhalten?“
Einen Moment lang herrschte eisiges Schweigen, dann trat die Königinwitwe wortlos einen Schritt beiseite.
Es herrschte Totenstille, als er Lotty nach draußen führte, in die große marmorne Eingangshalle. Die Lakaien und Gäste, die sich dort drängten, hatten von den dramatischen Ereignissen im Ballsaal nichts mitbekommen und ignorierten das Paar. Corran blickte sich suchend um.
„Wohin können wir gehen?“, fragte er.
Endlich fand Lotty die Sprache wieder. „Nachdem du mich dermaßen bloßgestellt hast, weiß ich nicht, ob ich überhaupt mit dir kommen will.“
„Dein Ruf ist ohnehin ruiniert, eine perfekte Prinzessin bist du nicht mehr. Man wird über dich reden, und bestimmt noch mehr, wenn wir unser Gespräch in aller Öffentlichkeit führen. Mir macht das nichts aus, aber dir vielleicht?“
„Gehen wir in mein Apartment“, schlug Lotty vor, die einsah, dass er recht hatte. Sie eilte ihm voraus. Ein überraschter Lakai öffnete ihnen die Tür zu ihren Privaträumen. Mit hoch erhobenem Kopf trat sie ein.
Corran folgte ihr und schlug dem Lakaien die Tür vor der Nase zu. Dann wandte er sich zu Lotty um, die in der Mitte des prunkvoll eingerichteten Salons stand und ihn mit vor Empörung blitzenden Augen ansah. Die Diamanten an ihrem Diadem glitzerten im Lampenlicht. In dem roten Ballkleid wirkte sie jeder Zoll wie eine Prinzessin.
„Wie kannst du mich vor meiner Familie, dem Personal und einem Saal voller Gäste demütigen?“
„Meinst du, es war für mich angenehmer, von Betty McPherson zu erfahren, dass ich Vater werde?“
Einen Moment lang starrte sie ihn wütend an, dann ließ sie sich abrupt auf eines der Sofas fallen und schlug die Hände vors Gesicht.
„Es tut mir leid“, stieß sie mit erstickter Stimme hervor.
Augenblicklich verrauchte sein Ärger, und er setzte sich neben sie, zog ihr die Hände vom Gesicht und blickte ihr tief in die Augen.
„Dann ist es also wahr? Du erwartest ein Baby – unser Kind?“ Seine Stimme klang rau.
„Ja, es stimmt.“ Unwillkürlich verschränkte sie die Finger mit seinen.
„Ist es an dem Nachmittag passiert, als wir es nicht abwarten konnten, ins Gutshaus zurückzukehren?“
„Ich denke schon.“
„Wieso hast du es mir nicht selbst mitgeteilt?“
Hastig entzog sie ihm ihre Hände. „Du hast gesagt, du wärst noch nicht bereit für Kinder. Nachdem Ella dich mit einer vorgetäuschten Schwangerschaft zur Heirat überredet hatte, wolltest du denselben Fehler kein zweites Mal begehen.“ Sie schluckte schwer. „Und ich wollte kein Irrtum sein, genauso wenig, wie unser Kind einer sein sollte. Ich hatte Angst, du würdest kommen, um deine Pflicht zu erfüllen. Das hast du jetzt ja auch getan.“
„Pflicht? Glaubst du, dass ich so empfinde?“, fragte er gedehnt.
„Wie sonst?“ Um nicht unwillkürlich die Arme nach ihm auszustrecken, verschränkte Lotty sie fest vor der Brust. „Ich weiß, dass das Gut für dich oberste Priorität hat, ein Kind käme höchst ungelegen. Außerdem willst du dich nicht an eine Frau wie mich binden. Das mache ich dir nicht zum Vorwurf“, fuhr sie rasch fort, als Corran den Mund öffnete. „Ich akzeptiere, dass du eine andere Art von Frau suchst.“
„Und wie sieht die deiner Meinung nach aus?“ Er neigte den Kopf zur Seite und betrachtete Lotty gedankenvoll. Zum ersten Mal an diesem Abend umspielte ein Lächeln seine Lippen.
„Du brauchst eine Farmerin, die praktisch veranlagt ist und mit dem Leben auf dem Land klarkommt“, sagte sie tonlos.
