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Bevor sie die Stadt verließ, hatte Orla das Buch eines koreanischstämmigen Amerikaners gelesen, der nach Pjöngjang gegangen war, um dort an einer sogenannten Eliteschule zu unterrichten. Nordkorea war eine Faszination, die sie und Shaw teilten; sie sahen sich jeden Dokumentarfilm an, den sie über dieses geheimnisvolle, autoritäre Land finden konnten. Die jungen Menschen waren so abgeschirmt, wie Fleischreste durch den Fleischwolf gedreht und zu einer homogenen Konsistenz gepresst. Sogar ihre Vorstellungen von Freundschaft suchten Orla noch lange heim; »Kumpels« wurden zugewiesen und sie passten aufeinander auf, aber was war mit dem freien Willen? Was war mit der Liebe? Das erinnerte alles sehr an Orwell: die Sprache eliminieren, um die Gedanken zu eliminieren, aber nichts kann menschliche Gefühle dauerhaft unterdrücken. Das würde eine Art Science-Fiction-Bastelei erfordern, die chirurgische Entfernung eines wesentlichen Teils der Seele.

Dieses Buch führte zu einem weiteren, einer Sammlung von Kurzgeschichten, die aus dem Land geschmuggelt worden waren. Aus einer der Geschichten erfuhr Orla, dass es eine Strafe gab, wenn man in der Öffentlichkeit weinte. Solche Angstbekundungen galten als Beweis für die widerständigen Tendenzen einer Person; kein Nordkoreaner, der sein Land wirklich liebte, hätte jemals einen Grund zum Weinen gehabt.

Niemals, egal aus welchem Grund. Die Kontrolle über seine Gefühle zu verlieren konnte Verbannung bedeuten. Oder Hinrichtung.

Während Orla die gesamte nächste Woche mit ihren Kindern drinnen verbrachte, lernte sie, wie viel schwieriger es war, Emotionen zu unterdrücken, als körperliche Schmerzen – jeden Tag, den ganzen Tag, nicht nur für eine oder zwei plakative Stunden. Besonders herausfordernd waren die Emotionen, die einen Menschen zum Weinen oder Schreien oder Schimpfen oder Hyperventilieren bringen konnten. Sie fürchtete sich vor den unbekannten Konsequenzen, wenn das Wesen sie beim Denken an die falschen Dinge erwischte. Verbannung, Hinrichtung . Sie zwang sich, Eleanor Queen und Tycho gegenüber eine optimistische Fassade aufrechtzuerhalten, während ihr Inneres aufgewühlt war; sie fürchtete, dass es sie endgültig aus der Bahn werfen würde, wenn sie ihren Gefühlen freien Lauf ließ, abgesehen von der Vergeltungsstrafe des Wesens. Der Faden würde weggezogen, sich verheddern, und in der Mitte des Knäuels wäre gar nichts mehr.

Das Nichts machte ihr Angst. Das Nichts würde bedeuten, dass sie in der Ecke hockte und vor sich hin schaukelte, die Augen ins Leere gerichtet, während Eleanor Queen bei dem Versuch, den Holzofen anzuzünden, ihr Shirt in Brand setzte, und während Tycho sich die Hand blutig riss, als er versuchte, die letzte Dose SpaghettiO’s zu öffnen.

Um das Nichts fernzuhalten, sperrte sie den Schrecken, den Kummer, die Angst und das Bedauern in sich ein. Sie lobte ihre Kinder jeden Tag dafür, dass sie sich beschäftigten und sich nicht beklagten. Tycho hatte endlich zu viel Angst, um auch nur vorzuschlagen, draußen zu spielen, und Orla tat so, als wäre das ein Sieg: keine unterdrückten Wutanfälle mehr, so als wäre er ein großer Junge, der unter normalen Bedingungen aufwächst. Sie erfanden viele Spiele, bei denen es oft darum ging, verschiedene Ziele mit einem zusammengerollten Paar Socken zu treffen. Orla holte ein paar leere Kartons aus dem Keller und sie bauten ein Kanu aus Pappe. Wenn sie so taten, als würden sie mit dem Kanu über einen geheimnisvollen Ozean voller freundlicher Wasserbewohner paddeln, vergaßen sie alle ihre Gefangenschaft. Das Wohnzimmer, das jetzt so groß wie ihre drei gemeinsamen, miteinander verwobenen Fantasiewelten war, fühlte sich gar nicht mehr klein an. Sie konnten überallhin gehen, solange es nur nicht wirklich existierte.

