4. KAPITEL

Die Morgensonne fiel hell in ihr Zimmer und weckte Lotty auf. Einen Moment lang überlegte sie, wo sie sich befand. Als es ihr einfiel, rekelte sie sich glücklich, obwohl sämtliche Muskeln in ihrem Körper schmerzten, und stand auf. Sie freute sich auf einen weiteren Tag voller aufregender Erfahrungen und Erkenntnisse.

Mit Begeisterung eignete sie sich jeden Tag neue, triviale Fähigkeiten an wie Kartoffeln schälen und Zwiebeln schneiden, Geschirr spülen und Staubsaugen. Sie schrieb die erste Einkaufsliste ihres Lebens und scheuerte zum ersten Mal den Fußboden. Da der Kaffee im Haus schlichtweg ungenießbar war, lernte sie sogar Tee zu schätzen.

Rasch hatte sie sich eine gewisse Routine in ihrem Tagesablauf angewöhnt: Nach dem Frühstück räumte sie den Tisch ab, bereitete Brote für die Mittagspause vor und ging dann zu den Cottages, wo sie auf Knien putzte und schrubbte wie eine einfache Dienstbotin. Ihre Großmutter wäre entsetzt, wenn sie sie so sehen könnte.

Gelegentlich drohte Erschöpfung sie zu überwältigen, und sie sehnte eine Pause herbei. In diesen Momenten erinnerte sie sich ihrer Herkunft. Prinzessinnen waren in der Regel nicht für niedere Arbeiten zuständig, genauso wenig kam es für sie jedoch infrage aufzugeben.

Also hielt sie durch, bis Corran auf seinem Traktor vor dem Cottage vorfuhr und sie zur Mittagspause abholte. Bei Regen aßen sie im Schuppen auf Heuballen sitzend, ansonsten picknickten sie am Ufer des Sees und genossen die würzige, frische Brise, die von den Bergen herabwehte.

Wenn Lotty anschließend an die Arbeit zurückkehrte, fühlte sie sich steif, und alle Glieder taten ihr weh. Dennoch zog sie das Putzen der täglichen Zubereitung des Abendessens vor. Wie sich rasch herausstellte, war sie keine geborene Köchin. Sie bedauerte zutiefst, dass sie neben dem Stolz ihrer Landsleute nicht auch deren Talent fürs Kochen geerbt hatte. Montluce war bekannt für seine gute Küche, die sich durchaus mit der französischen messen ließ.

Obwohl sie bewusst nur die einfachsten Rezepte ausprobierte und sämtliche Arbeitsanweisungen in den Kochbüchern exakt befolgte, ließen die Ergebnisse zu wünschen übrig. Das Fleisch war nur halb gar, angebrannt oder fürchterlich zäh, das Gemüse verkochte zu einem unansehnlichen Brei oder geriet unangenehm bissfest. Dennoch ließ sie sich nicht entmutigen und startete am nächsten Tag unverdrossen einen weiteren Versuch, den Geheimnissen der Lebensmittelzubereitung auf die Spur zu kommen.

Glücklicherweise stellte Corran keine hohen Ansprüche an seine Ernährung. Ihm genügte es, wenn er sich die notwendigen Kalorien in halbwegs genießbarer Form zuführen konnte.

„Gibt es etwas, das du besonders gern isst?“, erkundigte sie sich eines Tages.

„Ich bin zufrieden mit dem, was du mir servierst“, erwiderte er und schob sich eine Gabel voll der grauen Masse in den Mund, die im Kochbuch als Pasta mit Käse-Kräutersoße bezeichnet wurde.

„Hast du keine Lieblingsspeise?“

Einen Moment überlegte er. „Die Köchin meines Vaters, Mrs McPherson, hat hervorragende Scones gebacken.“

In der Absicht, Corran eine Freude zu bereiten, suchte Lotty in den vorhandenen Kochbüchern nach einem entsprechenden Rezept und wurde auch bald fündig. Die Zubereitung des berühmten englischen Teegebäcks schien nicht allzu kompliziert, allerdings fehlten ihr einige Zutaten: Natron und Weinstein – was auch immer das sein mochte.

