2014: Es ist nicht vorbei

Ebendrum: Bis heute können sich viele Palästinenser, viele Araber in Israels Nachbarstaaten und manche Menschen in der Islamischen und woanders in der Welt nicht damit abfinden, dass es Israel gibt. Immer wieder kam und kommt es zu großen und kleinen Kriegen, zu Terror und Tod gegen Juden und Israel.

Noch lange Zeit nach Hitlers Tod lebten ehemalige Nazis in Ägypten und Syrien und halfen bei Kriegen und Kriegsvorbereitungen gegen Israel. Auch deutsche Raketenbauer taten das: Zur Hitler-Zeit bauten sie Raketen für Nazi-Deutschland, danach bauten sie für Ägypten Raketen gegen die Israelis. Trotzdem gibt es kaum ein lebenslustigeres Völkchen als die Israelis, vor allem die aus Tel Aviv.

Den Hass auf die Juden und auf Israel gibt es auch heute noch. Das erlebte Ima Thea 2014, mit über neunzig Jahren:

In einem West-Berliner Gartenlokal sitzt Ima Thea zufällig neben einer Gruppe nett aussehender Palästinenser. Sie kommen ins Gespräch. Das Gesprächsklima ist ausgesprochen angenehm. Alle haben gute Laune, alle sind fröhlich und alle essen Rühreier mit Schinken. Eigentlich dürfen weder Juden noch Muslime wie jene Palästinenser Schweinefleisch essen, aber Thea und diese Palästinenser sind nicht verbiestert. Der liebe Gott, den die Muslime »Allah« nennen, denken sie zu Recht, ist kein Buchhalter. Er liebt uns, auch wenn wir Schinken essen, denn Gottesliebe hängt nicht davon ab, ob wir Schinken essen oder nicht.

»Und Sie leben hier in Berlin?«, fragt Machmud, einer der Palästinenser

»Ja, inzwischen wieder«, antwortet Thea. »Mein Mann, mein Sohn und ich, wir haben längere Zeit in Israel gelebt. Dann sind wir hierhin gezogen.«

»Das haben Sie gut und richtig gemacht. Alle Juden sollten raus aus Israel. Israel ist nämlich auf dem Boden Palästinas entstanden. Diesen Boden haben uns die Juden geraubt, um Israel zu gründen.«

Thea antwortete: »Aber die Juden stammen aus Israel und haben auch ein Recht auf ein eigenes Land. Außerdem haben die Palästinenser den Krieg gegen Israel begonnen und ver­loren. Mindestens ein Teil des Landes gehört also uns.«

Die vorher so netten Palästinenser wurden wortkarg. »Hm, jetzt müssen wir weiterziehen. Zu einer Demo auf dem Kurfürstendamm. ›Freiheit für Palästina‹. Hier, sehen Sie, das ist eines unserer Spruchbänder.«

Thea las: »Israel = Räuber = Nazi.«

Auf den Mund gefallen war meine Ima Thea nie: »Sie vergessen in Ihrem Übereifer, dass der damalige Palästinenserführer, Amin al-Husseini, ein Verbündeter des Räubers Hitler war. Beide wollten die Juden vernichten. Ihr Führer war also Nazifreund und -partner. Israel, Juden und Nazis, das ist wie Feuer und Wasser.«

Am Abend sah Ima Thea in den Fernsehnachrichten einen Bericht über die »Demo«, zu der die Palästinenser gegangen waren: unzählige Spruchbänder, zum Teil mit Davidsternen und Hakenkreuzen. Da, ja, genau, da waren auch die netten Palästinenser vom Gartenlokal! Neben ihnen marschierten erkennbar recht viele Deutsche. Was da gebrüllt wurde, verstand Thea nicht, denn sie war schon alt und hörte schlecht.

Demonstranten auf einer Kundgebung gegen Israel, Berlin 2016

Doch plötzlich hörte – und verstand – sie etwas, das sie ganz bestimmt nicht hören wollte. Sie konnte es nicht glauben, sie wollte es nicht glauben. Wie bitte? Was wurde da auf der gegen Israel gerichteten Demo gebrüllt?

»Juden raus aus Palästina! Tod den Juden! Juden ins Gas.«

Entsetzt rief sie mich an. »Da habe ich mich bestimmt verhört«, berichtete Ima Thea mir aufgeregt.

»Nein, Ima, hast du nicht. Ich habe dieselben Bilder gesehen und dieselben Sprechchöre gehört.«

»Aber die Juden ermorden? Das klingt ja wie damals. Juden ins Gas, also wie unter Hitler Juden durch Gas ermorden. Wie in der KZ-Hölle von Auschwitz.«

Ima Thea wurde es schummrig vor ihren Augen. In ihrem Kopf drehte sich alles, als säße sie in einem Karussell. Doch in ihrem Kopfkarussell waren keine netten Pferdchen oder Autos zu sehen, sondern die Grobiane der SA, die sie mit zehn Jahren in Bamberg und später in der Kristallnacht in Berlin gesehen hatte. Thea fragte sich: »Bin ich 92 Jahre alt oder bin ich zehn und gehe mit Vati in die Bamberger Synagoge? Oder bin ich 16 Jahre alt und gehe aufs Jüdische Gymnasium in Berlin? Brennen wieder Synagogen, wie in der Kristallnacht?«

 

Allmählich kam Ima Thea zu sich. Sie wusste wieder, wo sie war, aber sie verstand nicht, wie »so etwas« in Deutschland »wieder möglich« sein konnte. Oft haben deutsche Politiker verkündet: »Wir danken den Juden, die wieder zu uns nach Deutschland kamen. Wir tun alles, damit sie sicher sind und sich bei uns wieder wohlfühlen.« Wie waren solche Sprüche dann möglich?

»Wie können wir uns in Deutschland sicher fühlen, wenn auch nur ein Ein­ziger straffrei ›Juden raus‹ oder, noch schlimmer, ›Tötet die Juden‹ oder ›Juden ins Gas!‹ brüllen darf?«, fragte Ima Thea mich.

»Aber Ima, du weißt doch, dass nur sehr, sehr wenige Deutsche die Juden raushaben wollen. Die meisten Deutschen sagen: ›Nie wieder!‹«

Auch mit 92 Jahren war Thea nicht auf den Mund gefallen: »Ja, die meisten sagen und rufen ›Nie wieder!‹ Aber da ist es wieder auf deutschen Straßen, das ›Juden raus!‹«

Thea Wolffsohn mit 92 Jahren in ihrer Wohnung in Berlin