Ich hatte das Gefühl, mein Vater konnte das Wetter ändern.

Für mich war er ein Gott. Ein Auserwählter.

Er hatte diese Eigenschaft, dass man in seine Seele sehen konnte. War er mies gelaunt, war das Wetter draußen mies. Wenn es gewitterte, dann, weil er kurz davor war, zu explodieren. Damals habe ich geglaubt, dass er für ein Unwetter sorgen konnte.

Ihn glücklich machen, ihn zum Lachen bringen – das bedeutete mir alles. Wenn ich wusste, dass er etwas lustig fand, habe ich es so oft wie möglich wiederholt, um alles, aber auch alles aus der Sache rauszuholen. Um ihn zu unterhalten. Wenn wir Graceland verließen, riefen die Fans mit ihrem Südstaatenakzent immer: »Alvis! Alvis!« Einmal habe ich mich über jemanden lustig gemacht, und er fiel vor Lachen fast um. Er fand, das sei das Lustigste, was er je gehört habe.

Ein anderes Mal lag ich in meinem hamburgerförmigen Bett – einem riesigen, mit schwarzem und weißem Pelz bezogenen Bett, zu dem Stufen hinaufführten – und er saß neben mir in einem Sessel und ich sah ihn an und fragte: »Wie viel Geld hast du?« Lachend fiel er vom Sitz. Ich konnte mir nicht erklären, warum das so lustig war.

Ich fühlte mich super verbunden mit ihm. Unsere Nähe war viel größer, als ich es in der Vergangenheit je bei jemandem zugelassen habe.

Er liebte mich innig und war total treusorgend, eintausendprozentig für mich da, so gut er konnte, trotz alldem um ihn herum. Er gab mir so viel von sich, wie er nur konnte, mehr als er irgendjemand anderem geben konnte.

Und doch hatte ich auch Angst vor ihm. Er war intensiv, man wollte nicht, dass er wütend auf einen wurde. Hatte ich ihn mal verärgert oder er war sauer auf mich, fühlte es sich an, als ob alles zu Ende wäre. Damit konnte ich nicht umgehen.

Wenn er sich über mich aufregte, nahm ich das so persönlich, dass ich schlicht am Boden zerstört war. Ich wollte zu allem seine Zustimmung. Einmal habe ich mir das Knie aufgeschlagen, und er sagte: »Verdammt, warum tust du dir denn selbst weh?«

Das machte mich fertig.

Meine Mom war eine Air-Force-Tochter, weil ihr Vater Soldat war. Sie lernte meinen Vater mit vierzehn Jahren kennen und ihre Eltern erlaubten das. Es war eine andere Zeit.

Damals kamen Frauen mit Wehen ins Krankenhaus. Dort wurden sie in eine leichte Narkose versetzt und dann wachten sie mit einem Baby auf. Meine Mom ging also ins Krankenhaus, sah glamourös und schön aus, und als sie wieder zu sich kam, reichte man ihr ein Kind.

Meine Mutter erzählte mir mal, dass sie darüber nachgedacht hatte, sich vom Pferd fallen zu lassen, um eine Fehlgeburt herbeizuführen.

Sie wollte keine Schwangerschaftspfunde. Sie dachte, das würde ihr als Elvis’ Frau nicht gut zu Gesicht stehen. Es waren so viele Frauen hinter ihm her, und alle wunderschön. Sie wollte seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Sie war so erschrocken darüber, schwanger zu sein, dass sie zunächst nur Äpfel und Eier aß und nicht viel zunahm. Ich ging ihr von Anfang an auf die Nerven und hatte immer das Gefühl, dass sie mich nicht wollte.

Ich glaube an vorgeburtliche Energie, also spürte ich vielleicht bereits ihre Vibes, als sie früh versuchte, mich loszuwerden. Schließlich entschied sie sich zwar, mich zu behalten, aber damals hatte sie keine großartigen Muttergefühle.

Wahrscheinlich ist es das, was mit mir nicht stimmt.

Als ich klein war, habe ich meiner Mutter oft beim Schminken zugesehen. In ihrem Badezimmer gab es zwei Waschbecken und dazwischen einen riesigen Frisiertisch. Meine Mutter hatte mehr Make-up, als sich ein kleines Mädchen erträumen konnte – von MAC und Kevyn Aucoin, Schubladen über Schubladen voller Pinsel und Lippenstifte, Lidschatten und die berühmteste Lippenfarbe von MAC: Spice. Sie umrandete ihren Mund – den Amorbogen genannten Lippenschwung, den sie so liebte und den wir alle von ihrem Vater geerbt haben – und schaute dabei in einen kleinen Spiegel auf dem Frisiertisch, und ich fand ihre Lippen einfach perfekt. Für mich war sie die schönste Frau der Welt.

Ich schaute sie an und fragte: »Wie alt bist du?« Es war das erste Mal, dass ich über ihr Alter nachdachte. Sie lachte und sagte: »Ich bin achtundzwanzig.« Wie jung das doch war.

Meine Mutter selbst fühlte sich prinzipiell kaputt, nicht liebenswert, nicht schön. Sie hatte das tiefsitzende Gefühl, wertlos zu sein, aber ich habe nie wirklich herausgefunden, warum. Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, darauf eine Antwort zu finden. Meine Mutter war ein unglaublich komplizierter und äußerst missverstandener Mensch.

Meine Familie hat eine lange Geschichte von Frauen, die früh Mütter wurden – meine Urgroßmutter, meine Großmutter und meine Mutter, sie alle bekamen ihr erstes Kind in jungen Jahren, als sie selbst noch Babys waren.

Als ich heranwuchs, wünschte ich mir, ich hätte die Mutter meiner Mutter und die Mutter meiner Großmutter sein können. Denn ich begann zu erkennen, was all diesen jungen Müttern fehlte.

Mir wurde erzählt, meine Geburt sei gut verlaufen. Mein Vater war sehr nervös, alle waren nervös. Sie hatten viele Generalproben durchgeführt, um den schnellsten Weg zum Krankenhaus zu finden. Sie hatten ein paar Testläufe gemacht und alles war in Ordnung. Und dann fuhr Jerry Schilling, einer der ältesten Freunde meines Vaters, der an diesem Tag am Steuer saß, beinahe ins falsche Krankenhaus.

Einige Zeit später kam ich auf die Welt.

Meine Mom wollte für meinen Dad gut aussehen, also beschloss sie, sich falsche Wimpern anzukleben, bevor er uns besuchen kam. Aber sie war von den Medikamenten immer noch etwas verpeilt und klebte sie an den Spiegel statt an ihre Augenlider.

Später gab es eine Pressekonferenz – meine Mom und mein Dad traten aus dem Krankenhaus, winkten in alle Richtungen und jeder machte Fotos. Die Presse war also von Anfang an dabei, direkt vor der Tür, seit dem Tag meiner Geburt.

Dann brachten sie mich heim nach Graceland.

* *

Graceland wurde 1939 von Tom und Ruth Moore, einem Arzt und seiner Frau, erbaut. Das Grundstück war der Familie von Grace, einer Tante der Ehefrau, geschenkt worden, weshalb sie es nach ihr benannten. Elvis gefiel der Name so gut, dass er ihn behielt, als er 1957 für das große Herrenhaus und die gut fünf Hektar Land 102 000 Dollar bezahlte.

Zu der Zeit war die Gegend noch ländlich geprägt, fünf Meilen südlich von Memphis gab es nichts. Graceland gehörte bis 1969 noch nicht einmal zu der Stadt.

Im Mai 1957 zogen Elvis’ Mutter Gladys, sein Vater Vernon und seine Großmutter Minnie Mae dort ein – Elvis selbst kam etwas später, am 26. Juni 1957 (es musste noch etwas renoviert werden und er war mit Dreharbeiten für den Film Jailhouse Rock beschäftigt). Nach Elvis’ Zeit in der Armee zogen noch weitere Leute ein, darunter Charlie Hodge und Joe Esposito von der sogenannten Memphis-Mafia, Elvis’ Entourage, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in Graceland an seiner Seite waren.