Sie setzte beides auf die lange Einkaufsliste, die sie gerade erstellte. Corran wollte nach einem Termin mit dem Anwalt seines Vaters in Fort William alles Nötige für die nächsten Tage in einem der dortigen Supermärkte besorgen. Ganz oben auf die lange Liste hatte Lotty geschrieben: „Guten Kaffee!“, ohne große Hoffnung, dass er auf ihren Wunsch eingehen würde.

Gelegentlich fiel ihr ein, wie sie davon geträumt hatte, Corran zu verführen. Im Nachhinein war sie froh, dass sie nichts dergleichen unternommen hatte, denn wenn sie abends zu Bett ging, war sie körperlich völlig erschöpft.

Corran arbeitete mindestens ebenso hart wie sie. Er stand noch vor ihr auf und kümmerte sich bereits vor dem Frühstück um das Vieh. Die Schafe grasten hoch in den Bergen, aber die Rinder mussten versorgt werden, zottelige, zutrauliche Tiere mit freundlichen Augen und furchterregenden Hörnern, die er auf den Weiden rund um das Loch hielt. Tagsüber fuhr er Heu für den Winter ein, kümmerte sich um die Instandhaltung der Tore und Zäune rund um seinen Besitz und reparierte die Cottages.

Lotty sah ihm gern zu, wenn er auf dem Traktor über die Farm fuhr, das Vieh in Augenschein nahm oder Heu in die Scheune brachte. Er wirkte ausgesprochen zufrieden und in sich ruhend. Was immer er in Angriff nahm, gelang ihm, ob er in einer der Hütten die Wände einriss, ein neues Bad oder eine neue Küche installierte, Fußbodendielen ersetzte oder ein morsches Treppengeländer ersetzte.

„Wo hast du das gelernt“, fragte sie, als sie ihm einmal bei der Montage einer Duschkabine in einem der Cottages zur Hand ging.

„Das eine oder andere habe ich beim Militär aufgeschnappt. Hältst du das mal, bitte?“ Er reichte ihr eine der Kunststofftüren und riss mit den Zähnen ein Päckchen Nuten und Bolzen auf.

„Du hast dort gewiss keine Duschen installiert!“

„Das nicht, aber ich habe gelernt zu erledigen, was anfällt.“

Das erinnerte Lotty an die eiserne Entschlossenheit ihrer Großmutter.

„Vermisst du die Armee?“

„Überhaupt nicht.“ Er nahm ihr die Tür ab und passte sie an der vorgesehenen Stelle ein. „Nach dem Schulabschluss fühlte ich mich irgendwie heimatlos: Hier war ich unerwünscht, anderswo wollte ich nicht leben. Die Armee bot mir für eine gewisse Zeit eine Herausforderung. Auf Dauer gesehen eigne ich mich allerdings nicht zum Soldaten. Ich bin ein Einzelgänger und lasse mich nicht gern herumkommandieren.“

„Was beim Militär von Nachteil sein könnte“, kommentierte sie schmunzelnd.

„Das kann man allerdings sagen! Ich bekam ebenso viele Tadel wegen Befehlsverweigerung wie Belobigungen nach erfolgreichen Einsätzen und galt als Querdenker. Am Ende meiner Dienstzeit ließ man mich gehen, ohne mir eine Träne nachzuweinen.“ Mit einigen kräftigen Handbewegungen zog er die Schrauben fest. „Zu dem Zeitpunkt hatte ich ohnehin genug Staub geschluckt und sehnte mich nach den Bergen zurück.“

Lotty konnte sich gut vorstellen, dass er einen guten Offizier abgegeben hatte. Er wirkte ebenso zäh, zielstrebig und tüchtig wie das Sicherheitspersonal im Palast, ehemalige Soldaten größtenteils. An seiner Befähigung zur Teamarbeit zweifelte sie allerdings. Als kleiner Junge von seinem Vater zurückgewiesen, war er in Einsamkeit aufgewachsen und hatte gelernt, sich ausschließlich auf sich selbst zu verlassen und allein zurechtzukommen. Ein tragisches Schicksal!

