37

Orla hielt Eleanor Queen nicht auf, als diese um die Matratze herum- und die Treppe hinaufging, lustlos und niedergeschlagen. Manchmal hielt das Mädchen ein Nickerchen in ihrem Schlafzimmer, aber ihre Nächte verbrachten sie immer noch auf dem Wohnzimmerboden. Heute Abend wollte Orla eine Überraschung vorbereiten; das Mindeste, was sie tun konnte, war, die Weihnachtsgeschenke heraufzuholen. Vielleicht würde sie Eleanor Queen später noch einmal rufen. Das Wesen klopfte in unregelmäßigen Abständen an den Verstand ihres Kindes, und Orla durfte keine Gelegenheit auslassen, dem ein Ende zu setzen.

Stirb schon . Das wäre das schönste Weihnachtsgeschenk, wenn Eleanor Queen am Morgen mit großen, fröhlichen Augen erwachen würde und das Wesen von ihrem Bewusstsein getrennt wäre.

Sie sah sich im Keller um, während sie die Treppe hinunterging; vielleicht gab es ja doch noch etwas zu finden. Die Habseligkeiten des alten Mannes hatten keine eindeutigen Hinweise ergeben, und wenn er ein besonderes Versteck hatte, blieb es verborgen. Wäre er aufmerksam genug gewesen und hätte das Ding auf seinem Grund und Boden bemerkt, wäre das alles vielleicht nicht passiert. (Wäre er noch am Leben, hätte sie ihn umgebracht.) Alles in dem kalten Keller schien vertraut; er hatte keine Geheimnisse mehr zu verraten. Das Herz ihres Mannes – der Heizkessel, den er geliebt hatte – hielt sie immer noch am Leben; seine beruhigende Präsenz brannte etwas von ihrer Bitterkeit weg.

Die Weihnachtsgeschenke waren in einer großen Schachtel mit der Aufschrift LAMPE/ZERBRECHLICH versteckt. Es waren nicht viele; sie waren mit den Weihnachtseinkäufen noch nicht fertig gewesen, und Shaw und Orla hatten beschlossen, keine Geschenke auszutauschen, da sie schon so viel für das Haus gekauft hatten. Die Geschenke für die Kinder waren bereits eingepackt, ein besonderes für jedes von ihnen und ein paar kleinere dazu. Sie hatten vor langer Zeit gelernt, alles sofort einzupacken, wenn es ins Haus gebracht wurde. In der Wohnung hatten sie manchmal nichts Besseres zu tun, als die Dinge auf den Küchenschränken oder in dem einen, prall gefüllten Kleiderschrank zu verstecken. Beim Anblick von Tychos Geschenken stockte ihr kurz der Atem, aber sie trug seine Sachen zusammen mit denen von Eleanor Queen nach oben und schaltete das Kellerlicht aus.

Es war ihr nicht in den Sinn gekommen zu schmücken, eine der Weihnachtsbeleuchtungen aufzuhängen oder die festlichen Zeichnungen und den Schmuck, den die Kinder gebastelt hatten. Und das Letzte, woran sie denken wollte, war ein Baum. Aber jetzt, als sie sich im Wohnzimmer umsah, die Arme voller Geschenke, sah sie ein unordentliches Durcheinander; ihre Tochter hatte mehr als das verdient.

Sie legte die Geschenke auf die Couch und räumte schnell das Zimmer auf. Auch wenn die Matratze bald wieder benutzt werden würde, richtete sie das Bettzeug gerade und schüttelte die Kissen auf. Vielleicht würde sie Eleanor Queen ihre Geschenke um Mitternacht auspacken lassen. Das wäre eine nette Überraschung und eine Abwechslung zu dem, was sie als Familie immer zusammen gemacht hatten.

Wir sind jetzt nur noch zu zweit .

Tychos Geschenke drohten, sie erneut zusammenbrechen zu lassen. Würden sie die gleiche Wirkung auf Eleanor Queen haben? Sie konnte nicht aufhören, sich selbst zu sehen, wie sie unter Wasser glitt und ihr kleiner Junge auf dem Eis festsaß und »Mama« rief. Was, wenn sie Eleanor Queen losgelassen hätte? Ihre Bemühungen, zurück auf die Scholle zu klettern, hätten Tycho ins Wasser stürzen lassen können, und sie wären vielleicht alle zusammen nach Hause gekommen. Sie konnte sich das nicht verzeihen; es war fast so schlimm wie der Fehler, den sie mit ihrem Mann gemacht hatte. Wenn sie nur gewusst hätte, dass das Wasser ein Übergang war, hätte sie beide packen und springen können. Aber sie hatte es nicht gewusst. Und in jenem Moment schien nur Eleanor Queen in unmittelbarer Gefahr zu sein.