Das Zimmer von Elvis’ Großmutter lag im ersten Stock, aber nachdem Elvis’ Mutter gestorben war, zog Minnie Mae nach unten. Als Priscilla schwanger wurde, richteten sie und Elvis 1967 ein Kinderzimmer im Obergeschoss ein, dort also befand sich das Zimmer meiner Mutter.

Verglichen mit heutigen Anwesen wirkt Graceland nicht sonderlich großzügig – Besucher sind oft erstaunt, wie klein es ist. Doch als Elvis das Gebäude kaufte, war es nicht nur ein Herrenhaus, sondern repräsentierte so viel mehr als die bloße Größe des Gebäudes und des Grundstücks. Bis 1953 hatte die Familie Presley in bescheidenen Verhältnissen gelebt. Graceland stellte die physische Manifestation des unglaublichsten amerikanischen Traums dar, der wahr geworden war. Elvis war ein Kleinstadtjunge einer Kleinstadtfamilie, die in Armut lebte, aber er war größer als groß und auf wundersame Weise zu einer gottähnlichen Figur, dem größten Star des Planeten, geworden. Dennoch blieb er ein Südstaatenjunge, der seiner geliebten Momma einfach so ein großes altes Haus kaufen konnte.

Elvis war entschlossen, sein neues Zuhause zu einem opulenten Heim zu machen, und wenn man aus dem Süden kommt, zieht gleich die ganze Familie mit ein – die Tanten, die Cousinen und Cousins, einfach alle. Wenn man aus Armut stammt, hat man die Pflicht, alle mitzunehmen, und genau das hat Elvis gemacht.

Das Haus ist von einer hohen Steinmauer umgeben, hat die berühmten Tore mit den Noten und ein Wachtor auf der rechten Seite. Fährt man dann den kurvenreichen Weg hinauf, erheben sich vor einem die vier riesigen weißen Säulen am Portal des Hauses, die von zwei Löwenskulpturen bewacht werden.

Es riecht überall nach den Südstaaten, besonders im Sommer mit einer sanften Brise und Glühwürmchen in der Nacht. Wunderschöne Bäume stehen rund um das Haus: Magnolien, Ulmen, Weiden-Eichen, roter Ahorn, Pekan, Schwarzkirsche.

Kommt man durch die Vordertür ins Haus, befindet sich gleich rechts das Wohnzimmer mit seinen ikonischen blauen Buntglas-Pfauen, einem Fernseher und dem Flügel. Eine Treppe im Raum führt hinauf zu den Schlafzimmern von Elvis und meiner Mutter. Auf der linken Seite des Wohnzimmers befindet sich das Esszimmer mit schwarzem Marmorboden und bodenlangen Plüschvorhängen vor den Fenstern. Die Küche ist auf der gleichen Ebene, ebenso wie der berühmte Jungle Room mit flauschigem Teppichboden und Indoor-Wasserfall. Im unteren Stockwerk befindet sich das Billardzimmer mit aufgepolsterter Decke und Wänden. Wie der Jungle Room ein gutes Zimmer, um sich zu verstecken.

Hinter dem Haus befinden sich in Graceland die Pferdeställe, der Racquetball-Platz und neben Vernons Büro eine Schaukel, die mal meiner Mom gehörte.

Als Kinder sind mein Bruder Ben und ich in den Ferien immer nach Graceland gefahren. Am Ende eines jeden Tages, wenn die Besuchertouren endlich vorbei waren, machten wir es uns mit der Familie im Haus gemütlich, aßen groß zu Abend und tobten, sprangen auf den Sofas herum und spielten Billard. Auch wenn Graceland Besuchern offenstand, wenn wir dort waren, war es einfach unser Zuhause. Es ist irgendwie seltsam und unglaublich, die Geschichte der eigenen Familie für immer an dem Ort bewahrt zu sehen, an dem alles geschah.

Als ob all das Leben, das in diesem Haus gelebt wurde – all das Lachen, die Tränen, die Musik, der Herzschmerz, die Liebe –, immer noch und immer wieder gelebt wird, einmal die Treppe hinunter, in diesen vier Wänden.

Dort spüre ich meine Vorfahren.

* *

Offenbar gibt es mindestens sechs Orte auf der Erde – beispielsweise Hawaii und Jerusalem –, die wissenschaftlich belegt eine besonders anziehende Energie haben.

Graceland war auch so ein Ort.

Wenn man dort war, spürte man es. Man fühlte sich gut, wieder aufgeladen. Mein Dad war dort, um aufzutanken.

Das obere Stockwerk von Graceland bestand nur aus seiner Suite und meinem Zimmer, mehr nicht. Die Tür zum Obergeschoss war meist verschlossen, und außer uns beiden kam dort niemand hinein. Schon als Kind wusste ich, dass das etwas ganz Besonderes war – niemand, bis auf vielleicht eine Freundin, hatte solch einen persönlichen Zugang zu ihrem Zimmer.

Oben in Graceland. Nur mein Zimmer und sein Zimmer. Ein Allerheiligstes, um bei ihm zu sein.

Sein Schlafzimmer hatte riesige Doppeltüren aus schwarzem und goldfarbenem Vinyl, die in einen kleinen Flur führten, und gleich um die Ecke war mein Zimmer. Wenn ich hinaufkam, musste ich an seinem Schlafzimmer vorbei, um in meins zu gelangen. Waren die Vinyltüren geschlossen, bedeutete das, dass er schlief. Wenn sie offen waren und ich frech gewesen war, was oft der Fall war, musste ich mich vorbeischleichen. Aber immer, wenn die Türen offen standen, habe ich einen Blick in sein Zimmer geworfen, um zu sehen, was er gerade tat. Er sah entweder fern, unterhielt sich mit irgendwem oder er las.

Auf der anderen Seite des Grundstücks stand ein Haus, das mein Dad für meinen Großvater gekauft hatte. Mein Dad war ein Nachtmensch, und ab und zu weckte er mich auf, setzte mich in ein Golfcart und fuhr mit mir dorthin, um Vernon zu besuchen, dem das nie wirklich gelegen kam. Dann hielten wir uns dort ein oder zwei Stunden auf und fuhren zurück zum Haus.

Wenn Vernon da war, durfte ich mir nicht viel rausnehmen. Für mich war er eine eher autoritäre Figur. Ich stand ihm nicht nahe. Ich ging ihm tunlichst aus dem Weg. Ich wünschte, ich hätte eine andere Beziehung zu meinem Großvater gehabt. Wenn möglich, habe ich mich vor ihm versteckt.

Die nächtlichen Fahrten zu Vernon waren in Wirklichkeit bloß ein bisschen Zeit, die mein Dad mit mir allein verbringen wollte.

Mein Dad war sehr südstaatlerisch.

Niemand sagt »goddamn« wie ein Südstaatler, nämlich auf die richtige Art, mit richtigem Soul und der richtigen Betonung. Wenn es richtig ausgesprochen wird, ist es lustig. Ich habe das immer so gehört. Mein Vater und alle seine Jungs sprachen es auf dieselbe Weise aus.

Ich wollte in eine Tierhandlung, und eines Abends machte Dad Schluss mit der Arbeit und fuhr mich dorthin, zusammen mit seiner Entourage. Wir alle durften uns ein Haustier aussuchen. Ich entschied mich für einen lustigen, kleinen weißen Hund und mein Dad für einen Zwergspitz namens Edmund. Kurz danach, ich war in meinem Zimmer und man brachte Dad gerade und wie jeden Tag sein Frühstück ans Bett, hörte ich ein lautes »GODDAMN!«. Ich rannte zu ihm rüber und er meinte: »Dieser verdammte Hund hat gerade meinen Bacon gestohlen!« Edmund war auf sein Bett gesprungen, hatte sich ein Stück Speck stibitzt und war damit nach unten gerannt. Er war so verdammt sauer auf den Hund. Daraufhin wurde Edmund der Hund meiner Tante Delta.

