29

Binnen zwei Tagen musste Orla zugeben, dass sie den Kampf verlor. Langeweile, angeheizt durch quengelnde Kinder, wurde zu einer stärkeren Kraft als Angst.

Den ersten Tag verbrachten sie in Shaws Atelier, anstelle eines Gedenkgottesdienstes. Sowohl Eleanor Queen als auch Tycho versuchten, die Gitarren zu spielen. Durch ihr zaghaftes Anschlagen klangen die Saiten gedämpft und geisterhaft. Orla sah sich Shaws fertige Gemälde und die Skizzen an, die er für zukünftige Arbeiten angefertigt hatte. Sie sah alles mit anderen Augen: Ein menschliches Element hatte sich in seiner Flora und Fauna manifestiert, weil er sich bewusst war, dass da draußen etwas war, das auf seine fremde Art versuchte, mit ihm in Verbindung zu treten. Aber Shaws Wesen, sein Können, war ebenso präsent. Vielleicht zwang ihn sein Bemühen, das Gehörte zum Schweigen zu bringen, dazu, sich noch mehr auf seine eigenen Ideen zu konzentrieren. Es gab so viele Ebenen, Details an überraschenden Stellen: ein einzelnes Blatt, das bei näherer Betrachtung wie ein Meerestier aussah; ein Gewirr von Büschen, in dem sich ein Nest von Kindern verbarg.

Früher hatte es ihr Angst gemacht, aber jetzt las sie die Geheimnisse ihres Mannes. Aus seinem Herzen sprachen Mitgefühl und Fürsorge, der Wunsch, einen sicheren Ort für jede verlorene und verängstigte Seele zu finden. Orla wünschte, oh, wie sehr sie sich wünschte, dass sie das früher gesehen hätte. Nicht nur das, was ihn bedrückte, sondern auch die Brillanz seiner Arbeit. Im Nachhinein betrachtet war ihr Lob hohl gewesen. Er hatte mehr verdient. Sie sehnte sich danach, ihn mit … allem zu überhäufen. Wie war es möglich, dass sie ihm nie wieder ein besonderes Essen kochen, ihm beim Duschen die Farbe vom Kinn schrubben oder mit ihm Liebe machen würde – die Art von Liebe, die er verdiente, bei der sie sich der Kraft und Macht ihrer Vereinigung hingab? Darauf hatten sie hingearbeitet, das Ungezwungene wiederzuerlangen, das sie gehabt hatten, bevor die Zeit mit den besonderen Farben ihrer frühen Tage davongezogen war. Jetzt verstand sie: Auf diese Weise wurde eine Ehe beige, grau.

Shaw war hierhergekommen, um all die Farben zurückzugewinnen, die sie verloren hatten. Und egal was er sonst noch an diesem Ort gespürt hatte, er hatte sein Talent gefunden.

Er hatte sich selbst gefunden. Und alles verloren.

Sie wandte ihren Kindern den Rücken zu, während sie auf seinen Gitarren klimperten, und weinte leise.

Sie verbrachten einige Zeit damit, Shaws alte Tagebücher mit Gedichten durchzusehen. Tycho gefielen besonders die albernen Kritzeleien, die ins Leere liefen oder lustige Reime ergaben. An der Art, wie ihre Tochter die Seiten berührte, erkannte Orla, dass sie mehr als nur die Zeilen las; sie nahm die Handschrift ihres Vaters auf. Manchmal hatte Shaw kleine Notizen für sie in ihrer Lunchbox hinterlassen. Bevor die Stimmung morbid werden konnte, schlug Orla einen Snack vor und sie flüchteten in die Küche.

Putzen wurde zu einer spaßigen Aktivität … für ein paar Minuten. Das Versteckspiel wurde ihnen langweilig. Orla brachte ihnen ein paar Tanzschritte bei, und das brachte Spaß … für eine Stunde.

