6. KAPITEL

Drei Monate Freiheit hatte Lotty sich zugestanden. Drei Wochen davon lebte sie nun schon bei Corran. Würde sie auch die restliche Zeit bei ihm verbringen?

Sie begehrte ihn und wollte mit ihm schlafen, doch wie sie das erreichen konnte, wusste sie nicht. Während sie weiter in Richtung Mhoraigh fuhren, spielte sie im Geist verschiedene Szenarien durch:

Sollte sie sich ihm an den Hals werfen, sobald sie im Gutshaus ankamen, und darauf bauen, dass er begriff, was sie von ihm erwartete? Leider fehlte ihr dazu der Mut.

Sie könnte das Problem auch diplomatisch angehen, ihn fragen, was er von flüchtigen Affären hielt, und anschließend zur Tat schreiten.

Eine weitere Möglichkeit, vermutlich die beste, wäre, das Thema offen anzusprechen. Als sie jedoch versuchte, sich ein solches Gespräch auszumalen, erschien es ihr unmöglich.

Eines wurde ihr während der langen Fahrt klar: Es war ein Fehler gewesen, seine körperliche Anziehungskraft wochenlang zu ignorieren. Beim gemeinsamen Aussuchen der Möbel war sie sich ihrer Gefühle für ihn bewusst geworden. Dass sie anschließend stundenlang im Auto hatte neben ihm sitzen müssen, hatte den Druck erhöht. Sie brodelte innerlich wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.

Vorsichtshalber verschränkte sie die Hände fest im Schoß, um sie nicht unwillkürlich nach ihm auszustrecken. Ihr war schwindlig, gleichzeitig war ihr übel. Sie spürte ihr Herz, jeden einzelnen Schlag, und ihr Mund fühlte sich an wie ausgetrocknet. Allein eine Berührung könnte ihre Beschwerden lindern, davon war sie überzeugt. Ist das normal? fragte sie sich verwundert.

Zum wiederholten Mal bedauerte sie ihre fehlende Erfahrung im Umgang mit Männern. Am liebsten hätte sie sich an ihn geschmiegt und ihren Mund auf die Stelle an seinem Hals gepresst, an der sein Puls verführerisch pochte. Stattdessen blieb sie jedoch still sitzen, um sich nicht zum Narren machen, während die Spannung im Auto mit jedem Kilometer stieg.

Als Corran den Wagen nach einer gefühlten Ewigkeit vor Loch Mhoraigh House stoppte, sprang sie förmlich heraus. Aus Sorge, die Beine könnten unter ihr nachgeben, hielt sie sich an der Wagentür fest, während sie tief durchatmete. Vielleicht war sie ja wirklich krank.

Nach einem Augenblick ging es ihr etwas besser, und sie begann, die Einkäufe ins Haus zu bringen und wegzuräumen. Das lenkte sie für eine Weile ab, zumal Corran gleichzeitig die Hunde spazieren führte.

Zuvor hatte er allerdings den Koffer auf ihr Zimmer gebracht. Lotty konnte es kaum erwarten, endlich in die vertraute Kleidung zu schlüpfen. Insgeheim hoffte sie, dass sie sich dann wieder wie eine Prinzessin fühlen würde statt wie ein liebestoller Teenager. Dieser Wunsch erfüllte sich jedoch nicht.

Sie hatte in Montluce bewusst ihre schlichtesten Kleidungsstücke eingepackt, doch was sie jetzt aus dem Koffer zog, wirkte viel zu elegant für ihr neues Zuhause. Hastig stopfte sie die Sachen zurück. Dann hielt sie inne. Was würde Corran denken, wenn sie nichts davon trug? Immerhin hatte sie viel Wirbel um die Wiederbeschaffung ihres Gepäcks gemacht.

Also wählte sie eine weite Hose und einen seidenen Pullover aus, zog sie an und schlang sich einen Schal um den Hals. Weit davon entfernt, sich wie ihr früheres Ich zu fühlen, steigerten die edlen Materialien noch ihre Nervosität.

Als sie in die Küche trat, war Corran gerade dabei, die Temperatur im Ofen zu prüfen. Er sah auf, stutzte, schloss die Ofentür und richtete sich auf.