Manchmal saß ich in meinem Zimmer und schaute Fernsehen, da hörte ich »GODDAMN IT!« und lief durch den Flur zu seinem Zimmer, um herauszufinden, was los war.

»GODDAMN IT, ich kann nicht niesen – ich muss niesen, aber ich kann nicht!«, sagte er und dann konnte er endlich niesen, daran erinnere ich mich noch.

In meinem Zimmer gab es zwei Schränke voller Stofftiere und eines Tages dachte ich, ich hätte darin etwas gesehen – vielleicht eine Maus oder eine Ratte oder so etwas –, und ich bekam es mit der Angst zu tun. Also bin ich losgerannt und habe meinen Dad geholt.

»Daddy, da ist was in meinem Zimmer!«

Mein Vater schnappte sich seinen Gummiknüppel und einen Spazierstock, ging in mein Zimmer und schloss hinter sich die Tür. Dann hörte ich bloß noch Geräusche von Schlägen und Hieben und wie mein Dad schrie: »Goddamn son of a bitch!« Er schlug auf die Plüschtiere ein und versuchte, dieses Ding zu treffen, was zur Hölle es auch war, aber es rannte immer wieder vor ihm davon. Schließlich tötete er es, aber niemand brachte es weg, und ich erinnere mich, dass es danach einen Monat lang in meinem Zimmer schlecht roch.

Ein anderes Mal, als ich in meinem Zimmer war, ertönte ein weiteres »Goddamn son of a bitch!«. Diesmal von der Vorderseite des Hauses. Dann ein lauter Schuss.

Ich rannte die Treppe hinunter und fand meinen Dad unter einem Baum in einem Liegestuhl sitzend. Eine Schlange war an dem Baum hinuntergeglitten und wollte ihn in den Fuß beißen, also hat er sie erschossen.

Er hat allen anderen Angst eingejagt. Niemand lachte, wenn er einen verärgerten Eindruck machte. Aber ich kannte ihn, deshalb fand ich das lustig. Er hatte einfach eine witzige Art von Wut an sich. Sodass ich ihn sogar noch mehr geliebt habe.

Ich hatte einmal schreckliche Ohrenschmerzen und mein Dad brachte mich in den frühen Morgenstunden zu Dr. Cantor. Vor lauter Schmerzen schrie ich wie am Spieß. Dr. Cantor nahm irgendein Gerät, um meine Ohren durchzuspülen, oder was auch immer er tat, und ich brüllte so laut, dass mein Vater es nicht mehr aushielt und den Raum verließ. Er wollte mich nicht allein lassen, aber er konnte auch nicht ertragen, was da vor sich ging. Er lehnte im Flur an der Wand und war kalkweiß im Gesicht. Nachdem Dr. Cantor meine Ohren behandelt und gereinigt hatte, hob mich mein Dad in seine Arme und trug mich hinaus.

Später mussten meine Mandeln entfernt werden. Auch da war mein Dad im Krankenhaus dabei. Ich erinnere mich, dass man mir Eiscreme zu essen gab – worüber sich natürlich kein Kind beschwert –, aber es tat weh, überhaupt irgendetwas zu essen, sodass ich jedes Mal beim Schlucken das Gesicht verzog. Dad saß neben meinem Bett und wartete nur darauf, dass ich schluckte, und dann fing er an zu lachen.

Er fand die Grimasse so lustig.

* *

Ihr Vater nannte sie Yisa. Er ersetzte alle Ls durch Ys, wenn er mit meiner Mutter sprach.

Als ich gestern meine Tochter Tupelo in den Schlaf wiegte, erwischte ich mich selbst dabei, wie ich sie »yitty-bitty« nannte, und sang ihr »Momma’s little baby loves shortnin’, shortnin’« vor, dann hielt ich inne und dachte: Dieses Lied habe ich nicht mehr gehört, seit ich ein kleines Kind war. Und in dem Augenblick wurde mir klar, dass all diese Sätze, die ich benutze, und das, was ich zu meiner Tochter sage, genau so sind, wie meine Mutter mit mir sprach. Sie hatte das von ihrem Dad übernommen. Aus den Südstaaten. Und all das ist in mir lebendig. Ich kann sie sagen hören: »Los, goddamn it, gib mir den Zucker!« Sie bemuttert meine Tochter durch mich.

Immer, wenn ich in den Süden fahre und den Memphis-Akzent höre, spüre ich eine Sehnsucht, eine Nostalgie nach etwas, das ich nie wirklich erlebt habe. Ich habe nie in Memphis gelebt. Aber etwas in mir hat dort gelebt.

Sobald die Tore geschlossen waren, war Graceland wie eine eigene Stadt, mit eigenem Rechtssystem. Mein Dad war der Polizeichef und jede Person hatte ihren Rang. Es gab ein paar Gesetze und Regeln, aber meistens nicht.

Das war Freiheit.

Mein Dad schenkte mir ein eigenes Golfcart. Es war hellblau und auf der Seite stand mein Name – eine Riesensache für mich.

Es gab viele dieser Carts. Meine Freundinnen und ich haben damit den Rasen aufgerissen, sind frontal zusammengestoßen oder haben versucht, sie zu »enthaupten«, indem wir gegen einen dicken Ast eines Baums gefahren sind. Den lieben langen Tag ein echtes demolition derby. Ich fuhr mit voller Geschwindigkeit durch einen Zaun und am nächsten Morgen sah es so aus, als wäre nichts passiert – der Zaun war wieder komplett repariert.

Hinterm Haus, auf der anderen Seite des Rasens, gab es einen Schuppen. Mein Dad machte dort Schießübungen mit seinen Gewehren und Pistolen, aber irgendwann wurde darin aus irgendeinem Grund Feuerwerk gelagert. Dad und seine Freunde schossen mit den Böllern aufeinander. Eines Tages zündete Dad einen Böller oben auf einer ganzen Schachtel davon an und alle explodierten gleichzeitig. Der ganze Schuppen ging in Flammen auf. Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass dabei niemand umgekommen ist. Keine Ahnung, wie wir unbeschadet davongekommen sind, das weiß ich wirklich nicht. Vielleicht hat ein göttliches Wesen über uns gewacht, über das Anwesen, diesen Energiestrudel.

Im Untergeschoss gab es einen Raum mit stoffbespannten Wänden und einem Billardtisch sowie ein Gästezimmer, das für egal welchen Herumtreiber der Memphis-Mafia reserviert war. Charlie Hodge übernachtete dort. David Stanley ebenfalls. Dieser Bereich des Hauses besaß seinen ganz eigenen Energiestrudel. Dort gab es Zigaretten ohne Ende, unanständige Magazine, unanständige Spielkarten, unanständige Bücher. Ich war ganz versessen auf diese unanständigen Magazine.

Einmal warf mein Dad eine Stinkbombe die Treppe hinunter in dieses Zimmer und verriegelte dann die Tür, damit niemand herauskommen konnte. Was auch immer er gemacht hat, ich folgte seinem Beispiel. Ich habe mit meinen Freunden dort Billard gespielt, und dann haben wir das Licht ausgemacht, uns mit Billardkugeln beworfen und uns im Stockdunkeln mit Billardstöcken verprügelt. Oder wir spielten Verstecken. In diesem Zimmer war die Jagdsaison immer eröffnet. Das Land des großen Blödsinns.

Ich bin mit dem Golfcart Leuten über die Füße gefahren und habe mich aus dem Staub gemacht. Eines Tages raste ich mit dem Wagen durch den Garten, und jemand meinte zu mir, ich solle damit aufhören, und ich sagte: »Ich werde meinem Vater von Ihnen erzählen, sobald er aufwacht.« Ein anderes Mal meinte jemand, dass ich irgendetwas nicht dürfte, während ich auch wieder in dem Golfcart saß, und ich antwortete: »Ich werde meinem Vater sagen, dass Ihre Frau …« Ich wünschte, ich könnte mich erinnern, was ich damals sagte, dass seine Frau getan haben soll.