Verzweifelt suchte Orla nach einer neuen Beschäftigung und dachte sich eine Schatzsuche aus. Sie begann, sich mehr Gedanken über den alten Mann zu machen, der hier gelebt hatte und gestorben war. Hatte er etwas gespürt? Als der Immobilienmakler ihnen erzählt hatte, dass er in dem Haus gestorben war, hatten sie angenommen, dass der Grund Altersschwäche gewesen war, aber was, wenn er sich, wie sie es jetzt taten, aus Angst eingeschlossen hatte? Könnte er verhungert sein? Sie hoffte, dass er einen Hinweis hinterlassen hatte.

Bei den Werkzeugen und Büchern, die sie im Keller gefunden hatten, waren auch ein paar fest mit Tape verklebte Kartons gewesen. Sie trug sie nach oben, schnitt das Klebeband durch und gab den Kindern die Aufgabe, in den Papieren nach Schätzen zu suchen. Während sie damit beschäftigt waren, holte Orla die alten Bücher aus ihrem Zimmer herunter, darunter auch das Heimatkundebuch mit dem neugierig machenden, aber nicht sehr aussagekräftigen Foto, und sah alles noch einmal durch. Vielleicht hatte der alte Mann gerade diese Bücher gesammelt, weil jedes ein Teil des Puzzles enthielt?

Eleanor Queen machte ordentliche Stapel aus den Fotos, die sie ausgegraben hatte, aber Tycho jammerte über die langweiligen Kisten voller Nichts. In den Büchern konnte Orla nichts finden; einige waren in einem schrecklichen Zustand, die Seiten durch Schimmelbefall verklumpt, und andere handelten von frustrierend irrelevanten Dingen. Soweit Orla es beurteilen konnte, war der Mann entweder Versicherungsfachmann gewesen oder Anwalt mit einer Leidenschaft für Pilze und Vögel. Später, wenn die Kinder schliefen, wollte sie die Schränke und das Badezimmer im Obergeschoss durchsuchen; vielleicht würde sie ein verstecktes Fach finden, einen Ort, an dem jemand, der den Verstand verlor, seine fürchterlichsten Geheimnisse versteckte.

Einige Minuten lang kauerten sie zusammen und betrachteten den Stapel alter Fotos von Eleanor Queen. Orla konnte keine Hinweise entdecken, obwohl es eine Reihe von verblichenen Farbfotos und Schwarz-Weiß-Fotos gab, die Teile des riesigen Nadelbaums zeigten, der das Grundstück überragte.

»Sieh nur, wie puschelig die Äste waren«, sagte Eleanor Queen.

Tatsächlich war der Baum früher viel gesünder gewesen, mit zahlreichen, dicken Ästen. Beim Betrachten der Autos auf der Wiese schätzte Orla, dass die Fotos aus den 80er- und 90er-Jahren stammten. Sie verstaute alles wieder in den Kartons und legte sie beiseite. Noch etwas, das sie später genauer unter die Lupe nehmen würde, falls sie etwas übersehen hatte, aber die Kinder waren zu ungeduldig, um sich lange mit einer Tätigkeit aufzuhalten.

Beim Abendessen gab es dann richtiges Gemurre; niemand mochte Orlas fades, sorgfältig rationiertes Essen. Da es keine Unterhaltung per Satellitenschüssel gab, stritten sich die Kinder darüber, welche ihrer DVDs sie sich ansehen sollten. Sie waren ihrer Spiele überdrüssig. Eleanor Queen fand keinen Trost in ihren Büchern. Am nächsten Morgen waren sich die Kinder einig und bettelten darum, draußen spielen zu dürfen. Das Wetter machte Orla das Leben noch schwerer, weil es sich gut benahm: gemäßigte Temperaturen, klarer Himmel, eine frische Schicht Pulverschnee; eine verlockende Landschaft wie eine Bäckerei mit wunderschön glasierten Köstlichkeiten. Aber sie wusste, dass es immer noch gefährlich war und nur so tat, als wäre es brav. »Nein« wurde ihre Antwort auf jede Frage.