„Wie elegant!“

Eleganz ist in Loch Mhoraigh ebenso fehl am Platz wie ich, dachte Lotty traurig, während sie den Tisch deckten. Kurz darauf servierte Corran das aufgewärmte Fertiggericht, das sie in einem Supermarkt in Glasgow gekauft hatten.

Vor Anspannung konnte Lotty die erste Mahlzeit seit Langem, die sie nicht selbst zubereitet hatte, nicht genießen. Der weiche Stoff der Hose, das seidige Oberteil auf ihrer Haut irritierten sie. Sie wünschte sich in ihre alte Jeans und den rosa Pulli zurück, oder, besser noch, in ihre Arbeitskleidung. Es war eine Qual, hier zu sitzen und an nichts denken zu können als an Corran und ihr Verlangen nach ihm.

Ihre Sinne waren so geschärft, dass ihr kein Detail an ihm entging: wie ruhig er die Aluschale mit dem Fertiggericht hielt, während er sich daraus bediente, wie kräftig seine Handgelenke waren. In seine Augen zu blicken, wagte sie erst gar nicht. Stattdessen betrachtete sie verstohlen die dunklen Brauen, die markante Nase, das ausgeprägte Kinn und den faszinierenden Mund. Laut dröhnte ihr der eigene Pulsschlag in den Ohren.

Wie hatte sie es nur geschafft, Abend für Abend gleichmütig dazusitzen und vergnügt mit ihm zu plaudern? Zugegeben: Den größten Teil der Unterhaltung hatte sie bestritten, er hatte bestenfalls bissige Kommentare abgegeben. Gemütlich war es dennoch gewesen.

Wieso ist auf einmal alles anders? wunderte sie sich. Wie aus dem Nichts war eine Barriere zwischen ihnen aufgetaucht, die ihre Beziehung aus dem Lot brachte und die Atmosphäre vergiftete.

Obwohl sie gelernt hatte, in spannungsgeladenen Situationen ihrem Gesprächspartner die Befangenheit zu nehmen, schien ihr gerade jetzt diese Fähigkeit abhandengekommen zu sein. Nervös schob sie das Essen auf ihrem Teller hin und her und suchte krampfhaft nach einem unverfänglichen Gesprächsthema, doch Corran kam ihr zuvor.

„Bist du nicht hungrig?“

„Nein.“

„Ich auch nicht. Nach der langen Fahrt fällt mir die Decke auf den Kopf. Ich brauche Bewegung. Lass uns spazieren gehen“, schlug er vor.

Es war einer jener langen, milden Frühsommerabende in den Highlands, die Lotty zu lieben gelernt hatte. Der wolkenlose Himmel erstrahlte im Schein der Abendsonne in einem prächtigen Orange, eine sanfte Brise kräuselte die Wasseroberfläche des Lochs, und die Temperatur war noch angenehm. Dennoch verschränkte Lotty die Arme vor der Brust und zog die Schultern hoch.

„Ist dir kalt?“, erkundigte sich Corran besorgt. „Sollen wir umkehren, damit du dir eine Jacke holen kannst?“

„Nein, schon gut“, versicherte sie und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, eine Bewegung, die sie häufig machte, wenn sie nervös war.

Auf dem Weg nach Glasgow ist sie noch gewesen wie immer, dachte er. Seit dem Nachmittag wirkte sie jedoch zusehends angespannt, und sie hatte sogar von ihrer Heimkehr gesprochen.

Seltsamerweise betrübte es ihn, dass sie Loch Mhoraigh House nicht als ihr Zuhause betrachtete. Dabei hatte sie ihn wiederholt darauf hingewiesen, dass sie nicht auf Dauer bleiben würde. Mittlerweile hatte er sich an ihre Anwesenheit gewöhnt. Sie hatte sich als größere Hilfe erwiesen, als er es für möglich gehalten hätte. Gemeinsam waren sie bei der Renovierung der Cottages ein gutes Stück vorangekommen. Aus diesem Grund war er erleichtert, dass sie ihn nicht unmittelbar verließ – wieso auch sonst?

Dennoch war es gut, dass sie ihn an ihre Abreise erinnerte. Als sie eben in die Küche gekommen war, hätte er sie beinahe nicht wiedererkannt. Wie jeden Abend hatte sie Hose und Pullover getragen, doch diese Kleidungsstücke waren extrem teuer – das erkannte sogar er, ein Laie in Sachen Mode. Sie hatte elegant und vornehm gewirkt wie nie zuvor, wie ein Wesen aus einer anderen Welt.