Ich war schon wild.

Joe Esposito war einer der wenigen Menschen in Graceland, die streng mit mir waren und mir nichts durchgehen ließen. Er hatte keine Angst vor meinem Dad und er hatte keine Angst vor mir. Er gehörte schlicht zu denen, die immer die Wahrheit aussprachen. Er sagte: »Der Rasen geht davon kaputt«, oder: »Hör auf, die Pferde und Pfauen mit dem Golfcart zu jagen!«

In Graceland gab es vier Köchinnen – zwei für den Tag und zwei für die Nacht –, um jederzeit jedem etwas zu essen zu machen. Und es gab ständig Leute zu bewirten – das Haus war immer voll und in der Küche herrschte reges Treiben –, also wurde ständig gekocht, und es duftete immer nach dem Alten Süden. Denn es gab Brathähnchen, Pommes frites, ausgebackene Hushpuppies mit Coleslaw und Grünzeug.

Eines Tages bat ich um einen Schokoladenkuchen und eine der Köchinnen sagte: »Nein, dein Vater ist krank, den kann er nicht essen«, und ich antwortete: »Ich sage meinem Daddy, dass du gefeuert bist.«

Da war ich vier.

* *

Wenn wir in Graceland waren, kochten viele Jahre lang Elvis’ ehemalige Köchinnen für uns. Meine Mom ließ sie immer alles kochen, was sie liebte, alles, was sie als Kind mit ihrem Dad gegessen hatte: Brathähnchen und Catfish, Hushpuppies mit grünem Chili, Bananenpudding. Wenn wir dorthin kamen, hielt das Personal immer unsere Golfcarts bereit und nach dem Dinner gingen wir raus und verwüsteten den Rasen – fast nie fuhren wir auf den Wegen.

Das war Familientradition.

Einmal kam Billy Idol zu Besuch und meine Mom war vollkommen begeistert deswegen. Sie war ein für die 1980er-Jahre typischer Hair-Metal-Fan, also waren Billy Idol, Guns N’ Roses und Pat Benatar ihre Teenager-Helden. Sie und Billy waren irgendwo auf dem Gelände unterwegs, aber plötzlich kam meine Mom atemlos ins Haus gestürmt.

»Ich habe gerade aus Versehen Billy Idol aus meinem Golfcart geschleudert«, sagte sie und lachte hysterisch.

* *

Da mein Dad den ganzen Tag schlief, wollte ich mich aus dem Staub machen. Zusammen mit zwei Freundinnen – es könnten Joe Espositos Töchter gewesen sein, aber auch meine Freundin Laura oder meine Cousine Deana. Ich wünschte, ich wüsste es noch.

Ich saß in einem niedlichen kleinen Outfit in meinem Golfcart, ganz vorne an der Kante des Sitzes, damit ich die Pedale erreichen konnte. Ich war im hinteren Teil von Graceland unterwegs und fuhr in Richtung der Trailer, in denen ein paar Familienmitglieder wohnten, als mich jemand anhielt.

»Er ist wach und will dich sehen.«

Verdammt, es ist erst zwei oder drei Uhr nachmittags, wieso ist er schon wach? Alles Mögliche, das ich je getan hatte, schoss mir durch den Kopf.

Was hat er entdeckt? Irgendjemand hat ihm etwas erzählt. Ich bringe denjenigen, der mich verraten hat, um.

»Wir stecken in großen Schwierigkeiten«, sagte ich zu meinen Freundinnen. »Ich weiß noch nicht, worum es geht, aber er will mich sofort sehen und das ist ein Problem.«

Ich fing an zu weinen, als ich zum Haus ging, und meine Freundinnen weinten gleich mit.

Wir gingen nach oben. Mein Vater saß auf seinem Bett an seinem üblichen Platz. Er saß immer an der gleichen Stelle, lehnte sich mit dem Rücken an eines der Kissen mit Armstützen und wippte mit dem Bein oder nickte mit dem Kopf. Er wiegte sich immer hin und her.

Er sagte, wir sollten uns setzen, und dann zog er wie aus dem Nichts drei kleine Schachteln hervor. Eine für mich, eine für meine eine Freundin und eine für meine andere Freundin.

Ich öffnete meine. Darin war ein wunderschöner Ring, besetzt mit einer Blume aus Diamanten. Wir alle drei bekamen einen Ring – die eine Freundin einen mit Smaragden, die andere einen mit Rubinen.

Das war so schön, aber ich fühlte mich sehr schuldbewusst. Mein schlechtes Gewissen war groß. Er hatte nur gewollt, dass wir mit ihm Zeit verbringen und reden.

Zwanzig Minuten bevor mein Dad in Las Vegas auf die Bühne gehen sollte, sagte meine Mom zu ihm: »Ich verlasse dich«, und er musste trotzdem raus und auftreten.

Ich war vier, als sie sich trennten. Aber ich blieb meinem Vater sehr nah. Ich wusste, wie sehr er mich vergötterte, wie sehr er mich liebte. Ich wusste, dass er wusste, dass ich es hasste, hasste, hasste, mich von ihm zu trennen. Ich hasste, hasste, hasste es, in das neue Haus meiner Mutter in Los Angeles zu ziehen. Ich verabscheute es. Er kaufte dort ebenfalls ein Haus, um näher bei mir zu sein.

Als ich in L.A. war, rief er rund um die Uhr an, um mit mir zu sprechen oder um bloß telefonisch eine Nachricht zu hinterlassen. Ich hatte zu der Zeit Klavierunterricht und er wollte mithören, also legte meine Mom den Hörer aufs Klavier, damit er mich spielen hören konnte.

Ich tat immer alles, was er wollte. Singen. Tanzen. Er wollte schon immer, dass ich singe. Ich fand es nicht so toll, aber ich wusste, dass es ihn glücklich machte, also habe ich gesungen. Er wollte, dass ich Greensleeves auf dem Klavier lerne, also habe ich das gemacht. Er hätte sagen können: »Hack dir beide Füße ab!«, und ich hätte es getan.

Nur um ihn glücklich zu machen.

Mein Dad und seine Mutter Gladys standen sich sehr nahe. Aber sie liebte ihn so sehr, dass sie sich aus Sorge um ihn zu Tode trank. Sie konnte es einfach nicht ertragen, dass er in der Armee und im Ausland stationiert war – er war in Deutschland –, und darum starb sie. Und zurück blieb mein Dad mit seinen Dämonen, selbstzerstörerischen Dämonen, und er lebte diese Gefühle aus.

Auch ich habe all das in mir, das betäubt werden will, und mache es verflucht genauso wie er.

Meine Urgroßmutter Minnie Mae wurde Dodger genannt, denn warf man ihr einen Football oder irgendetwas anderes zu, sprang sie zur Seite. Dodger war alt und saß immer in einem Schaukelstuhl vor dem Fernseher, mit einer Schnupftabakpfeife in der Hand. Sie kam vielleicht ein- oder zweimal am Tag aus ihrem Zimmer im Erdgeschoss heraus.

Mein Dad schenkte mir ein kleines Pferd, ein Pony. Ich glaube, nicht zu einem besonderen Anlass. Er hat mich darauf durch Graceland geführt, auch durchs Haus. Alle regten sich auf, machten einen Aufstand, und Dodger rief: »Was zum Teufel ist da los?«, und genau in dem Moment blieb das Pony stehen und beschloss, sich direkt vor Dodgers Zimmertür zu erleichtern. Es war ziemlich selten, dass sie aus ihrem Schaukelstuhl aufstand, aber sie war dazu imstande, und das machte sie ausgerechnet jetzt, um herauszufinden, was im Flur los war. Mein Dad geriet in Panik.

»Wir müssen raus hier, oh mein Gott!«, sagte er. »Und schnell saubermachen, bevor sie kommt!«

Was dann folgte, war eine irrsinnige Hektik, um die Pferdeäpfel und das Pony aus dem Haus zu schaffen. So schnell Dad konnte, führte er mich in einem Bogen zur Hintertür, und wir stahlen uns hinaus, bevor Dodger uns entdeckte.