Orla, die immer noch auf der Suche nach mehr Informationen war, setzte sich in den hässlichen, aber bequemen Stuhl, den sie vor die Tür gezerrt hatte, um die Kinder an der Flucht zu hindern, und las das gesamte Kapitel im Geschichtsbuch von Saranac Lake Village, in dem sie das Bild des Kurhäuschens gefunden hatten, in der Hoffnung, ein Detail zu finden, das ihr entgangen war. Das Buch war ein Ärgernis, so vielversprechend mit seinem ersten Hinweis, aber es enthüllte nichts Weiteres, das an ihrer Gegend speziell wäre, oder irgendetwas, das erklären könnte, was geschah. Wenn Shaw nur in der Lage gewesen wäre, online mehr zu recherchieren.

Sie ignorierte die Kinder, als sie sich zankten, und hatte auch nichts dagegen, als sie beschlossen, ein Wettrennen durch den Flur im Obergeschoss zu veranstalten. Während ihre Füße über sie hinwegdonnerten, wandte sich Orla wieder dem Foto des Häuschens und der Frauen zu, die dort einst gewohnt hatten. Sie nahm jeden Zentimeter unter die Lupe und fühlte sich wie eine Detektivin, die ein Tatortfoto untersuchte. Könnten diese Frauen, oder andere wie sie, Teil dessen sein, was ihr Land heimsuchte (und ihr Leben ruinierte)?

Sie sahen so sterblich aus, so zerbrechlich, dass es schwer war, sie in eine hypothetische Zukunft zu versetzen, in der sie eine Familie terrorisierten. Sie wusste nicht, nach welcher Art von Hinweisen sie suchte, und außer der Traurigkeit in den blassen Gesichtern stach nichts hervor. Hatten sie geglaubt, dieser Ort würde sie heilen? Oder wussten sie, dass sie hierhergeschickt worden waren, um zu sterben? Vor allem eine, die Jüngste der Gruppe, wirkte zu ausgemergelt für ihre Kleidung. Als Orla genauer hinsah, erkannte sie, dass der Arm, der die schmale Taille des Mädchens umschloss, vielleicht keine Geste der Freundlichkeit war, sondern eine Notwendigkeit aufgrund des geschwächten Zustands des Mädchens.

Inspiriert von den Eindrücken, die sich ihr aufdrängten, sprang Orla hoch und eilte in Shaws Atelier. Sie fand sein Vergrößerungsglas in der obersten Schublade seines Schreibtisches und kehrte zu ihrem Sessel und dem Buch zurück. Der Baum war auch ohne Vergrößerung mit Sicherheit der Baum hinter ihrem Haus.

»Mama, können wir die Treppe runterrutschen?«

»Nein.«

»Können wir Kekse backen?«

»Nein.«

Von oben hörte sie die Kinder grummeln, und innerhalb von Sekunden waren sie wieder mit Rennen beschäftigt. Orla ließ sie gewähren, obwohl ihr der Lärm auf die Nerven ging; vielleicht würde es sie ermüden und sie würden alle besser schlafen.

Sie ließ das Vergrößerungsglas über die Menschen gleiten und nahm die Details ihrer Kleidung wahr. Den selbstgefälligen Gesichtsausdruck des Mannes. Den Rauch, der aus dem Felsstein-Schornstein kam. Sie hatte es vorher nicht bemerkt, aber die Zweige der Laubbäume waren kahl; es war später im Jahr, als sie bisher gedacht hatte. Wenn sie sich ein Heilklima für Tuberkulosepatienten vorstellte, dachte Orla automatisch an Frühling oder Sommer, an Sonnenschein und wärmeres Wetter. Aber vielleicht blieben die Patientinnen das ganze Jahr über. Oder vielleicht kamen sie nach dem ersten Frost, wenn weniger Allergene in der Luft lagen?