Das sollte es ihm einfacher machen, ihr verführerisches Lächeln zu ignorieren und dass ihm das Blut in den Kopf schoss, sobald sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte.

Während Lotty schweigend neben ihm herging und gedankenlos mit ihrem Schal spielte, nutzte er die Gelegenheit, sie zu betrachten. Sie hielt sich aufrecht, den Kopf leicht von ihm abgewandt, und er stellte sich vor, wie er sie auf den Hals küsste und sich dann einen Weg bahnte, hinab …

Rasch schob er den Gedanken beiseite. Sie war nichts für ihn und gehörte ebenso wenig hierher wie Ella oder seine Mutter. Es machte keinen Sinn sich vorzustellen, wie es wäre, sie an sich zu ziehen, ihren süßen Mund zu kosten, die Hände über ihren Rücken gleiten zu lassen und auszuprobieren, ob ihre Haut so glatt und weich war, wie sie aussah.

Ich hätte sie nicht auf diesen Spaziergang einladen sollen, dachte er. Alles erinnerte ihn daran, wie wenig sie hierher passte, gleichzeitig fügte sie sich harmonisch in die Umgebung ein, und es fühlte sich gut an, an ihrer Seite über sein Land zu wandern, nur in Begleitung der Hunde.

Sie kamen an der Stelle vorbei, an der sie meist zu Mittag aßen, und schlenderten weiter am See entlang. Schließlich führte er sie über einen schmalen Trampelpfad zu einem wunderschönen Stück Strand am dem Haus gegenüberliegenden Ufer. Hinter ihnen ragten die Berge schroff in den Himmel empor, im Vordergrund tanzten goldene Sonnenstrahlen über das Wasser.

Einen Moment lang stand Lotty ganz still da und sah sich ehrfürchtig um. „Wie herrlich!“

„Das ist mein Privatstrand. Als Kind bin ich immer hierhergekommen, niemand hat mich gefunden – nicht, dass man nach mir gesucht hätte.“

Corran setzte sich auf einen schmalen Streifen Gras und streckte die Beine aus. Schweigend ließ sie sich neben ihm nieder, ohne ihn zu berühren.

Allmählich verblasste das Licht, doch richtig dunkel würde es erst viel später werden. Lotty genoss die friedliche Stimmung. Nicht einmal die Mücken quälten sie heute. Sie lehnte sich auf die Ellbogen zurück und hielt ihr Gesicht in den Abendwind, der das Gras rascheln und das Wasser in kleinen Wellen gegen das Ufer schlagen, ließ – unüberhörbar wie das laute Pochen ihres Herzens.

Sehnsüchtig sah sie zu Corran hinüber, der neben ihr saß, den Blick auf den See gerichtet. Wie gern hätte sie ihn jetzt berührt.

„Du bist so still. Woran denkst du?“ Er wandte sich ihr zu und sah sie an.

Das ist die Gelegenheit, dachte sie. Sie musste nur einen beherzten Schritt tun, dann gab es kein Zurück mehr. Mutig und ohne nachzudenken öffnete sie den Mund, und die Worte sprudelten nur so aus ihr hervor:

„Ich habe überlegt, ob ich es wage, dich zu fragen, ob du mich k… küssen würdest.“

Einen Moment lang herrschte Totenstille.

„Und?“

„Was und?“ Sie errötete, da sie ihre Kühnheit bereits bereute.

„Traust du dich?“

„Was würdest du sagen, wenn ja?“, fragte sie atemlos.

Es zuckte um seine Lippen. „Ich glaube, ich würde deiner Bitte entsprechen.“

„Oh.“ Vor Verlegenheit rupfte sie einige Grashalme aus der Erde. „Allerdings solltest du etwas wissen … ich hatte noch nie einen Freund.“

Corran war gewiss nicht leicht aus der Fassung zu bringen, doch diese Information ließ ihn überrascht zusammenzucken. „Was, noch nie?“

„Nein.“ Nervös fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. Einen Teil der Wahrheit kannte er bereits, da konnte sie ihm genauso gut den Rest erzählen. Peinlicher konnte es ohnehin nicht mehr werden.