Dodger hatte eine Tochter, Delta Mae Biggs, meine Tante Delta. Sie kümmerte sich um Dodger, aber auch Delta war Alkoholikerin und hatte Diabetes, also wusste man nie, was sie tat. Sie hatte ein schrecklich loses Mundwerk und war sehr lautstark bei allem. Sie hatte nicht viel Gutes zu sagen, aber sie war sehr, sehr lustig.

Tante Delta übernahm eine Weile die Verantwortung für mich, aber sie konnte mich nicht kontrollieren. So sehr sie sich bemühte, mir zu sagen, was ich durfte und was nicht, ich hörte nicht auf sie. Sie sagte dazu nur: »Yeah, du kleines Miststück«, und gab auf.

Tante Delta hat immer gesagt, dass meine Cousine Patsy meine Ersatzmutter war.

Eines Tages stritten sich meine Tante Delta und Patsy in der Küche und Delta zog ein Messer.

»Ich schneide dir die Eingeweide raus«, sagte sie.

Patsy konterte: »Na denn, goddamn, komm her und tu’s doch«, aber Delta hatte das nicht wirklich vor. So redeten sie einfach miteinander.

Mein Vater hatte Delta seinen Zwergspitz Edmund geschenkt. Er war wie ihr Wachhund, wurde ihr Beschützer. Wenn man auch nur in die Nähe ihres Zimmers kam, fing der Hund an zu bellen, zu knurren, drehte durch. Man konnte hören, wie sie ihn hinter der Tür ausschimpfte und ihm befahl, still zu sein. Sie zog ihren Bademantel über und ging mehrmals am Tag mit ihm raus, wobei sie ihn sich unter den rechten Arm geklemmt hatte. Später, als die Führungen für Besucher kamen, lief sie immer noch im Bademantel mit Edmund durch das Haus, stieß mit den Gästen zusammen und rief: »Was glotzt ihr denn so, ihr sons o’ bitches«, zeigte ihnen wüst den Mittelfinger und fluchte weiter, während sie den Hund nach draußen brachte. Einmal fragte ein Tourist: »Sind Sie nicht Tante Delta?«, und Delta antwortete: »Oh zur Hölle nein, die ist gestorben.«

Delta wusste, wie sehr ich Elton John liebte. Zu einem Weihnachtsfest schenkte sie mir ein paar seiner Platten. Mein Dad schaute zu, wie ich das Geschenk öffnete, sagte: »Wie nett«, und ging durch die Schwingtür vom Esszimmer in die Küche. Später fand ich heraus, dass er in der Küche zu Tante Delta sagte: »Warum hast du ihr diese Platten geschenkt? Wer zum Teufel ist der Mistkerl, den sie da hören will?«

»Sie mag ihn«, sagte Delta.

Kurz darauf, vor einer seiner Shows, traf mein Dad Elton hinter der Bühne. Er musste unbedingt denjenigen kennenlernen, dessen Platten ich hörte. Sehr viel später haben Elton und ich immer wieder darüber geschmunzelt.

Ein Jahr nach dem Weihnachtsfest, an meinem neunten Geburtstag, lernte ich Elton endlich kennen. Meine Mutter arrangierte, dass ich ihn zu Hause besuchen durfte. Er zeigte mir seine Klamotten, seinen Kleiderschrank, seine Stiefel. Er war sehr nett.

Wir haben Tee getrunken.

War eine Autoritätsperson in meiner Nähe, neigte ich dazu, mich instinktiv dagegen aufzulehnen und von diesem Menschen weg zu wollen. Mein Großvater Vernon war so eine Person. Er sagte immer, ich solle nicht so lange aufbleiben, ich solle nicht den ganzen Tag und die ganze Nacht Kekse essen. Ich meine, er hatte recht, aber das war mir egal. Ich mochte es nicht, wenn mir jemand sagte, was ich zu tun hatte.

Wenn ich in Memphis war, bin ich in Graceland gegen zwei Uhr mittags aufgewacht und habe alle zusammengetrommelt, damit wir spielen konnten. Ich hatte dort Freunde, die bei meinen Großeltern wohnten, oder Cousins und Cousinen, die auf dem hinteren Grundstück in Wohnwagen lebten. Ich verlangte Pommes frites oder Maisbrei zum Frühstück, holte mein Golfcart, und dann legten wir los mit dem Tag.

Es gab Zeiten, in denen ich drei Tage am Stück Pommes frites gegessen oder zehn Tage lang nicht gebadet habe.

Irgendwann wachte mein Vater auf, und dann kam der Anruf, dass ich nach oben gehen sollte, weil er mich sehen wollte. Diesen Anruf habe ich immer geliebt. Ich bin dann hoch zu ihm in sein Zimmer und habe mit ihm rumgehangen. Er verließ das Zimmer nicht sehr oft. Es waren so viele Leute da oben und es war so viel los, dass nie Langeweile aufkam. Ich saß einfach bei ihm, und er redete mit mir und fragte mich, was ich machte, während er auf einen seiner siebzehn Fernseher schaute oder Platten hörte. Manchmal kam er aber auch herunter und ging mit uns aus – er reservierte das ganze Kino in der Stadt und ging mit allen in einen James-Bond-Film oder in Der rosarote Panther.

Mein Dad mochte es, Spaß zu haben, und er liebte es, wenn alle anderen mit ihm zusammen Spaß hatten, und er liebte es zu lachen. So gesehen war er sehr gesellig: Er tat das nicht, um eine Entourage zu haben, die ihm folgte. Er war großzügig, weil er wollte, dass alle anderen den Spaß genossen.

Er war immer auf meiner Seite. Ich war mit einem der Mädchen aus der Nachbarschaft befreundet und verbrachte die Nacht bei ihr zu Hause. Als ich am nächsten Morgen das Haus verließ, erkannte mich ihre Nachbarin, eine ältere Frau, die im Bademantel den Rasen wässerte, und fing an, mich zu beschimpfen und über meinen Dad zu lästern: »Er denkt wohl, er sei der King von allem!« Ich hatte noch nie zuvor gehört, dass jemand so schlecht über ihn redete, und das machte mir echt was aus. Als ich nach Hause kam, erzählte ich meinem Vater, was passiert war, und er fragte: »Wo wohnt sie?« Ich sagte es ihm, und er meinte: »Lass uns gehen.« Wir fuhren zu dem Haus, und er stieg aus und ging auf die Frau zu, voll rausgeputzt in einem seiner Outfits. Ich sah, wie sie sich ein paar Minuten lang unterhielten, und am Ende bat sie ihn, eine Platte für sie zu signieren, und sie schossen ein Foto, auf dem beide lächelten.

Diese Art von Vater war er.

In Graceland war tagsüber echt viel los, da aber schlief mein Dad für gewöhnlich. Doch nachts war für ihn alles friedlich – die Leute ließen ihn in Ruhe. Abends, wenn die Vinyltüren offen standen, verbrachte ich Zeit mit ihm, aber irgendwann wurde ich müde und legte mich ins Bett. Niemand musste mir das sagen. Er wollte mit mir zusammen sein und mich um sich haben, also musste er mir nicht allzu oft sagen, dass ich ins Bett gehen soll.

Allerdings konnte das Zusammensein mit ihm eine zweischneidige Sache sein, denn wenn ich gerade irgendetwas teuflisch Gutes machte, wollte ich nicht damit aufhören.

Ich hatte eine Freundin – die Nichte seiner Freundin Ginger Alden –, die immer ein bisschen Unruhe stiftete. Sie war älter als ich, vielleicht elf, und sie hatte ein Motorrad. Das ist Freiheit, dachte ich, ich will auch eins.

Aber ich bekam den Eindruck, dass mein Dad mich nicht auf so etwas sehen wollte. Eines Tages, als er schlief, setzte mich Gingers Nichte hinten auf das Bike. Wir rasten über eine Grasfläche in Graceland, wo quer eine Wäscheleine gespannt war. Gingers Nichte sah sie nicht, fuhr hinein, die Leine erwischte sie am Hals und riss uns beide nach hinten. Das Motorrad fiel auf meine Wade und der Auspuff verbrannte heftig mein Bein.