Corran nickte. „Das dachte ich auch. Ich war sogar fest davon überzeugt. Dann habe ich allerdings herausgefunden, dass ich eine Prinzessin will, die nicht kochen kann.“
Ehe er fortfahren konnte, sprang Lotty auf. „Das sagst du nur, weil ich schwanger bin! Ich wusste, dass das passiert. Deshalb habe ich dir nichts von dem Baby verraten.“
Aufgebracht lief sie im Zimmer auf und ab. „Ich brauche deine Unterstützung nicht. Natürlich hast du Rechte als Vater, und dass du ein guter sein wirst, weiß ich. Unser Kind wird nicht zwischen seinen Eltern aufgerieben werden, weil du nicht wie dein Vater bist. Du wirst es immer willkommen heißen. Und ich komme gut allein zurecht“, fügte sie hinzu und reckte das Kinn angriffslustig in die Höhe. „Ich bin zwar nicht mehr die unbescholtene Prinzessin und habe Großmutter tief enttäuscht, dennoch wird sie mich nicht auf die Straße setzen. Doch selbst wenn das geschähe, wäre es mir lieber, als wenn du mich aus Anstand heiratest.“
Corran beobachtete sie vom Sofa aus mit undurchdringlicher Miene.
„Du würdest dich fühlen wie ein Tier in der Falle und mir insgeheim grollen. Das ist keine Basis für eine Ehe. Du hast es bereits erlebt, ein zweites Mal werde ich dich dem nicht aussetzen.“
„Bist du jetzt fertig?“, fragte er und stand auf. „Dann darf ich vielleicht auch etwas sagen.“ Er schöpfte tief Atem. „Mir ist klar, dass du meine Hilfe nicht benötigst. Was glaubst du, wieso ich nicht eher gekommen bin? Sieh dich doch nur an! Du bist eine Prinzessin, lebst in einem Palast, besitzt alles, was man sich nur wünschen kann. Was kann ein Mann wie ich dir schon bieten? Du brauchst mich nicht“, wiederholte er. „Aber ich brauche dich! Ich habe geglaubt, Mhoraigh genügt mir, ich wäre glücklich, in meiner Heimat zu leben. Aber du hast mir gezeigt, dass Heimat nicht nur ein Ort ist, sondern mit geliebten Menschen zu tun hat. Loch Mhoraigh ist ein malerisches Fleckchen Erde. Zu Hause bin aber nur bei dir.“
„Aber … das Baby?“
„Deine Schwangerschaft hat mir den Mut verliehen, hierherzukommen. Die ganze Zeit über habe ich dich vermisst und mir gewünscht, ich hätte dir vor meiner Abreise meine Liebe gestanden. Ich war wütend auf mich, weil ich dich nicht gebeten hatte zu bleiben, als ich noch Gelegenheit dazu hatte.“
Er ging zu ihr, griff nach den Enden ihrer Stola und zog sie behutsam an sich. „Betty McPherson hat mich auf dem Laufenden gehalten, was die Zeitschriften über dich schrieben. Du schienst eine tolle Zeit zu haben, dich auf Partys zu amüsieren und all die Dinge zu tun, zu denen du in Mhoraigh keine Gelegenheit hattest. Ich dachte, du wärst glücklich.“
Lotty schüttelte den Kopf. „Das war ich nicht.“
„Dann hat sie mir den Artikel gezeigt, in dem über deine Schwangerschaft spekuliert wurde. Du sahst so traurig aus, und ich begann nachzudenken: Was ist, wenn sie nicht glücklich ist? Ist es wirklich zu spät, ihr zu sagen, dass ich sie liebe? Braucht sie mich jetzt, da sie mein Kind erwartet, wenigstens einen Bruchteil davon, wie ich sie brauche? Dass dir eine schwere Zeit bevorstand, war mir klar. Immerhin musstest du dich mit deiner Großmutter und der Presse auseinandersetzen. Ich war gleichzeitig wütend auf mich, weil ich nicht bei dir war, und auf dich, weil du mir nichts von deiner Schwangerschaft erzählt hast. Also bin ich losgefahren, ohne vorher darüber nachzudenken, wie ich bei meiner Ankunft vorgehen sollte. Dann erfuhr ich von der Party heute. Da ich durch meine Freunde einiges über die Sicherheitsvorkehrungen bei solchen Veranstaltungen weiß, gelang es mir, mich einzuschleichen. Übrigens: Euer Sicherheitspersonal hätte nie zulassen dürfen, dass ich bis zu dir vordringe! Und dann stand ich vor dir, und du warst so schön, ganz die Prinzessin, aber gleichzeitig auch du selbst.“
Er brach ab und sah sie reumütig an. „Es tut mir leid, ich erkläre das nicht gut. Als ich dir in die Augen blickte, sah ich nicht nur Prinzessin Charlotte, sondern in erster Linie die Frau, die ich seit Monaten so schmerzlich vermisse, die Frau, zu der ich gehöre.“
„Oh, Corran …“ Ihre Stimme schwankte, und er ließ rasch die Stola los und nahm ihre Hände in seine.