Die Erdnussbutter war alle und das Brot auch. Honig auf Crackern war die neueste Leckerei. Sie hatten sich daran gewöhnt, ihren Haferbrei mit Wasser zu essen, aber auch davon war nur noch eine halbe Schachtel übrig. Orla konnte einen Beutel Tiefkühlgemüse so rationieren, dass er drei Tage lang reichte. Sie servierte es zusammen mit einer aufgewärmten Dose Hühnernudelsuppe, die auf drei Schalen verteilt war. Tycho beschwerte sich nicht über die Limabohnen, mit denen er früher lieber gespielt als sie gegessen hatte. Orla dachte nicht einmal daran, das Bettzeug abzuziehen und alles nach unten in die Waschmaschine zu schleppen. Wasser war kein dringendes Problem, und der Strom war an, aber ihre Mentalität war inzwischen die, dass sie die wesentlichen Dinge ihres früheren Lebens als luxuriös und unnötig empfanden. Trotzdem überprüfte Orla mehrmals am Tag, ob ihre beiden Handys Empfang hatten.

Den ersten Stock hatten sie so gut wie aufgegeben. Das Badezimmer war ein Muss, aber keiner von ihnen wollte sich allein in einem Zimmer mit einer Zellentür aufhalten. Orla schleppte ihre Matratze die Treppe hinunter. Tagsüber lehnte sie an der Eingangstür: Es war ja nicht so, als würden sie irgendwohin gehen. Und nachts zerrte sie sie in die Mitte des Zimmers und ließ sie dort fallen. Tycho und Eleanor Queen trugen Decken und Kissen herbei, und sie schliefen wie Welpen, die sich an den jeweils nächstgelegenen Körperteil schmiegten.

Wenn Tycho eingeschlafen war, zogen sich Orla und Eleanor Queen oft in die Küche zurück, um zu besprechen, was Eleanor Queen im Laufe des Tages wahrgenommen haben mochte. Orla machte sich selbst zur offiziellen Dolmetscherin, wenn ihre Tochter nur Farben, eine Bewegungswahrnehmung oder ein Gefühl beschreiben konnte. Im Laufe der letzten Tage hatten sie sich eine Theorie zurechtgelegt. Und für die Wintersonnenwende, die längste Nacht des Jahres und einen der ältesten heiligen Tage, planten sie eine Zeremonie, in der sie hofften, den ruhelosen Geist ein für alle Mal zu besänftigen.

Eleanor Queen fuhr fort, eine spürbare Wolke der Angst zu beschreiben. Orla verstand die Natur des Wesens immer noch nicht ganz. War es eins mit dem Baum? Die alte Kiefer und eine Manifestation ihres Geistes? Oder waren es getrennte Wesen? Sie hatte über die Jahre ein Interesse an Island entwickelt, ein Interesse, das in den 90ern mit ihrer Entdeckung der Sugarcubes begann (und ihre Liebe zu Björk war seitdem nur noch größer geworden), und sie folgte einigen isländischen Bloggern. Sie erinnerte sich daran, dass die Menschen dort – und auch in Irland – früher glaubten (und dass einige vielleicht immer noch glauben), dass bestimmte Felsen auf ihrem Land von Geistern bewohnt wurden. Kinder durften nicht auf solche Felsen klettern, und niemand versuchte, die Felsen aus seinen Höfen und Gärten zu entfernen. Sie respektierten die Geister, die neben ihnen wohnten, und versuchten, sie nicht zu stören.

Ein Blogger hatte einen Artikel gepostet, der sich wie eine ausgedachte Geschichte las: Es ging um einen Bauleiter, der von einem Geist auf dem Gelände träumte, auf dem ein neuer Flughafen gebaut werden sollte. Im Traum bat der Landgeist um einen Aufschub der Bauarbeiten, damit die Geisterfamilie ein neues Zuhause finden konnte. In der modernen Welt musste das verrückt erscheinen, aber die Bauarbeiten wurden erst wieder aufgenommen, nachdem der Bauleiter geträumt hatte, dass die Geister sicher weitergezogen waren. Und gab es in Irland nicht immer noch Menschen, die den Feen kleine Essensgaben hinterließen? Solche Geschichten klangen niedlich und harmlos, aber vielleicht geschah etwas Ähnliches auf ihrem Land mit einem besonders unzufriedenen und bedürftigen Geist.