An dem Abend versuchte ich, mich an seinem Zimmer vorbeizuschleichen, damit ich eine lange Hose statt der Shorts anziehen konnte, um die Brandwunde zu verbergen. Ich hatte es fast geschafft, ich war ein Bein davon entfernt, in Sicherheit zu sein, aber er erwischte mich. Er rief mich zu sich.

»Was ist das?«, fragte er.

Ich konnte ihn nicht anlügen.

»Eine Verbrennung. Das Bike ist mir auf das Bein gefallen …«

Mein Dad war ganz ruhig und gelassen, aber ich spürte, er war sehr wütend auf mich.

»Gib mir deine Hand«, sagte er und schlug darauf.

Ich dachte, mein Leben sei zu Ende. Ich hatte ihn verärgert, weil ich mich selbst verletzt hatte. Das war das Letzte, was er wollte. Das hatte nichts mit Kontrolle zu tun – er wollte nur nicht, dass ich mir bei dummen Sachen weh tat.

Wenig später ging ich zu Bett. Mitten in der Nacht wachte ich auf und sah ihn neben meinem Bett stehen. Er hielt ein Stofftier, einen Basset, und tat so, als würde der Hund singen, obwohl er es war, der Can’t Help Falling in Love für mich sang.

Take my hand, take my whole life, too,

For I can’t help, falling in love with you.

Als er mit dem Song fertig war, umarmte mich mein Dad und sagte, es täte ihm leid.

* *

Im Obergeschoss von Graceland ist noch alles so, wie Elvis es hinterlassen hat – man spürt wirklich seine Gegenwart.

Manchmal schliefen wir alle in seinem Bett. Meine Mom liebte es, im Bett ihres Dads zu sein – dann fühlte sie sich ihm nahe, und auch wir spürten diese Nähe. Aber weil Elvis’ Schlafzimmer nicht zur Besuchertour gehört und keine Gäste dort hinauf dürfen, saßen wir, wenn wir lange geschlafen und die Führungen bereits begonnen hatten, bis zum späten Nachmittag in seinem Zimmer fest. Wir ließen uns von Mitarbeitern Essen bringen – normalerweise von McDonald’s – und hingen dort den ganzen Tag herum.

Gefangen in Elvis’ Schlafzimmer.

Der Haartrockner meiner Großmutter stand da oben immer noch herum, also hockten wir uns darunter und taten so, als wären wir in einem Friseursalon. Auf einer Tafel an der Wand war ein Gedicht zu lesen, bei dem es mir immer das Herz brach. Es heißt Why God Made Little Girls:

God made the world with its towering trees

Majestic mountains and restless seas

Then paused, and said, »It needs one more thing,

Someone to laugh and dance and sing

To walk in the woods and gather flowers,

To commune with nature in the quiet hours.«

So God made little girls,

With laughing eyes and bouncing curls,

With joyful hearts and infectious smiles

Enchanting ways and feminine wiles

And when He’d completed the task He’d begun,

He was pleased and proud of the job He’d done

For the world when seen through a little girl’s eyes

Greatly resembles Paradise.

Während wir darauf warteten, dass die Führungen zu Ende gingen, schaute meine Mom gern die Bücher ihres Dads an, um ihn besser zu verstehen. Er war eindeutig auf der Suche gewesen nach einem tieferen Verständnis der Welt – die meisten Bücher waren spirituell oder Selbsthilfe-Titel wie Verstehe, wer du bist oder Die heilige Wissenschaft der Zahlen oder Wie man glücklich wird und Der Prophet von Khalil Gibran und sogar Sei jetzt hier von Ram Dass – wahrhaft Menschliches. Es gab auch eine Menge Bibeln. Elvis unterstrich manche Sätze und schrieb zum Beispiel »AMEN!« an den Rand.

Wenn man die Unterstreichungen und die spirituelle Suche betrachtete, gewann man einen Eindruck von dem fundamentalen Gefühl der Gebrochenheit, das meine Mom mit ihm gemeinsam hatte. Er war auf der Suche nach etwas, um sich selbst in Ordnung zu bringen, auf der Suche nach einem tieferen Sinn, etwas, das sie damals in ihrem eigenen Leben suchte.

Also saßen wir häufig dort oben, und meine Mom ging Zeile für Zeile durch und las wirklich alles, was er unterstrichen hatte, zeigte es uns. Sie griff nach jedem Strohhalm. Dann klopfte die Security an die Tür, brachte uns Sausage Gravy und Biscuits und wir aßen.

In diesem Schlafzimmer kann man ihn immer noch spüren. Sein Spirit hat sich dort unauslöschlich eingeprägt.

Ich erinnerte mich vage an ein Gespräch, das wir in diesem Zimmer über eine Textpassage führten, die Elvis unterstrichen hatte. Ich wollte jemanden anrufen, der mir beim Erinnern helfen würde, aber dann wurde mir klar, dass es niemanden mehr gibt, den ich anrufen könnte.

* *

Sie waren immer vor dem Haus, die Fans, sie saßen auf der Mauer oder in den Bäumen beim Carport. Neben dem Anwesen gab es ein Wäldchen und eine Kirche. Ein paar waren wie Stalker und setzten sich irgendwo an der Seite auf die Mauer oder in einen Baum hinter der Grundstücksgrenze, und da saßen sie den ganzen Tag und die ganze Nacht nur so rum und beobachteten alles. Es gab bestimmte Beobachter, die scheinbar ein Monopol auf einen bestimmten Baum hatten – sie hockten schlicht da, um zuzugucken, wie mein Vater aus dem Haus kam und ins Auto stieg. Wir konnten nicht wirklich etwas tun, denn das Gelände nebenan gehörte der Kirche. Mir war es verboten, in das Waldstück zu gehen. Mein Dad hat es nicht erlaubt. Das kam überhaupt nicht infrage.

Ich durfte zwar nicht, aber ich bin mit meinem Golfcart ganz schnell und ganz nah an den Fans vorbeigefahren und habe ihnen Schimpfworte entgegengerufen. »Fuck you! Fucker!« Sie saßen einfach bloß da, lächelten und winkten.

Manchmal sprang ein Fan über den Zaun und dann gab es eine Art Fahndungsaufruf. Unsere Security suchte mich: »Geh ins Haus, sonst kann dich jemand umbringen!«

Sobald sie die Person festgenommen hatten, durfte ich wieder herauskommen. Vor dem Haupteingangstor waren immer sehr viele Leute, zu jeder Tageszeit, sogar mitten in der Nacht. Übrigens, das ist noch immer so.

Ich habe noch nie niemand vor den Toren von Graceland gesehen, noch nie.

Damals warteten sie darauf, einen Blick auf Dad zu erhaschen, der herein- oder herauskam, oder auf mich oder auf irgendwen – wer eben auch immer im Haus war.

Irgendwann hatte ich eine großartige Idee. Die Fans draußen wollten immer, dass ich ihre Kamera nehme und ein Foto von meinem Dad mache.

»Gebt mir zwanzig Dollar, und ich mache ein Foto von ihm«, sagte ich zu den Superfans am Zaun. Natürlich gaben sie mir die zwanzig Dollar, daraufhin ging ich ins Haus und machte ein Foto vom Boden. Ich gab die Kamera zurück und sagte: »Hier drauf ist ein Bild von der Tür und dem Boden.« Ich begann, das regelmäßig so zu machen.