„Bist du damals direkt nach Mhoraigh zurückgekehrt?“

„Nein. Ich glaubte ja noch, dass Vater den Besitz an Andrew vererben wollte, und plante, eigenes Land zu kaufen. Das Geld dafür musste ich allerdings erst verdienen. Zu diesem Zweck gründete ich in London eine Sicherheitsfirma, zusammen mit meinem Freund Jeff. Er beschaffte die Kunden, ich kümmerte mich um die praktischen Angelegenheiten. Das Leben in der Stadt war zwar nicht nach meinem Geschmack, aber dort ließ sich in kurzer Zeit viel Geld verdienen. Schließlich sandte mein Vater nach mir, und alles kam anders als geplant.“

„Du in London – das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“

„Tatsächlich habe ich einen großen Teil meines Lebens dort verbracht. Meine Mutter ist Stadtmensch durch und durch und lebt seit der Scheidung von meinem Vater dort. Sie hat mehrfach wieder geheiratet und sich erneut scheiden lassen, und wir sind von einem Haus ins andere gezogen, von einem Mann zum anderen. Immer glaubte sie, den Richtigen gefunden zu haben.“ Er schüttelte den Kopf. Für das schlechte Urteilsvermögen seiner Mutter fehlte ihm jegliches Verständnis.

„Sicher hast du selbst an die große Liebe geglaubt, als du deine Frau um ihre Hand gebeten hast.“ Lotty ergriff die günstige Gelegenheit, mehr über seine Ehe in Erfahrung zu bringen.

„Das hatte mit Romantik nichts zu tun: Ich habe Ella geheiratet, weil sie schwanger war. Sie hatte zwar die Pille genommen, aber eine Lebensmittelvergiftung …“

„Ich wusste gar nicht, dass du ein Kind hast.“

„Habe ich auch nicht. Kurz nach der Hochzeit stellte sich heraus, dass sie sich geirrt hatte.“

„Geirrt? Hat sie denn keinen Test gemacht?“ Lotty sah ihn verwundert an.

Wie üblich hatte sie den Schal um den Kopf geschlungen und trug ein frisches Oberteil – ebenfalls aus seinem Bestand –, ein blau kariertes Hemd, das ihr ausgezeichnet stand. Sie sah darin atemberaubend sexy aus.

Nur mit Mühe gelang es Corran, sich auf ihre Frage zu besinnen. „Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich hätte ich einen Beweis verlangen sollen, aber es ist mir nie in den Sinn gekommen, dass sie eine Schwangerschaft vortäuschen könnte.“

„Warst du hinterher sehr enttäuscht?“

„Ehrlich gesagt, ich war erleichtert, zumal ich mir noch nie Gedanken über eine eigene Familie gemacht hatte.“

„Dennoch hast du Ella geheiratet, ohne zu zögern.“

„Eine Abtreibung kam für sie nicht infrage, und da sie nicht von allein schwanger geworden war, beschloss ich, die Verantwortung zu übernehmen.“

„Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Ihr hättet nicht gleich heiraten müssen.“

„Das stimmt.“ Inzwischen tat es ihm leid, sich auf ein Gespräch über seine Ehe eingelassen zu haben. Dass er sich damals zum Narren gemacht hatte, schmerzte ihn noch heute. „Mir war wichtig, dass mein Kind nicht von einem Elternteil zum anderen gereicht wird und sich als Belastung empfindet.“

Erschrocken nahm er die Bitterkeit zur Kenntnis, die in seinen Worten mitschwang. Hoffentlich glaubt sie nicht, dass ich von meiner Kindheit spreche, dachte er. Der Vergangenheit nachzutrauern und sich selbst zu bemitleiden, erschien ihm ziemlich armselig. Seine Eltern hatten ihr Bestes gegeben, und er war mittlerweile erwachsen geworden und ging seiner eigenen Wege.