Plötzlich war das Bild voll von Kleinigkeiten, die sie bisher nicht bemerkt hatte. An der Eingangstür hing ein Kranz. Die Leute, die für das Foto posierten, trugen keine Mäntel, aber konnte es schon Dezember sein? Einige der Frauen trugen Halsketten mit kleinen Anhängern, die unter dem Vergrößerungsglas zu Kreuzen wurden. Das dünne Mädchen – das kränkste – hielt etwas in der Hand, eine Kette, aber das Ding, das daran baumelte, hatte die falsche Form, um ein Kreuz zu sein. Das Bild verschwamm, als Orla die Lupe näher heranführte.

Mit ihrem Finger als Lesezeichen umklammerte sie das Buch und sprintete in den zweiten Stock hinauf.

»Ich habe gewonnen!«, rief Tycho außer Atem, als Orla den Korridor erreichte.

»Kann ich mir dein Mikroskop ausleihen?«, fragte sie ihre Tochter.

Hocherfreut, etwas Neues zu tun zu haben, stürmte Eleanor Queen in ihr Zimmer, ihr kleiner Bruder dicht auf ihren Fersen. Sie setzten sich alle auf den Boden vor dem Bett, während Eleanor Queen ihr Juniormikroskop aufbaute.

»Was sehen wir uns an?«, fragte sie.

»Ich muss dieses Bild sehen. Hier.« Orla öffnete das Buch und zeigte auf den Gegenstand in der Hand des Mädchens. »Kannst du das ganz nahe heranholen?«

»Klar.«

»Darf ich auch sehen?«, fragte Tycho.

»Nach Mama«, sagte Orla und hielt das Buch flach, während ihre Tochter das Bild scharf stellte. Plötzlich war sie sich sicher, dass dies von großer Bedeutung war, und wurde unruhig, als Eleanor Queen an den Knöpfen herumfummelte. »Kannst du es erkennen?«

»Es ist eine Halskette. Glaube ich.«

»Spürst du … Das wurde hier in der Nähe aufgenommen. Ich habe dir davon erzählt; dein Papa hat einen Schornstein gefunden, und wir haben dieses Buch gefunden. Es gab ein Kurhäuschen auf unserem Land, einen Ort, an den sie Leute schickten, Frauen, die Tuberkulose hatten.«

»Was ist Tubenkollose?«, fragte Tycho.

»Es ist eine Lungenkrankheit, die das Atmen schwer macht.« Sie beobachtete Eleanor Queen und war neugierig, ob ihr außer dem Bild noch etwas dazu einfiel.

Eleanor Queen schob das Buch unter ihrem Mikroskop hervor und brachte das Bild ganz nahe an ihr Gesicht.

»Ich will es auch sehen!«, kreischte Tycho.

»Gleich; es ist wichtig.« Orla wandte sich wieder an ihre Tochter. »Irgendetwas? Ein Gefühl, dass daran etwas vertraut ist?«

»Vielleicht … Nur ganz schwach … Ich bin mir nicht sicher, Mama. Aber vielleicht.«

»Kannst du erkennen, was an der Kette hängt?«

Eleanor Queen schob das Buch zurück unter das Objektiv. »Ich sehe nicht …«

»Lass mich. Bitte.« Eleanor Queen reagierte auf die Dringlichkeit in der Stimme ihrer Mutter, rückte beiseite und ließ Orla durch das Okular sehen. Sie stellte den Fokus ein, bis das Bild klar war.

Sie atmete scharf ein. Sie hatte recht gehabt: Es war kein Kreuz, wie es die anderen Frauen trugen.

»Was ist es, Mama?«, fragte ihre Tochter, deren Neugierde geweckt war.

»Ein Stern. In einem Kreis. Das nennt man ein Pentagramm.«

»Hat das etwas zu bedeuten?«

»Vielleicht.«

Etwas Uraltes und Unsichtbares berührte sie zwischen den Schultern und sie erschauerte.