Einmal habe ich die Kamera eines Fans mitgenommen, aber mir wurde langweilig und ich hatte keine Lust zu fotografieren, also habe ich sie einfach in die Büsche geworfen. Ich fühlte mich deshalb schrecklich, allerdings habe ich das mehrmals getan. Mein Onkel Vester, der für die Security am Eingangstor zuständig war, kam ins Arbeitszimmer und sagte: »Lisa hat schon wieder jemandem die Kamera weggenommen, sollen wir versuchen, sie zu finden?«

Jahre später kam jemand auf mich zu und sagte: »Du hast meine Kamera genommen, als ich am Eingangstor war, und bist nie wiedergekommen!« Ich antwortete: »Oh Gott, das tut mir sehr leid.«

Ich war Eloise – Weihnachten im Plaza Hotel.

Ich bin nicht stolz darauf.

* *

Zum Gedenken an Elvis’ Tod fand alljährlich das Candlelight Vigil, eine Kerzenmahnwache, statt, an der Tausende von Menschen aus der ganzen Welt teilnahmen, und auch wir fuhren wie jedes Jahr nach Graceland.

In dem betreffenden Jahr muss ich ungefähr zwanzig gewesen sein, und ich bekam mit, wie ein älterer Fan, eine Frau, die eindeutig Elvis’ Generation angehörte, meine Mom umarmte. Diese Frau war jedes Jahr da, also kannte ich sie schon, doch diesmal schaute ich genau hin. Ich wurde mir Moms Körpersprache auf eine andere Art bewusst, ich schätze, weil ich mittlerweile etwas älter war. Und wie sich meine Mutter in die Arme dieser Frau ergab, brach mir das Herz. In dem Moment wurde mir klar, dass Mom nach Eltern suchte.

* *

Graceland bedeutete immer Chaos. Meinem Dad war langweilig, nur über das Anwesen zu fahren, also sagte er manchmal zu mir: »Steig in den Golfcart«, und mit acht, neun, zehn Carts hinter uns führte er den Konvoi an, vom Eingangstor auf den Elvis Presley Boulevard und weiter die Straße hinunter. Die Leute unterwegs riefen und schrien uns aus ihren Autos entgegen.

Dad bekam ein neues Motorrad mit einem kleinen Seitenwagen rechts, und er war ganz begeistert davon. Er zeigte auf den Seitenwagen, sah mich an und sagte: »Steig ein.« Wir flogen durch das Eingangstor, durch die Wohnviertel hinter Graceland und dann zurück nach Hause.

Er war ein sicherer Fahrer, aber ich hatte Angst.

Zu seinen Konzerten zu gehen, war mir das Liebste der Welt.

Ich war so stolz auf ihn. Er nahm mich an der Hand und führte mich auf die Bühne, dann wurde er zu seinem Platz auf der Bühne geleitet und ich von jemandem dorthin gebracht, wo ich im Publikum sitzen sollte. Normalerweise neben Vernon.

Das Elektrisierende dieser Shows. Nichts, was ich je gefühlt habe, kommt dem auch nur nahe, nicht einmal annähernd. Elektrisierend ist ein so abgedroschener Begriff, aber so hat es sich wirklich angefühlt. Ich liebte es, bei seinen Auftritten zuzusehen. Bestimmte Songs mochte ich besonders – Hurt, How Great Thou Art. Ich habe ihn immer gebeten, diese Songs für mich zu singen, und er hat immer Ja gesagt.

Es gefiel mir aber nicht, wenn man mich ins Rampenlicht rückte oder mich bat, vor allen Leuten aufzustehen. Während seines Engagements in Las Vegas stellte er einmal Vernon vor, schaute dann zu mir, und ich weiß noch, dass ich dachte: Oh Gott, oh Gott, bitte nicht. »Lisa, steh bitte auf!« Das hieß nicht, dass ich nicht stolz auf ihn war oder ihn nicht geliebt hätte. Ich mochte einfach das Rampenlicht auf ihm, liebte es auf ihm. Mir war das nicht einfach so von Natur aus gegeben. Im Gegenteil, ich verabscheute es absolut.

Aber in anderer, weniger öffentlicher Form hat es mir gefallen, mich mit ihm in seinem Ruhm zu sonnen.

In Los Angeles ging ich in die John Thomas Dye School, in den Hügeln von Bel Air. Ich fahre immer noch manchmal dort vorbei, um mich an den Tag zu erinnern, an dem mein Vater zu einem Elterngespräch kam. Ich wusste, er wollte kommen, und ich konnte es kaum erwarten. Auch die Nervosität und Aufregung der Lehrer war zu spüren. Meine kleinen Schulfreundinnen waren so aufgeregt, dass ich noch aufgeregter wurde – alle rannten wie aufgescheucht herum.

Dann tauchte mein Dad auf. Er stieg aus dem Auto aus und trug ein grundsolides Outfit – eine schwarze Hose und eine Art weites Hemd –, aber er trug auch einen großen, stattlichen Gürtel mit Schnallen und Edelsteinen und Ketten sowie eine Sonnenbrille. Er rauchte Zigarre. Ich begrüßte ihn am Auto, ging mit ihm auf die Schule zu, und ich erinnere mich noch genau an das Gefühl, neben ihm zu gehen und seine Hand zu halten.

* *

Manchmal, wenn ich mir Videos von Elvis-Auftritten anschaue, denke ich, hätte er nicht genau das getan, was er genau zu diesem Zeitpunkt getan hat – wenn er nicht in das richtige Gebäude gegangen wäre, nicht den richtigen Song aufgenommen hätte, nicht so getanzt hätte, wie er es vor der richtigen Person tat –, hätte es keinen Elvis Presley gegeben. Wahrscheinlich hätte er irgendwo in Mississippi gelebt.

In dieser Version meines Lebens hätte ich nicht mal einen Highschoolabschluss, darum kann ich mir nicht einmal vorstellen, wo ich in diesem Leben heute stehen würde. Mein Urgroßvater war Lastwagenfahrer, vielleicht hätten wir diese Tradition fortgeführt. Vielleicht hätten wir in Tupelo Möbel hergestellt.

Mit Sicherheit wäre meine Mom im Gefängnis gelandet.

* *

Wenn ich bei meiner Mutter in Kalifornien war, hatte ich eine Nanny namens Yuki Koshimata. Yuki war Japanerin, die sich wirklich sehr gut um mich kümmerte. Sie war immer für mich da und schrieb mir sogar noch bis zu ihrem Todestag. Jedes Jahr zu Weihnachten und zu jedem Geburtstag bekam ich eine Karte von ihr, auch nachdem ich schon geheiratet und Kinder bekommen hatte.

Jedes Mal, wenn wir Yuki am Wochenende oder wenn sie frei hatte, bei ihr absetzten, schrie ich. Ich erinnere mich, dass ich im Auto saß, als meine Mutter von Yukis Haus wegfuhr, und ich schrie mir die Lunge aus dem Leib, weil sie aus dem Blickfeld verschwand.

Ich habe sehr an ihr gehangen.

Graceland zu verlassen und vom Memphis International Airport zurück nach Los Angeles zu fliegen, war für mich jedes Mal ein echtes emotionales Trauma. Sobald ich aber in Memphis aus dem Auto stieg, verwandelte ich mich vollständig. Ich wollte nie wieder weg. Ich liebte alles daran. Ich liebte das Wetter, ich liebte die Gewitter, ich liebte die Kälte, das Gezwitscher der Vögel, die Glühwürmchen. Ich liebte die Menschen, ich liebte die Gerüche. Einer meiner liebsten Erinnerungsschnappschüsse – ich war vielleicht sieben oder acht Jahre alt – ist, wie ich in Memphis aus dem Flugzeug steige, nach unten schaue und Schnee sehe.

Und dann gab es die Zeiten, da war ich in Los Angeles in der Schule und sah ein schwarzes Auto vorfahren, und dann kam jemand ins Klassenzimmer, um mich abzuholen, und zwar, um Dad zu besuchen. Sie setzten mich in ein Flugzeug und dann flog ich dorthin, wo auch immer er gerade war. Gewöhnlich passierte das aus einer Laune heraus – er sagte zu jemandem: »Hol sie«, und dann wurde ich dahin gebracht, wo er war.