Lotty hatte ihm aufmerksam zugehört, den Kopf zur Seite geneigt. Jetzt meinte sie: „Es gibt schlechtere Gründe für eine Ehe als einem Kind das Leben erleichtern zu wollen.“

Die Duschkabine war inzwischen fertig montiert, und Corran sammelte das Werkzeug ein und knüllte den Verpackungsmüll zusammen. „Wie dem auch sei: Es ist gut, dass wir keinen Nachwuchs hatten. Ella und ich haben nicht zueinandergepasst.“

„Zumindest anfangs muss euch etwas verbunden haben.“

„Das war nur der Sex“, gab er unumwunden zu. „Ella war – ist – eine tolle Frau, aber sie hat sich zu stark an mich geklammert. Damit kam ich nicht zurecht. Sie verlangte nach ununterbrochener Aufmerksamkeit, während ich von meiner Firma voll in Anspruch genommen war. Mir fehlten die Zeit und die Geduld, mit ihren Neurosen umzugehen, ihr eine SMS nach der anderen zu schicken oder kleine Überraschungen für sie zu besorgen. Als ich herausfand, dass sie eine Affäre mit Jeff hatte, war ich beinahe erleichtert.“

„Mit deinem Freund?“, fragte Lotty entgeistert.

„Er war genau ihr Typ. Ich habe keine Ahnung, wieso sie mich überhaupt geheiratet hat.“

„Du meinst: abgesehen vom Sex“, kommentierte sie bissig und errötete gleichzeitig, was Corran ungemein gut gefiel.

„Abgesehen davon“, bestätigte er ernsthaft. „Letztendlich wäre es vermutlich ohnehin zur Trennung gekommen. Ella ist ebenso sehr Städterin wie meine Mutter. Sie hätte das Leben in Loch Mhoraigh House nicht ertragen. Leider hat ihre Affäre auch meine Beziehung zu Jeff und unsere Firma zerstört. Doch als ich davon erfuhr, hatte ich bereits mit meinem Vater gesprochen und beschlossen, hierher zu ziehen. Also stimmte ich einer ruinösen Scheidungsvereinbarung zu und kam hierher, ohne einen Penny in der Tasche.“

„Das ist ungerecht, schließlich hat deine Frau eine Affäre begonnen.“

Er zuckte gleichmütig die Achseln. „Ich habe ihr nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet. Außerdem hätte ich keine Frau heiraten dürfen, die so wenig zu mir passt wie meine Mutter zu meinem Vater.“

„Aber du liebst deine Mutter“, stellte Lotty mit Nachdruck fest, und er sah sie überrascht an.

„Wie kommst du darauf?“

„Zunächst einmal gibst du auf ihren Hund acht.“

„Es ist schwer, ihr etwas abzuschlagen.“ Er seufzte tief. „Natürlich liebe ich sie, aber sie benimmt sich unmöglich! Sie ist unzuverlässig, leichtsinnig, schusselig und hat eine Aufmerksamkeitsspanne wie eine Mücke. Während sie Küsschen verteilend und Charme versprühend durchs Leben schreitet, lässt sie jede Menge emotionales und finanzielles Chaos hinter sich zurück. Ihr ist gar nicht bewusst, dass ständig jemand hinter ihr herräumen muss – meistens bin ich das. Umso weniger begreife ich, wieso ich mich überhaupt mit Ella einlassen habe. Ich hätte von Anfang an wissen müssen, dass wir ebenso wenig gemein haben wie meine Eltern.“

„Es heißt, Gegensätze ziehen sich an“, meinte Lotty, während sie ihm half, im Bad aufzuräumen.

„Das stimmt vielleicht im Bett“, gab er ihr recht. „Natürlich wäre es schön, eine Frau an meiner Seite zu wissen, aber ich habe meine Lektion gelernt. In Zukunft gehe ich pragmatisch vor. Ich suche mir eine nette, vernünftige, praktisch veranlagte Partnerin, die hierher passt und bereit ist, mein Leben mit mir zu teilen. Glamour kann ich nicht gebrauchen. Was mir fehlt, ist eine Frau, die einen Traktor steuern und mir bei den Tieren zur Hand gehen kann.“

„Sei nicht gar so bescheiden! Ich finde, sie sollte auch kochen können, dann wäre sie dir erst richtig nützlich“, meinte Lotty sarkastisch.