Wieder zupfte sie am Gras und wich seinem Blick aus. „Ich bin noch J… jungfrau. Das ist einer der Gründe, aus denen ich mir diese Auszeit genommen habe. Ich dachte, es würde sich eine Gelegenheit ergeben, etwas an diesem Zustand zu ändern. Natürlich bin ich nicht auf der Suche nach einer dauerhaften Beziehung“, erklärte sie, bevor er etwas erwidern konnte. Sie musste rasch alles loswerden, ehe der Mut sie verließ. „Ich weiß schon, dass ich nicht dein Typ bin. Es ist nur … ich habe mich gefragt …“ Erneut leckte sie sich über die Lippen, dann atmete sie tief durch. „Die Sache ist die: Ich will einen Liebhaber, aber ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll, und da dachte ich …“

„Dass ich diese Rolle übernehmen könnte?“, ergänzte er, als sie mitten im Satz abbrach.

Seine Stimme klang ganz ruhig, also riskierte sie einen Blick. Zu ihrer großen Erleichterung entdeckte sie, dass sich die Grübchen um seinen Mund vertieft hatten.

„Hier ist sonst niemand.“

„Nein, das stimmt.“ Behutsam streckte er die Hand nach ihr aus und strich ihr mit einem Finger über eine Wange. Die unerwartet zärtliche Berührung ließ sie erschauern.

„Wie wäre es, wenn wir uns zuerst küssen und dann sehen, wie es weitergeht?“, schlug er vor.

„Gut.“ Entschlossen strich sie sich das Haar hinter die Ohren und räusperte sich. Unwillkürlich bekam sie es mit der Angst zu tun. Sie war aufgeregt und fürchtete, etwas falsch zu machen.

„Sag bloß nicht, du bist auch noch nie geküsst worden?“

„Nicht richtig.“ Wie konnte sie ihm bloß erklären, wie behütet sie aufgewachsen war?

„Unglaublich! Wie eine Märchenprinzessin, die in einem Turm gefangen auf ihren ersten Kuss wartet.“

Betreten wandte sie den Kopf ab. „So ähnlich.“

Einen Moment lang sah Corran sie ungläubig an, dann nahm er ihr Gesicht zwischen beide Hände. „Was ist, willst du mich nicht fragen?“

Obwohl es warm und mild war, erschauerte sie unter seiner Berührung.

„Würdest du mich bitte küssen?“, bat sie ihn betont höflich, und er lächelte – ein offenes Lächeln, das sie förmlich dahinschmelzen ließ. Seit sie ihn kannte, hatte sie sich gewünscht, dass er sie so anlächelte, dass der strenge Zug um seinen Mund verschwand und Wärme seine sonst so kühl dreinblickenden Augen erfüllte.

„Ja, gern“, sagte er, doch noch immer küsste er sie nicht. Stattdessen griff er nach ihrem Schal und zog ihn ihr behutsam vom Hals. Überwältigt schloss sie die Augen. Endlich … endlich war es so weit!

Sachte berührte er ihren Mundwinkel mit den Lippen und zog sich sofort wieder zurück.

„War es das schon?“, fragte sie enttäuscht und schlug die Augen wieder auf.

„Nein. Das war erst der Anfang. Komm her.“ Er zog sie näher zu sich heran und hauchte eine Reihe verführerischer Küsse auf ihre Wange, hin bis zu ihrem Ohrläppchen, um sich anschließend bis zu der Stelle an ihrem Hals vorzuarbeiten, an der ihr Puls heftig pochte.

Instinktiv legte sie den Kopf in den Nacken. Seine Lippen fühlten sich herrlich warm und fest an.

Dann endlich kostete er ihren Mund, und sie glaubte, in Flammen zu stehen. Unwillkürlich schlang sie ihm die Arme um den Nacken und hielt sich an ihm fest. Seine Lippen brannten heiß auf ihren, und mit seiner Zunge bahnte er sich sanft den Weg in ihren Mund. Aufstöhnend ließ sie sich mit ihm ins Gras sinken, wo er sie in einer Weise küsste, von der sie nie auch nur zu träumen gewagt hatte.