Die quälenden Gedanken drehten sich pausenlos im Kreis.

Orla drückte Tychos unförmiges, weiches Geschenk. Ein Äffchen mit langen Armen und Beinen und Klettverschluss an Händen und Füßen. Eleanor Queen hatte ein ähnliches Exemplar gehabt, das sie sich um den Hals und die Taille gelegt und wie ein Anhängsel getragen hatte. Er liebte seine Plüschtiere. Orla wusste, was sich unter dem Rentier-Geschenkpapier verbarg, und stellte sich vor, wie ihr Sohn kicherte, als er seine Schätze aufriss. Das besondere Lego-Set, das er sich gewünscht hatte. Ein superweicher Fleece-Pyjama mit … Eisbären. (Sie zuckte zusammen.) Und ein Rucksack mit Raumschiffen und Raketen, auf den sie einen echten NASA-Aufnäher genäht hatte.

Könnten sie eine Art Gedenkfeier für ihn abhalten? Ihm diese Geschenke als Opfergabe widmen, wo auch immer er war? Würde Eleanor Queen das gefallen, ein Gefühl des Abschlusses, oder würde es etwas in ihr zerbrechen? Die Seelen von Kindern waren, wie ihre Knochen, weniger starr als die von Erwachsenen und konnten sich ein gutes Stück verbiegen, bevor sie brachen. Aber das bedeutete nicht, dass sie nicht tief betroffen waren. Traumata schwammen in ihnen, hinterließen Eierbündel auf sumpfigen Blättern; manchmal schlüpften zu viele. Sie konnten wachsen und sich sammeln und einen Menschen in einen anderen verwandeln. Orla hoffte, dass das bei ihrem brillanten Mädchen nicht der Fall war.

Aus Angst, alles noch schlimmer zu machen, stellte sie nur die Geschenke von Eleanor Queen um den Holzofen herum auf. Es war der beste Baumersatz, den sie hatten, und auf seine Weise symbolisierte er das Leben. Den Rest trug sie in Shaws Atelier und versteckte alles in seinem Schrank.

Sie verweilte in seinem Zimmer. Es roch nach ihm, er war überall. Sie hatte seine Tür geschlossen gehalten, weil sie Angst vor der Erinnerung hatte. Aber jetzt wurde ihr klar, dass sie die Erinnerungen brauchte, genauso wie sie die leidenschaftlichen Frauen nicht vergessen durfte, die sie stärker gemacht hatten. Seine Gemälde waren wie Küsse, aus freien Stücken gegeben, so sehr ein Teil von ihm. Hier war er ausgestellt, auf seinen beiden Staffeleien und auf dem Boden, an die Wände gelehnt.

Vielleicht gab es etwas von Shaw, das sie Eleanor Queen als besonderes Geschenk überreichen konnte. Sie ging in die Hocke und betrachtete die Gemälde, drehte jedes um, um zu sehen, ob Shaw irgendwo einen Titel hingekritzelt hatte. Einige, das wusste sie, hatten Namen, und vielleicht gab es ein bestimmtes, das von Töchtern oder von Liebe handelte.

Die Gemälde waren wunderschön, aber das wiederkehrende Motiv der Bäume … Selbst wenn es sich bei dem Wesen nicht um einen Baum handelte, sondern um eine Entität, die in ihm lebte, schien das kein angemessenes Geschenk zu sein. Sie überlegte, ob sie die Bilder suchen sollte, die er in der Stadt gemalt hatte, bevor sie abreisten; vielleicht würde eines davon passen. Aber sie konnte sich nicht ganz von den geheimnisvollen Waldbildern und der Hütte losreißen, die Shaw … gechannelt hatte? Er hatte Es fälschlicherweise für seine Muse gehalten; Orla verstand, warum, wenn sie sich die Tiefgründigkeit und die Details seiner Arbeit ansah. Wieder einmal zogen die verborgenen Gestalten sie in ihren Bann.