Orlas Gebete, dass die Kinder ruhig schlafen würden, blieben ungehört. Tycho lag schreiend und tobend auf der Couch, statt sich die Zähne zu putzen. Und obwohl er dann darauf bestand, in seinem eigenen Bett zu schlafen, rannte er alle 15 Minuten heraus, um etwas zu verlangen: ein Glas Wasser. Die Wiederbeschaffung eines vermissten Spielzeugs. Einen weiteren Besuch auf dem Töpfchen. Eine Geschichte. Ein weiteres Gebet für Papa. Endlich schlief er dann ein, mit Tränen auf den Wangen.

Eleanor Queen hatte keinen Wutanfall, aber sie wollte auch nicht ins Bett gehen. Stattdessen blieb sie über ihre Schlafenszeit hinaus auf und sah sich einen Film an. Orla saß bei ihr auf dem Sofa und hielt immer noch das Geschichtsbuch in der Hand. Manchmal blätterte sie darin, aber sie war zu abgelenkt, um zu lesen, und obwohl sie sich Notizen machen wollte – ihre spärlichen Erinnerungen an Heidentum oder Druidentum oder Wicca aufschreiben –, war das einzige Wort, das sie notierte, Natur. Sie war sich fast sicher, dass die Natur für alle drei zentral war, wie vielleicht auch für das Pentagramm. Sie zeichnete einen Stern in einen Kreis. Wieder und wieder. Seitdem sie den Gegenstand in der Hand des toten Mädchens identifiziert hatte – und es war sicherlich schon lange tot –, verspürte Orla ein neues Unbehagen. Ein Hauch von Paranoia schwebte durch den Raum, ein Frösteln, das der Temperatur auf dem Thermostat trotzte, und sie glaubte fast, die hauchdünne Erscheinung des Mädchens von dem Foto zu sehen.

Auf dem oberen Stockwerk hustete Tycho. Bisher hatten sie Glück gehabt, dass die Kinder bei alledem gesund geblieben waren. Aber dem schleimigen Husten nach zu urteilen, könnte sich dieses Glück bald ändern. Als der Hustenanfall nachließ, musste Orla an das Mädchen denken, das sich buchstäblich zu Tode gehustet haben mochte.

Alles, was sie erfuhr, warf nur noch mehr Fragen auf, und sie hatte keine anderen Quellen für Antworten als ihr eigenes verwirrtes Hirn. Das Pentagramm war ein altes Symbol, so viel wusste sie. Es war in verschiedenen Religionen verwendet worden, aber wurde irgendeine von ihnen im späten 19. Jahrhundert noch häufig praktiziert? Hatte das Mädchen es nur als Schmuck getragen, oder hatte es mehr bedeutet? Die Art und Weise, wie es an ihrer Hand baumelte, eher wie ein Rosenkranz als wie ein Schmuckstück, ließ Orla vermuten, dass es ihr wichtig war. Es war aktiv, ganz im Gegensatz zu den passiven Kreuzen, die die anderen Frauen trugen, als ob es zu einem bestimmten Zweck benutzt wurde.

Oder vielleicht bedeutete es gar nichts.

Bis sie fliehen und diesem Ort für immer entkommen konnten, musste Orla weiter an dem Rätsel arbeiten. Vielleicht war es kaum mehr als ein Zeitvertreib für ihren Verstand, nicht viel anders als die erfundenen Spiele ihrer Kinder; sie alle mussten etwas tun . Sie hatte sich den ganzen Abend mit Eleanor Queen beschäftigen wollen, aber ihre Tochter murrte jedes Mal, wenn Orla ihren Film unterbrach. Schließlich wurde die Musik lauter und das Bild verblasste, und Eleanor Queen drückte auf Stopp.

»Können wir jetzt reden?«, fragte Orla und wünschte, sie wäre nicht so verzweifelt auf die Hilfe des Mädchens angewiesen.

»Worüber?« Vielleicht war Eleanor Queen einfach übermüdet, aber sie klang mürrisch. Es war wahrscheinlich nicht der beste Zeitpunkt für ein Gespräch, aber Orla konnte nicht länger warten.

»Wir sind jetzt schon eine Weile drinnen. Spürst du, wie Es sich entfernt?«

»Nein. Es wartet bloß. Das ist doch blöd.« Eleanor Queen erhob sich von der Couch und wollte nach oben gehen.