Sie gab sich ganz ihren Empfindungen hin und genoss jeden Augenblick. Dass das Gras sie im Nacken kitzelte, bemerkte sie nicht einmal. Sie spürte nur Corran, der mit seinen Händen ihren Körper erforschte. Wo er sie berührte, schien er heiße Spuren auf ihrer bloßen Haut zu hinterlassen.

Gleichzeitig nutzte sie die Gelegenheit, auch ihn endlich anzufassen und zu streicheln. Sie ließ die Hände über seinen Rücken gleiten und ertastete den Verlauf seiner Muskeln unter seinem Hemd.

„Das ist herrlich“, stöhnte sie, als ihre Lippen sich einen Moment trennten.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du noch nie geküsst hast.“

„Mache ich alles richtig?“, fragte sie in einer plötzlichen Anwandlung von Selbstzweifeln.

Corran hob den Kopf und sah ihr ins Gesicht. Ihre Unschuld und Naivität rührten und erstaunten ihn zugleich. Was ihr an Praxis fehlte, machte sie durch ihre süße, verführerische Art mehr als wett.

„Du bist ein Naturtalent“, beruhigte er sie, und ein Strahlen verzauberte ihre Miene.

„Würdest du mich dann noch einmal küssen?“

„Wieso küsst nicht du mich?“ Er rollte von ihr herab und legte sich auf den Rücken, die Arme zur Seite gestreckt. „Ich gehöre ganz dir.“

Erneut strich Lotty sich das Haar hinter die Ohren, neigte sich über ihn und sah ihm eine Weile in die Augen, ehe sie ihren Mund seinem näherte. Zunächst war sie zurückhaltend und ein wenig unsicher, doch er hielt still und ließ sie gewähren, so gut sie konnte.

Und das war nicht zu verachten! Bald hatte er Mühe, an sich zu halten und sie nicht in seine Arme zu reißen. Er wollte ihr keine Angst einjagen, doch sie brachte ihn an den Rand der Selbstbeherrschung. Mittlerweile lag sie auf ihm und hauchte ihm zarte Küsse auf Wange, Ohr und Mund – die so aufregend, sexy und betörend waren, wie er es nie für möglich gehalten hätte.

Schließlich hielt er es nicht länger aus. Er schlang die Arme um ihre schmale Taille und drehte sie behutsam um, bis sie wieder unter ihm lag. Dann küsste er sie hart und fordernd.

„Mehr“, bat Lotty, und er gehorchte. Sie küssten einander lang und ausdauernd, bis er sich von ihr löste.

Mit belegter Stimme sagte er: „Wir gehen besser zurück.“

„Ich möchte nicht aufhören“, protestierte Lotty enttäuscht.

Er stand auf, half ihr auf die Beine und streifte das Gras von ihrer Kleidung. „Das tun wir auch nicht, wir haben eben erst begonnen.“

„Ich verstehe nicht … Wieso müssen wir umkehren?“ Dennoch überließ sie ihm ihre Hand, und er führte sie in Richtung Haus.

„Ich habe keinen Schutz dabei. Woher hätte ich wissen sollen, wie unser Spaziergang endet?.“

„Schutz?“ Lotty war nicht in der Lage, klar zu denken. Ihr drehte sich der Kopf, als stünde sie unter Drogen, und am ganzen Körper spürte sie immer noch die Nachwirkungen seiner Liebkosungen. Bei seinen Worten fiel ihr lediglich der Leibwächter ein, dem sie in Paris entkommen war.

„Wo Babys herkommen, weißt du schon, oder? So unschuldig kannst selbst du nicht sein.“

Endlich ging ihr ein Licht auf. „Daran hab ich gar nicht gedacht!“

„Außerdem ist es im Bett bequemer.“

„Oh!“ Vorfreude und Angst ließen sie erschauern.

Wie sie nach Hause gekommen waren oder ob sie sich unterwegs unterhalten oder geschwiegen hatten, konnte sie im Nachhinein nicht mehr sagen. Sie erinnerte sich nur noch an die Wärme und Geborgenheit, die sie an seiner Seite empfunden hatte.

