Kapitel 32

A uf dem Gelände des magischen Zirkus war es um diese Uhrzeit ruhig, denn die meisten Darsteller ruhten in ihren Wohnwagen oder Zelten. Das Stroh auf dem Boden knisterte unter Sophias Stiefeln, als sie zur anderen Seite marschierten, wo laut dem netten dreiarmigen Mann, den sie gefragt hatte, die Tiere untergebracht waren.

»Du bist also nicht sauer, dass ich hier bin?«, fragte Wilder an ihrer Seite.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht.«

»Es ist nur so, dass …«

»Wenn wir nicht zusammen auf eine Mission gehen würden, hätten wir keine Möglichkeit, Zeit miteinander zu verbringen«, unterbrach sie ihn, da sie seine Überlegungen durchschaute, bevor er überhaupt die Gelegenheit hatte, sie zu erklären.

Er nickte. »Ja und ich glaube, Hiker versucht immer wieder, mich auf lange Missionen zu schicken, die mich von dir fernhalten.«

Dagegen konnte sie nichts einwenden. Sogar Mama Jamba hatte gesagt, es sei ziemlich durchschaubar. »Ich bin natürlich froh, dass du hier bist. Ich glaube nicht, dass dieser Teil der Mission durch deine Anwesenheit schneller erledigt ist, wie versprochen, aber ich habe dich lieber hier bei mir.«

Er zerrte sie in den Schatten eines kleinen Zeltes und drückte sein Gesicht fast ganz an ihres, ein schiefes Lächeln um den Mund. »Ich bin mir sicher, dass es dadurch sogar länger dauert. Aber ich sehe das eher als Förderung der Arbeitsmoral, als alles andere. Wir haben beide hart gearbeitet.«

Sophia erwiderte das Lächeln und tat so, als würde sie ihren Blick mit einem spielerischen Ausdruck von ihm abwenden. »Ich habe über ein Teambuilding-Event für die ganze Truppe nachgedacht.«

»Lass Mahkah und Evan auf ihre Nebenmission gehen«, meinte Wilder, während seine Lippen nur einen Hauch von ihren entfernt waren. »Ich werde dich nicht mit ihnen teilen. Nicht, wenn ich dich so lange nicht mehr sehen kann.«

Er küsste sie in der beruhigenden Zirkusluft, während die seltsamen Gerüche aus den benachbarten Wohnwagen unbemerkt an ihnen vorbeizogen. Die beiden Drachenreiter nahmen sich einen Moment Zeit für sich selbst, bevor sie ihre Zeit, Energie und ihr Leben wieder dem Planeten widmeten.

Wilder löste sich von ihr, mit Widerwillen in seinen Augen. »Okay, wir müssen also los und Bermuda suchen?«

»Ich fürchte ja.« Sophia trat einen Schritt zur Seite, denn sie wusste, dass sie sich konzentrieren musste. »Ich bin mir sicher, dass wir die Sache schnell, einfach und schmerzlos klären werden.«

Wilder lachte. »Was auch immer du für Drogen nimmst, ich will sie auch.«

Sie lachte. »Ja, jemand hat mir definitiv ein paar Halluzinogene untergejubelt.«

»Hast du etwas von Mama Jambas Schokolade gegessen?«, stichelte Wilder.

»Da ist eher der Wunschtraum Vater des Gedankens«, meinte Sophia, denn sie wusste, dass sie sich verzweifelt wünschte, wieder in Wilders Armen zu liegen, aber nur, wenn es einen Sinn ergab und die Welt nicht um ihre Aufmerksamkeit bettelte. Dann könnte sie es sich erlauben, das zu genießen … und ihn.

Wilder ließ sie mit sichtlichem Widerwillen los – sie fühlte sich genauso – und blieb dicht an Sophias Seite, als sie über das Zirkusgelände schritten. Zirkusartisten in Straßenkleidung blickten zu den beiden Außenseitern, als sie an ihren Wohnwagen vorbeikamen. Aus gutem Grund warfen sie ihnen vorsichtige Blicke zu.

An diesem Tag gab es keine Vorstellung im Zirkus – ein seltener freier Tag für die Artisten und die Crew. Trotzdem wirkte jeder, an dem sie vorbeikamen, als wäre er auf der Hut.

Sophia hatte einmal gehört, dass die Zirkusleute zögerten, Außenstehende in ihre Mitte zu lassen und sie konnte verstehen, warum. Der größte Teil der Welt betrachtete den Zirkus seit jeher als eine Gruppe von Freaks. Die Menschen liebten es, sich von diesen besonderen Menschen unterhalten zu lassen, aber sie machten sich auch gerne über sie lustig, weil sie anders waren.

Die Darsteller und die Crew nahmen das Geld des Publikums, aber tief im Inneren saß eine Skepsis gegenüber den Menschen, die ihnen das Gefühl gaben, Ausgestoßene in der Gesellschaft zu sein.

Sophia schenkte den Männern, die vor ihren Wohnwagen grillten oder den Müttern, die ihre Kinder einfingen, weil sie wie eine Hühnerschar herumliefen, ein höfliches Lächeln. Dennoch hielt sie ihren Blick gesenkt, denn sie wusste, dass sie nicht nur als Außenseiterin, sondern auch wegen ihrer Rüstung, ihres Umhangs und ihres Schwertes sehr eigenartig aussehen musste.

»Bermuda ist also in dem Zelt ganz hinten.« Sophia zeigte auf ein großes blau-grün gestreiftes Zelt. Es war das größte Zelt, in dem die abendlichen Aufführungen stattfanden.

»Dieser Zirkus …« Wilder war in höchster Alarmbereitschaft, als sie an Männern vorbeikamen, die Schulter an Schulter vor einem Wohnwagen standen.

»Er ist voller magischer Kreaturen«, flüsterte sie ihm mit zusammengepressten Lippen zu. »Elfen, Zauberer, Gnome, Feen.«

»Und die Tiere in diesem Zelt, in dem sich Bermuda befindet?«, erkundigte sich Wilder, aber der Tonfall seiner Stimme verriet, dass er die Antwort bereits kannte.

»Sie sind alle magisch und haben besondere Fähigkeiten, nehme ich an«, antwortete sie.

»Cool.« Wilder klang allerdings ganz und gar nicht cool. »Wir werden also einfach zu feuerspeienden Löwen reinmarschieren oder was auch immer?«

Sophia grinste ihn an. »Du hast einen feuerspeienden Drachen und ein Haufen Zirkustiere macht dir Sorgen?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß alles über Drachen und wie ich mich verhalten muss. Ich weiß sehr wenig über diesen Ort, seine Menschen und die vielen Tiere, die wir gleich sehen werden.«

»Nun, du wolltest doch ein Date.« Sophia warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Als Drachenreiter ist eine Vorstellung von einem geheimnisvollen Zirkus, in dem alle auf uns losgehen, genau das Richtige.«

Als er sie anlächelte, leuchteten seine blauen Augen auf und brachten ihr Herz zum Klopfen. »Ich würde es wirklich nicht anders haben wollen oder mit jemand anderem.«