„Alles, was ich deiner Großmutter gesagt habe, stimmt. Ich liebe nicht die Prinzessin, sondern dich. Bitte sag, dass du mich auch vermisst hast, dass du mich brauchst und vielleicht sogar ein klein wenig liebst.“
„Natürlich tue ich das!“ Ihr brach die Stimme. „Ich liebe dich!“
Tränen liefen ihr über die Wangen, als er endlich die Arme um sie schloss. Sie barg ihr Gesicht an seiner Brust und weinte, während er sie fest umschlungen hielt und ihr gut zuredete.
„Achte nicht auf meine Tränen, ich weine vor Glück. Ohne dich war ich schrecklich einsam“, erklärte sie ihm stockend.
„Sehr glücklich wirkst du gerade nicht“, murmelte Corran, und sie musste lachen.
Entschlossen hob sie den Kopf und sah ihn an. „Doch, ich bin es.“ Zum Beweis schlang sie ihm die Arme um den Nacken, und sie küssten einander.
Es war wunderbar, endlich wieder in seinen Armen zu liegen. Lotty presste sich fest an ihn und genoss seine Zärtlichkeiten, bis ihr schwindlig wurde. „Bist du dir ganz sicher?“, fragte sie zwischen zwei Küssen. „Ich möchte nicht aus Pflichtgefühl geheiratet werden.“
„Ich überlasse dir die Wahl. Wenn du deinen Ruf endgültig ruinieren willst, können wir in Sünde miteinander leben. Solange wir nur zusammen sind, ist mir alles andere egal.“ Er legte ihr eine Hand auf den Bauch. „Aber ich würde gern heiraten. Ich sorge schon dafür, dass unsere Kinder erfahren, was für eine verwegene, wilde Prinzessin ihre Mutter ist.“
Lotty lachte, dann wurde ihre Miene wieder ernst. „Kannst du mir je vergeben?“
„Wenn du mit mir nach Loch Mhoraigh zurückkehrst.“
„Das mache ich gern.“
„Wieso habe ich den Eindruck, dass gleich ein ‚Aber‘ folgt? Musst du in Montluce bleiben?“
„Nein. Von Morgen an ist Caro die Prinzessin von Montluce, und ich kann mich zurückziehen. Aber trotz allem kann ich dir auf dem Gut nicht viel helfen.“
„Da bin ich anderer Meinung. Du magst nicht die beste Köchin sein, dafür kannst du hervorragend mit Menschen umgehen. Ohne dich wäre ich immer noch der Außenseiter im Dorf. Heute versorgt mich Betty McPherson mit Mahlzeiten, und die übrigen Dorfbewohner bedauern mich, weil ich so dumm war, dich gehen zu lassen. Außerdem hast du Dick Rowland so beeindruckt, dass er sich bereit erklärt hat, in mein Land zu investieren.“
„Und vergiss nicht, ich kann putzen und anstreichen!“
„Anstrengende Arbeiten wirst du bis zur Geburt bleiben lassen“, sagte er streng. „Konzentriere dich lieber darauf, mich glücklich zu machen. Darin bist du ebenfalls sehr gut.“
„Wenn du darauf bestehst.“ Sie lächelte und schmiegte sich an ihn, und er begann, ihren Hals mit Küssen zu bedecken.
Geraume Zeit später lösten sie sich voneinander. „Wir müssen mit der Heimkehr bis nach den Hochzeitsfeierlichkeiten warten, da ich Caros Brautjunger bin. Ich kann es kaum erwarten! Dann bin ich endlich keine Prinzessin mehr.“ Lächelnd zog Lotty das Diadem aus ihrem Haar.
„Die bleibst du für immer“, meinte Corran, nahm ihr das Schmuckstück aus der Hand und setzte es ihr wieder auf den Kopf. „Gleichzeitig bist du meine Lotty, meine Ehefrau und bald auch Mutter meiner Kinder. In Zukunft kannst du ganz du selbst sein.“
„Keine Heuchelei mehr!“
„Nie wieder“, stimmte er ihr zu. „Das gilt für uns beide. Wir wollen uns selbst und einander treu bleiben und uns gegenseitig Liebe schenken. Mehr brauchen wir nicht.“
Lotty verschränkte ihre Hände mit seinen und schenkte ihm einen weiteren innigen Kuss. Sie freute sich unendlich auf ihre Rückkehr nach Mhoraigh, auf das große graue Haus am See, die Highlands und die klare Luft. Am glücklichsten aber machte sie der Gedanke an ihr künftiges Leben mit Corran und ihrem gemeinsamen Kind.
„Nein, mehr ist nicht nötig!“, stimmte sie ihm aus vollem Herzen zu.
– ENDE –