»Was wolltest du damit sagen?«, fragte sie laut, während sie eine Ansammlung von Blättern in den Blick nahm, die von der Seite betrachtet den nachdenklichen Blick eines menschlichen Gesichts verrieten. »Hast du da draußen etwas gespürt? Ein Bewusstsein? Wusstest du, dass es in dem Baum war?« Sie seufzte und ließ sich in eine sitzende Position auf dem Boden sinken. »Hast du die Antworten? Sind sie hier irgendwo? Ich muss wissen, was Es will. Warum Es uns nicht gehen lassen will.«

»Ich habe versucht, es dir zu sagen.«

Die Stimme erschreckte sie so sehr, dass sie hastig rückwärtsrobbte und gegen eine von Shaws Staffeleien stieß. Das Gemälde fiel ihr auf den Kopf, und erst nachdem sie es zur Seite geworfen hatte – als wäre eine Klapperschlange auf sie gefallen –, konnte sie den Sprecher ungehindert sehen.

Orla öffnete den Mund, um zu schreien, aber der Schrei wollte nicht kommen.

Sie wimmerte und robbte weiter auf dem Boden zurück, um von der Gestalt, die in der Tür stand, wegzukommen.

Er trat auf sie zu, um den Abstand zu verringern, doch als er ihre Angst erkannte, streckte er die Hände aus und machte die gleichen Gesten, die sie einst den Schneewalzen gegenüber gemacht hatte: halt; unschuldig.

Orla schüttelte den Kopf und starrte ihren Mann an, während ihre Züge ihr Entsetzen verrieten und ihr Herz wie ein Sattelschlepper mit Vollgas auf Kollisionskurs raste.

Shaw machte einen weiteren Schritt auf sie zu. »Ich kann nicht lange bleiben …«

»Wie machst du das? Wie kannst du nur all das tun?« Sie ließ sich nicht täuschen. Es war eine Illusion oder ein Trick. Oder vielleicht war es die letzte Lawine ihres Verstandes, der sich immer schneller in Richtung Leere ergoss.

Er kniete ein paar Meter vor ihr nieder, seine Eigenheiten so ähnlich wie die ihres Mannes, dass Orla spürte, wie sie sich ihm entgegenreckte und ihn umarmen wollte. Sich entschuldigen. Ihn festhalten und nie wieder loslassen. Aber sie blieb auf Abstand, während ihre Augen ihn musterten, in der Erwartung, einen Makel, einen Fehler in seiner Erscheinung zu finden, der den Schwindel seiner Identität aufdecken würde. Aber er sah in jeder Hinsicht, von seinen schiefen Zähnen bis zu seinem unordentlichen Haar, wie der Ehemann aus, den sie brauchte …

»Ich kann nicht lange so bleiben«, sagte er wieder. Seine Stimme hatte einen roboterhaften Klang, als ob er sich zu sehr bemühte, jedes Wort deutlich zu machen, und das Tempo und die Tonlage waren ein wenig daneben. »Es ist das Schwierigste, anstrengender als das Hervorbringen von Schönheit in der Natur, so zu kommunizieren, wie ihr es tut. Aber du brauchst Antworten …«

»Ja. Bitte! « Sie erhob sich auf die Knie.

»Du hättest die Junge nicht aufhalten sollen, als wir so große Fortschritte machten.«

Er – Es – sprach von Eleanor Queen. Eben noch hatte Orla ihn berühren wollen, um sich zu vergewissern, dass er Fleisch und Blut war – warm und mit Leben erfüllt? –, aber jetzt wollte sie ihm eine Ohrfeige verpassen und ihm damit die Erwähnung ihres Kindes aus seinem Verrätermund schlagen.

»Ich wollte niemanden von euch verletzen, und es tut mir leid, was passiert ist. Ich weiß, ich habe Fehler gemacht. Ich dachte, der kleine Junge würde dir ins Wasser folgen. Ich musste mich schnell entscheiden: Entweder ich bringe euch beide in Sicherheit oder ich versuche, das Eis zu halten, auf dem er schwamm. Für jedes der beiden brauchte ich viel Kraft, beides ging nicht.«

Orla weinte. Als sie die Bestätigung von Tychos Tod aus dem Mund ihres Mannes hörte (auch wenn er es nicht war), … drohten die lauten Schluchzer sie auseinanderbrechen zu lassen. Shaw glitt zu ihr und umarmte sie, was sie nur noch mehr zum Weinen brachte. Er fühlte sich an wie der Mann, den sie kannte. Sie klammerte sich an ihn. Er streichelte weder ihr Haar noch flüsterte er ihr ins Ohr, wie es ein Liebhaber tun würde, aber ihn nur für einen Moment zu haben, zu halten … sie wollte mehr, aber er entzog sich wieder.