„Dass sie kochen kann, versteht sich von selbst.“

Das ist eine Warnung, dass ich mir keine Flausen in den Kopf setzen soll, dachte sie. Denn eine Frau, wie er sie beschrieb, war sie nicht. Zwar hielt sie sich für vernünftig, ahnte jedoch, dass er ihr in diesem Punkt nicht zustimmen würde. Putzen konnte sie mittlerweile ausgezeichnet, dafür waren ihre praktischen Fähigkeiten in anderer Hinsicht begrenzt, und eine gute Köchin würde sie bestimmt nie abgeben.

Zudem plante sie nicht, auf Dauer in Mhoraigh zu bleiben. Sie musste nach Montluce zurückkehren, um ihrem Land zu dienen. So gut es ihr bei Corran gefiel, ihr Platz war bei ihrem Volk.

Weshalb interessiere ich mich überhaupt für ihn? schoss es ihr unvermittelt durch den Kopf. Er war ein geschiedener Mann, ein Einzelgänger, der niemanden an sich herankommen ließ.

Dennoch setzte ihr Herzschlag für einen Moment aus, als er am nächsten Morgen zu ihr in das Cottage kam, wo sie gerade sauber machte. Anstelle der üblichen verschlissenen Cordhose und der alten Jacke trug er eine dunkle Flanellhose mit passendem Jackett. Der oberste Hemdknopf stand offen, doch aus der Jackentasche ragte die Spitze einer Krawatte, die er offenbar erst in letzter Minute anzulegen gedachte.

„Du hast dich aber chic gemacht“, begrüßte sie ihn.

„Extra für den Anwalt.“ Corran sah sich prüfend in dem Cottage um, das immer noch schmuddelig wirkte, aber schon viel besser aussah als zu Anfang der Woche. Dann betrachtete er Lotty nachdenklich, die auf Knien die Fußleisten schrubbte. „Kommst du hier einen Tag lang ohne mich zurecht?“

„Klar. Pookie wird mich beschützen.“

Der kleine Hund, der schwanzwedelnd neben ihr auf dem Boden saß, sah einem Stofftier zum Verwechseln ähnlich. „Als grimmigen Wachhund würde ich ihn nicht gerade bezeichnen“, meinte er abfällig.

„Den brauchen wir auch nicht. Was sollten Einbrecher hier schon suchen? Es gibt nichts zu holen.“

Sie hatte zwar recht, dennoch machte er sich Sorgen – und das störte ihn. Er wollte sich um niemanden kümmern müssen.

Von Anfang an hatte er befürchtet, dass sie ihn von seinen Aufgaben ablenken würde. In welchem Umfang sie seine Gedanken beschäftigte, hatte er allerdings nicht vorhergesehen. Das Bild, wie sie nackt in der Wanne gestanden hatte, hatte sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Inzwischen dachte er ununterbrochen an sie. Selbst wenn er Bodendielen austauschte oder Wände einriss, tauchte vor seinem inneren Auge ihre zierliche Gestalt auf, ihr wunderschönes Gesicht, ihr verlockendes Lächeln.

Anfangs hatte er sie für ein verwöhntes Gör gehalten, doch sie hatte sich als harte Arbeiterin bewiesen. Ihren unbeugsamen Willen hatte er zunächst nicht erkannt, den Starrsinn, mit dem sie sich weigerte, aufzugeben. Er hatte sie über alle Maßen angetrieben, doch sie hatte nicht ein Wort der Klage verlauten lassen – und dafür bewunderte er sie.