»Was soll das heißen, Es wartet? Eleanor Queen?« Orla zog die gekreuzten Beine unter dem Körper hervor und sprang auf, um den Weggang ihrer Tochter zu stoppen.

»Ich weiß es nicht. Aber wir können nicht ewig drinnen sitzen. Was machen wir jetzt?«

»Ich dachte, wir hätten uns geeinigt …«

»Ich denke, es ist klar, dass es nicht wollte, dass wir gehen. Du warst diejenige, die gesagt hat, wir sollen nicht nach draußen gehen.«

»Das war zu eurer Sicherheit …«

»Wie lange denn? Es gibt ja nichts zu tun.«

Orla seufzte. Eleanor Queen tippte mit dem Fuß auf die unterste Stufe, unschlüssig zwischen Flucht und Bleiben.

»Ich habe nur Angst, dass wir draußen etwas falsch machen könnten, etwas, das Ihm nicht gefällt. Drinnen ist es sicherer, meinst du nicht?«

Eleanor Queen zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich. Aber ich glaube nicht, dass es vergessen wird, dass wir hier sind.«

»Was dann? Was sollten wir deiner Meinung nach tun?«

Die Rache dafür, eine Neunjährige um Rat zu fragen, bestand darin zu sehen, wie sie sich als Teenager verhalten würde: das übertriebene Augenverdrehen. Die sackenden Schultern, die sagten: Du hast ja keine Ahnung . Der Tonfall, der sagte: Du gehst mir auf den Geist; ich will dir nicht antworten . »Ich weiß es doch auch nicht.«

»Wir waren uns einig, das gemeinsam herauszufinden. Ich weiß, dass wir nicht drinnenbleiben können. Ich will nicht für immer hierbleiben, aber du musst mir sagen, wann es sicher genug ist, um …«

»Es wartet. Das ist alles, was ich weiß. Es … lernt, indem es sieht, was wir tun, und wir tun gar nichts.«

»Ich wollte, dass Es das Interesse an uns verliert – an dir.« Aber Orla spürte und wusste, dass ihre Tochter recht hatte: Es war Zeit für einen besseren Plan. Das Bild des alten Mannes, der zu schwach war, um noch aus seinem Bett aufzustehen, spornte sie an. »Morgen früh werden wir nach draußen gehen. Vorsichtig. Wir werden nicht versuchen fortzugehen, wir werden nur … schauen, was du spürst. Bist du dazu bereit?«

Orla sah, wie die Aufmüpfigkeit abflaute. Eleanor Queen wirkte mit einem Mal nur noch müde. Klein und unsicher.

»Ja. Vielleicht können wir versuchen, mit ihm zu reden«, schlug sie vor.

»Das ist eine gute Idee«, stimmte Orla zu. »Ein paar direkte Fragen stellen?« Eleanor Queen nickte. »Vielleicht über dieses Mädchen aus dem Buch?«

Eleanor Queen zuckte die Achseln und nickte dann erneut. Ihr Kopf sank auf ihre Brust und sie stapfte die Treppe hinauf.

Es war nicht fair, dachte Orla, dass ihre Tochter diese Last tragen musste. Und es war verrückt, dass sie solche Gespräche führten. Sie hatte zwar nicht damit gerechnet, dass der Hüttenkoller bei ihren Kindern so schnell eintreten würde, aber die Zeit drinnen war kein Totalverlust gewesen; ihre schmerzenden Muskeln fühlten sich besser an. Sie war stark genug, um zu tun, was auch immer als Nächstes kam. Neue Taktiken erforschen. Orla musste für sie alle einen besseren Ausweg aus ihrer misslichen Lage finden, und wenn das Fortgehen eine gefährliche und ungewisse Möglichkeit blieb, war es vielleicht ein fairer Kompromiss, nach draußen zu gehen und zuzuhören.

Das Ding, das Gespenst, zu fragen, was es wollte.