»Hör zu«, sagte er. Orla gehorchte dem Befehl. Sie wischte ihre Tränen und den Rotz mit dem Handrücken weg und schenkte dem Wesen ihre ganze Aufmerksamkeit. »Ich will, dass du verstehst …«

»Warum tust du mir das an?«

Er sah unsicher aus. »Ich habe lange Zeit in meinem Haus gelebt … Meine Zeit ist anders als deine. Ich hatte vergessen, wer ich war. Wie man spricht. Woher ich kam. Und als ich merkte, dass meine Heimat im Sterben lag … war ich plötzlich in der Lage, Dinge zu tun, die ich vorher nicht … Ich hatte es vorher nicht einmal versucht. Ich erkannte, dass ich nach all den Jahren, in denen ich mit der Lebenskraft um mich herum eins geworden war, mehr geworden war. Vielleicht wurde es durch die Erinnerung an den Tod ausgelöst. Also fing ich an, die Hände auszustrecken. Zu erforschen. Ich schöpfte aus den Ebenen meiner Welt und versuchte endlich zu verstehen, wer ich war und was ich tun sollte.« Er atmete tief ein, aber statt die Luft wieder auszustoßen, begann er zu husten: ein schreckliches, den Körper erschütterndes Husten, das Blutstropfen ausspuckte.

Entsetzt wich Orla weiter zurück, als das Blut sie bespritzte. »Wer bist du? Was bist du?«

»Dieser Mann, als der ich erscheine, hat mich gespürt. Und durch ihn versuchte ich … Ich wollte, dass er begreift, dass er mein neues … Mir war nicht klar, wie beängstigend das für ihn sein würde. Ich habe versucht, meine Kommunikation anzupassen, für die Kleine, damit sie keine Angst hat.« Er hustete wieder und versprühte dabei einen Blutnebel.

»Bitte lass sie in Ruhe. Sag mir, was du willst. Wir wollen hier nicht alle sterben – das kann doch nicht dein Wille sein!«

»Ist es nicht! Ich lag schon einmal im Sterben, vor langer Zeit. Ich habe die Erinnerung gefunden. Und jetzt, genau wie damals, möchte ich, dass mein Leben weitergeht und … Ich dachte, ich würde für immer allein sein. Jetzt, während ich es verstehe, weiß ich, was ich vor all den Jahren getan habe. Ich kann es wieder tun. In ein neues Zuhause einziehen.«

»Dann tu es doch! Ringsherum sind so viele Bäume …« Ihre Verzweiflung wuchs zusammen mit ihrer Wut.

»Ich will keinen anderen Baum. Ich wollte das hier.« Er deutete auf seinen Körper. »Und als er deutlich machte, dass er ihn nicht hergeben würde, geriet ich in Panik. Ich verstand seine … seine Entscheidung nicht. Ich wurde zornig, fühlte mich verraten. Ich erinnerte mich an eine Nacht … eine Nacht der Sonnenwende …«

»Das waren wir! Wir haben versucht zu helfen!«

»Nein, das ist länger her. Ich lag im Sterben. Ich sah aus«, er streckte ihr einen geisterhaften Finger entgegen, und sein Arm wurde länger, wuchs wie ein Ast, »wie du. Wie das junge Mädchen, die kleine Königin. Ich brauchte etwas, das mich überdauern würde. Ich sagte … Ich weiß es nicht, ich erinnere mich nicht an die Worte, wie ihr sie benutzt. Aber ich glaubte an etwas, glaubte an etwas, das größer war als ich selbst, an die glorreichen Wurzeln und Blätter, die die Welt verbinden. Ich sprach … ein Gebet – du nennst es ein Gebet. Und dann verwandelte ich mich, ging hinüber – der Baum nahm mich an, und ich ging hinüber, um nicht zu sterben.«

Wieder verschoben sich tektonische Platten, aber diesmal waren sie in Orlas Kopf. Ihre Haut kribbelte, straffte sich, als ihre eisigen Oberflächen aufeinanderprallten. »Warst du das Mädchen? Das hier gestorben ist? Du warst das Mädchen mit dem Penta…«