„Auf dem Rückweg gehe ich in den Supermarkt. Soll ich dir etwas mitbringen, Lotty?“

Sie setzte sich auf die Fersen und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Anständigen Kaffee.“

„Der steht schon auf deiner Liste, drei Mal sogar, dabei brauchen wir überhaupt keinen. Wir haben jede Menge Tee.“

Als Antwort schnitt sie ihm eine Grimasse, und er lächelte, ehe er sich umwandte und ging. „Wir sehen uns später. Sei schön fleißig.“

Zeit für sich allein war Prinzessin Charlotte so gut wie nie vergönnt. Rund um die Uhr stand ein Lakai vor ihrer Tür, ihre Sekretärin wollte anstehende Termine mit ihr durchgehen oder eine Zofe half ihr beim Ankleiden.

Umso mehr genoss Lotty die ungewohnte Einsamkeit. Während sie die Wandleisten reinigte, summte sie zufrieden vor sich hin und dachte die ganze Zeit über an Corran. Das Lächeln zum Abschied hatte sein ganzes Gesicht verzaubert. Er hatte jünger, aufgeschlossener und attraktiver ausgesehen als je zuvor.

Fang bloß nicht an, für ihn zu schwärmen, rief sie sich zur Ordnung. Über kurz oder lang würde sie nach Montluce zurückkehren. Bis dahin hatte sie jede Menge neuer Eindrücke und Erfahrungen zu verarbeiten, was all ihre Kraft erforderte. Die Zeit und Energie, die es kosten würde, ihn zu verführen und endlich die lästige Jungfräulichkeit loszuwerden, fehlte ihr schlichtweg.

Außerdem hatte sie Corran mittlerweile ins Herz geschlossen und wollte es sich nicht mit ihm verderben. Ihr gefiel, dass er ihr nichts nachsah, und wenn er es an Höflichkeit fehlen ließ, vergalt sie Gleiches mit Gleichem. Ihm gegenüber konnte sie aussprechen, was ihr in den Sinn kam, er nahm nichts übel. In seiner Gegenwart fühlte sie sich so wohl wie mit niemandem zuvor. Das wollte sie nicht aufs Spiel setzen. Mit einem unwillkommenen Annäherungsversuch würde sie sich bestenfalls lächerlich machen und ihn unnötig in Verlegenheit bringen.

Sie konnte von Glück sagen, dass er ihr überhaupt Arbeit gegeben hatte.

Wenigstens hatte sie ihren Teil des Handels eingehalten: Sie musste nur noch einige Kleinigkeiten erledigen, dann war das Cottage termingerecht bereit zum Anstrich. Daran sollte sie sich erfreuen, nicht an seinem Lächeln.

Doch als Corran am Nachmittag früher als erwartete zurückkehrte, schlug ihr Herz schneller.

Er sah sich kritisch in dem Cottage um. Die Wände waren von Tapetenresten befreit, Fußleisten und Boden blitzten vor Sauberkeit.

„Nicht schlecht!“

„Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“, fragte Lotty aufgebracht. Der künstlich entfachte Zorn half ihr zu verdrängen, wie gut er aussah und wie gern sie ihn verführen würde, allen Bedenken zum Trotz.

„Was willst du hören?“

„Du könntest dich zum Beispiel dafür entschuldigen, dass du dich in mir getäuscht hast. Immerhin habe ich das Cottage in der verabredeten Zeit zum Anstrich vorbereitet.“

Die Andeutung eines Lächelns spielte um seine Lippen. „Stimmt, in dem Punkt habe ich mich geirrt. Bist du jetzt zufrieden?“

„Nicht ganz. Du hast geglaubt, dass ich nicht einen einzigen Tag durchhalte. Eigentlich könntest du gleich zugeben, dass du auf dem besten Weg bist, unsere Wette zu verlieren.“

„Dabei geht es um einen ganzen Monat. In den verbleibenden drei Wochen kann noch viel passieren.“

„Dennoch hoffe ich, du hast heute nicht zu viel Geld ausgegeben. Du solltest anfangen, für das Dinner zu sparen, das du mir demnächst schuldest.“