Gewiss hatten sie sich bei ihrer Rückkehr zunächst um die Hunde gekümmert, doch sie wusste nur noch, dass Corran vor seinem Zimmer ihre Hand losgelassen und ihr eine Frage gestellt hatte:

„Bist du dir ganz sicher? Wir können es auch langsam angehen lassen, wenn es dir lieber ist.“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf, trat zu ihm und schlang ihm die Arme um die Taille. „Lass uns keine Zeit verschwenden.“

Lotty betrachtete Corran, der bäuchlings auf dem Bett lag und schlief. Sie selbst war erschöpft, aber viel zu überdreht, um sich zu entspannen. Natürlich hatte sie gewusst, was passieren würde. Die Flut von Empfindungen, die auf sie eingestürmt waren, hatte sie jedoch nicht vorhergesehen.

„Lass dich gehen“, hatte Corran ihr geraten. Sie hatte es getan und ein aufregendes, betörendes Abenteuer erlebt. Jetzt war sie gleichermaßen befriedigt, erschüttert und unsicher. Ihre Welt hatte sich verändert, sie würde nie wieder dieselbe sein wie zuvor.

Und genau das habe ich mir gewünscht, dachte sie. Sie hatte erleben wollen, was alle anderen kannten, und es war eine Offenbarung gewesen. Zufrieden lächelte sie, als sie an seinen Mund, seine Hände, seinen durchtrainierten Körper dachte und was Corran in ihr entfesselt hatte. Allein die Erinnerung ließ sie erröten.

Er schlief, daher konnte sie ihn ungeniert bewundern: die kräftigen Schultern, die schmalen Hüften, die festen Muskeln, die glatte Haut. Wer hätte gedacht, dass sich hinter der Fassade des kühlen, harten Mannes ein so leidenschaftlicher, zärtlicher Liebhaber verbarg?

Als hätte er ihren Blick gespürt, regte er sich in diesem Moment, drehte sich auf den Rücken und schlug die Augen auf. Lotty konnte beobachten, wie allmählich die Erinnerung wiederkehrte.

„Guten Morgen“, sagte sie ein wenig atemlos. Sie war nicht sicher gewesen, ob sie auf ihr Zimmer gehen sollte, nachdem er eingeschlafen war. Ihr Leben lang hatte man ihr klare Verhaltensregeln für jede Lebenslage gegeben. Wie man sich nach der ersten sexuellen Begegnung mit einem Mann zu verhalten hatte, hatte ihr allerdings niemand erklärt.

„Guten Morgen.“ Corran rollte sich auf die Seite, um sie besser betrachten zu können. „Wie geht’s dir?“

„Prima.“ Schüchternheit war nach den Ereignissen der letzten Nacht überflüssig, dennoch schaffte sie es nicht, seinem Blick standzuhalten. „Sag mal, ist es immer so?“

Er streckte die Hand nach ihr aus und drehte ihren Kopf in seine Richtung. „Wie beim ersten Mal wird es nie wieder sein, dafür aber immer besser“, erklärte er und rekelte sich genüsslich.

Fasziniert beobachtete sie das Spiel seiner Muskeln. Weil sie seine Antwort nicht verstand, fragte sie nach: „War ich so schlecht?“

„Sehr schlecht sogar!“

„Ich habe dich gewarnt, dass ich gänzlich unerfahren bin.“

„Du warst schlecht im positiven Sinn.“ Aufseufzend zog er sie an sich. „Wie kann eine so schöne Frau wie du nur so wenig Selbstvertrauen haben?“

Woher sollte ich das denn nehmen? fragte sie sich. Sie hatte sich nie beweisen dürfen. Die Leute respektierten sie aufgrund ihrer Herkunft, nicht aufgrund ihrer Persönlichkeit oder Leistung.

Corran war die einzige Ausnahme – und er wusste nicht, wer sie war. Ansonsten hätte er gewiss nicht mit ihr geschlafen. Sie waren einander so nahe gekommen, wie es zwei Menschen möglich war, dennoch kannte er sie kaum. Dass sie Geheimnisse vor ihm hatte, bedauerte sie zwar, sich ihm zu öffnen, wagte sie jedoch nicht, aus Sorge, er würde sich ihr gegenüber dann anders verhalten. Das könnte sie nicht ertragen. Nein, es war besser, ihm nichts zu verraten.