Ich wartete darauf, dass dieses Auto auftauchte – es war immer ein schwarzer Wagen, normalerweise ein Mercedes oder eine andere Limousine. Sobald dieses Auto kam, hatte ich das Gefühl, dass mein Leben das beste Leben überhaupt war.

Manchmal flog er mit mir zurück. Und er landete das verfluchte Flugzeug auch noch selbst. Gegen Ende des Fluges setzte er sich auf den Co-Pilotensitz, was alle nervös machte, und verkündete: »Ladies and Gentlemen, bitte schnallen Sie sich an, Elvis wird das Flugzeug landen.«

Ich dachte: Äh, kann ich bitte hier raus?, und ich schnallte mich so fest an, wie es nur ging, und dann weiß ich noch, wie alle applaudierten, als wir landeten, weil wir es überlebt hatten.

Wir waren am Leben.

Ich sollte zurück nach L.A., weil die Schule losging.

»Bitte, frag Mommy, ob sie mich bleiben lässt«, flehte ich meinen Dad an.

»Ich rufe sie an und frage«, sagte er und bat mich, in meinem Zimmer zu warten. Ich erinnere mich, dass ich vor seiner Tür auf und ab ging, auf dem Teppichboden mit den langen Zotteln. Irgendwann kam er heraus und umarmte mich. Ich hörte ihn keuchend atmen. Er weinte.

»Du kannst nicht bleiben«, sagte er, »sie will, dass du nach Hause kommst.«

Mein Dad sprach nie schlecht über meine Mom. Er wollte nicht, dass ich negativ über sie dachte. Im Nachhinein betrachtet, haben sie das wirklich fantastisch hingekriegt, eine geschlossene Front und eine echte Freundschaft aufrechterhalten zu haben. Zwischen ihnen herrschte trotz allem viel Liebe, und für mich zeigten sie sich verbunden. Damit hatte ich großes Glück.

Dad wollte sie also nicht schlecht dastehen lassen, aber er war sehr, sehr traurig. Er riss sich zusammen und sagte: »Weißt du, deine Momma hat recht. Du musst zurück, weil die Schule losgeht und sie dich darauf vorbereiten muss. Ich will nicht, dass du fortgehst, das weißt du, aber deine Momma hat recht, so ist es das Richtige.«

Dieses keuchende Geräusch habe ich nie vergessen, er weinte und versuchte, es mich nicht merken zu lassen. Es zeigte, wie sehr er mich liebte.

Aber ich war nicht gerade verrückt nach meinem Lebensplan. In der Schule bekam ich mal ein Buch über Japan in die Hände – alles war dort so schön, die Architektur, die Teiche, und ich weiß noch, dass ich mir wünschte, dort leben zu können. Nicht, dass ich undankbar war, aber ich war einsam in L.A. Ich war nicht allein, aber ich war sehr einsam. Ich hatte nicht viele Freunde. Also starrte ich auf das Buch und wollte am liebsten irgendwie in diesen Bildern leben. So weit weg. Eine andere Welt, ein anderer Ort, eine andere Zeit.

Das Einzige, was mich rettete, war die Musik. Ich hatte einen kleinen 45er-Plattenspieler, und Musik war das, was mich träumen ließ. Ich spielte Neil Diamond, später Linda Ronstadt, und meinen Dad. Ich saß mitten in meinem Zimmer auf dem Fußboden mit dem Plattenspieler vor mir.

Das Gerät und mein Snoopy-Stofftier waren meine imaginären Freunde. Snoopy bedeutete mir alles. Ich liebte ihn so sehr, dass seine Nase abfiel, und ich nähte sie wieder an. Ich hatte ganze Outfits für ihn, für jeden Tag etwas anderes. Er begleitete mich überallhin. Er war mein bester Freund. Ich nahm ihn mit in die Schule, weil ich vor der Schule Angst hatte, und ich musste ihn dann in meinem Spind lassen, was mir überhaupt nicht gefiel.

Aber es fiel mir leichter, in der Schule zu sein, wenn ich wusste, dass er auch dort war.

Das intensive Wesen meines Dads konnte man immer spüren.

Solange diese Intensität positiv war, war sie unglaublich; war sie negativ, musste man verdammt aufpassen. Abstand halten. Er besaß diese Anziehungskraft. Um was auch immer es ging, immer tausend Prozent. Und wenn er wütend war, rannten alle weg, duckten sich und gingen in Deckung.

Einmal, ich glaube während einer seiner Tourneen, waren wir in Tahoe. Für ihn und seine Entourage war immer das gesamte oberste Stockwerk des Hotels gebucht, in dem er abstieg. An dem betreffenden Abend war er nach dem Auftritt zurück in seinem Zimmer und sehr, sehr wütend, fluchte und brüllte herum. Jemand meinte zu mir, ich sollte mich in der Suite hinter einen Stuhl stellen und nicht rühren. Alle versuchten, sich hinter irgendetwas zu verstecken, um ihm verdammt noch mal nicht in die Quere zu kommen. Also versteckte auch ich mich und sah zu, wie er haufenweise irgendwelche Sachen nahm und sie vom Balkon warf. Es war, als hätte er seine Flughöhe erreicht, und er flog so lange, bis er die Nase voll davon hatte, Sachen von diesem Balkon zu werfen.

Schließlich beruhigte er sich, und irgendjemand sagte zu mir: »Ist okay, du kannst jetzt wieder rauskommen, er will dich sehen.«

Ich dachte: Er will mich sehen?

Ich fragte: »Warum war er so wütend?«

»Tja«, antwortete jemand, »es war kein Wasser mehr für ihn da.«

Also schnappte ich mir vier Flaschen Wasser und ging in sein Zimmer.

»Irgendwer meinte, du hast kein Wasser mehr«, sagte ich, und er winkte mich zu sich, damit ich ihn umarmte.

Er war ein respektvoller Mensch, trotz allem – er war nicht unhöflich zu den Leuten, er war kein zorniger Mensch, das war nicht sein Ding. Manche leben voll und ganz von der Zerstörung, andere kaufen sich ein paar Immobilien und laufen eine Weile wütend herum. Mein Dad machte nur kurze Abstecher.

Manchmal ging mein Dad mit mir in einen Vergnügungspark in Memphis, der Libertyland hieß und der dann nur für mich und die ganze Entourage und deren Familien und Freundeskreise geöffnet war. Dad und ich fuhren Achterbahn. Ich liebte das.

Einer dieser zornigen Abstecher meines Dads fand statt, als wir nach Libertyland wollten. Ich hatte alle meine Freundinnen dazu eingeladen, aber als ich am Abend davor nach oben ging, hörte ich den falschen Tonfall – diesen baritonalen Klang, die falsche Intensität. Ich ging in mein Zimmer und hörte dann laute, krachende Geräusche. Er brüllte jemanden wie verrückt an. Ich hörte, wie er sagte, dass wir am nächsten Tag nicht nach Libertyland fahren würden. Ich war am Boden zerstört.

Später erfuhr ich, dass ihm wieder irgendetwas ausgegangen war und er diese Sache brauchte, bevor wir losfahren konnten – entweder war es so, oder man wollte ihm irgendetwas Bestimmtes nicht geben. Also ging er an die Decke und rief etwa zehn verschiedene Ärzte und Krankenschwestern an, bis er jemanden fand, der ihm aus der Klemme half. Sobald ihm die Krankenschwester oder der Arzt verabreicht hatten, was auch immer er brauchte, ging es ihm gut. Und wir fuhren nach Libertyland.

Ich erinnere mich, dass ich an diesem Tag neben ihm in der Achterbahn saß – die Zippin Pippin –, ein Auge nach vorne gerichtet und das andere auf seine Pistole im Holster auf meiner Seite. Ja, das klingt schrecklich, wenn man ihn nicht kannte oder wusste, wie er war. Man könnte meinen, er sei verrückt gewesen, weil er eine Waffe trug, während er neben seiner Tochter saß, aber er stammte eben aus den Südstaaten. Es war einfach echt lustig.

So sind wir also Achterbahn gefahren und gefahren.

Das war ungefähr eine Woche, bevor er starb.