»War ich ein Mädchen? Ich glaube, das war ich. Ich lag im Sterben.« Er hustete wieder, und Orla, die sich instinktiv vor der tödlichen Ansteckung durch Tuberkulose fürchtete, bedeckte ihr Gesicht mit ihrem Arm, um sich die Krankheit nicht einzufangen. »Als ich den Mann fragte … Ich kann nicht einfach … übernehmen. Stehlen. Es muss eine Einigung geben. Wenn ich es ihm besser hätte erklären können … Er hätte keine Angst haben müssen. Ich bin mehr, als ich war. Kein Mädchen, viel … größer. Mehr Schichten. Ich bin mächtig geworden, aber er und ich hätten zusammenleben können.«

Orla schüttelte entsetzt den Kopf, als karmesinroter Schleim von seinen Mundwinkeln über sein Kinn tropfte. Die Worte, die er sprach, waren ganz gewöhnlich, aber die Bedeutung war ihr fremder als alles, was sie je gehört hatte, ebenso wie die seltsame, schräge Art, wie er sprach. Shaw hatte recht gehabt mit dem Kurhäuschen, dem Foto, den tuberkulösen Frauen. Nein, nicht mit allen Frauen. Mit einem speziellen, sterbenden Mädchen. Aber sie hatten nicht genug Punkte gehabt, um sie zu einem Bild zu verbinden. Und nichts davon ergab einen Sinn; sie fühlte sich wie ein Schatten ihrer selbst, als würde die Angst sie auffressen, nur das Skelett übrig lassen, sodass sie zu einem nutzlosen Puzzle aus Knochen zerfallen musste.

Er stand da, überragte sie, wuchs in die Höhe wie der Baum, in dem er – Sie – lebte, und Orla starrte entsetzt zu ihm auf.

»Ich hoffe, du verstehst jetzt. Meine Bemühungen, dir Wunder zu zeigen und meine eigenen ungenutzten Kräfte zu erforschen, verkürzen die Zeit, die mir noch bleibt. Ich wusste nicht, dass du die schöne Welt sehen und mit solcher Angst reagieren würdest, obwohl ich nur wollte, dass du innehältst und zuhörst. Bitte hör zu, wir haben keine Zeit mehr. Jetzt ist es die Kleine – wie ich sie liebe! Du, die Mutter, hast mich sehen und mich erinnern lassen, wie das ist, ein Mädchen zu sein! Und sie ist offen für mich, offener als der Mann, als du. Sie hat keine Angst vor neuen Möglichkeiten. Wenn sie sich mir öffnet, werden wir zusammen sein, und sie wird immer noch wie sie selbst sein, aber auch wie ich: die unermessliche Präsenz, die ich geworden bin …«

Orla schüttelte den Kopf, eine klare Absage. »Nein!«

»Und wenn sie mich einlässt, denke ich, dass es eine letzte Sache gibt, die ich versuchen kann …«

Er starb nach einem Hustenanfall und löste sich in nichts auf. Es erinnerte sie an den Transporter aus einer alten Star-Trek-Folge, der einen Reisenden in Lichtflecke auflöste.

Sie sprang auf und keuchte, als ob sie sich körperlich verausgabt hätte. Sie wollte aus dem Zimmer rennen, zögerte aber, an der Stelle vorbeizugehen, an der ihr Mann erschienen war. Die Blutspritzer waren geblieben. Sie fasste sich an den Kopf, machte schnelle Schritte hin und her und sprang schließlich um die Stelle herum, an der Sie gestanden hatte, floh aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Auch Orla hatte recht gehabt; sie würde nie wieder ihre Intuition missachten. Niemals würde sie zulassen, dass ihre Tochter tat, was das Wesen wollte, auch wenn Orla Mitleid mit dem einsamen Mädchen hatte, das vor langer Zeit gestorben war. Aber jetzt wusste sie es.

Wusste genau, was sie tun musste.

Nachdem sie sich im Bad gewaschen und das Blut, das dort unmöglich sein konnte, weggeschrubbt hatte, ging sie in das Zimmer ihrer Tochter und kuschelte sich neben sie auf das schmale Bett.

Am Weihnachtsmorgen würde sie Eleanor Queen das Geschenk machen, das sie am meisten verdiente: den Rest ihres Lebens.