Entschlossen legte sie ihm die Hände auf die Brust und rückte ein Stück von ihm ab. „Zwischen uns hat sich aber nichts geändert, oder?“

„Oh doch.“

„Das möchte ich nicht.“

„Ist es dafür nicht ein wenig spät?“ Corran hatte begonnen, sie zu streicheln, hielt jetzt aber inne und sah sie fragend an. „Wolltest du es nicht so?“

„Das schon. Aber alles andere soll bleiben wie zuvor.“

„Heißt das, du willst nicht wiederholen, was wir in dieser Nacht getan haben?“

„Nein! Das möchte ich auf jeden Fall.“ Wie üblich konnte sie seiner Miene nicht entnehmen, was er dachte. Zaghaft setzte sie hinzu: „Wenn es dir nichts ausmacht.“

Um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig, während er vorgab, die Angelegenheit gründlich zu erwägen. „Ich glaube, damit käme ich klar.“ Erneut ließ er seine Hand über ihren Körper gleiten.

„Du machst dich über mich lustig!“ Dennoch brachte sie es nicht fertig, sich von ihm zurückzuziehen. Seine Liebkosungen fühlten sich einfach zu gut an.

„Stimmt. Wieso sollte es mir etwas ausmachen?“ Diesmal lächelte er breit.

„Weil ich nicht dein Typ bin“, erklärte sie und schmiegte sich an ihn.

„Bist du das nicht?“

Seine aufreizenden Berührungen raubten ihr den Atem. „Das hast du selbst gesagt.“

Jetzt fielen ihm seine Worte wieder ein, und er wunderte sich, dass es dazu einer Erinnerung bedurfte:

Er hatte gesagt, er wolle sich nie wieder mit einer Frau einlassen, die nicht nach Mhoraigh passte, und er suche nach einer praktischen, vernünftigen Frau, die sich seine Ziele zu eigen machte und gemeinsam mit ihm das Gut zu neuem Glanz führte, die ebenso gut zu ihm wie nach Mhoraigh passte und das Leben mit ihm teilen wollte.

All das trifft nicht auf mich zu, dachte Lotty traurig. Wie hart sie auch arbeitete, mit ihrer angeborenen Eleganz wirkte sie hier so fehl am Platz wie eine exotische Orchidee in einem Bauerngarten. Außerdem wollte sie nicht bei ihm bleiben, das hatte sie ihm von Anfang an klargemacht.

Als sie ihn gebeten hatte, sie zu küssen, hatte ein Blick in ihre schönen grauen Augen genügt, um alle Gründe, Abstand zu ihr zu wahren, zu vergessen. Es wäre besser gewesen, ihr zu erklären, dass ein Kuss sich als Fehler erweisen würde, doch er hatte geahnt, wie viel Mut es sie gekostet hatte, ihm diese Frage zu stellen. Außerdem hatte er ihr nicht widerstehen können.

In Wahrheit hatte er sich während des gesamten Spaziergangs nach einem Kuss gesehnt. Als er ihr Verlangen und ihre Unsicherheit bemerkt hatte, war es um ihn geschehen.

Und dann die letzte Nacht: Er hatte vorgehabt, ihr Vergnügen zu bereiten und ihr erstes Mal zu einem besonderen Erlebnis zu gestalten. Dabei war er selbst bis ins tiefste Innere erschüttert worden. Sie war so süß und gleichzeitig zäh, steckte voller Überraschungen und Gegensätzen. Sein Leben lang hatte er seine Gefühle unter Kontrolle gehalten, doch sie hatte ihn überwältigt mit ihrer Wärme, ihrer Unschuld, mit der Leidenschaft, die so unerwartet zwischen ihnen entflammt war und jeden vernünftigen Gedanken ausgelöscht hatte.

Jetzt heißt es einen kühlen Kopf bewahren, ermahnte er sich und zwang sich, ebenso praktisch zu denken wie Lotty.

„Damals habe ich von einer Ehe gesprochen“, erklärte er ihr. „Ans Heiraten denke ich noch lange nicht, und dir scheint es damit auch nicht zu eilen. Wieso sollten wir in der Zwischenzeit nicht die Gelegenheit nutzen?“

In ihren Augen flackerte etwas auf, das er nicht identifizieren konnte. War es Erleichterung oder Enttäuschung?

„Da bin ich ganz deiner Meinung. Wir führen eine Beziehung auf Zeit, denn in einigen Wochen muss ich dich verlassen.“