Je länger Orla darüber nachdachte, desto plausibler wurde es, und sei es nur aus dem Grund, dass sie wusste, dass andere Menschen da draußen an solche Dinge glaubten. Und wenn die Wintersonnenwende für Heiden und Wiccas eine große Bedeutung hatte – trotz der Übernahme des Festes durch die Römer, um daraus den Tag der Geburt Christi zu machen –, umso besser. Orla war sich nicht sicher, ob es hier eine heidnische Verbindung gab, aber sie wusste, einmal war ein krankes Mädchen mit einem Pentagramm hierhergekommen, um Trost zu finden. Es konnte nicht schaden, jedes Mittel zu nutzen, das ihnen einfiel.

Sie waren sich einig, dass der Baum im Sterben lag; bedeutete das also, dass es dem Wesen ebenso ging? War es das, was es von der Familie wollte, jemanden, der Zeugnis ablegte? Es war leicht, die Angst, allein zu sterben, zu vermenschlichen, und so wurde dies zur Ursache und Wirkung ihrer misslichen Lage und zur Lösung. Orla stellte sich ihre Zeremonie als eine Art Händchenhalten vor, als ein Sitzen am Bett eines sterbenden geliebten Menschen. Eleanor Queen widersprach ihrer Interpretation nicht, und so machten sie sich am Abend der Sonnenwende an ihren Plan. Sie konnten zwar nicht die ganze lange Nacht bei dem Baum sitzen, da sie sich mitten in einer Kälteperiode befanden und Unterkühlung oder Erfrierungen nach einer zu langen Zeit draußen ein echtes Risiko darstellten. Dennoch war die symbolische Geste wichtig, und Orla fand, dass sie ausreichend verständnisvoll und wohlwollend waren, indem sie sich überhaupt in die Dunkelheit hinauswagten, wenn man bedachte, wie sehr Es sie in Angst und Schrecken versetzt hatte. Dass Es ihnen so viel genommen hatte. Schlug Es aus Angst vor dem unbekannten, ewigen Schlaf um sich? Konnten sie ein mächtiges, empfindungsfähiges Wesen so weit beruhigen, dass es in seinen letzten Schlummer fallen würde?

Orla plante eine Nachtwache von etwa einer Stunde; sie würde die Kinder um elf Uhr wecken und alle würden während der entscheidenden Mitternachtsstunde, dem Übergang zwischen dem Ende der längsten Nacht des Jahres und dem allmählichen Wiederauftauchen der Leben spendenden Sonne, in der Nähe des Baumes sein. Eleanor Queen notierte alles, was sie mitbringen wollten, in ihrem spiralgebundenen Notizheft.

»Klingt das gut?«, fragte Orla.

Ihre Tochter nickte. Sie lächelten sich an und dachten dasselbe: der Sieg eines Plans. Es war beinahe vollendet. Sie würden ihm die letzte Ehre erweisen und dann … Orla zwinkerte ihr zu, denn sie wusste, dass Eleanor Queen klug genug war, den Rest ihrer Gedanken zu verbergen: Dann werden wir fliehen . Es gab Dinge, über die sie vereinbart hatten, nicht zu reden, nicht einmal daran zu denken, damit der Baum sich nicht verraten fühlte. Sie hatten wirklich nicht den Wunsch, Es zu verraten oder zu betrügen oder Ihm in irgendeiner Weise zu schaden. Sie wollten, sie mussten einfach nur weg.

Sie schickte Eleanor Queen ins Bett, damit sie ein paar Stunden Schlaf bekam. Orla saß in dem hässlichen karierten Sessel, nippte an einem wässrigen Tee aus Teebeuteln, die sie schon mehrmals benutzt hatte, und betrachtete ihre Babys auf der Matratze zu ihren Füßen. Im Laufe des Tages, den sie sich nicht als ihren letzten Tag vorstellen durfte (um den Plan nicht zu ruinieren), hatte sie ihren Kindern geholfen, Papierkronen zu basteln, die groß genug waren, um sie über ihren Mützen zu tragen. Nachdem sie sie verziert hatten, hatte sie Streifen aus verschiedenfarbigem Bastelpapier ausgeschnitten, die Tycho und Eleanor Queen zu einer langen Kette zusammenklebten.