„Das hat noch Zeit. Aber heute erspare ich dir das Kochen. Ich habe uns etwas zu essen mitgebracht.“

Da keine Mahlzeit vorzubereiten war, gönnte Lotty sich an diesem Abend ein ausgedehntes Bad. Gern hätte sie anschließend etwas anderes angezogen als an den letzten Abenden, doch sie musste auf die einzigen Kleidungsstücke zurückgreifen, die ihr zur Verfügung standen: die Jeans und den rosa Pulli. Letzterer passte farblich nicht zu ihrem roten Haar, aber das hatte sie nicht bedacht, als sie ihn für ihre Wanderung kaufte. Es wäre ihr ohnehin belanglos erschienen.

Natürlich war es auch jetzt egal, wie sie aussah, dennoch hätte sie gern ein wenig weiblicher, etwas attraktiver gewirkt.

Als sie in die Küche kam, stand Corran am Herd und wärmte das mitgebrachte Currygericht auf.

„Kann ich dir helfen …“ Überrascht verstummte sie. Auf dem Küchentisch stand ein brandneuer Kaffeeautomat, daneben ein Päckchen frisch gemahlener Kaffeebohnen.

„Deine ständigen Klagen über Instantkaffee sind mir auf die Nerven gegangen“, erklärte Corran, ehe sie den Mund auch nur öffnen konnte.

Ungläubig sah Lotty ihn an. „Du hast Kaffee mitgebracht, richtigen Kaffee! Danke!“ Ohne nachzudenken, schlang sie ihm die Arme um den Nacken und schmiegte sich an ihn. Im selben Moment erkannte sie, dass sie einen Fehler begangen hatte.

Denn nun wusste sie, wie gut er sich anfühlte und roch, und sie spürte seinen Herzschlag.

Für einen winzigen Augenblick erwiderte er ihre Umarmung und hielt sie fest an sich gedrückt. Es war eine instinktive Reaktion, dessen war Lotty sich bewusst, doch es fühlte sich herrlich an, und sie hoffte, er würde sie nie wieder loslassen.

Natürlich tat er es dennoch und trat dann sofort einen Schritt zurück.

Sie errötete. „Entschuldigung, ich … ich habe mich von meiner Freude über den Kaffee hinreißen lassen.“

Corran, der sich wieder dem Herd zugewandt hatte, um zu prüfen, ob der Reis gar war, meinte: „Du bist leicht zu begeistern.“

Seine Stimme klang merkwürdig belegt, aber Lotty war zu verwirrt, um es zu bemerken. Sie zerbrach sich den Kopf, wie sie ihm beweisen konnte, dass sie mit ihrer Umarmung keine Hintergedanken verfolgt hatte. Am erfolgversprechendsten erschien ihr ein lockerer Umgangston.

„Du kennst mich doch, ich gerate schnell aus dem Häuschen.“

Einen Moment herrschte Stille, und sie verschränkte die Hände nervös vor der Brust. Betont lässig schlenderte sie zum Tisch, während sie verzweifelt überlegte, wie sie das unerträgliche Schweigen brechen könnte. Doch Corran kam ihr zuvor.

„Wie bist du heute zurechtgekommen? War es dir nicht zu einsam?“

„Nein, gar nicht. Höchstens in der Mittagspause.“

Sie war mit Pookie zum Seeufer gegangen, hatte übers Wasser geblickt und die Vögel in der Luft beobachtet. Allerdings hatte es ihr nicht so viel Freude bereitet wie sonst.

Inzwischen war das Essen warm, und Corran stellte den Topf auf den Untersetzer auf dem Tisch. Lotty zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Großmutter wäre entsetzt über mich, dachte sie. In jahrelangem Konversationstraining hatte sie gelernt, in jeder Situation ein unverfängliches Thema aufzugreifen, doch gerade jetzt herrschte in ihrem Kopf Leere.

Wieder breitete sich betretenes Schweigen aus.