»Sie muss wirklich sehr, sehr, sehr lang sein«, hatte Eleanor Queen gesagt, »sonst passt sie nicht ganz herum.«

»Wird das unser Weihnachtsbaum?«, fragte Tycho.

»Irgendwie schon«, sagte Orla. »Die Tradition, an Weihnachten einen Baum zu haben, einen immergrünen, symbolisiert die Ewigkeit des Lebens. Besonders im Winter, wenn nichts mehr wächst.«

Ein Historiker oder Theologe könnte die Korrektheit ihrer Erklärung anzweifeln, aber sie passte zu der Zeremonie, die sie planten. Wenn Es zuhörte, wollte sie, dass Es Trost in einer Theorie des ewigen Lebens fand. Sie hörte Shaws Stimme den ganzen Tag und die ganze Nacht über in ihrem Kopf und amüsierte sich darüber, dass sie nun diejenige war, die den Wald vermenschlichte.

»Wir können keinen Stern auf die Spitze setzen«, bedauerte Tycho.

Orla und Eleanor Queen lachten.

»Es sei denn, wir lernen zu fliegen«, sagte Orla.

»Es werden Sterne am Himmel sein. Das ganze Universum kann helfen, den Baum zu schmücken«, sagte Eleanor Queen. »Sogar Papa.«

Tycho strahlte über seinen klebrigen Fingern. »Das wird ihm gefallen.«

Das will ich wohl hoffen . Orla kämpfte immer noch damit zu verstehen, warum Shaw sterben musste, wo das Wesen doch so viele andere Tricks zu seiner Verfügung hatte. War es das unglückliche Zusammentreffen von Ihm und ihren verdammten Feuerwaffen? Vielleicht hatte Es nicht gewusst, dass sie solche Waffen besaßen. Oder wenn das Ding Shaws dunkelsten Impuls verstanden hatte, seinen Wunsch, sein Leben zu beenden, dann war es vielleicht Wunscherfüllung. Oder hatte das Wesen etwas ganz anderes und Harmloses vorgehabt – wer konnte das schon wissen –, etwa ein Treffen zweier Bären, die dann im Schnee ringen und streiten und zu irgendeinem Ergebnis kommen sollten? Aber welches Ergebnis wäre das gewesen? Fortgehen? Bleiben? Einander fürchten? Einander lieben?

Ihr Tee war nur noch lauwarm. Aber sie blieb im Sessel sitzen und behielt die Bilder von Tycho und Eleanor Queen im Kopf, die sich auf ein Fest vorbereiteten, eine Feier. Meine Kinder lieben dich. Wir kommen, um dir zu helfen. Sie hoffte, dass Es ihre aufrichtigen, großzügigen Kinder und alles, was sie geopfert hatten, zu schätzen wissen würde.

Eleanor Queen erwachte nach einem sanften Stupsen, als hätte sie gar nicht tief geschlafen. Orla weckte als Nächstes Tycho, der ein bisschen protestierend wimmerte. Sein Haar stand in alle Richtungen ab, und ihr ging auf, dass sie ihn schon seit ein paar Tagen nicht mehr gebadet und ihm die Haare gewaschen hatte. Er saß zusammengekauert auf der Matratze und rieb sich die Augen, während Orla ihm seine warmen Sachen anzog. Die kalte Luft würde ihn früh genug wecken. Bevor sie das Haus verließ, setzte sie ihnen die Kronen auf die Mützen.

»Gehen wir auf die Party?«, fragte Tycho, der endlich zum Leben erwachte.

»Ja, es ist Zeit – für unser ganz besonderes Fest. Für einen ganz besonderen Baum. Und wir haben alle unsere besonderen Sachen.« Sie sah zu Eleanor Queen, die sich halb umdrehte, um ihr zu zeigen, dass sie bereit war, dass sie den Rucksack trug.

Tycho jammerte, als sie nach draußen in die kalte Nachtluft traten. Er drückte sein Gesicht in den Mantel seiner Mutter. Orla schaltete die Taschenlampe ein und hob ihn dann auf ihre Hüfte. Sie machten sich auf den Weg zu dem Baum.