Sie räusperte sich. „Wie weit ist es von hier nach Glasgow?“

„Mit dem Auto etwa zwei bis drei Stunden.“ Corran warf ihr einen scharfen Blick zu. „Wieso? Hast du vor abzureisen?“

Allein der Gedanke jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. „Nein!“ Ruhiger fuhr sie fort: „Ich bin dieser Kleidung überdrüssig. Mein Koffer steht in einem Schließfach im Bahnhof von Glasgow. Vielleicht kann ich mit dem Bus hinfahren und ihn mir holen – natürlich nur, wenn du mich einen Tag entbehren kannst.“

„Ein freier Tag? So weit kommt’s noch! Als Nächstes forderst du Krankengeld, bezahlten Urlaub und einen dicken Bonus!“

Beide trugen sie zu dick auf, doch das war allemal besser als die unerträgliche Stille.

„Nur ein einziger Tag“, flehte Lotty ihn lächelnd an. „Danach lege ich mich wieder ins Zeug, versprochen!“

„Tatsächlich hatte ich vor, selbst nach Glasgow zu fahren. Ich muss Möbel und Ausstattung für die Cottages besorgen. Du könntest mir dabei helfen, und wir holen bei der Gelegenheit deinen Koffer.“

„Gern, vielen Dank.“

„Bis dahin dauert es aber noch“, warnte er sie. „Wenn du es eilig hast, kannst du dir in Fort William etwas kaufen. Schicke Geschäfte gibt es dort allerdings nicht. Du könntest auch gleich den Wocheneinkauf erledigen.“

Lotty parkte Corrans Geländewagen vor dem Supermarkt und dachte sogar daran, ihn abzuschließen und den Schlüssel sorgfältig zu verstauen. Hier wartete kein Lakai, um ihr den Wagen abzunehmen, ihn zu waschen, zu betanken und wiederzubringen, wenn sie ihn das nächste Mal benutzen wollte.

Der Ausflug nach Fort William stellte für sie ein weiteres spannendes Abenteuer dar. Es hatte morgens damit begonnen, dass Corran ihr ein Bündel Bargeld in die Hand gedrückt hatte.

„Das sollte genügen“, hatte er gesagt und ihr dann einige zusätzliche Banknoten gereicht. „Und die sind für dich.“

„Für mich?“

„Dein Lohn als Haushälterin. Es ist leider nicht viel, aber du hast es dir verdient.“

Das Geld brannte Lotty förmlich ein Loch in die Tasche, und sie freute sich über den freien Tag.

Natürlich machte ihr die Arbeit Spaß. Sie hatte das Cottage von oben bis unten gereinigt und war Corran bei einigen Reparaturarbeiten zur Hand gegangen. Gemeinsam hatten sie Löcher im Putz zugespachtelt und das Küchenfenster ausgetauscht. Danach hatte sie mit dem Anstrich begonnen. Mit jedem Pinselstrich sah das Häuschen heller und freundlicher aus, was sie mit Zufriedenheit erfüllte.

Auch dem Kochen widmete sie sich mit Feuereifer. Das hing nicht damit zusammen, dass Corran nach einer Frau suchte, die kochen konnte – wieso auch? Ebenso wenig wollte sie ihn beeindrucken. Ihr einziger Ehrgeiz war es, sich zu verbessern, und das gelang ihr. Ein wenig zumindest.

Diesen freien Vormittag jedenfalls hatte sie sich verdient, und es war ihr gleichgültig, wenn die Läden vor Ort nicht die elegantesten waren. Bei laut dröhnender Musik anonym in den Regalen zu stöbern und heimlich die Verkäuferin dabei zu beobachten, wie sie sich hinter der Theke gelangweilt die Nägel feilte, bereitete ihr mehr Vergnügen, als sie in den mondänen Designerboutiquen in Paris und London je empfunden hatte.

Sie erstand T-Shirts, eine Bluse und einen Baumwollpulli. Ihre Großmutter wäre entsetzt, sie in den billigen Kleidungsstücken zu sehen, doch sie war mehr als zufrieden mit dem, was sie für ihr erstes selbst verdientes Geld erhalten hatte.