Orla war noch nie so spät in der Nacht an einem so abgelegenen Ort im Schnee unterwegs gewesen. Der Mond beleuchtete ihren Weg und brachte die Landschaft zum Glänzen – der Schnee war silbrig, die Baumstämme sahen aus wie gemeißelte Bleischächte. Tagsüber querte manchmal ein Flugzeug den Himmel hoch über ihnen, oder sie hörten das Rumpeln eines Lastwagens auf einer entfernten Straße. Doch jetzt schlummerte die Welt, als sie in die gedämpfte Stille der Dunkelheit traten. Selbst die Vögel schliefen, schweigend bis auf den gelegentlichen Ruf einer vorsichtigen Eule. In der Luft lag ein schwacher Duft von brennendem Holz; irgendwo da draußen war ein Nachbar, der Holzscheite auf sein Feuer legte. Ihr Herz schlug schneller, als sie sich dem Waldrand näherten. Sie fürchtete sich davor, in den verhangenen Wald hineinzugehen, und blieb einen Moment lang mit himmelwärts gerichtetem Blick stehen.

»Seht«, sagte sie. So eine klare Nacht. Das war der Himmel, von dem Shaw gewollt hatte, dass sie, sie alle ihn bewundern. In der Stadt hatten die beleuchteten Fenster die Sterne ersetzt. Sie hatten sich Brücken und Wolkenkratzer gesucht, von denen aus sie die Stadt aus der Ferne und von oben betrachten konnten, deren unnatürliche Konstellationen ein Wunder menschlicher Geschäftigkeit waren. Wenn sie nun nach oben blickten, sahen sie die Tiefen der Unendlichkeit, unmögliche Entfernungen, in denen Galaxie um Galaxie ihre Geheimnisse ausbreitete. Ihr Planet war ein Staubkorn unter vielen, ihre Sonne ein winziger Lichtpunkt.

»Für jemand anderen sehen wir so klein aus«, sagte sie. Und vielleicht gab es weit weg jemanden mit einer ähnlichen Aussicht und ähnlichen Sehnsüchten, jemanden mit einem Herzen voller Schmerz, der einen Ausweg suchte.

»Sind da oben Menschen, Mama?«, fragte Tycho. »Auf anderen Planeten?«

»Vielleicht. Vielleicht so weit weg, dass wir sie noch nicht gefunden haben.«

»Können wir sie besuchen gehen?«

»Im Moment nicht.«

»Oh, was ist das?«, fragte Eleanor Queen und zeigte in den Himmel, so aufgeregt wie seit Langem nicht mehr. »Es bewegt sich!«

Orla fand den wandernden Lichtfleck. »Das muss ein Satellit sein.«

»Ein Satellit!« Tycho war jetzt hellwach.

»Dort oben gibt es viele Satelliten, für die Kommunikation und das Wetter.«

Orla betrachtete einen Moment lang die staunenden Gesichter ihrer Kinder.

Ein Schrei zerriss ihre Ruhe. Ein fast menschlich klingender Schmerzensschrei.

Tycho versteifte sich in ihren Armen und klammerte sich an ihren Hals. Eleanor Queen kuschelte sich an ihre Seite.

»Mama?«, fragte sie.

Die Kreatur heulte wieder, und diesmal war Orla sicher, dass es ein Tier und kein Mensch war. Sie hatte sich mit Shaw Videos auf Youtube angesehen, um sich mit der örtlichen Fauna vertraut zu machen. Sie hatte gelernt, dass Tiere sehr unerwartete Laute von sich geben konnten. Rehe bellten. Sogar Eichhörnchen konnten bösartig klingen.

»Ein Fuchs vielleicht?«, überlegte sie laut.

Obwohl dessen Schrei in dem Video, als das niedliche, ungestüme Fellknäuel auf dem Bildschirm aufgetaucht war, bezaubernd und nicht gequält geklungen hatte.

Der schneebedeckte Fuchs-Hasen-Mischling wollte, dass sie ihn aus seinem Versteck holte und zur näheren Untersuchung hochhielt, aber sie schob noch mehr Schnee vor seine Tür und begrub ihn noch ein bisschen tiefer. Es spielte keine Rolle, was da draußen war. Sie mussten gehen.

Sie nahm die Hand von Eleanor Queen und eilte mit ihnen in den dunklen Wald, bevor einer oder mehrere von ihnen den Wunsch äußerten, zurück nach Hause zu rennen.